Liane Wobbe

Thailändische Buddhisten in Deutschland

Einblicke in das religiöse Leben einer Gemeinde in Berlin

An einem Samstagvormittag fahre ich zum Wat Buddhavihara in die Malchower Straße nach Pankow-Heinersdorf. Hier haben thailändische Buddhisten 2011 ein ehemaliges Fabrikgelände gekauft und sind seitdem dabei, eine alte Villa als Tempel auszubauen. Bis jetzt finden noch alle Veranstaltungen in einem provisorischen Nebengebäude statt, das mit Buddha-Statuen als Kultraum eingerichtet ist. Ich beeile mich, da ich rechtzeitig bei der Verehrungszeremonie, die um 11 Uhr beginnt, anwesend sein möchte. Als ich eintreffe, sind alle noch beim Vorbereiten. So unterhalte ich mich mit einer Frau, die zur Gemeinde gehört und an einer tempeleigenen Nähmaschine an der weißen Robe für eine Nonne näht. Sie sagt, dass sie ihre Werke immer im Hinblick auf deren Folgen im nächsten Leben verrichte. „Wenn ich viel spende, so glaube ich, dass ich im nächsten Leben keine finanziellen Probleme haben werde. Wenn ich viele Roben für die Nonnen im Tempel nähe, dann werde ich vielleicht im nächsten Leben auch nicht unter einem Mangel an Kleidung leiden.“

Dann beginnt die Zeremonie. Die thailändischen Besucher, die hauptsächlich durch Frauen und Kinder vertreten sind, sitzen auf Knien mit ihrem Gesicht zur Buddha-Statue. Sie legen die Hände in Brusthöhe aneinander und verneigen sich dreimal vor Buddha. Dabei sprechen sie das „Namo tassa bhagavato“ (pali, Verehrung ihm, dem Erhabenen). Dann drehen sie sich mit ihrem Gesicht zu den Mönchen, die in einer Reihe auf einem Podest sitzen, und wiederholen dieselbe Zeremonie vor ihren spirituellen Meistern. Nach einigen weiteren Gebeten überreichen sie den Mönchen ein Geschenk. Da eine Berührung zwischen Mönchen und Laien nicht gestattet ist, geschieht dies mittels eines Tuches. Jetzt nehmen die Mönche und Nonnen getrennt an ihren Tischen Platz. Begleitet von Gebeten der Laien verspeisen zuerst die Mönche und dann die Nonnen das mitgebrachte Essen der Besucher und überlassen dann den Gemeindemitgliedern die reichhaltigen Reste. Beim gemeinsamen Essen erfahre ich, dass heute weniger Gäste als an anderen Tagen da sind, da in einem thailändischen Lebensmittelladen ein sogenannter Almosengang durch die Mönche stattfindet.1 Um zu wissen, wie dieser rituelle Bettelgang in der Berliner Diaspora aussieht, nehme ich einige Monate später daran teil.

Almosen für thailändische Mönche in der Diaspora

Jeden Samstagmorgen um 10 Uhr versammeln sich thailändische Familien im Daos Asia Food Shop, einem kleinen thailändischen Lebensmittelladen in der Kantstraße 55, um Lebensmittel und Geld an die Mönche aus dem Wat Buddhavihara zu spenden. Als ich eintreffe, ist der kleine Laden, der gleichzeitig als Imbiss dient, gefüllt mit Besuchern. Einige halten ein Tablett mit einer Flasche Wasser, gekochtem Essen und gekauften Lebensmitteln in der Hand. Es duftet nach Essen, und im Hintergrund spielt thailändische Musik. An einer Theke füllt eine Frau suppenähnliche Speisen in Plastiktüten und legt sie den Besuchern aufs Tablett. Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm erklärt mir, dass jeder Besucher einige Produkte aus dem Laden im Wert von 5 Euro zusammenstellt und den Mönchen überreicht.

