Andreas Fincke, Matthias Pöhlmann

„Sind Sie hier, um die Organisation zu stören?“

Zu Besuch in der neu eröffneten Scientology-Zentrale in Berlin

Schon im Vorfeld hatte es großen Wirbel gegeben, und das Medienecho war immens: Am 13. Januar 2007 wurde die neue Hauptstadtrepräsentanz der Scientologen in Berlin-Charlottenburg eröffnet. Die umstrittene Organisation ließ auf Einladungskarten verlauten: „Verpassen Sie nicht diese wichtige Veranstaltung, mit der ein neues Zeitalter für Europa beginnt“. Ab Mittag drängten sich rund 1500 Mitglieder und Sympathisanten in den sechs Stockwerken des neuen Gebäudes in der Otto-Suhr-Allee. Die Gäste waren aus ganz Deutschland (u.a. Hamburg, München und Stuttgart), der Schweiz, Dänemark, Italien, Spanien, den USA, Israel und zahlreichen osteuropäischen Ländern angereist. Mit frenetischem Jubel wurden die einzelnen Gruppen begrüßt, die mit ihren Nationalflaggen heranzogen. Vor der Zentrale aus Glas und Stahl sorgten scientologische Sicherheitskräfte dafür, dass ein schmaler Gehweg und der Fahrradweg freigehalten wurden. Auf dem Mittelstreifen verfolgten zahlreiche Fotografen und Kamerateams das Geschehen. Erst später trafen auch Polizisten ein, um die Sicherheit zu gewährleisten. Eine Straßensperrung vor dem Gebäude hatten die Berliner Behörden zuvor abgelehnt. Mediengerecht wurden Fahnen aus Israel geschwenkt – selbst spontane Friedenslieder („Hevenu shalom aleichem“) wirkten gut vorbereitet. Die Absicht war klar: Es sollte eine Jubelveranstaltung werden.

Stumme Ehrengäste

Sabine Weber, die Präsidentin der „Scientology-Kirche Berlin“ begrüßte zur Eröffnung einige Ehrengäste, darunter der emeritierte Professor für Religionspädagogik und Religionspsychologie an der Universität Gießen, Jürgen Redhardt, sowie Hubertus Mynarek, ehemaliger Professor für Theologie und Religionswissenschaft. Namentlich begrüßt wurde auch der aus Israel kommende Almog Burstin, Gründungsmitglied einer weitgehend unbekannten „Europäischen Stiftung für Menschenrechte und Toleranz“, sowie der Polizist Bernhard Stitz. Alle Ehrengäste wurden mit frenetischem Beifall begrüßt, obwohl bezweifelt werden darf, ob das Publikum sie überhaupt kannte: Redhardt hat sich mehrfach für die Mun-Bewegung eingesetzt, Mynarek hat immer wieder im Umfeld der umstrittenen Neureligion „Universelles Leben“ publiziert.

Auf längere Ansprachen wurde verzichtet. Zur Eröffnung wurde eine gut sichtbare, gelbe Schleife an der Hausfassade herabgelassen, und bunte Luftballons stiegen in den Himmel auf. Daraufhin öffneten sich die Türen für die wartenden Gäste. Schnell drängten Hunderte hinein. Einigen Journalisten wurde der Eintritt verwehrt, weil sie im Vorfeld kritisch über Scientology berichtet hatten. Dennoch gehörten zwei EZW-Referenten zu den ersten Besuchern. Im Erdgeschoss befindet sich ein Empfang sowie ein audiovisuelles Öffentlichkeits- und Informationszentrum. Die Seminar- und Büroräume in den oberen Stockwerken sind in kühler Sachlichkeit gestaltet. Überall finden sich Hinweisschilder auf die jeweiligen Räume. Gut sichtbar an den Wänden sind Tafeln angebracht: Sie zeigen in großen Lettern verschiedene Sinnsprüche des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard. Auf zahlreichen Flachbildschirmen wurden Werbe- und Studienfilme von Scientology gezeigt. Zahlreiche, zum Teil uniformierte Scientologen versuchten die Besucher zum Ausfüllen eines englischsprachigen Fragebogens zu bewegen. Die Ästhetik und das Interieur wirken gediegen. Sie deuten darauf hin, dass Scientology sich die Berliner Zentrale sehr viel hat kosten lassen – auch der fortlaufende Unterhalt für das Gebäude dürfte beträchtlich sein.

