Theosophie

Theosophische Zeitschrift „Welt-Spirale“ stellt ihr Erscheinen ein

Die „Welt-Spirale“, die Zeitschrift der theosophischen „Welt-Spirale – Ethische Gesellschaft für Fortschritt und Welterneuerung“ stellt nach 56 Jahren ihr Erscheinen ein. Dies teilte ihr Vorstand und Redakteur Reinhold Maria Stangl aus Linz im Dezemberheft 2017 mit.

Damit verschwindet eine weitere systemesoterische Kleinstgruppenpublikation. Schon Anfang 2015 hatte die „GralsWelt“ (Organ der Gralsbewegung) die Segel gestrichen. Nachdem im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Europa zahlreiche kleine Weltanschauungsgemeinschaften entstanden waren, scheint nun eine Phase der Schrumpfung einzusetzen. Bedenkt man die Wortlastigkeit vieler dieser Gemeinschaften, deren Publikationstätigkeit im Verhältnis zur Mitgliederzahl oft enorm ist („Welt-Spirale“: jährlich sechs Hefte à 50 bis 60 Seiten für unter 100 Mitglieder) und die seit ihrer Gründung primär über „Lehrbriefe“ u. Ä. kommunizierten, so kündigt dieser Schritt wohl ein langsames Erlöschen an.

Die „Welt-Spirale“ war 1953 von dem österreichischen „Naturphilosophen und Geisteswissenschaftler“ Leopold Brandstätter (1915–1968) als „Schule für Lebendige Ethik“ gegründet worden. Den heutigen Namen erhielten Zeitschrift und Gruppe 1962. Es handelt sich um eine der auf Helena Blavatsky (1831 – 1891) zurückgehenden Gemeinschaften. In einem Zweig der Theosophie trat ab 1920 die Russin Helena I. Roerich (1879 – 1955) auf, die zwischen 1924 und 1938 Botschaften von dem fiktiven „tibetischen Meister Morya“ erhielt, aus denen der sogenannte „Agni Yoga“ hervorging (s. MD 5/2012,175-181). In dieser Tradition gründete der nach dem Zweiten Weltkrieg politisch, kulturell und religiös aktive Leopold Brandstätter, genannt Leobrand, die „Schule für Lebendige Ethik“. Eine Massenbewegung wurde die Gruppe nie, aber nach 1990 verbreitete sie sich in Russland und den GUS-Staaten. Als Ziele gibt die Welt-Spirale a) weltpolitische Evolution, b) soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Evolution, c) technische Evolution und d) religiöse Evolution an, kurzum Welterneuerung im „Wassermannzeitalter“ auf der Grundlage von Leobrands Philosophie.

Das Ende der Publikation hatte sich schon abgezeichnet, seit im Frühjahr 2017 die ebenfalls aus der Roerich-Tradition stammende Gesellschaft „Frieden durch Kultur“ als Mitherausgeberin ausgeschieden war und der noch von Leobrand selbst eingesetzte Gründungsredakteur den Staffelstab an Reinhold Stangl weitergegeben hatte.

Im letzten Heft zeichnet man wie gewohnt die eigene Weltdeutung als Zusammenfassung und überbietende Synthese alles Vorherigen, wobei diesmal vor allem Sokrates, die Gemeinschaft der Heiligen, Buddha und Jesus vorgestellt werden, denn „[s]ämtliche Religionen der Welt sind in ihrer unverfälschten Form Teile der einen universalen Lehre“. Dazu Leobrand: „WIR können leicht die Thora durch die Hymnen der Weden ersetzen und die Gebote Buddhas mit den Worten Christi verschmelzen, denn Wir sehen keine Unterschiede zwischen den Lehrern, die aus der EINEN Quelle kommen“ (351). An diesem universalen Anspruch hält die Welt-Spirale unbeirrt fest. Er ist zusammengefasst in ihrem Gottesbegriff UNIVERALO (unitas + veritas + logos), den Leobrand 1964 im „Lehrbrief 29 Das universelle Gottesverständnis“ als überbietende Synthese aller existierenden Gottesverständnisse darlegte. Darüber hinaus enthält das Programm umfassende Ideen zur sozialen und politischen Neuordnung bis hin zu einer „universalen Weltregierung“.

Vor dem jetzigen Schritt war die Auflage von 2000 Stück bei Leobrands Tod auf 150 zurückgegangen. Das Ende der Zeitschrift wird aber als Modernisierung verstanden. Künftig werde man auf www.welt-spirale.de weiter publizieren und alle Schriften Leobrands frei verfügbar machen. Auch alle Aufnahmen seiner Vorträge sollen beginnend an Leobrands 50. Todestag (20.2.1968) im Monatsrhythmus veröffentlicht werden. Man sei „eine der letzten Gesellschaften, welche diesen Schritt ins Internet vollzieht“. Die Rundbriefe können aber auch künftig als Ausdruck verschickt werden, denn die „Älteren unter uns haben vielfach den Anschluss an die Computergeneration in dieser Inkarnation nicht mehr geschafft“.

Die bisherigen Erfolge kommentiert Herausgeber Stangl zum Abschied durchaus optimistisch. „Heute sind die von uns vertretenen Grundsätze in Teilbereichen zu selbstverständlichen Zielen der Gesellschaft geworden und vielfach sogar gesetzlich verankert. Viele Vereinigungen kämpfen heute für Teilbereiche derselben Ziele und wissen meist gar nicht, woher ihre geistige Inspiration kommt“ (315). Dabei ist u. a. an die heute allgemeine Akzeptanz ökologischer, ganzheitlicher und sozialer Anliegen gedacht. Er hält es für „sicher, dass sich die besseren Ideen und die Wahrheit früher oder später auf allen Ebenen, gegen alle unfairen Machenschaften alteingesessener Mächte ... durchsetzen werden“ (ebd.).

Wer erstmals die Webseite besucht, wird überrascht. Das grafisch anspruchslose Heft enthielt vor allem religionsphilosophische Texte, Auszüge aus Leobrands Schriften usw. Dagegen begrüßt die Webseite den Besucher mit einem bunten Bildermosaik, hinter dem sich eine Phalanx von Internet-Links zu diversen Verschwörungstheorien verbergen. Sie führen zu YouTube-Filmen, welche die Wahrheit über den Kennedy-Mord, über Chemtrails, Impfungen, die Bundespolitik aus der Sicht des „Compact-Magazins“ und die Welt aus der Sicht Donald Trumps aufdecken, also eine umfassende Information über alles, „was die Medien nicht verraten“. Sämtliche Teile der Internetseite, die sich nicht Leobrand widmen, scheinen mit Verschwörungstheorien gefüllt. Dies scheint zunächst schwer mit der innerlich-meditativen und philosophischen Ausrichtung der Theosophie übereinzubringen, illustriert aber die ideologischen Berührungspunkte von monistisch-esoterischen und verschwörungstheoretischen Kontingenzbewältigungsstrategien. Es scheint leider, als hätten nicht nur die älteren Welt-Spirale-Mitglieder in dieser Inkarnation den Anschluss an das Computerzeitalter, sondern auch Teile der Bewegung den Anschluss an die Wirklichkeit verloren.


Kai Funkschmidt