Matthias Roser

„The Genesis Flood“

Ein kreationistischer Klassiker wurde 50

Auf den Internetseiten der beiden wichtigsten kreationistischen Organisationen der USA, dem „Institute for Creation Research“ und „Answers in Genesis“, wurde schon seit geraumer Zeit auf ein besonderes Jubiläum hingewiesen: Vor 50 Jahren erschien einer der kreationistischen Klassiker des 20. Jahrhunderts: „The Genesis Flood“ von John C. Whitcomb und Henry M. Morris.1 Auf der Internetseite von „Answers in Genesis“ wurde eine Jubiläumsausgabe mit folgenden Worten beworben: „Vor über 50 Jahren kamen Henry Morris und John Whitcomb zusammen, um gemeinsam ein kontroverses Buch zu verfassen, das den Dialog und die Debatte über Darwin und Jesus, Naturwissenschaft und Bibel, Evolution und Schöpfung aufs Neue entzündete. Dialog und Debatte führten dann zu dem, was seither als ‚Schöpfungswissenschaft’ (creation science) bezeichnet wird. The Genesis Flood vermochte es, viele Fragen über die Sintflut zu beantworten: Woher kamen die Wasser der Sintflut? Wohin verschwanden diese Wasser wieder? Wie konnte Noah die Landtiere an Bord der Arche versorgen?“ 2Sowohl in seriösen historiografischen – die Geschichte des US-amerikanischen Kreationismus beschreibenden Publikationen3 – als auch in Veröffentlichungen aus dem Umkreis der kreationistischen Subkultur der USA und Großbritanniens4 werden die weitgehenden Einflüsse bzw. das Alleinstellungsmerkmal von „The Genesis Flood“ für die Geschichte des jüngeren Kurzzeit-Kreationismus unisono betont. Welche theologie- bzw. frömmigkeitsgeschichtlichen Faktoren machen nun dieses Alleinstellungsmerkmal aus, das die Pub-likation aus der Masse z. T. längst vergessener Werke heraushebt? Immerhin erschien das Buch passgenau zum Jubiläum in der 50. Auflage, und es wurden weltweit bisher ca. 300 000 englischsprachige Exemplare verkauft. Auch der Frühgeschichte (bis ca. 1985) der größten und wichtigsten deutschsprachigen kreationistisch orientierten Organisation, der „Studiengemeinschaft Wort und Wissen“, gab die Publikation und das letztendlich als Konsequenz dieser Publikation gegründete Institute for Creation Research wesentliche Impulse.5

