Haringke Fugmann

„Star Wars: Die letzten Jedi“ als Spiegel der spirituellen Gegenwartskultur

Wer die spirituelle Gegenwartskultur verstehen will, der, so lautet meine Empfehlung, möge sich „Star Wars: Die letzten Jedi“ anschauen. Regie führte für diesen aktuellen Teil der Weltraum-Saga Rian Johnson (bekannt etwa durch „Looper“, 2012). Die Weltpremiere fand am 9.12.2017 in Los Angeles statt, in Deutschland startete der Film am 14.12.2017 in den Kinos. Mit 152 Minuten Laufzeit ist es der bisher längste Star-Wars-Film.

Handlung und Themen

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Die Erste Ordnung unter dem Obersten Anführer Snoke (gespielt von Andy Serkis) hat die Widerstandsflotte der Neuen Republik unter Führung von General Leia Organa (Carrie Fisher) ausfindig gemacht und jagt diese unerbittlich mit monströsen Raumschiffen durch den Weltraum. Alle Flucht- und Sabotageversuche des Widerstandes scheitern. Am Ende stellt sich der Jedi-Meister Luke Skywalker seinem finsteren Neffen Kylo Ren auf dem Planeten Crait in einem Lichtschwert-Kampf, sodass die letzten Überlebenden des Widerstandes genug Zeit haben, um im Raumschiff Millennium Falke zu entkommen.

Ohne weitere Details der Handlung zu verraten und ohne sich in der Diskussion um Dramaturgie, Special Effects, Nebencharaktere usw. zu verlieren, kann man getrost sagen, dass der Film viele große Themen bedient: Es geht um Treue und Verrat, Mut und Feigheit, Rache und Vergebung, Selbstlosigkeit und Egozentrik und um die Kritik an ungerechten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen ebenso wie um das Beharren darauf, dass materieller Reichtum Verantwortung für die Schwachen und Armen bedeutet – genug Stoff also, um den Film mit Gewinn in kirchlichen Kontexten zu zeigen und zu besprechen.

Will man den Film als Spiegel der spirituellen Gegenwartskultur interpretieren, bietet es sich an, einen der vielen Handlungszweige herauszugreifen und das Schicksal der jungen Rey und deren Versuch, sich der Jedi-Religion in Gestalt von Luke Skywalker auf dem Planeten Ahch-To anzunähern, zu beleuchten.

Rey

Rey (Daisy Ridley) wird in „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ (2015) als Schrottsammlerin vom Wüstenplaneten Jakku eingeführt. Die Macht, die im Star-Wars-Universum eine zentrale Rolle spielt, ist mächtig in ihr, doch sie kann sie weder kontrolliert einsetzen noch versteht sie, was es damit auf sich hat. Am Ende von Star Wars 7 findet sie den Jedi-Meister Luke Skywalker auf dem einsamen Wasserplaneten Ahch-To; sie hofft, ihn davon überzeugen zu können, dem Widerstand im Kampf gegen die Erste Ordnung zu helfen.

Rey kennt ihre Eltern nicht. Sie ist ein Niemand von einem bedeutungslosen Planeten und spielt in der großen Geschichte des Konflikts zwischen der Ersten Ordnung und dem Widerstand, zwischen Sith und Jedi, zwischen Böse und Gut zunächst keine Rolle. Nur durch Zufall stolpert sie in Star Wars 7 ins Geschehen, und sie tut sich schwer damit, ihren Platz in der Welt und ihre Rolle in der Geschichte zu finden; von Luke erhofft sie sich, dass dieser ihr ihren Ort zeigt, ihr ihre Bestimmung offenbart, sie in den Gebrauch der Macht einführt. Reys Handlungen werden dabei stets von ihrer Sorge um diejenigen bestimmt, die ihr wichtig sind, d. h. um ihre Mitkämpfer im Widerstand.

Luke Skywalker

Luke (Mark Hamill) ist der letzte überlebende Jedi-Meister. Einst hatte er seinen Neffen Kylo Ren (Adam Driver) zum Jedi ausbilden wollen, doch als er dessen Hang zur dunklen Seite der Macht erkannte, beging er den Fehler, ihn töten zu wollen – wobei er zögerte und womit er dessen Entscheidung, sich der dunklen Seite hinzugeben, endgültig besiegelte.

Von sich selbst und vom Versagen der Jedi-Religion insgesamt maßlos enttäuscht, hat Luke beschlossen, die Lehren der Jedi nie mehr weiterzugeben und sein Wissen um die Macht mit in den Tod zu nehmen. Mit der Macht steht er deshalb auch überhaupt nicht mehr in Verbindung; seine Entscheidung, sich aus dem Weltgeschehen zurückzuziehen, ist vorerst endgültig.