Dann fährt ein Auto vor, und der Bettelgang entpuppt sich als Almosenfahrt, denn die Mönche werden vom tempeleigenen Fahrer mit dem Auto direkt zum „Pilgerort“ chauffiert. Drei Mönche in orangefarbenen Kutten und weißen Socken treten in den Laden. Jetzt ziehen auch alle Gläubigen ihre Schuhe aus. Auf der kleinen Fußbodenfläche rutschen sie auf Knien im Kreis eng zusammen, legen ihre Hände an den Kopf und verneigen sich ehrfurchtsvoll vor den buddhistischen Würdenträgern. Die Mönche, von denen jeder einen großen silbernen Almosentopf um seinen Bauch gegurtet hat, gehen von Besucher zu Besucher, und die Gaben von den Tabletts werden in die Almosenschalen gelegt. Als alles abgegeben und verstaut ist, hält ein Mönch eine kurze Ansprache und spricht einen Segen. Währenddessen gießt jeder Besucher ganz langsam mit der rechten Hand Wasser aus einem Becher in eine Schale, wobei die linke Hand das rechte Handgelenk umfasst. Das Wasser ist nun geweiht. Während die Mönche den Laden verlassen und ins Auto steigen, nehmen die Gläubigen die Schalen und begießen einen Baum mit dem vom Mönch geweihten Wasser, auf dass dieses zu den Verstorbenen gelange und somit deren Sünden getilgt werden.2

Glaubensvorstellungen

In Thailand gilt der Buddhismus als Staatsreligion.3 In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts eroberten die in Südchina beheimateten Thaivölker im gemeinsamen Kampf mit den Mongolen Thailand, Laos und Burma und gründeten eine Reihe kleiner Thai-Staaten. Der erste bedeutende Herrscher des Staates Sukkothai, Rama Khamheng, soll erstmalig in einer Inschrift seinem Volk mitgeteilt haben, dass er und die Fürsten seines Landes die Lehre Buddhas befolgen. Einen besonderen Stellenwert in der frühen Ausbreitung des Buddhismus in Thailand hat die Stadt Ayutthaya. Diese entwickelte sich seit dem 15. Jahrhundert zu einem bedeutenden buddhistischen Pilgerzentrum mit zahlreichen Klöstern und Pagoden. Viele Mönche wurden hier nach der Tradition Sri Lankas ordiniert.

Heute wird der Buddhismus in Thailand der Tradition des Theravada zugeordnet. Die thailändisch-buddhistische Religionspraxis setzt sich jedoch aus verschiedenen lokalen Religionsformen zusammen. So gilt als wichtigste Quelle die Theravada-Tradition in der Art, wie sie aus Nordindien und Sri Lanka hierher transportiert wurde. Weitere Einflüsse bilden der aus Indien stammende Brahmanismus, der sich besonders während der Sukkothai-Epoche (13. – 15. Jahrhundert) im frühen Thai-Königtum ausbreitete, volksreligiöse Praktiken, die das Einwirken verschiedener Naturgeister (Phi) zu verhindern oder zu beschwören suchen, sowie Aspekte des Mahayana-Buddhismus, die sich z. B. in zeitweilig existierenden Überzeugungen, der König selbst sei ein Bodhisattva, zeigten. Darüber hinaus existieren zahlreiche buddhistische Reformbewegungen, die sich gegen lokale Volkstraditionen wenden und einen intellektuellen, politischen, sozialen oder spirituellen Buddhismus propagieren.4

Als heilige Schrift thailändisch-buddhistischer Orden gilt wie in anderen Theravada-Traditionen der Pali-Kanon bzw. das Tipitaka (pali, Dreikorb; thai: pra traipidok). Dieser ist in Thailand zwar in der Pali-Sprache, aber entweder in der modernen Thaischrift, der älteren Khom- oder der Thamschrift verfasst. Neben dem Tipitaka gibt es zahlreiche zusammenfassende Textsammlungen jeweils regional spezifischer Lehren.