„The Genesis Flood“ im zeitgeschichtlichen Kontext

John C. Whitcomb und Henry M. Morris6 legen in ihrem Gemeinschaftswerk erste Bausteine für den Entwurf eines überfachlichen Metasystems jeweils miteinander korrelierender, biblizistisch genormter Naturwissenschaften (oder anders formuliert: Bausteine für einen Systementwurf eines „Denkens des Ganzen“7) vor, die entsprechend der Biografie der beiden Autoren und ihrer je unterschiedlichen theologischen (John C. Whitcomb) bzw. naturwissenschaftlichen (Henry M. Morris) Ausbildung durchaus unterschiedliche Akzentuierungen aufweisen. Dieses – für die Autoren bereits am Horizont aufscheinende – missionarisch ausgerichtete Metasystem verspricht, die gerade in den USA der 1950er und 1960er Jahre bereits lange schwelende, aber nun neu aufbrechende, schier unüberwindlich erscheinende Diastase von christlichem Schöpfungsglauben und Naturwissenschaften wieder zu überbrücken. Das Aufbrechen dieser Diastase wird in den USA Mitte der 1950er Jahre im öffentlichen Bewusstsein intensiv registriert und diskutiert. Analoges gilt für die theologische und gemeindliche Wahrnehmung bzw. Diskussion des Verhältnisses von biblischem Schöpfungsglauben und Evolutionstheorie.8Die öffentliche Wahrnehmung in den USA wurde 1957 und in den folgenden Jahren maßgeblich durch den sogenannten Sputnik-Schock in der Hochphase des Kalten Krieges geprägt. Der UdSSR war es 1957 gelungen, mit dem unbemannten Satelliten Sputnik I die erste Etappe im Krieg um die Eroberung des Weltraums für sich zu entscheiden. Als direkte Konsequenz dieses Ereignisses, das in der zeitgenössischen Presse mit dem Trauma von Pearl Harbour 1941 verglichen wurde, unterschrieb Präsident Eisenhower 1958 den National Defence Education Act (NDEA).9 Das dadurch initiierte millionenschwere Bildungsprogramm hatte die im Argen liegende naturwissenschaftliche Bildung der amerikanischen Schüler bzw. College-Studenten im Blick. Naturwissenschaftliche Bildung war plötzlich zur Angelegenheit der nationalen Sicherheit geworden.„The Genesis Flood“ kann als direkte Reaktion und als Versuch einer evangelikal-fundamentalistischen Antwort auf den NDEA und insbesondere die Schulbuchprojekte für den Biologieunterricht verstanden werden. Drei Schulbücher, die dazugehörigen Lehrerhandbücher10 und das dem zu erneuernden Biologieunterricht zugrunde liegende Curriculum wurden in den Jahren 1961 und 1962 intensiv und landesweit (an ca. 1450 Schulen) getestet und evaluiert.11Der NDEA wurde vor allem als Verunsicherungspotenzial für evangelikal-fundamentalistisch orientierte Gemeinden, aber auch für Eltern, Schüler und College-Studenten aus diesem Milieu diagnostiziert. Im Vorwort zu „The Genesis Flood“ schreibt John C. McCampbell: „Der wahrhaft gläubige Christ, der auf der einen Seite die in der Schrift geoffenbarte Wahrheit annehmen, sich auf der anderen Seite die Entdeckungen der Wissenschaften zu eigen machen möchte, findet sich in einem schier unauflöslichen Dilemma wieder.“12 Diesem mehr seelsorgerlichen Aspekt korrespondiert eine – wenn auch nur verdeckt erkennbare – schulpolitische Intention von „The Genesis Flood“. Den durch die Entscheidung des amerikanischen Supreme Courts im Fall Engel vs. Vitale (Verfassungswidrigkeit des Schulgebets an öffentlichen Schulen, 1962) verunsicherten Schulleitern und Lehrern sollte eine Argumentationshilfe an die Hand gegeben werden, um der Marginalisierung christlichen Lebens in den öffentlichen Schulen der USA entgegenzuwirken.Ronald L. Numbers schreibt zu den eventuellen Erfolgsaussichten dieses Vorhabens: „Wir wissen [heute, M.R.], dass die Kreationisten ihren Kreuzzug mit einem großen Unterstützerpotenzial initiieren konnten.“13 Als Beleg für diese These zieht Numbers eine Umfrage aus dem Jahr 1963 in Nord-Kalifornien heran, aus der hervorging, dass ca. 30 Prozent der Protestanten und ca. 28 Prozent der Katholiken der Evolutionstheorie ablehnend gegenüberstanden.14

