Islam

Statistisches: Zahl der Muslime in Deutschland

Wie viele Muslime tatsächlich in Deutschland leben, ist schwer zu sagen. Es könnten viel weniger sein als bisher angenommen. Wahrscheinlich ist das allerdings kaum. Ein Gutachten im Auftrag des „Mediendienst Integration“ ging jetzt der Frage nach (R. Spielhaus, Muslime in der Statistik, http://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Muslime_Spielhaus_MDI.pdf).

Im Jahr 2000 ging man von 2,8 bis 3,2 Millionen Muslimen in Deutschland aus (davon 370 000 bis 450 000 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit), 2007 von 3,1 bis 3,4 Millionen (mit 1,0 bis 1,1 Millionen deutschen Staatsangehörigen). Aufgrund deutlich verbesserter Methodik kam man 2009 auf 3,4 bis 4,3 Millionen und damit auf plus/minus fünf Prozent der Bevölkerung (davon 45 Prozent deutsche Staatsangehörige), was seither als offizielle Angabe in den Texten der Bundesregierung herangezogen und von da aus meist unhinterfragt übernommen wird (S. Haug u. a., Muslimisches Leben in Deutschland, Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, 2009). Tatsächlich kann davon ausgegangen werden, dass die Studie im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz empirisch belastbare Zahlen bietet. Sie sei zwar „kritisierbar und verbesserungsfähig, aber methodisch ist sie solide und keineswegs grundsätzlich anzuzweifeln“.

Umso überraschender kam auf den ersten Blick die Veröffentlichung des bundesweiten Zensus 2011 mit dem Ergebnis, dass sich lediglich 1,9 Prozent der Bevölkerung bei der freiwilligen Frage nach einem Religions- oder Glaubensbekenntnis zum Islam – genauer zum sunnitischen, schiitischen oder alevitischen Islam – bekannt haben (Mai 2013). Es handelt sich allerdings weder um einen drastischen Rückgang der Zahlen innerhalb kürzester Zeit noch um „falsche“ Berechnungen. Die Erhebung religionsstatistischer Zahlen ist mit besonderen Schwierigkeiten behaftet, da eine behördliche Registrierung der Religionszugehörigkeit nicht vorgesehen ist und daher jede Angabe zwangsläufig auch auf Schätzungen beruht. Die Ergebnisse kommen durch ein Nebeneinander von Eigenaussagen und staatlichen Quellen zustande, deren Zahlen weit auseinanderliegen können. Ein Interesse an möglichst hohen Zahlen haben nicht nur die muslimischen Verbände, die in einem Wettbewerb um die Vertretung des Islam im Dialog mit der Politik und der Öffentlichkeit stehen und entsprechende Ansprüche ableiten wollen, sondern ebenso Islamgegner und Populisten, die Bedrohungsszenarien beschreiben und Ängste schüren. Natürlich sind auch Länder und Kommunen auf Daten angewiesen, um den Bedarf für Religionsunterricht, Kita- oder auch Friedhofsplätze abschätzen zu können.

Bei den ersten Schätzungen ging man von der (früheren) Nationalität bzw. dem Herkunftsland und von Wanderungsstatistiken aus. Die individuelle Praxis und aktuelle Religionszugehörigkeit wurde nicht erfasst. Dies wurde teilweise schon 2009 korrigiert, indem berücksichtigt wurde, ob sich jemand selbst als Muslim definierte. Beim Zensus 2011 wurde nun zum ersten Mal neben der rechtlichen Zugehörigkeit zu einer „öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaft“ auch das religiöse Glaubensbekenntnis erfragt. Erstmals war die Selbstbezeichnung als Muslim ausschlaggebend. Eigentlich ein Fortschritt. Doch 17,4 Prozent der Befragten machten von ihrem Recht Gebrauch, keine Angaben zur Religionszugehörigkeit zu machen. Offenbar wollten sich, was den Islam anbetrifft, nicht wenige weder als Sunnit oder Schiit noch als Alevit einordnen lassen, andere fingen möglicherweise mit der Kategorisierung nichts an oder lehnten sie ganz ab. Manche wollten vermutlich überhaupt nicht als Muslim erkennbar werden. Immerhin ist zu bedenken, dass sich ein Teil der Aleviten keinesfalls unter „Islam“ subsumieren lassen möchte. Außerdem konnte die Religionsfrage in der Volksbefragung zweifellos auch sicherheitspolitisch gedeutet werden, was eine gewisse Zurückhaltung bei ihrer Beantwortung teilweise erklären könnte. Es kommt ferner hinzu, dass Konvertiten und ihre Nachkommen ebenso wie Muslime aus nicht islamisch geprägten Ländern (innereuropäische muslimische Migration!) nicht in die Hochrechnungen einbezogen wurden.

Alles in allem brachten die mit Spannung erwarteten Ergebnisse gerade im Hinblick auf Muslime also keine belastbaren Erkenntnisse. Die Statistiker selbst sehen die Zahlen als nicht verlässlich an und wollen die Datenerhebung in nächster Zeit verbessern. So bleibt es vorläufig bei der bisherigen Annahme, dass rund vier Millionen Muslime in Deutschland leben, mehr oder weniger fünf Prozent der Bevölkerung.

Wichtig ist am Ende zu beachten, dass die unterschiedlichen Zahlen durch veränderte Methoden der Befragung und der Hochrechnung zustande kommen, nicht durch große Zu- oder Abwanderungsbewegungen von Muslimen. Es lassen sich daraus also keine Trends für die zukünftige Entwicklung des muslimischen Bevölkerungsanteils in Deutschland ablesen.


Friedmann Eißler