Als Rey ihn schließlich findet und bittet, sie auszubilden, lehnt er dies konsequenterweise ab und schickt sie fort. Als sie beharrlich bleibt, willigt er schließlich ein, ihr drei Lektionen zu erteilen – nicht jedoch, um sie zum Jedi auszubilden, sondern lediglich, um ihr zu zeigen, warum die Jedi-Religion mit ihm sterben muss.

So kann Luke Reys sehnlichsten Wunsch, ihr einen Ort in der Welt und eine Rolle in der Geschichte zuzuweisen, nicht erfüllen. Die Jedi-Religion ist dazu nicht mehr in der Lage. Als Luke dies nach Reys Abreise endgültig realisiert, will er einen alten Baumstumpf verbrennen, in dem sich eine Höhle befindet, in der die uralten heiligen Schriften der Jedi-Religion aufbewahrt werden. Da erscheint der Machtgeist Yoda und setzt den Baum selbst in Brand. Die organisierte, auf Texten, Traditionen und Strukturen basierende Jedi-Religion, so die Botschaft dieser vermeintlichen Bücherverbrennung (vermeintlich insofern, als am Ende des Films offenbar wird, dass Rey die heiligen Bücher bei ihrer Abreise von Ahch-To gestohlen hat), hat endgültig ausgedient (womöglich ist in dieser Szene eine Anspielung auf den aus dem Zen-Buddhismus stammenden Satz „Triffst du Buddha, töte ihn!“ zu sehen). Die Erfahrung der Macht hingegen, die spirituelle Achtsamkeit für das, was unmittelbar vor Augen ist und der Kampf für das Gute und die Gerechtigkeit sind weiterhin möglich; davon kann Yoda seinen einstigen Schüler Luke überzeugen.

Kylo Ren

Im Gegensatz zu Rey, die ein Niemand ist, gehörte Kylo Ren alias Ben Solo als Sohn von Han Solo und Leia Organa quasi zur religiösen Aristokratie der Jedi-Religion. Von seinem Onkel Luke Skywalker zunächst in der m. E. als fundamentalistisch und extrem gewaltbereit zu bezeichnenden Jedi-Lehre (die sich vor der Ambivalenz der Liebe und der Furcht selbst fürchtet und beide Gefühle vereindeutigend der dunklen Seite der Macht zuschreibt) unterwiesen, konnte sich auch Ben (wie einst sein Großvater Anakin) von seiner allzu menschlichen Furcht nicht lösen und geriet damit – nach dem Urteil des Jedi Luke per definitionem – in den Sog der dunklen Seite der Macht. Lukes Versuch, ihn dafür zu töten, besiegelte sein Schicksal.

Im Verlauf des Films wird nun aber deutlich, dass selbst Rens Loyalität zum Sith-Lord und Obersten Anführer Snoke nur ein Mittel zum Zweck ist: Ren will sich letztlich von allen Fesseln aller religiösen Traditionen – also sowohl von den Jedi als auch von den Sith – befreien und tötet dafür sowohl seinen leiblichen Vater Han Solo (in Star Wars 7) als auch seinen geistlichen Mentor Snoke (in Star Wars 8). Ihm schwebt eine eigene, neue Ordnung des Universums vor, die wohl auf der ungezügelten und rohen Erfahrung der Macht an sich beruht und nichts und niemandem mehr verpflichtet ist. Der einzige Mensch, der ihm etwas bedeutet, ist Rey; in ihr will er aufgrund der in ihr ebenbürtig starken Macht eine Verbündete erkennen.

Die mystisch-spirituelle Seite der Macht

Rey findet in der Jedi-Religion keine Heimat. Luke hat den Glauben an die Jedi selbst verloren und kann ihr daher ihren sehnlichsten Wunsch nach Beheimatung und Sinnstiftung nicht erfüllen. Als er ihr widerwillig in der ersten Lektion einen meditativen Zugang zur Macht eröffnet, macht Rey eine als mystisch und damit als spirituell zu bezeichnende Erfahrung der Allverbundenheit. Auch wenn die Jedi-Religion also am Ende ist und ihre heiligen Bücher bedenkenlos verbrannt werden könnten, bleibt die Erfahrung der Macht selbst zugänglich.

Nun waren die in den verschiedenen Star-Wars-Filmen gezeigten Darstellungen und Konzeptionalisierungen der Macht seit jeher Metaphern des spirituellen Zeitgeistes der jeweiligen Gegenwart mit diagnostischer Qualität. Während die Macht in dem zeitlich gesehen ersten, jetzt als Episode IV (1977) bekannten Film taoistische und buddhistische Anleihen hatte, traten etwa in Episode I (1999) eher esoterische Vorstellungen zutage; in Episode II (2002) wiederum rückte die Konzeptionalisierung der Macht in die Nähe der Ideologie des Positiven Denkens.