Drei apologetische Argumentationsmuster

In „The Genesis Flood“ finden sich nun drei Argumentationsmuster, um dem mit dem NDEA initiierten Wissenschafts- und Forschungsprogramm sowie den prognostizierten Wirkungen entgegenzutreten.1. Es begegnet das Modell einer „evidentialistischen Apologetik“.15 Wesentliche geistesgeschichtliche Wurzeln dieser Form der Apologetik finden sich bereits im 18./19. Jahrhundert insbesondere in der „Scottish Common Sense Philosophy“ in der Tradition von Thomas Reid (1710-1796) und William Paley (1743-1805). Die evidentialistische apologetische Methode geht von zwei Grundvoraussetzungen aus: a.) Es ist möglich, dem Nichtchristen grundlegende Aussagen des christlichen Glaubens wissenschaftstheoretisch und vernunftlogisch kohärent und widerspruchsfrei zu beweisen. b.) Es gibt eine gemeinsame vernunftorientierte bzw. vernunftbasierte Diskursgrundlage zwischen Christen und Nichtchristen. „Der Vertreter einer evidentialistischen Apologetik setzt eine gemeinsame Sicht von Erfahrung, wissenschaftlicher Theoriebildung und allgemeingültiger logischer Regeln voraus ... er geht davon aus, dass eine genügend breite ontologische und erkenntnistheoretische Basis vorhanden ist, um eine tiefgehende und fruchtbare Diskussion mit dem Nichtgläubigen zu führen.“16 Das Ziel der Methode besteht u. a. in der Rechtfertigung des christlichen Glaubens und seiner grundlegenden Aussagen durch die Naturwissenschaften. „Die evidentialistische Apologetik unternimmt es, empirische Tatsachen so zu ordnen und zu interpretieren, dass die Wahrheit des christlichen Glaubens aufgezeigt werden kann.“172. Großflächig überlagert wird die Methode der evidentialistischen Argumentation in „The Genesis Flood“ durch die Anwendung der sogenannten „präsuppositionalistischen Apologetik“. Die Tradition dieser Form der Apologetik wurde im 20. Jahrhundert maßgeblich von dem niederländisch-amerikanischen Theologen Cornelius Van Til (1897-1995) neu radikalisiert.18 Dieser postuliert, dass jeder vernünftige Mensch in erkenntnistheoretischer Hinsicht gewissermaßen eine Brille trägt, deren Gläser quasi auf das Gesicht aufzementiert sind. Es gibt sie in zwei unterschiedlichen Ausführungen: Zum einen die rosa gefärbte Brille des Christen, zum anderen die gelb gefärbte des Nichtchristen. Alle denkenden Menschen betrachten die Welt entweder durch das eine Modell oder durch das andere. Die Brille kann nicht einmal für einen einzigen Augenblick abgenommen werden. Der Christ betrachtet und interpretiert jede Tatsache von seinen christlichen, der Nichtchrist von seinen nichtchristlichen Denkvoraussetzungen (presuppositions) her. Es gibt keine neutrale Position, es ist keine Situation denkbar, in der wir die Tatsachen sehen, wie sie sind.19Die „festzementierten Brillengläser“ oder Denkvoraussetzungen sind nun nach Meinung Van Tils nicht einfach auswechsel- oder veränderbar. Archibald Masterton beschreibt die Präsuppositionen-Lehre Van Tils folgendermaßen: „Für Van Til gibt es zwei Hauptargumente, weswegen er unnachgiebig darauf beharrt, dass die Brillengläser niemals abgenommen werden können. Ein Argument bezieht sich auf