Im thailändischen Buddhismus existiert keine persönliche Beziehung zu Gott, die etwa einer Gottesbeziehung nach christlichem, jüdischem oder muslimischem Verständnis vergleichbar wäre. Für viele Thai gilt Buddha als höchstes Wesen und als Vorbild. Sie bitten Gott oder Buddha nicht um etwas, sondern sprechen einen Wunsch aus. Um das Schicksal positiv zu beeinflussen, werden auch Ahnen und Geister angerufen. Basierend auf dem Gesetz des Karma, sind die Jenseitsvorstellungen von dem Glauben geprägt, dass ein Mensch zahlreiche Wiedergeburten über viele Leben hinweg erfährt, bis er es irgendwann zur Buddha-Natur geschafft hat.

Mönche als Kultspezialisten

Thailändisch-buddhistische Tempel werden als Wat bezeichnet und fungieren als Klöster und öffentliche Kultstätten. Wie in den meisten Theravada-Ländern haben auch in Thailand die Mönche (pali: bhikkhu, thai: pha) die Funktion der Kultspezialisten inne. Sie leben in Tempeln, rezitieren heilige Texte und führen Zeremonien durch. Von den Gläubigen werden sie ehrfurchtsvoll mit Luang-Pi (thai, Ehrwürdiger Bruder) oder Luang Por (Ehrwürdiger Vater) angesprochen. Gegen Spenden bieten sie spezielle familienorientierte bzw. anlassbedingte Rituale an. Als Lehrer und moralische Führer sind sie verantwortlich für die Bewahrung und Vermittlung der Lehre Buddhas. Einige Mönche fungieren auch als Magier, Heiler und Seelsorger, und ihnen wird die Macht zugeschrieben, anderen zu Glück und Wohlstand zu verhelfen. Da es ihnen nach den Ordensregeln (pali: pathimokha) untersagt ist, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, werden sie von den Laien rund um die Uhr mit allen lebensnotwendigen Dingen versorgt. Diese werden ihnen ins Wat gebracht, oder die Mönche wandern mit ihren Almosenschalen von Haus zu Haus. Besteht der Wunsch nach einem besonderen Segen für das Haus oder für einen aktuellen Anlass, z. B. die Geburt oder Hochzeit, so werden die Mönche nach Hause eingeladen, um die entsprechenden rituellen Verse zu rezitieren. Als Gegenleistung erhalten sie ein Essen, das auf jeden Fall bis zur Mittagszeit stattgefunden haben sollte.

Nach thailändischer Tradition verbringt ein Mönch seine erste Zeit bereits mit acht Jahren als dek wat (Tempelkind) im Tempel. Entwickelt sich das Bestreben eines dek wat bzw. seiner Familie, ins Mönchsleben einzutreten, wird er zum nen (Novize) ordiniert. Nach einem Noviziat von ca. zwei Jahren erfolgt die höhere Weihe (upasampadha) zum eigentlichen Mönch. Nach zwei bis drei Jahren treten die meisten thailändischen Mönche wieder in ein normales Leben ein und gründen eine Familie. Mönche, die sich für immer für ein Klosterleben entscheiden, nehmen in einem Ausbildungszentrum ein Studium der heiligen Schriften auf oder absolvieren über mehrere Jahre eine Unterweisungszeit bei bekannten Meistern der Meditationstradition.

Ist es in den Ländern des Mahayana-Buddhismus und inzwischen auch in einigen Ländern des Theravada-Buddhismus wie Myanmar und Sri Lanka üblich, dass sich auch Frauen als Nonnen ordinieren lassen, konnte sich das in Thailand nicht durchsetzen, da in den Wat die Ansicht vertreten wird, dass es nur den ersten Jüngerinnen Buddhas zu dessen Lebzeiten vorbehalten war, wiederum Jüngerinnen zu ordinieren und als Nonnen (pali: bhikkhuni) zu weihen. Es gibt aber sogenannte Laienjüngerinnen (mae chi), die als nichtordinierte religiöse Spezialistinnen eine begrenzte Zeit im Tempel leben, sich nach den zehn Tugendregeln (pali: sila) richten, Rituale zelebrieren und die anfallenden Hausarbeiten verrichten. Sie tragen weiße Kleidung und haben sich einer Haarrasur unterzogen.

