Streitpunkt Esoterik: Caberta contra Fliege

Ein Streit über die Einschätzung moderner Esoterik beschäftigt gegenwärtig mediale Diskurse: Ursula Caberta contra Pfarrer i. R. Jürgen Fliege, Esoterik- und Kirchenkritik contra Esoterikfaszination. Fliege hat in den letzten Jahren zunehmend gezeigt, dass er als Pfarrer und Theologe seine Distanz zu zentralen Anliegen moderner Esoterik verloren hat. In Fernsehsendungen (bis 2005) gab er Esoterikerinnen und Esoterikern kritiklos Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Inzwischen scheint er mit seinen Statements, Aktivitäten und Produkten selbst Teil einer facettenreichen Esoterikszene geworden zu sein. Ein Beispiel dafür ist die von Ursula Caberta angeprangerte „Fliege-Essenz“ (geweihtes Wasser), die für 39,95 Euro erworben werden kann, von der heilende Kraft ausgehen soll und die zeigt, worum es auf dem esoterischen Markt immer auch geht: um kommerzielle Interessen.

Ob eine solche Präsenz auf dem spirituellen Markt mit dem Selbstverständnis eines evangelischen Pfarrers verträglich ist, wird gefragt und muss gefragt werden. Wann wird aus evangelischer Freiheit religiös-weltanschauliche Beliebigkeit, die einem profilierten Protestantismus entgegensteht? Wo evangelisch drauf steht, muss auch evangelisch drin sein, sagen wir in den Debatten über die Zukunft der Kirche. Wenn Pfarrer Fliege in Bad Wörishofen morgens Andachten in einer Kirche hält und anschließend einen Esoterikkongress mit christlichen Elementen organisiert – 2011 u. a. mit Sabrina Fox, Alexa Kriele, Bert Hellinger, Rüdiger Dahlke und Geist-Heilerinnen und Heilern – liegt dies zwar im Trend, steht aber in einem Spannungsverhältnis zum kirchlichen Auftrag. Kirchliche Aktualitätssicherung durch die Aufnahme esoterischer Angebote setzt falsche Akzente. Wer als ordinierter Geistlicher öffentlich auftritt, sollte sich auch der Aufgabe religiöser Aufklärung und einer kritischen Auseinandersetzung mit esoterischer Spiritualität verpflichtet wissen.

Cabertas Kritik an Fliege trifft einen wunden Punkt. Ihr „Schwarzbuch Esoterik“ bleibt jedoch enttäuschend. Die Darstellungsweise ist pauschalisierend. In entscheidenden Passagen sind ihre Ausführungen von der Vision einer staatlichen Weltanschauungskontrolle bestimmt. Caberta sieht die Demokratie bedroht durch esoterische Irrationalität, durch christlichen Fundamentalismus, durch die New-Age-Bewegung, durch weltanschauliche Extremgruppen. Ihr Buch ist ein Rundumschlag gegen verschiedenste Formen vereinnahmender Religiosität und beschränkt sich keineswegs auf das im Titel genannte Thema. Die Autorin ist unter anderem darüber besorgt, dass es in Deutschland keine klare Trennung zwischen Staat und Kirche und eine „Verlagerung politischer Zuständigkeit in die Hände der Kirchen“ gebe, die sie als „gefährlich“ einstuft.

2008 wurde Caberta ihr bisheriges Arbeitsgebiet in der Hamburger Behörde für Inneres, die Aufklärungsarbeit über Scientology, entzogen. Als Ministerialreferentin möchte sie jetzt zum Thema Esoterik aufklären. Tatsächlich tut Aufklärung not. Wenig gedient ist dieser Aufgabe allerdings mit einem alarmistischen Rundumschlag. Nach kulturellen Bedingungen moderner Esoterikfaszination wird in Cabertas Buch nicht gefragt. Die wissenschaftliche Forschung zum Thema wird so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. Zu wirksamer und glaubwürdiger Aufklärung ist mehr Differenzierung nötig, als Caberta es in ihrem Buch zeigt.

Letztlich gleichen sich Jürgen Fliege und Ursula Caberta darin, dass sie durch Vereinfachungen, durch Provokationen und durch einen geschickten Umgang mit den Medien das Licht der Öffentlichkeit suchen. Im Zusammenspiel medienwirksamer Gegnerschaft verhelfen sie sich wechselseitig zu weiterer Popularität. Statt Distanzlosigkeit auf der einen und pauschaler Kritik auf der anderen Seite sollte eine sachbezogene, differenzierte Ausein­andersetzung mit moderner Esoterik erfolgen, zur Stärkung der Urteilsbildung und der Orientierungsfähigkeit in einer durch weltanschaulichen Pluralismus bestimmten Gesellschaft.


Reinhard Hempelmann und Claudia Knepper