Esoterik

Streit um Esoterik an der Universität Wien

Mit einem kritischen Artikel über das ethnologische Institut der Universität Wien hat die Medizinjournalistin und promovierte Ethnologin Krista Federspiel im Internetportal der Wiener Tageszeitung „Der Standard“ (24.6.2013) eine wochenlange Debatte über Esoterik an der Universität angestoßen.

Federspiel ist Mitglied des Wissenschaftsrats der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und war Mitautorin des bekannten Aufklärungswerks „Die andere Medizin“ der Stiftung Warentest. In ihrem Artikel wies sie auf zweifelhafte Forschungsmethoden und eine unkritisch-distanzlose Akzeptanz esoterischer Denkmuster am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie/IKSA (früher Institut für Ethnologie bzw. Völkerkunde) der Universität Wien hin und sprach von „fahrlässiger Unwissenschaftlichkeit“. Sie zitierte aus einer Reihe von Diplomarbeiten und einer Dissertation, in denen z. B. „reifes Wasser“, „übernatürliche Wahrnehmung durch Yoga“, Astrologie oder schamanistische Geisterbegegnungen methodisch als Realitäten angenommen statt als Glaubenssysteme beobachtet und kritisch reflektiert wurden. Eine Lektorin des Instituts (und Assistentin an der Katholisch-Theologischen Fakultät) berichtete in ihrer Diplomarbeit und ihrer Dissertation unkritisch von Verwandlungen von Quecksilber in Gold und propagierte eine Wissenschaft, in der die „Forscherin, das Erforschte und der Akt des Forschens verschmelzen“. Federspiel konstatierte dazu: „Wissenschaft mit ‚transpersonaler Selbsterfahrung’, aber ohne Fakten und Daten – das gibt es nicht“, und sie resümierte in Anspielung auf Harry Potters Zauberschule: „... so ist gleichsam ein ‚Wiener Hogwarts’ entstanden.“

Hinter den beschriebenen Entwicklungen des IKSA stand der kürzlich verstorbene Professor Manfred Kremser, der auch die kritisierten Arbeiten betreut hat. Kremser (geb. 1950) war seit 1997 Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzgebiete der Wissenschaft. 2001 war er als Professor an das IKSA berufen worden, wo er der parapsychologischen Forschung zu „Akzeptanz und zu Reputation in akademischen Kreisen“ verhalf, wobei es ihm als Ethnologe, der sich mit Schamanismus u. Ä. befasste, naturgemäß schwergefallen sei, Grenzen zwischen Wissenschaft und persönlichem Glaubenswelten zu ziehen (Peter Mulacz im Kremser-Nachruf der Gesellschaft für Parapsychologie).

Erstaunlich war unter den Reaktionen auf Federspiels Artikel zunächst die Auskunft eines Lektors der Universität, der zufolge in den Massenfächern so viele Diplomarbeiten anfallen, dass viele weder vom Erst- noch vom Zweitkorrektor überhaupt gelesen würden, was vielleicht die Qualitätsmängel der von Federspiel kritisierten Arbeiten erkläre. Diese Situation trifft nun offenbar mit einer Zunahme esoterisch vorgeprägter Studenten in diesem Fach zusammen.

Die wichtigste Antwort aber kam von der Führungsriege des Instituts (Der Standard, 25.6.2013). Sie ging nur am Rande auf die eigentlichen Sachfragen der Kritik ein und bestätigte Federspiels methodische Bedenken weithin. Die vier Vertreter und Vertreterinnen des Instituts (zwei Professoren, eine Professorin und eine stellvertretende IKSA-„Vorständin“) wiesen zunächst darauf hin, dass Weltsicht stets durch soziale und kulturelle Verhältnisse geprägt sei, weshalb wir „ihren Einfluss auf unsere Erkenntnisfähigkeit kritisch hinterfragen“ müssen.

In der Tat gehören die Reflexion der Grenzen der eigenen Erkenntnis und der Folgen eines eurozentrischen Erbes des eigenen Fachs zur Wissenschaft. Es gibt Lebensbereiche jenseits der Wissenschaft, daher sind methodische Fragen der Grenzziehung wichtig, insbesondere in Sozial- und Geisteswissenschaften, wo sie nicht immer klar sind. Allerdings gehen die Vertreter und Vertreterinnen des Instituts weiter. Sie lehnen nämlich die Annahme einer universal gültigen Vernunft, einer universal gültigen wissenschaftlichen Methode und universal gültiger naturgesetzlicher Gegebenheiten als „eurozentrische Annahmen“ ab. Der Anspruch, Wissenschaft beruhe auf akzeptierten Standards der vernunftbasierten Nachvollziehbarkeit von Forschungsmethoden und -ergebnissen, stelle demnach eine „epistemologische Gewaltausübung zum Schaden anderer Weltbilder und Menschen“ dar. Die Autoren verstehen ihre Arbeit ausdrücklich so, dass eine Trennung zwischen persönlichen Glaubensüberzeugungen, Erfahrungen oder Weltanschauungen und akademischer Forschung „nicht praktikabel“ sei. Bei ihren Kritikern erblicken sie „Ultra-Rationalismus“ und „selbstgerechten Positivismus“.

Dieses Plädoyer für eine Methode der Identifikation des Forschers mit dem Forschungsgegenstand, die dessen Wirklichkeitssicht quasi teilen muss, um ihm gerecht zu werden, stellt im Grunde die Wissenschaftlichkeit selbst infrage. Wenn die Wissenschaft selbst methodenunsicher wird, verstärkt das die Verwirrung, die schon dadurch besteht, dass viele esoterische Modelle ihrerseits mit der Vermischung naturwissenschaftlicher Begriffe mit metaphysischen Annahmen operieren. Anders gesagt: Verhalten sich denn Wassermoleküle in Tibet anders als in den Wiener Wasserwerken?

Offenbar hat das Vordringen der Esoterik in den Mainstream dazu geführt, dass esoterische Überzeugungen auch bei Universitätslehrern hoffähig werden, ohne dass eine kritische Überprüfung und Anpassung der eigenen Methodik stattgefunden hätte. Hinzu kommt – möglicherweise ein Nebeneffekt der Diskurse über „Postkolonialismus“ und damit einhergehende Schuldgefühle – eine Überidentifikation mit den exotischen Forschungsgegenständen, weshalb man glaubt, ihnen nur durch weitgehende Identifikation, ja Verschmelzung gerecht werden zu können.

Hilfreich in der Auseinandersetzung ist der Beitrag des Lektors Thomas Schmidinger (Der Standard, 2.7.2013), der auf die Theologie verweist. Gerade dieses Fach muss sich gezwungenermaßen intensiv mit seiner Methodik befassen. Die Kunst der Trennung des subjektiv Geglaubten und derjenigen Wirklichkeitsbereiche, über die qua Vernunft überprüfbare und intersubjektiv kommunizierbare Aussagen möglich sind, gehört hier zum Tagesgeschäft. Kein Kirchenhistoriker kann bei schlechter Quellenlage plötzlich den Heiligen Geist als handelnden Akteur einführen.


Kai Funkschmidt