Kultus und Feiertage

Da es im Buddhismus keinen festen wöchentlichen Feiertag gibt, können thailändische Gläubige täglich in ein Wat gehen, um Buddha und den Mönchen ihre Ehrerbietung zu erweisen, Opfergaben zu spenden oder aus bestimmten Anlässen heraus heilige Texte rezitieren zu lassen. Während der Zeremonien wird Pali als traditionelle Sakral- und Liturgiesprache benutzt, Ansprachen und Gebete erfolgen aber in Thai. Von besonderer Bedeutung ist der Vollmondtag, hier werden besondere Zeremonien im Tempel zelebriert.

Drei jährlich wiederkehrende Feiertage haben in Thailand einen besonderen Stellenwert. Als erstes Fest sei das Vesak (thai: Visakha Bucha) genannt, an dem in allen buddhistischen Ländern Buddhas Geburt, seine Erleuchtung und sein Eingang ins Nirvana gefeiert werden. Am Vollmondtag im sechsten Mondmonat Vaisakha (Ende Mai/Anfang Juni) gehen die Gläubigen in die Tempel, um die Predigten der Mönche zu hören, ihnen Spenden zu überreichen und am Abend bei Lichtprozessionen ihre persönlichen Wünsche auszusprechen.

Das zweite wichtige Fest ist Kathina. Es stammt aus der Theravada-Tradition und findet am Ende der dreimonatigen Regenzeitklausur (Oktober/November) statt. Diese Klausur ist für buddhistische Mönche und Nonnen eine Zeit intensiver Meditation, in der sie sich u. a. mit dem Studium ihrer Ordensregeln beschäftigen. Für buddhistische Laien bestehen Kathina-Rituale im Wesentlichen darin, den Mönchen eines Klosters neue Roben zu schenken, daneben auch alltägliche Gebrauchsgegenstände und Geldspenden zum Ausbau des Klosters bzw. der Tempelanlage.

Das dritte Fest, Songkran,5 wird als thailändisches Neujahrsfest vom 13. bis 15. April gefeiert. Da es als Fest der Reinigung und Erneuerung gilt, spielt Wasser als rituelles Element eine wichtige Rolle. Den älteren Familienmitgliedern werden zu Hause kleine Mengen von Wasser über die Hände gegossen. Im Tempel erhalten Buddha-Figuren ein zeremonielles Bad. Die rituellen Waschungen haben sich in den Großstädten Thailands dahingehend entwickelt, dass auf den Straßen regelrechte Wasserschlachten durchgeführt werden.

Verehrung der Ahnen und Geister (Phi)

Neben den Lehren des Buddha und den Ritualen im Tempel spielen auch Zeremonien für Geister und Ahnen eine große Rolle. So gibt es nach dem Glauben vieler thailändischer Buddhisten verschiedene Arten von Geistern, die sich in Bäumen, Flüssen, Seen und Höhlen befinden, darunter gute Geister, die die Familie beschützen und um Hilfe und die Erfüllung der Wünsche gebeten werden, und böse Geister, die es zu vertreiben oder zu beschwichtigen gilt. Ihnen werden Geisterhäuschen gebaut. Die Integrierung animistischer Zeremonien in die buddhistische Ritualpraxis zeigt sich vor allem darin, dass hier die Mönche für das astrologische Bestimmen von Einweihungsdatum und Standort des Geisterhäuschens sowie für die Durchführung eines Willkommensrituals für den Geist verantwortlich sind. Die Laien wiederum versorgen diese Geister mit den gleichen Opferzeremonien wie ihre Buddha-Statuen im Tempel, indem sie ihnen Obstschalen, Wasser und gekochte Speisen hinstellen und Räucherstäbchen anzünden. Auch die verstorbenen Angehörigen befinden sich vor ihrer Wiedergeburt in einer „Geisterwelt“. Damit sie dort gut versorgt sind, spenden ihnen die Gläubigen Essen und Geld. Durch dieses Ritual nehmen die Geister der Toten die Geister des Essens und des Geldes in sich auf.6