Bei den Besuchern handelte es sich zumeist um Scientologen. Die Gespräche untereinander wurden überwiegend auf Englisch geführt. Viele schienen sich zu kennen und blieben in der jeweiligen Gruppe unter sich. Wenn man sich als Fremder oder durch Nachfragen als Nicht-Scientologe zu erkennen gab, war das Erstaunen groß. Viele Scientologen aus anderen Ländern waren für die Aufsicht in dem Haus abgestellt worden. Sie sprachen die Besucher gezielt an. Auch auf den Gängen wurde vielfach Englisch gesprochen. So verstärkte sich der Eindruck, dass die Organisation zwar ein Berliner Zentrum eröffnet, aber noch lange nicht in Berlin bzw. Deutschland angekommen ist.

Fragen über Fragen

In den einzelnen Stockwerken des Gebäudes mit einer Gesamtfläche von 4000 qm lagen mehrere Hochglanzbroschüren aus. Auf einem der Tische fanden sich Dutzende Exemplare des mehrseitigen „Formulars für die Bewerbung als Hauptamtliches Mitglied“ mit einem Katalog von insgesamt 56 Fragen. Die zahlreichen, mitunter höchst intimen Fragen lassen am Charakter einer „Kirche“ erhebliche Zweifel aufkommen. Der Inhalt des Formulars deutet letztlich auf den problematischen Charakter einer Organisation hin, die nahezu alles über den Bewerber in Erfahrung bringen möchte:

„43. Haben Sie jemals einen Psychologen oder Psychiater gesehen? Geben Sie bitte Einzelheiten, einschließlich des Datums, wie viele Male und welche Art der Behandlung Sie erhalten haben.

44. Haben Sie je einen Berater gesehen? Geben Sie bitte Einzelheiten an.

(…)

46. Haben Sie je Elektroschocks erhalten?

47. Haben Sie je Insulinschocks erhalten?

48. Haben Sie je irgendeine andere Schockbehandung oder psychiatrische Gerhinoperationen erhalten?

49. Haben Sie je damit gedroht, eine Scientology Kirche oder eine Person, die in einer Scientology Kirche oder Organisation arbeitet, zu verklagen?

50. Standen Sie je mit Geheimdiensten in Verbindung, sei es durch Ihre Vergangenheit oder durch unmittelbare familiäre Verbindungen?

51. Ist ein Elternteil oder Familienmitglied Scientology gegenüber antagonistisch eingestellt, oder wäre in Nichtübereinstimmung damit, dass Sie hier arbeiten?

52. Sind Sie hier, um Berichte für die Medien zu erhalten?

53. Sind Sie hier, um die Organisation zu stören?

54. Welche Sicherheitsüberprüfungen haben Sie in der Vergangenheit erhalten? (Geben Sie alle Arten von Sicherheitsüberprüfung für jede Arbeit an.)“

Die Mitnahme dieses Papiers wurde auf Nachfrage indes verwehrt. Wie eine ranghöhere Scientologin mitteilte, müsse man das Formular in der Scientology Zentrale ausfüllen. Für Fragen stünde sie gerne zur Verfügung. Großzügiger erwiesen sich die Scientologen im Verteilen der offiziellen Hochglanz-Broschüre „Scientology Kirche in Berlin“, mit der die umstrittene Organisation den Eindruck erweckt, „religiöse Dienste“ anzubieten. Darin heißt es: „das eigentliche Kernstück der Scientology-Religion ist ihr einzigartiger und exakter Weg zu spiritueller Freiheit, der für jeden begehbar ist.“1 Tafeln auf den Fluren hämmern dem Besucher ein: „Der spirituelle Weg der Scientology führt über eine Reihe von Ausbildungs- und Auditingschritten. Fragen Sie den Kursüberwacher.“

Im Hinterhof der neuen Zentrale standen Stehtische für die Besucher bereit. Dort wurde dem Besucher eine graue Papiertüte mit Informationsmaterial in die Hand gedrückt, darunter die Broschüre „Die Scientology Kirche – Eine Einführung zu den Andachten der Kirche“. Auf der vierten Umschlagseite wird der überzogene Anspruch von Scientology mit einem Zitat von Scientology-Erfinder Hubbard bekräftigt: „Die Scientology hat das Ziel der Religion erreicht, das in der gesamten schriftlich niedergelegten Geschichte des Menschen zum Ausdruck kommt: das Befreien der Seele durch Weisheit.“ Auf den ersten Seiten der Broschüre wird „Das Glaubensbekenntnis der Scientology-Religion“ wiedergegeben. Unter der Überschrift „Was wir von der Kirche glauben“ heißt es u.a.: „Dass das Studium der Seele und ihre Befreiung von den geistig verursachten Übeln von Religion weder entfremdet noch in nichtreligiösen Gebieten geduldet werden sollten.“ „Dass der Mensch im Grunde gut ist; dass er danach strebt zu überleben; dass sein Überleben von ihm selbst und von seinen Mitmenschen abhängt und davon, dass er ein brüderliches Verhältnis mit dem Universum erreicht.“ Am Ende der Broschüre findet sich auch „Das Gebet für völlige Freiheit“, in dem zwar von einem „Schöpfer des Universums“ die Rede, doch eine direkte Anrede eines göttlichen Wesens bzw. Gott nicht zu finden ist. Vielmehr heißt es: „Wir beten dafür, dass die Menschenrechte bewahrt werden, sodass alle Menschen frei glauben können und ihre Andacht verrichten können, sodass es in unserem Land erneut Freiheit geben wird. (...) Freiheit, das Potenzial des Menschen zu gebrauchen und zu verstehen – ein Potenzial, das von Gott gegeben und gottähnlich ist. Und Freiheit, jenes Verstehen und Bewusstsein zu erreichen, das die völlige Freiheit ist.“