Auch in Star Wars 8 dürfte sich demnach in der Darstellung der Macht die zeitgenössische spirituelle Gegenwartskultur widerspiegeln. Wenn man die im Film von Rey gemachte Erfahrung der Macht als einer Allverbundenheit allgemein als Metapher für mystisch-spirituelle Erfahrungen überhaupt begreift, scheint der Film zu sagen: Während die organisierten, auf heiligen Texten, Traditionen und Machstrukturen beruhenden Religionen der Welt an ihr Ende gekommen sind, sind mystisch-spirituelle Erfahrungen an sich weiterhin möglich. Um sie zu machen, bedarf es heute keiner religiösen Vorgaben, Überlieferungen oder Organisationen mehr. Die etablierten Religionen der Welt können die Sehnsüchte der vielen jungen Niemande, die keinen Platz in der Welt und in der Geschichte haben, deshalb nicht mehr erfüllen, weil sie (wie Luke, der nicht mehr mit der Macht in Verbindung steht) selbst keinen Zugang mehr zu authentischen mystisch-spirituellen Erfahrungen haben und nicht mehr an ihre Dogmen glauben.

Die dunkle Seite der Macht

Auf Ahch-To begegnet Rey schließlich auch noch der dunklen Seite der Macht, ähnlich wie einst Luke auf dem Planeten Dagobah während seiner Ausbildung. Auch in Star Wars 8 wird der Ort, an dem die dunkle Seite der Macht präsent ist, als düsterer Ort dargestellt, als eine Art Höhle, in die Rey hinabgezogen wird. Als sie sich dort schließlich wieder orientieren kann, steht sie vor einer Art Doppelspiegel. Sie bittet darum, ihre Eltern sehen zu dürfen; sie wendet sich also mit ihrem Herzenswunsch, i. e. ihren Platz in der Welt zu finden und sich dafür in einer (wenn auch noch so bescheidenen) Tradition verorten zu können, auch an die dunkle Seite der Macht, nachdem ihr die helle Seite der Macht in Gestalt der Jedi-Religion diesbezüglich nicht helfen konnte. Am Ende aber sieht sie im Spiegel lediglich ihr eigenes Spiegelbild. Das Böse, so könnte man diese Szene interpretieren, besteht darin, nur sich selbst zu sehen.

Später im Film wird diese Deutung durch eine andere Szene weiter plausibilisiert: Kylo Ren hat es schließlich mit Reys Hilfe geschafft, Snoke zu töten und dessen persönliche Leibgarde zu besiegen. Als Rey daraufhin Kylo Ren bittet, nun die verbliebenen Schiffe des Widerstandes zu verschonen, schlägt er ihr ihre Bitte ab. Stattdessen fordert er sie auf, sich ihm anzuschließen und sowohl die Erste Ordnung als auch den Widerstand ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Das Böse, das sich in Kylo Ren zeigt, besteht darin, dass er nur sich selbst im Blick hat.

Letztlich wird an Kylo Ren aber auch deutlich, welche Konsequenzen es hat, wenn mystisch-spirituelle Erfahrungen nicht mehr eingebettet sind in religiöse Traditionen, Strukturen und Organisationsformen – im Film dargestellt als Zugang Kylo Rens zur rohen, ungezügelten Macht jenseits aller Bindungen sowohl zur Jedi- als auch zur Sith-Religion: Wenn mystisch-spirituelle Erfahrungen ohne jede Verpflichtung gegenüber anderen gesucht und gemacht werden, verkommen sie zu egomanischen und zerstörerisch wirkenden Erfahrungen. Recht verstanden dienen religiöse Texte, Traditionen, Strukturen und Organisationsformen seit jeher eben gerade dazu, mystisch-spirituelle Erfahrungen an das Gemeinwohl zu binden. Ohne Rückbindung verwandelt sich freie Spiritualität in desaströse Egomanie.

Der vom Film in der Gestalt von Rey propagierte Weg, mystisch-spirituelle Erfahrungen einer Allverbundenheit ruhig auch jenseits von auf Texten, Traditionen und etablierten Strukturen beruhender Religionen zu suchen und zu machen, entpuppt sich damit als Irrweg. Die Annahme, man könnte mystische Erfahrungen frei von jeglicher Rückbindung und Verpflichtung nur für sich selbst suchen und machen, wird vom Film selbst am Beispiel Kylo Rens als zutiefst unheilvoll entlarvt.


Haringke Fugmann