die Erbsünde. Die menschliche Verworfenheit (in erkenntnistheoretischer Hinsicht, M.R.) ist vollkommen. Die Erbsünde wirkt sich auf jede Person aus, auf jeder Stufe ihres Daseins. Sie wirkt sich auch auf die Vernunft aus – ein Sachverhalt, der gelegentlich als die erkenntnistheoretischen Folgen der Sünde (noetic effects of sin) bezeichnet wird. Die Erbsünde verdunkelt die Vernunft, nur die Erlösung kann sie neu erleuchten. Die unerlöste Vernunft kann nichts anderes tun, als die Tatsachen zu interpretieren ... Das zweite Argument bezieht sich auf Van Tils Verständnis des Wortes Gottes. Van Til fordert, dass die Schriften des Alten und Neuen Testaments die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen konstituieren, von denen aus wir alles betrachten. Er fordert auch, dass alles aus christlichem Glauben getan werden sollte, damit jeder einzelne Gedanke für Christus gefangen genommen werden kann, nicht nur einzelne Aspekte.“20Für Van Til existiert nun kein neutraler Boden (common ground), auf dem ein wissenschaftlicher Diskurs zwischen einem Christen im Van Til’schen Sinne und einem Nichtchristen möglich wäre. Die christlichen Denkvoraussetzungen sind nach Van Til den nichtchristlichen erkenntnistheoretisch unendlich überlegen, da sie auf der irrtumslosen, unfehlbaren Offenbarung Gottes in der Bibel beruhen. Der eigentliche apologetische Prozess hat das Ziel, den Nichtgläubigen von seinen falschen Denkvoraussetzungen zu befreien.Die Bibel bedarf der menschlichen Rechtfertigungen (z. B. durch die klassischen Gottesbeweise) nicht, auch nicht in Bezug auf ihre historischen und naturwissenschaftlichen Aussagen. Van Til beharrt darauf, dass wir der Bibel erlauben, ihre Wahrheit selbst zu beweisen. „Im Glauben vernehmen wir Gottes eigenes Zeugnis der Wahrheit seines Wortes. Anschließend erheben wir Gottes Wort zu unserer erkenntnistheoretischen Denkvoraussetzung. Dann stellen wir die Widerspruchsfreiheit seines Wortes fest. Abschließend interpretieren wir die Bibel auf der Basis ihrer eigenen Aussagen über sich selbst, wie sie in 2. Tim 3,16 und 2. Petr 1,21 zu finden sind.“21Die Argumentation in „The Genesis Flood“ folgt nun dieser Spur: Die kurzzeitkreationistischen Grundaussagen der Genesis bedürfen keiner näheren wissenschaftlichen Begründung. Aus der von Van Til entwickelten Präsuppositionenlehre (er bezeichnet sie auch als „transzendentale Methode“) kann nur folgen, dass die vermeintlich historischen und naturwissenschaftlichen Aussagen der Genesis unzweifelhaft wahr sind und folglich Aspekte einer (zukünftigen) besseren, weil bibeltreuen und verbalinspirierten Naturwissenschaft repräsentieren.Bereits im Vorwort von „The Genesis Flood“ wird die Zirkularität der Argumentation offensichtlich. Ein ergebnisoffener Diskurs z. B. bezüglich geologischer oder allgemein naturwissenschaftlicher Fragestellungen liegt nicht im Fokus der beiden Autoren. Im Gegenteil: Die präsuppositionalistische Theologie wird als haushoch überlegen betrachtet. Die Einsicht in diese Überlegenheit ist aber aus präsuppositionalistischer Sicht nur demjenigen Forschenden gegeben, der wiedergeboren und damit auch intellektuell bekehrt wurde. Der Nichtchrist und der nicht in diesem Sinne wiedergeborene Christ können nur staunend vor der unüberwindlich erscheinenden Mauer dieses (vermeintlich) in sich geschlossenen und kohärenten Argumentationsmodells stehen.3. Das Buch ist von Bezügen auf eine dispensationalistische Bibelhermeneutik durchzogen.22 Der maßgeblich von John Nelson Darby (1800-1882) geprägte Dispensationalismus geht davon aus, dass sich die gesamte Heilsgeschichte als eine Abfolge von „Haushaltungen“ (dispensations) Gottes mit den Menschen verstehen lässt. In diese Haushaltungen hinein, deren genaue Zahl variieren kann23, ist die Welt- bzw. Profangeschichte untrennbar verwoben. Die heilsgeschichtlichen Dispensationen bilden den übergeordneten Rahmen und das geoffenbarte Orientierungsmuster für die Deutung der jeweiligen (aktuellen) weltgeschichtlichen Epochen und Ereignisse.John C. Whitcomb lehrte von 1951 bis 1990 das Fach Altes Testament am dispensationalistisch geprägten Grace Theological Seminary in Winona Lake (Indiana).24 Als Ältester der „Conservative Grace Brethren Churches“ ist er Anhänger des Prämillenarismus. Dieser geht davon aus, dass sich die zweite Wiederkunft Christi vor dem in der Johannes-Apokalypse beschriebenen Tausendjährigen Reich ereignen wird. Vor dieser Wiederkunft Christi, zum Ende der heilsgeschichtlichen Ära der Kirche, kommt es zur großen Trübsal (tribulation). Diese Zeit ist durch Krieg, Hunger, Gewalt, Naturkatastrophen und totalitäre politische Systeme geprägt, die den „American way of life“ aktiv bedrohen. Der Prämillenarismus als theologisches Deutungsinstrument zeichnet die je aktuelle Gegenwart äußerst kulturpessimistisch. Bei Whitcomb tritt zu der prämillenaristischen Hermeneutik noch die im Wesentlichen auch auf John Nelson Darby zurückgehende Sonderlehre der Vortrübsalsentrückung (pretribulation rapture). Diese Lehre ergänzt die Wiederkunft Christi vor dem Millennium um eine weitere, verborgene Wiederkunft vor der großen Trübsal. Durch diese Wiederkunft werden die wiedergeborenen Christen der großen Trübsal entzogen.

