Islam

Thesenanschlag in Berlin. Reformidee versus Dialog?

Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi hat seine Thesen zu einem humanistischen, liberalen Islam an die Tür einer Moschee in Berlin geschlagen. Anfang Oktober 2017 erschien er am frühen Samstagmorgen, am Tag nach der Präsentation seines Buches zu genau diesen Thesen, mit einer Handvoll Medienvertretern vor der Dar Al-Salam-Moschee („Neuköllner Begegnungsstätte“, NBS). Angemeldet war er allerdings nicht. Doch der Imam der Moschee, Mohamed Taha Sabri, war vorbereitet, ein Kirchenvertreter ebenfalls anwesend. Ourghi und die ihn begleitenden Journalisten wurden eingelassen, die Thesen an der Eingangstür befestigt. Es kam zum Wortwechsel, Sabri lud den ungebetenen Besucher zum Dialog ein und bezeichnete den „Thesenanschlag“ als PR-Aktion für sein eben erschienenes Buch, das er nur verkaufen wolle. Ourghi betete in der Moschee und zeigte sich anschließend überrascht über die Gesprächsbereitschaft. Miteinander zu reden sei das Wichtigste, er habe eine Moschee des arabischsprachigen Islam ausgewählt, weil dieser eine zentrale Rolle spiele und der Wächter des konservativen Islam sei.

Es folgten heftige Reaktionen. Der Pfarrer der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, Martin Germer, der vor Ort gewesen war, fragte Ourghi in einem offenen Brief, warum er nicht vorher Kontakt zu den Verantwortlichen der Moscheegemeinde aufgenommen habe. Er kritisierte das Ganze als „provokativ angelegte Selbstinszenierung“ sowie „reine Publicity-Aktion“. Daraufhin empörte sich die Publizistin Necla Kelek öffentlich in mehreren Zeitungen über die Einmischung des Pfarrers und die einseitige Parteinahme des Kirchenmanns für „die Fundamentalisten“.

Die Parteinahme ist freilich aus den Dialogbeziehungen erklärlich, die man vonseiten der evangelischen Kirche etwa im Zusammenhang des von der NBS initiierten Friedensgebetes auf dem Berliner Breitscheidplatz im März 2017 oder des „Marsches der Muslime gegen den Terrorismus“ (ebenfalls mit der NBS) im Juli aufgebaut hatte. Die Moschee steht indessen schon länger in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie wird vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet, der sie für ein Verbindungsglied zur Muslimbruderschaft hält. Gute Beziehungen scheint die NBS bzw. Imam Sabri zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD) zu unterhalten, die der Muslimbruderschaft zugerechnet wird. Im März 2016 war die NBS Gastgeberin für die Auftaktveranstaltung des „Fatwa-Ausschusses in Deutschland“, eines direkten Ablegers des European Council for Fatwa and Research (ECFR), durchaus mit islamistischer Prominenz. Die letzten bekannten Auftritte ausländischer extremistischer Prediger in der Moschee liegen schon eine Zeit zurück, aber immer wieder zeigen sich Verbindungen mit islamistischen Netzwerken. Imam Sabri, der 2015 den Verdienstorden des Landes Berlin für seine Integrationsarbeit erhielt, wehrt sich gegen die Vorwürfe und betont, seine Moschee wende sich eindeutig und engagiert gegen Salafismus und Extremismus.

War der „Thesenanschlag“ nun ein Anschlag auf die Gepflogenheiten des Dialogs, oder gerierten sich kirchliche Dialogpartner der Muslime ignorant gegenüber den drängenden Herausforderungen des Dialogs, indem sie den Falschen kritisierten? Oder beides? Es täte sicher auch ein bisschen weniger „Luther“ – Reform lässt sich nicht diktieren, schon gar nicht medial inszenieren. Es ist allerdings auch zu fragen, wie eine Aktion, die tatsächlich Öffentlichkeit erzielen will, unter den herrschenden Umständen aussehen kann. Dialogveranstaltungen und -formate gibt es viele, auch wenn sie an vielen Orten in schwerem Fahrwasser manövrieren und mit Vertrauensabbrüchen zu kämpfen haben. Ein weiterer Presseartikel des Freiburgers wäre wohl auch nebenbei abgehakt worden. Insofern war es natürlich eine Inszenierung. Wer die Aktion allerdings nur als medienwirksamen Gag zur Vermarktung des eigenen Buches abtut, greift entschieden zu kurz. Es käme dem – auch im Dialog mit Muslimen – altbekannten Muster gleich, die Person oder das Vorgehen infrage zu stellen, anstatt auf Inhalte zu antworten.

Die Loyalität zu den Dialogpartnern und der sensible Umgang gerade in schwierigen Zeiten ist wichtig. Doch in Anbetracht des islamistischen Umfelds der Moschee hätten die Kirche bzw. ihre Vertreter ihren Begriff von den Dialogpartnern nicht so einseitig auslegen müssen, ja dürfen. Dazu hätte es des Engagements für die Bedeutung und die Dringlichkeit dessen bedurft, was ganz unabhängig von Personen, Eitelkeiten und Interessen inhaltlich mit dem Anliegen des Freiburger Provokateurs verbunden ist. Es geht ihm darum, den vorherrschenden Diskurs der konservativen islamischen Theologie nachhaltig infrage zu stellen, es geht um eine Koranauslegung und ein Islamverständnis, die sich der pluralen Gesellschaft öffnen und die Gläubigen ermächtigen, in Bezug auf ihre Lebenssituation Verantwortung zu übernehmen und freie Entscheidungen zu treffen.

Mehr zu den Thesen Ourghis und seinem Buch „Reform des Islam“ können Sie in der Rubrik Bücher in diesem Heft lesen (476ff).


Friedmann Eißler