In der ausgehändigten Informationstüte waren auch mehrere Broschüren zu „Fakten über Drogen“ enthalten, so z.B. mit „Fakten“ über Ecstasy, Crack, Kokain, LSD, Heroin und Schmerzmittel. Vorrangiges Ziel der Scientologen ist es jedoch, Interessierte mit dem einprägsamen Slogan „Sag Nein zu Drogen“ anzulocken und als neue Mitglieder zu werben.

In einer anderen Etage lagen weitere Broschüren aus, die die eigentlichen Ziele von Scientology vor Augen führen. Es handelt sich um eine Werbebroschüre für die International Association of Scientologists (IAS). Darin erwähnt werden „die dynamischsten – von der IAS – gesponserten – Kampagnen aller Zeiten“. Sie wurden am 22. Jahrestag der IAS am 20. Oktober 2006 neu ausgerufen. Die von der IAS gesponserten Aktivitäten umfassen: Drogenpräventionshefte, „eine Flut von TV-Spots, welche die Menschenrechte bekannt machen“, einen „Dokumentarfilm über die Psychiatrie“, der Einsatz von „Ehrenamtlichen Scientology Geistlichen“ sowie die intensive Werbung für das Heft „Der Weg zum Glücklichsein“. In der Broschüre über die IAS unter dem Titel „Das Schicksal der Erde ist in unserer Hand“ wird nicht zuletzt durch den aggressiven Ton deutlich, worin die Aufgabe dieser Vereinigung besteht: „Die IAS wurde geschaffen, um sicherzustellen, dass die Scientology Religion auf alle Zeiten bestehen wird – dank einer großen Anzahl von Mitgliedern, die bereit sind, für die Rechte des Menschen und die Freiheit aller Religionen zu kämpfen.“ An anderer Stelle heißt es, die IAS stelle sicher, dass „die Religion verteidigt und beschützt wird, sodass ihre Mitglieder ihre Mission der spirituellen Erlösung fortsetzen und erfüllen können“. Kritiker von Scientology werden darin als „Feinde der Menschheit“ bezeichnet.

Dass Geld bei Scientology eine zentrale Rolle spielt, verdeutlichen die immensen Geldbeträge, die für Mitgliedschaftsstufen und Ehrenstatus-Titel bei der IAS aufgebracht werden müssen: Während die einfache Jahresmitgliedschaft sich auf 450 US-Dollar beläuft, beträgt die Mitgliedschaft auf Lebenszeit 3000 US-Dollar. Der einfache Status als Sponsor wird für eine Spende in Höhe von 5000 US-Dollar, der eines Patron für 50.000 Dollar vergeben. Weitere „Ehrentitel“ können für schwindelerregende Summen erworben werden.

Widerspruch zwischen innen und außen

Aus Sicht von Scientology sind Kritiker „unterdrückerische Persönlichkeiten“ („suppressive persons“). Ihr Wirken sei darauf ausgerichtet, „Leute zum Zusammenbruch zu bringen“. Wie man mit ihnen fertig wird und diese entsprechend „handhabt“, dokumentiert ein weiterer Werbeflyer, der in den höheren Etagen auslag. Darin wird für einen speziellen Kurs geworben: „Seien Sie völlig Ursache über Unterdrückung – Zerschlagen Sie sie! Machen Sie den brandneuen ‚Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt – PTS/SP Kurs’“. Diese Technologie – so heißt es an anderer Stelle – würde dazu verhelfen, eine „unterdrückerische Person“ zu erkennen und zu durchschauen. Letztlich ginge es um „die Fähigkeit, Leute anzusehen und sie wirklich zu erkennen – zu wissen, wer ein Freund ist und wer nicht“. Schließlich mündet der Aufruf in den Slogan: „Erwerben Sie die Tech dafür, Unterdrückung zu erkennen, zu konfrontieren und zu zerschlagen.“