„The Genesis Flood“ als religiöse Erbauungsliteratur

Ein weiterer durch die Autoren Whitcomb und Morris intendierter Aspekt von „The Genesis Flood“ sollte bei aller Betonung der apologetischen Zielsetzungen nicht aus dem Blick geraten: Das Werk appelliert an einen in den USA der 1960er Jahre noch weit verbreiteten und wirkmächtigen Strom der Laienfrömmigkeit. Timothy Weber charakterisiert diese so: „... Die Menschen besaßen eine Form von vorrationaler Intuition zur Unterscheidung von richtig und falsch, Wahrheit und Lüge, Tatsachen und Illusionen. Ein jeder war in der Lage, Tatsachen direkt zu erkennen, mit einem Minimum an Verzerrung und Spekulation. Ein jeder war in der Lage, seinen Beobachtungen der Welt zu vertrauen.“25Diese Laienfrömmigkeit fand bereits 1895 in folgendem Votum Arthur T. Piersons beredten Ausdruck: „Ich liebe die biblische Theologie, die eben nicht mit der künstlichen aristotelischen Erkenntnistheorie beginnt; die eben nicht mit einer Hypothese beginnt und daran anschließend die Fakten und die Philosophie verformt, um auf Teufel komm raus unser (christliches) Dogma daran anzupassen. Im Gegenteil: Ich bevorzuge ein auf Francis Bacon zurückgehendes System, das als erstes die Lehre(n) des Wortes Gottes erfasst, um daraus ein allgemeines Gesetz abzuleiten, um die Fakten auf dieser Grundlage dann entsprechend zu gliedern.“26 Diese Laienfrömmigkeit bot in den 1960er Jahren eine breite Basis potenzieller Unterstützer des fundamentalistischen Aufbruchs in den USA, bei dem auch „The Genesis Flood“ eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte.Zu Beginn dieser Ausführungen war die Frage aufgeworfen worden, warum „The Genesis Flood“ bzw. der darin vertretenen „Sintflut-Geologie“ in hohem Grad ein Alleinstellungsmerkmal für die weltweite kreationistische Argumentation seit Mitte des 20. Jahrhunderts zuzusprechen ist. Ronald L. Numbers hat die von dem Buch angestoßenen weltweiten Impulse beschrieben.27 Er weist die von „The Genesis Flood“ ausgehenden Wirkungen u. a. in den Niederlanden (Nicolaas A. Rupke, Willem J. Ouweneel), in Deutschland und der Schweiz (Arthur E. Wilder-Smith), aber auch in Australien (Ken Ham und „Answers in Genesis“) und in Kanada (Earl G. Hallonquest) nach. Gleichzeitig war allerdings die in „The Genesis Flood“ vertetene Sintflut-Geologie auch im evangelikalen Spektrum des Protestantismus heftigster Kritik ausgesetzt.28Was ist nun das Erfolgsgeheimnis von „The Genesis Flood“? Es spiegelt sich in dem Buch eine Methode theologischer Argumentation, die die Frömmigkeit des theologischen Laien und Bibellesers ernst nimmt, diese Frömmigkeit gewissermaßen „an die Hand nimmt“ und ihr ein Orientierungssystem anbietet (Dispensationalismus). Dieses Orientierungssystem verspricht dem Bibelleser auch, sowohl ganzheitlich als auch eindeutig (Präsuppositionalismus) zu sein und seine gesamte Existenz als Christ und Bürger dieser Welt im Blick zu behalten, bzw. stellt ein Erklärungs- und Deutungsmuster für die Unüberschaubarkeit und die Kontingenzen der Weltläufte zur Verfügung. Die vermeintliche Diastase von Glaube und Naturwissenschaft ist in diesem Orientierungssystem nicht mehr virulent, da sie in einem größeren Ganzen (Gottes Plan) aufgehoben ist.