Verhaltensvorschriften

Für buddhistische Mönche und Laien gelten im Theravada-Buddhismus sowohl gemeinsame als auch unterschiedliche Vorschriften. So ist nach dem Verhaltenskodex der fünf Tugendregeln (pali: panchasila) allen das Töten von Lebewesen, das Trinken von Alkohol, das Stehlen, Lügen und ein unkeuscher Lebenswandel verboten. Laien, die sich für ein zeitweiliges Leben im Wat entschieden haben, verpflichten sich zur Einhaltung von zehn Tugendregeln (pali: dasasila), zu denen das Zölibat, das Nicht-Annehmen von Gold oder Silber, das Schlafen auf „nicht zu weichem Untergrund“, das Essen vor 12 Uhr, und das Sich-Fernhalten von Tanz und Gesang gehören. Der Vorschriftenkodex für Mönche kann je nach Orden und Einweihungsgrad 150 bis 227 Regeln umfassen.

Zwischen Laien und Mönchen bestehen sehr große Rangunterschiede, was sich wiederum in konkreten Verhaltensvorschriften im Umgang miteinander äußert. So darf, wenn ein Mönch sitzt, niemand über ihm stehen. Mönche und Laien essen nie gemeinsam. Erst wenn die Mönche das Mahl beendet haben, setzen sich die Besucher an den Tisch. Laien, insbesondere Frauen, ist es untersagt, Mönche zu berühren. Deshalb werden alle Gaben, egal ob Gegenstände oder Speisen, auf einem Tuch überreicht.

Ein respektvoller Umgang mit Devotionalobjekten gehört ebenfalls zu den Verhaltensvorschriften. So stellt jede Form der Entweihung einer Buddha-Statue einen rituellen Verstoß dar. In der Wohnung werden Buddha-Statuen immer mit zwei Händen getragen und nie auf den Boden gestellt. Auch buddhistische Schriften werden nicht auf den Boden gelegt. Mir wurde berichtet, dass sich viele thailändische Buddhisten verletzt fühlen, wenn Touristen in Thailand an buddhistischen Heiligenstätten und Ruinen auf Buddha-Statuen herumklettern und sich fotografieren lassen. Auch zerstörte Buddha-Figuren gelten als heilig.7

Migration thailändischer Buddhisten nach Deutschland

In Deutschland leben ca. 60 000 thailändische Staatsbürger.8 Von ethnischen Buddhisten stehen thailändische Buddhisten nach den Buddhisten aus Vietnam, die überwiegend den Mahayana-Buddhismus praktizieren,9 zahlenmäßig an zweiter Stelle. Von Buddhisten aus Theravada-Ländern machen sie die große Mehrheit in Deutschland aus. Bereits in den 1970er Jahren kamen die ersten Thailänderinnen und Thailänder zum Studium nach Deutschland. Mit dem Tourismusboom in Thailand in den 1980er Jahren kam es zu zahlreichen Eheschließungen zwischen Thailänderinnen und deutschen Männern und damit zu einer zunehmenden Heiratsmigration nach Deutschland. Neben Liebesheiraten werden dabei oft auch wirtschaftliche Faktoren eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben.10 Darum bestehen heute viele thailändische Gemeinden überwiegend aus thailändischen Frauen mit deutschen Männern und deren Kindern, wobei die Männer nur sehr vereinzelt buddhistische Religionspraktiken ausüben.

In den 1970er Jahren bildeten thailändische Buddhisten in verschiedenen Städten Deutschlands erste kleine Gemeinden, die mit zunehmender Migration thailändischer Frauen in den 1980er und 1990er Jahren wuchsen und heute zahlreiche Tempel und Klöster unterhalten. Nur sehr kleine Gruppen des Theravada-Buddhismus kommen aus Sri Lanka, Laos, Kambodscha und Burma. Während sich in einigen größeren deutschen Städten kleine Zentren mit sri-lankisch-buddhistischer Tradition11 gegründet haben, gibt es nur einen einzigen burmesisch-buddhistischen Tempel (Frankfurt/Offenbach), einen einzigen laotisch-buddhistischen (Altlußheim) und auch nur einen kambodschanisch-buddhistischen (Erftstadt-Lechenich). Einzelne Familien aus anderen Ländern suchen deshalb auch die thailändischen Wat auf.