Beim Besuch der einzelnen Stockwerke war auch das Büro des 1986 verstorbenen L. Ron Hubbard zu besichtigen. Wie es in der Hochglanzbroschüre von Scientology heißt, sei dieser ungenutzte Raum ein Symbol von Hubbards „Engagement für die Menschheit“. Auch die Türen zum „Chaplain“-Büro standen offen: Dort soll der dafür zuständige scientologische „Geistliche“ „seelsorgerliche“ Gespräche führen. Einen ganz anderen Eindruck vermittelte jedoch die „Ethik-Abteilung“, in der – wie von ferne zu erkennen war – in Stahlschränken verschiedene Unterlagen aufbewahrt werden. Auf die Nachfrage, wie bereits am Eröffnungstag so viele Akten vorhanden sein können und was darin stünde, wurde uns keine Antwort gegeben. Stattdessen empfahl uns die junge Dame, dass wir uns im unteren Bereich des Gebäudes erst einmal über Scientology informieren lassen sollten. Mit der anfänglichen Freundlichkeit war es plötzlich vorbei. Unser interessierter Blick auf weiteres Informationsmaterial wurde handgreiflich unterbunden. Wir wurden hinausgedrängt.

In den unteren Stockwerken trafen wir indes auf einen prominenten deutschen Scientologen. Es war der aus der ARD-Vorabendserie „Lindenstraße“ bekannte Schauspieler Franz Rampelmann alias „Olaf Kling“, der sich im freundschaftlichen Gespräch mit Mitarbeitern des Hauses befand. Auch Jazz-Musiker Chick Corea sowie Hollywood-Schauspielerin Anne Archer, beide bekennende Scientologen, waren zur Eröffnung der Berliner Zentrale angereist.

Eine kleine, fast zufällige Beobachtung führte uns jedoch die ganze Problematik der Scientology erneut vor Augen: Die Kapelle, das religiöse Zentrum der „Kirche“ mit etwa 60 Plätzen, war während der Eröffnungsfeierlichkeiten vorübergehend geschlossen. Trotz wiederholter Nachfragen blieb dieser seltsame Zustand erhalten. Daran schien außer uns niemand Anstoß zu nehmen. Und so war das unsere erste Kircheneröffnung, bei der die „Kirche“ geschlossen blieb.

Die Organisation präsentiert sich in der Bundeshauptstadt mit einem Gebäude aus Glas und Stahl. Auf diese Weise versucht sie nach außen hin Transparenz zu demonstrieren. Doch der Eindruck täuscht. Geheimniskrämerei, hochaggressive Sprachformen in den internen Schriften und nicht zuletzt schroffes Auftreten gegenüber Besuchern, die sich als Nicht-Scientologen zu erkennen gaben, stehen dem entgegen. Bunte Hochglanzbroschüren, religiöse Begrifflichkeiten und diverse „Ämter“ können letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei Scientology nicht um Religion, sondern allenfalls um eine „Fassaden-Kirche“ handelt. Die Berliner Zentrale legt davon Zeugnis ab. Der Widerspruch zwischen innen und außen ist evident. Im Vordergrund stehen vielmehr Geld, Macht und der Wille zur Unsterblichkeit – mithilfe eines kostspieligen wie unkalkulierbaren Kurssystems, das Scientology als „Brücke zur totalen Freiheit“ verkauft. Der Blick in die Broschüren verrät viel von einer Ideologie, die sich der Durchsetzung scientologischer Macht rigoros verschrieben hat. Dafür scheint jedes Mittel recht zu sein – auch der Missbrauch von Religion.

Bei unserem Besuch machten wir seltsame Erfahrungen. In einem der weiter oben gelegenen Stockwerke ist in großer Schrift folgender Hinweis angebracht: „Nur HCO-Mitglieder dürfen einen HCO-Bereich betreten. Weiter als zum HCO-Rezeptionisten (nicht Org-Rezeptionisten) dürfen Staffs und Gemeindemitglieder nicht gehen. Der HCO-Rezeptionist handhabt alle Laufzettel und allen anderen derartigen Verkehr.“ Da war sie also wieder, diese seltsam krude Scientology-Sprache.


Andreas Fincke / Matthias Pöhlmann


Anmerkung

1 Scientology Kirche Berlin (Hg.), Scientology Kirche Berlin (Broschüre), Berlin 2006, 4.