Schluss

Es bedarf nun sicherlich noch weiterer, tiefer gehender Untersuchungen und Forschungen zu folgenden Fragestellungen: Ob, wo und ggf. in welcher Form und mit welcher Intention a.) die hinter „The Genesis Flood“ sichtbar werdenden apologetischen Methoden einerseits und b.) die hinter „The Genesis Flood“ deutlich zu Tage tretende dispensationalitische Bibelhermeneutik andererseits zur aktuellen Deutung des Verhältnisses von Glaube und Naturwissenschaft im deutschsprachigen Protestantismus, aber auch im traditionalistischen Katholizismus aufgeboten werden. Weiterhin wäre auch im interreligiösen Vergleich zu untersuchen, ob die skizzierten Argumentationsmuster nicht in analoger Weise zur Kritik an der Evolutionstheorie und ihren vermeintlich verheerenden geistesgeschichtlichen Wirkungen beispielsweise in den Publikationen des muslimischen Kreationisten Harun Yahya verwendet werden.


Matthias Roser


Anmerkungen

1 John C. Whitcomb / Henry M. Morris, The Genesis Flood. The Biblical Record and Its Scientific Implications, Philadelphia, Pennsylvania, erschienen im Oktober 1961. Im Folgenden wird durchgehend aus der 6., textidentischen Auflage 1964 zitiert. Deutsch: Die Sintflut. Der Bericht der Bibel und seine wissenschaftlichen Folgen, übers. von Eckhard Schnabel, Neuhausen-Stuttgart 1977.

2 www.answersingenesis.org/PublicStore/product/Genesis-Flood-The,4593,226.aspx (2.2.2012, Übersetzung M.R.).

3 Vgl. Ronald L. Numbers, The Creationists. From Scientific Creationism to Intelligent Design, Cambridge, Mass., 2006; Eugenie C. Scott, Evolution vs. Creationism. An Introduction, Berkeley 2009; Edward J. Larson, Trial and Error. The American Controversy over Creation and Evolution, New York 1985.

4 Z. B. Paul Garner, The Genesis Flood, www.biblicalcreation.org.uk/scientific_issues/Garner_The_Genesis_Flood_50_Years_On.pdf  (3.10.2011).

5 Vgl. den Bericht über die USA-Reise der „Gründungsväter“ von „Wort und Wissen“: Horst W. Beck / Heiko Hörnicke / Hermann Schneider, Die Debatte um Bibel und Wissenschaft in Amerika-Begegnungen und Eindrücke von San Diego bis Vancouver (= Wort und Wissen Bd. 8), Neuhausen-Stuttgart 1980. Gemeinsamkeiten, aber auch grundlegende apologetische Unterschiede zwischen dem deutschsprachigen und dem US-amerikanischen Kreationismus sind Thema der theologischen Dissertation des Verfassers dieses Beitrags, die am Institut für Evangelische Theologie der TU Dortmund eingereicht werden wird.

6 Für beide Autoren liegen m. W. keine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biografien vor. Erste biografische Hinweise enthält u. a. Ronald L. Numbers, The Creationists, a.a.O.