Thailändische Buddhisten in Berlin

Ende 2014 waren in Berlin 4870 Thai registriert. Hinzu kommen einige tausend nichtregistrierter Menschen mit thailändischem Hintergrund. Die Heiratsmigration in den 1980er Jahren führte zur Entstehung einer eigenen Infrastruktur mit thailändischen Einrichtungen (Tempel, Klöster, Restaurants, Läden, Märkte, Massagesalons). In Berlin unterhalten thailändische Buddhisten fünf religiöse Zentren. Das größte ist der erwähnte Wat Buddhavihara in Pankow-Heinersdorf. Weiterhin gibt es den Wat Buddharama in Marzahn, den Wat Pha Bhavana in Rudow, den Wat Sanghathan (Kloster) in Schöneiche sowie den Wat Pha Bodhidamm, ein Zentrum der thailändischen Waldtradition in Spandau. Als größter thailändischer Treffpunkt gilt der Preußenpark am Fehrbelliner Platz, wo in den Sommermonaten thailändische Familien aus ganz Berlin zusammenkommen, um gemeinsam zu kochen und sich auszutauschen.

Der Wat Buddhavihara

1992 kam es in Berlin zur Gründung des ersten Thailändischen Buddhistenvereins und 1995 zur Einrichtung des Wat Buddhavihara, des ersten thailändischen Tempels, in einem Einfamilienhaus im Stadtteil Wittenau. Drei Mönche, die dem Mahanikai-Orden, einem der beiden bekanntesten Orden in Thailand, angehören, residierten hier. Da die Räumlichkeiten aber begrenzt waren, wurden für religiöse oder kulturelle Feste verschiedene Säle in der Stadt gemietet. Der Platzmangel führte mit der Zeit dazu, nach einem Grundstück zu suchen, auf dem ein größerer Tempel gebaut bzw. ausgebaut werden konnte. 2011 erwarben die Mitglieder ein Grundstück in der Malchower Straße in Heinersdorf. In einer ehemals prunkvollen, jetzt aber verfallenen Villa hat die Gemeinde schon viele Restaurierungsarbeiten durchführen lassen, sodass bereits auf drei Etagen die geplanten Tempelräume erkennbar sind. Dazu gehören ein riesiger Kultraum, ein Meditationssaal, Schulungs- und Wohnräume für die Mönche, Gästezimmer, eine Bibliothek, Sanitäranlagen, ein Büro und eine Küche.

Momentan dient eine Baracke als provisorischer Tempel. Im Kultraum sind auf der linken Seite Buddha-Statuen, die Figur des Königs Chulalongkorn,12 ein Spendenbaum sowie weitere Kultelemente aufgereiht. An der dem Eingang gegenüberliegenden Wand befindet sich ein Podest, auf dem die Mönche während der Zeremonien residieren, wobei der ranghöchste Mönch immer ganz links in Nähe der Buddha-Statue sitzt.13 Jeden Morgen gegen 10 Uhr findet eine Gebetszeremonie statt. Ihr folgt um 11 Uhr die Mönchsspeisung. Täglich kümmern sich viele Frauen ehrenamtlich um das Geschehen im Tempel, putzen, waschen, kochen, pflanzen, nähen Roben usw. Manche leben hier für längere Zeit als Mae Chi, Nonnen auf Zeit. In den Ferien schicken auch einige Berliner Thaifamilien ihre Söhne oder Töchter für einige Zeit in den Tempel. Der Sinn dieses Brauches in der Diaspora besteht nach Aussagen einiger Frauen, mit denen ich gesprochen habe, vor allem darin, den Kindern die religiösen Traditionen ihres Heimatlandes zu vermitteln. Für Erwachsene werden mehrere Male im Jahr mehrtägige Meditationskurse angeboten. Jeden Samstag haben Mönche und Laien die Möglichkeit, am Deutschunterricht teilzunehmen.

