Freigeistige Bewegung

Stabwechsel beim HVD

Mitte Mai 2014 wurde Horst Groschopp, Kulturwissenschaftler und langjähriger Direktor der Humanistischen Akademie Deutschland, aus dem aktiven Dienst verabschiedet. Groschopp war und ist zweifellos einer der wichtigsten Vordenker der humanistischen bzw. freigeistigen Szene in Deutschland. Die von ihm entscheidend geprägte Humanistische Akademie gehört zum Humanistischen Verband Deutschlands (HVD). Sein Nachfolger ist der Berliner Sozialpädagoge und Philosoph Ralf Schöppner.

Groschopp hat in den vergangenen 20 Jahren zahlreiche Tagungen organisiert und eine erstaunliche Fülle von Publikationen zur Erforschung und Positionsbestimmung der humanistischen Szene vorgelegt. Er war Diskussions- und Gesprächspartner in unterschiedlichsten Kontexten – auch bei vielen kirchlichen Veranstaltungen.

Anfang der 1990er Jahre gehörte Groschopp zu denen, die die atheistischen Organisationen im wiedervereinigten Deutschland völlig neu positionieren wollten. Er sah sehr genau, dass die antiklerikalen Verbände Westdeutschlands bedeutungslos geworden waren. Da zugleich die Wiedervereinigung einen massiven Entkirchlichungs- und Säkularisierungsschub für Deutschland zur Folge hatte, stellte sich die Frage nach der strategischen Orientierung völlig neu. Sollten sich die freidenkerischen Verbände weiterhin als Organisationen zur Beförderung des Kirchenaustritts verstehen, oder wäre es sachgemäßer, sich vielmehr um Lebenshilfe für jene zu bemühen, die sich bereits von den Kirchen entfernt haben?

Diese Grundfrage spaltet bis heute die freidenkerisch-humanistische Szene. Während die im Deutschen Freidenker-Verband (DFV) organisierten Freidenker, der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und (mehr oder weniger) die Giordano Bruno Stiftung (gbs) Kirchen- und Religionskritik als ihre zentrale Aufgabe erachten, gibt es im HVD einflussreiche Kräfte, die diese Positionen überwinden möchten und die Zukunftschance des HVD in humanistischer Sozialarbeit und Lebenshilfe sehen.

In den letzten Wochen seines aktiven Dienstes hat Groschopp erneut zahlreiche Texte veröffentlicht, in denen er seine Anliegen bündelt und sich um diese Weichenstellung bemüht (vgl. www.humanismus-aktuell.de). In dem Text „Perspektiven des organisierten Humanismus“ drängt er den HVD, sich noch entschiedener als bisher von kirchenkritischen Positionen bzw. von einem „säkularen Humanismus“ zu distanzieren und entsprechende Bündnisse zu verlassen. (Aus diesem Grund engagierte sich der HVD in diesem Jahr auch nicht beim Humanistentag 2014 in Regensburg, der als „Gegenveranstaltung“ zum Katholikentag gedacht ist.)

Groschopp begründet seine Haltung mit zwei Überlegungen: So erinnert er daran, dass der HVD selbst als „Konfession“ auftritt (z. B. mit seinem humanistischen Lebenskundeunterricht in Berlin und Brandenburg). Ferner sieht er den Humanismus als über allen Konfessionen und Religionen stehend (6). Denkt man diesen Ansatz weiter, so Groschopp, muss der HVD das Erbe der alten Freidenkerbewegung endgültig verlassen. Denn „Humanismus ist ... kein Religionsersatz“ (7). Groschopp bemängelt, dass die Hinwendung des HVD zu einem modernen Humanismus bisher nur „halbherzig“ sei (33). Er befürchtet sogar, dass der HVD sein humanistisches Image beschädigen könnte, wenn er durch Kirchen- und Religionskritik die Religionsfreiheit einschränkt (vgl. 33). So legt er dem von ihm mitgegründeten und geprägten HVD nahe, er solle sich „öffentlich nachvollziehbar“ vom „säkularen Humanismus“ abnabeln (33).

In diesem Sinne sieht Groschopp die in freidenkerischen Kreisen weit verbreitete Wissenschaftsgläubigkeit kritisch. Sie behindere das Gespräch mit religiösen Menschen, „denn wie will ‚Wissenschaft‘ mit ‚Glauben‘ dialogisieren, wo sie doch alles besser weiß?“ (36). Mit dieser Position grenzt sich Groschopp von nahezu allen atheistischen Organisationen ab, die unterstellen, die Welt ließe sich ausschließlich mit wissenschaftlichen Methoden erklären. Er kritisiert das „kalte“ Denken, das in der humanistischen Sozialarbeit immer wieder zum Problem werde. So heißt es: „Tatsächlich fehlen dem ‚säkularen Humanismus‘ Historizität, Körperlichkeit, die Sprache und das Gefühl der Barmherzigkeit, Liebe und Menschenfreundlichkeit. Menschenwürde und Glück sind bei ihm weitgehend rationale, jedenfalls kühle Kategorien, so dass, wer nach Sinnlichkeit sucht, dann doch lieber auf religiöse (‚musikalische‘) Angebote zurückgreift“ (36).

Zweifellos folgen einige dieser Überlegungen klaren strategischen Interessen. Groschopp sieht, dass die humanistischen Verbände kurzfristig kaum nennenswert Mitglieder und Einfluss gewinnen können. Daher brauchen sie, um expandieren zu können, staatliche Gelder. Die wiederum bekommen sie nur, wenn sie sich als Weltanschauungsgemeinschaft nach Art. 4 Grundgesetz aufstellen und analog zu den Kirchen eine eigene Sozial- und Bildungsarbeit etablieren. Diese Handlungsfelder benötigen auf Dauer jedoch eine bessere weltanschauliche Unterfütterung, die man in einem zeitgemäßen Humanismus gefunden zu haben glaubt.

Es bleibt abzuwarten, ob und wie der HVD den Empfehlungen folgt. Die Widerstände sind nicht zu unterschätzen. So ist die Versuchung groß, mit effektheischendem Atheismus das Interesse mancher Medien und damit der Öffentlichkeit zu wecken – zumal lärmender Atheismus größeren Unterhaltungswert hat als kontinuierliche Arbeit in einer Kindertagesstätte oder einem Hospiz. Auch programmatisch wären neue Weichenstellungen nötig. Erst 2013 hat der bayerische HVD-Regionalverband in seinen „Humanistischen Grundsätzen“ apodiktisch festgestellt: „Säkulare Humanisten sind Atheisten oder Agnostiker“ (HVD Bayern [Hg.], Humanistische Grundsätze, Nürnberg 2013, 18).

Ungewiss ist der Weg des HVD aber auch, weil sich in absehbarer Zeit zwei weitere wichtige Persönlichkeiten aus dem aktiven Dienst verabschieden. So wird der Präsident des HVD, Frieder Otto Wolf, sein Amt altersbedingt abgeben, und im Herbst wird Manfred Isemeyer, der Vorstandsvorsitzende des Berliner HVD-Regionalverbands, in den Ruhestand gehen. Isemeyer hatte den einst unbedeutenden Westberliner Freidenkerverband in gut 20 Jahren zum wichtigsten HVD-Sozialverband ausgebaut. Seinem Organisationstalent verdankt der Berliner HVD zahlreiche Kindertagesstätten, Hospize, Beratungsstellen usw. Es bleibt also spannend.


Andreas Fincke, Erfurt