Interreligiöser Dialog

Sind monotheistische Religionen besonders anfällig für Gewalt?

Diese ebenso aktuelle wie provokative Fragestellung lockte am 7. Dezember 2004 über 200 Fachleute und Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung ins Berliner Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Tagung „Religionen und Gewalt“ wurde hier das dritte Jahr in Folge zusammen mit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen veranstaltet, welche ihre besonderen Kompetenzen in der Analyse religiöser Gegenwartskultur einbrachte. Hochkarätige Referenten aus Islam, Buddhismus und Christentum erlebten kontroverse Dialoge, indem sich jeder Religionsvertreter einer kritischen Außenperspektive stellen musste. Durch die kontrastreiche Veranstaltung führten Johannes Kandel von der Friedrich-Ebert-Stiftung und Reinhard Hempelmann, Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

Einen ersten Zugang zur Gewaltproblematik in monotheistischen Religionen bot Wolf Krötke. Der evangelische Theologe plädierte in seinem Eingangsreferat für eine differenzierte Betrachtungsweise, denn der eine Gott gewinne in den drei abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam ein je spezifisches Profil. Mit einer explizit theologischen Argumentation arbeitete Krötke heraus, warum besonders monotheistische Religionen zur Selbstkritik fähig seien: Der transzendente Gott übersteige die Welt und sei ihr gegenüber als frei gedacht. Ebenso sei der Gläubige frei, welcher vor Gott in Vernunft und Selbstverantwortung lebe und im Licht von dessen Geboten die eigene Lebenspraxis kritisch reflektiere. Auf diese Weise könne ein gläubiger Mensch sich auch von struktureller Gewaltverflechtung innerhalb seiner Gesellschaft freimachen. In der anschließenden Plenumsdiskussion wurde dieser Ansatz nicht weitergeführt. Vielmehr hob das Publikum die gemeinsamen Traditionen der monotheistischen Religionen hervor: Hier sei ein Gespräch möglich, das auch Differenzen nicht aussparen dürfe. Nach dem ebenso fachkundigen wie engagierten Eingangsreferat erhärtete sich der Eindruck, dass dezidiert theologische Zugänge von einem breiteren Publikum nur bedingt wahrgenommen und kaum diskutiert werden.

Die erste Dialogrunde widmete sich dem Islam, wobei die Stimmung im vollen Saal so konzentriert wie angespannt war. Bekir Alboga von der Türkischen Union der Anstalt für Religion übersetzte Islam mit Frieden und warb sehr leidenschaftlich für die entsprechenden Aspekte seines Glaubens. Er präsentierte ein modernes Islamverständnis aus dem türkischen Kontext, das sich einer historisch-kritischen Auslegung des Koran annähert. Mohammed sei in seinen mekkanischen Anfängen selber verfolgt worden, worauf er in Medina als Vermittler unter verfeindeten arabischen Gruppen gewirkt habe. Gegenüber jüdischen Gemeinschaften der Stadt sei Mohammed als Machthaber tolerant gewesen. Alboga betonte die universellen ethischen Werte seiner Religion und verwahrte sich dagegen, die im Koran dokumentierte Frühzeit des Islam politisch zu idealisieren. Kritisiert wurde seine Darstellung nicht nur von einem arabischen Glaubensbruder aus dem Plenum, sondern auch von Christine Schirrmacher, Leiterin des von der Evangelischen Allianz getragenen Instituts für Islamfragen in Bonn. In der islamischen Frühzeit sei das Verhältnis zwischen der mekkanischen ethischen Phase und der medinischen politischen Phase durchaus ambivalent. In Medina sei Mohammed zum Kriegsherrn geworden und habe auch die drei ansässigen jüdischen Stämme bekämpft. Darüber hinaus sprach Schirrmacher grundlegende Kommunikationsprobleme mit islamisch geprägten Kulturen des nahen und mittleren Ostens an. Deren Vertreter würden häufig innerhalb ihrer Gemeinschaften andere Ansichten vertreten als gegenüber westlichen Gesprächspartnern. Dieser Beobachtung stimmte das Tagungspublikum zu und hob ebenso hervor, dass man den Islam beim Debattieren nicht beständig zur Verteidigung drängen dürfe. Insgesamt gelang es Alboga nicht, das Plenum für sich einzunehmen. Hier wirkte die politische Großwetterlage mit der fachkundigen Argumentation Schirrmachers zusammen, welche Albogas Darstellung tendenziös erscheinen ließ. Aufschlussreich war das Publikumsgespräch besonders hinsichtlich der innerislamischen Pluralität, welche offenbar aus den kulturellen Hintergründen der Beteiligten erwächst.