Wurden zu Zeiten des alten Tempels in Wittenau für die traditionellen Feste wie Songkran, Vesak oder Kathina große Säle in der Stadt gemietet, bietet jetzt das Gelände des Wat Buddhavihara genügend Platz für zahlreiche Gäste und kulturelle Darbietungen. Diese buddhistischen Feste zelebriert die thailändische Gemeinde in der Diaspora so traditionell, wie es eben geht. So werden auf dem Songranfest, wie in Thailand auch, die Buddha-Figuren und die Hände der Mönche mit Wasser übergossen. Zu großen Wasserschlachten wie im Heimatland kommt es zwar nicht, dafür aber zur Verteilung von kleinen Wasserspritzern aus Flaschen an die Gäste. Das Vesakfest und das Kathinafest begeht die Gemeinde des Wat Buddhavihara gewöhnlich mit der sri-lankischen Gemeinde des Buddhistischen Hauses Frohnau. Besondere Bedeutung kommt auch hier dem Kathina-Fest zu. Während einer rituellen Zeremonie überreichen die thailändischen Gäste zahlreiche Gaben an die Mönche, wie Mönchsroben, Hygieneartikel und Gebrauchsgegenstände, und lassen sich von den Mönchen segnen. Anschließend werden gekochte Speisen auf den Tisch gestellt und die Mönche damit bedient. Einem Mönch eine Kelle oder einen Löffel voll Reis, Gemüse und Fisch auf den Teller zu geben, verhilft zur Anhäufung guten Karmas.14 Auf allen Festen findet nach den rituellen Zeremonien ein reichhaltiges Kulturprogramm statt. Mädchen und Frauen in traditionellen Kostümen tragen Lieder vor und führen Tänze auf. Oft kommen auch Gäste aus Thailand. Die Mönche selbst nehmen an diesen Veranstaltungen begeistert teil. Nach Aussagen einiger sri-lankischer Besucher sollen diese dem Gesang und dem Tanz gar nicht so abgeneigt gegenüberstehen, obwohl das 7. Gebot der zehn Tugendregeln (pali: dasasila) ihnen gebietet, sich davon fernzuhalten.

Bezug zu anderen buddhistischen Gruppen

Thailändische Buddhisten sind als ethnisch-buddhistische Gruppe in Deutschland zahlenmäßig am zweitstärksten vertreten. Sie unterhalten weitaus mehr religiöse Einrichtungen als Buddhisten aus Vietnam, China, Tibet, Korea oder Japan. Aufgrund unterschiedlicher Rangzugehörigkeiten der Mönche und unterschiedlicher theologischer Schulen innerhalb der Theravada-Tradition besteht zwischen den verschiedenen thailändischen Tempeln in einer größeren deutschen Stadt oft keine Zusammenarbeit. Nichtsdestotrotz gibt es viele Thai, die verschiedene Tempel aufsuchen und unterschiedliche rituelle Dienste der Mönche in Anspruch nehmen. Auch eine Zusammenarbeit mit anderen ethnisch-buddhistischen Gemeinden ist kaum zu verzeichnen. In Berlin erscheinen nur zum Vesakfest, welches die Deutsche Buddhistische Union für verschiedene buddhistische Gemeinden organisiert, vereinzelt auch thailändische Gäste. Hier besteht aber zum Buddhistischen Haus in Frohnau, das von ordinierten Mönchen aus Sri Lanka geleitet wird, eine enge Beziehung. So werden oft das Kathina- und das Vesakfest gemeinsam organisiert oder gegenseitige Besuche bei den Veranstaltungen abgestattet.