7 Vgl. den Hinweis in „The Genesis Flood“: „It is our sincere prayer that God may continue to use this volume for the purpose of restoring His(!) people everywhere to full reliance on the Truth of the Biblical doctrine of origins“ (XXIX). Und noch deutlicher: „We hope, however, that those whose confidence, like ours, is central in the revelation of God, will be encouraged herein to see that a truly Biblical approach will eventually correlate all the factual data of science (sic!) in a much more harmonious and satisfying way than the uniformitarian assumption can ever do“ (XXII).

8 Vgl. Bernhard Ramm, Christian View of Science and Scripture, Grand Rapids 1954.

9 Vgl. Wayne C. Urban, More than Science and Sputnik. The National Defense Education Act of 1958, Tuscaloosa 2010.

10 Es handelt sich um die Schulbücher: Biological Science. An Inquiry into Life. BSCS Yellow version, New York 1963; High School Biology BSCS Green version, Chicago 1963; Biological Science. Molecules to Man. BSCS Blue version, Boston 1963.

11 Vgl. The BSCS Story. A History of the Biological Sciences Curriculum Study, hg. von Laura Engleman, Colorado Springs 2001.

12 The Genesis Flood, XVI (Übersetzung M.R.).

13 Ronald L. Numbers, The Creationists, a.a.O., 329.

14 Vgl. ebd., 330.

15 Vgl. Henry M. Morris, Many Infallible Proofs, San Diego 1974.

16 http://thinkinginchrist.com/media/papers/REVIEW%20OF%20APOLOGETIC%20METHODS.pdf  (5.10.2011).

17 Kenneth D. Boa /Robert M. Bowman, Faith Has Its Reasons: An Integrative Approach to Defending Christianity, Colorado Springs 2001, 171 (Übersetzung M.R.).

18 Vgl. Cornelius Van Til, The Defense of the Faith, Philadelphia 1955; ders., Christian Apologetics, hg. von William Edgar, Phillipsburg, N. J., 22003; ders., A Christian Theory of Knowledge, [Philadelphia 1969]; ders., An Introduction to Systematic Theology. Prolegomena and the Doctrines of Revelation, Scripture, and God, hg. von William Edgar, Phillipsburg, N. J., 22007. Sekundärliteratur: John M. Frame, Cornelius Van Til. An Analysis of his Thought, Phillipsburg, N.J., 1995; Greg L. Bahnsen, Van Til’s Apologetic. Readings and Analysis, Phillipsburg, N.J., 1998.

19 Vgl. Archibald Masterton, Cornelius’ Spectacles, in: Faith in Focus (A monthly magazine of the Reformed churches of New Zealand) August 1996, www.rcnzonline.com/fnf/ar16.htm (2.2.2012)

20 Ebd. (Übersetzung M.R.).

21 Ebd. (Übersetzung M.R.)

22 Z. B. The Genesis Flood, 29, 443ff.

23 Vgl. zur Einführung in diese hochkomplexe Thematik immer noch: Ernest Robert Sandeen, The Roots of Fundamentalism. British and American Millenarianism, 1800-1930, Chicago 1970.

24 Vgl. Paul J. Scharf, A Biographical Tribute to John C. Whitcomb Jr., in: Terry Mortenson / Thane Hutcherson Ury (Hg.), Coming to Grips with Genesis. Biblical Authority and the Age of the Earth, Green Forest, Ark., 2008, 437ff.

25 Timothy P. Weber, The Two-Edged Sword. The Fundamentalist Use of the Bible, in: Nathan O. Hatch / Mark A. Noll (Hg.), The Bible in America, New York / Oxford 1982, 101-120, 115 (Übersetzung M.R.).

26 Zit. nach George M. Marsden, Fundamentalism and American Culture, New York 22006, 55 (Übersetzung M.R.).

27 Vgl. Ronald L. Numbers, The Creationists, a.a.O., 362ff.

28 Vgl. z. B. Bernhard Ramm, Christian View of Science and Scripture, a.a.O.; J. R. Van de Fliert, Fundamentalism and the Fundamentals of Geology, in: Journal of the American Scientific Affiliation 21 (1969), 69-81.