Wesentlich entspannter gestaltete sich die zweite Dialogrunde mit dem Buddhismus. Jürgen Manshard vom Tibetisch-Buddhistischen Zentrum in Berlin stellte Gier, Hass und Unwissenheit als geistige Ursachen allen Leidens heraus. Wer nach der Lehre des Buddha seinen Geist im Zaum hält, vermag auch Körper und Rede zu zügeln, um die ganze Person zu transformieren. So sei Gewaltlosigkeit im buddhistischen Sinne ein zu erstrebender Aspekt des Geistes, der Erleuchtung und Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburten mit befördert. Die Ursachen der Gewalt lägen aus buddhistischer Perspektive in der Person selbst, womit zugleich das Leiden anderer Wesen nicht einfach hingenommen werde. Im Kontrast zu diesen streng philosophischen Überlegungen berichtete der Züricher Theologe und Religionswissenschaftler Georg Schmid sehr anschaulich von seinem Besuch im neuen Berliner „Shaolin-Tempel“. Die dortigen Mönche stünden mit ihren Kampfkünsten in einer langen Tradition, die buddhistische Lehre und Konzentrationspraxis mit der Ausbildung von Kriegern verbindet. Ein historisches Beispiel sei die Verstrickung des Zen mit dem japanischen Militarismus und Kolonialismus, namentlich die Ausbreitung von Klöstern der Soto-Schule im besetzten Korea. Trotz meditativer Transformation sind Menschen nach Schmid fehlbar und bleiben in christlicher Wahrnehmung Sünder, die auf Gottes Gnade angewiesen sind. Der Buddhismus müsse sich in unserer Kultur davon freimachen, zu einem Traumbild der Westler zu werden, das aller menschlichen Schattenseiten entbehrt. Da Manshard diesem Anliegen nicht grundsätzlich widersprach, könnte man den Dialog als gelungene Annäherung betrachten. Freilich wurden auch hier philosophische und theologische Differenzen nicht eingehender diskutiert.

Die Gewaltgeschichte des Christentums griff in der letzten Dialogrunde der evangelische Theologe Richard Schröder auf. Er warnte vor simplifizierenden Sichtweisen und forderte das Publikum mit neuen historischen Aspekten heraus. Die Kreuzzüge wurden von ihm als Kriege einzelner Päpste analysiert, die ihre politischen Machtansprüche auch theologisch zu rechtfertigen suchten. Mit diesen Tendenzen habe die Reformation gebrochen, indem Luther die Türkenkriege als ein „weltlich Ding“ der Fürsten qualifizierte. Ein zweites Themenfeld erschloss Schröder anhand von Hexenverfolgungen im entkolonisierten Afrika unserer Tage, bei denen außerchristliche magische Vorstellungen eine Rolle spielten. Hier hätten kirchliche Einflüsse bisher hemmend gewirkt, indem auch Hexen als Geschöpfe Gottes wahrgenommen wurden. Der Humanist Peter Schulz-Hageleit zeigte sich kritisch gegenüber friedensstiftenden Ansprüchen des Christentums. Er wies in diesem Zusammenhang auf strukturelle Gewalt hin, die in Deutschland von der finanziellen Privilegierung der Kirchen ausgehe. Ebenso sei jede christlich-fundamentalistische Begründung für kreuzzugsähnliche Kriegshandlungen abzulehnen. Hier zeige sich, dass der Missions- und Hegemonieanspruch des Christentums grundsätzlich fortbestehe. Die anschließende Diskussion gestaltete sich uneinheitlich und fand keinen Fokus. Es ging stellenweise um christlich-fundamentalistische Einflüsse auf die US-amerikanische Regierung. Für deren politische Praxis wurde darauf hingewiesen, dass globalstrategische Überlegungen eine Rolle spielten, die älter seien als Bushs Präsidentschaft und persönliche Religiosität. Zur Gewaltgeschichte des Christentums kam ein tiefer gehender Dialog auch deshalb nicht zustande, weil der humanistische Gesprächspartner sein Profil nur erahnen ließ. Schulz-Hageleit verstand es vielmehr, mit diversen Einzelaspekten seines Vortrags den Widerspruch des Publikums hervorzurufen.

Monotheistische Religionen sind anfällig für Gewalt, weil sie von fehlbaren Menschen gelebt werden. Jede einzelne besitzt ein spezifisches Gewaltpotential, das mit ihrer besonderen Geschichte zusammenhängt. Es geht also vornehmlich darum, die eigene Gewaltgeschichte zu erkennen und aufzuarbeiten. Diese Aufgabe ist allen Religionen unabhängig von ihrer inhaltlichen Orientierung gestellt. Einige sind hierbei fortgeschritten, andere stehen noch am Anfang. Die selbstkritische Auseinandersetzung schafft eine Basis, um integrierend zu wirken und zukünftige Gesellschaften mitzugestalten. Jede Religion steht somit vor Herausforderungen, die ihr Gründer nicht kannte und muss sich im Licht ihrer Tradition beständig erneuern.

Martin Eichhorn