Ein wichtiges Merkmal thailändisch-buddhistischer Religionspraxis ist die enge Verbindung zwischen buddhistischen Regeln und Volkstraditionen. So haben Animismus, Geisterglaube und Ahnenverehrung auch in den Tempeln der Diaspora ihren Platz. Deshalb erhalten thailändische Wats wie auch vietnamesische Pagoden15, anders als viele japanische oder koreanische Zendojos,16 nordindische Vipassana-Zentren oder tibetisch-buddhistische Vereine, von deutschen Buddhisten kaum Zulauf. Deutsche, die den Tempel besuchen, sind meist männliche Ehepartner, die gern zu den Festlichkeiten erscheinen, sonst aber nicht unbedingt den buddhistischen Glauben teilen. Deutsche Buddhisten schnuppern mal rein, bleiben aber in der Regel nicht lange, da die thailändische Gemeinschaft viele Bräuche des Ahnen- und Geisterkultes in die buddhistische Tempelpraxis integriert, die Essensspenden weitaus mehr Fleisch- und Fischspeisen als vegetarische Gerichte enthalten und weil mit Belehrungen, die überwiegend in thailändischer Sprache stattfinden, wenig Raum für tendenziell buddhistisch ausgerichtete Lebensentwürfe von Europäern geboten wird.17 Ein reichhaltiges kulinarisches und kulturelles Angebot sorgt allerdings an Festtagen dafür, dass sich ein thailändisch-buddhistischer Tempel in Deutschland viel deutscher Laufkundschaft erfreut.


Liane Wobbe


Anmerkungen

  1. Besuch des Wat Buddhavihara in Pankow-Heinersdorf am 18.4.2015.
  2. Besuch des Daos Asia Food Shop am 26.9.2015.
  3. Obwohl der Buddhismus in Thailand als Staatsreligion angegeben wird, kam es hier nie zu einer rechtlichen Festschreibung. Vgl. Serhat Ünaldi, Thai-Tempel in Berlin, Seminararbeit im Rahmen des SE „Religiöse Orte Zugewanderter aus Asien und Afrika in Berlin“, SS 2007, 7.
  4. Vgl. Lourens P. van den Bosch, Stimmen eines kritischen Buddhismus im modernen Thailand, in: Manfred Hutter (Hg.), Religionsinterne Kritik und religiöser Pluralismus im gegenwärtigen Südostasien, Religionswissenschaft 15, Frankfurt a. M. 2008, 9-36.
  5. „Songkran“ leitet sich ab von (mesa-)sankrānti, sanskrit: mesa „Widder“, und sankrānti „Übergang“, was den Eintritt der Sonne in das Sternbild Widder, das erste Zeichen des Tierkreises, bedeutet.
  6. Erklärung des Rituals der Opfergaben für die Toten durch eine thailändische Besucherin des Tempels am 18.4.2015.
  7. Gespräch mit Frauen des Wat Buddhavihara in Pankow-Heinersdorf am 18.4.2015.
  8. de.statista.com, abgerufen am 9.3.2016.
  9. Vietnamesische Theravada-Buddhisten suchen hingegen auch thailändische Tempel auf.
  10. Ünaldi, Thai-Tempel in Berlin (s. Fußnote 3), 3f.
  11. Diese Zentren rekrutieren sich meistens aus einem Mönch, der aus Sri Lanka stammt, einer kleinen Schar deutscher Anhänger und wenigen sri-lankischstämmigen Buddhisten. Das größte Zentrum ist nach meinem Wissen das Buddhistische Haus in Frohnau.
  12. Dieser König, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Thailand regierte, wird heute noch von vielen thailändischen Buddhisten rituell verehrt. Vgl. Ünaldi, Thai-Tempel in Berlin (s. Fußnote 3), 7.
  13. S. dazu auch Christoph Peter Baumann, Der Knigge der Weltreligionen, Freiburg i. Br. 2011, 145.
  14. S. dazu Liane Wobbe, Religiöse Feste in der Diaspora, in: MD 5/2012, 184.
  15. Siehe dazu Martin Baumann, Migration, Religion, Integration, Marburg 2000, v. a. 61-68.
  16. Von einer kaum vorhandenen Interaktion zwischen vietnamesischen und deutschen Buddhisten spricht auch Manfred Hutter, Buddhistische, hinduistische und katholische Migranten aus Asien, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 3-4/2015, hier v. a. 196.
  17. Eine Ausnahme bilden thai-buddhistische Klöster in der Waldtradition, in denen sich westliche Interessenten gern zu Meditationskursen einfinden.