Scientology

Scientology muss Schadensersatz in Millionenhöhe zahlen

(Letzte Meldung: 5/2002, 155) Die Scientology-Organisation hat Anfang Mai im US-Bundesstaat Kalifornien an ihr ehemaliges Mitglied Lawrence Wollersheim knapp 8,7 Dollar (rund 9,5 Millionen Euro) als Entschädigung für psychische Fehlbehandlungen zahlen müssen. Diese Summe wurde dem 53-jährigen Ex-Scientologen nach über zwei Jahrzehnten zugesprochen. 1980 hatte er die Organisation wegen geistigen Missbrauchs verklagt, nachdem sich bei ihm auf Grund der scientologischen Behandlung eine "bipolare Persönlichkeitsstörung" entwickelt hatte. In der Folge hätte er beinahe Suizid begangen. Bereits 1986 war ihm gerichtlich Schadensersatz in Höhe von 30 Millionen Dollar zugesprochen worden; doch wurde die Summe in einem Berufungsverfahren erniedrigt und 1994 durch den Obersten Gerichtshof bestätigt.

Nach seinem Erfolg erwartet Wollersheim nun eine Lawine ähnlicher Prozesse gegen die Scientology-Organisation; denn seines Wissens war es das erste Mal, dass Scientology einem Ex-Mitglied Entschädigung gezahlt hat. Und psychische Störungen und ausgeführte oder versuchte Selbstmorde als Folge scientologischer "Therapie" scheinen nicht ganz selten zu sein. Die Ursachen hierfür sind komplexer Natur. Eine erste dürfte in dem Umstand liegen, dass die scientologische Technologie mit einem hypnoseähnlichen, also tief in die Psyche eingreifenden Verfahren einhergeht. Zweitens ist das Ziel der Kurs-Abschlüsse mit einem hohen Erwartungs- und Leistungsdruck verbunden. Dazu kommen drittens Komponenten einer sektiererischen Abschottung von der Außenwelt, die beispielsweise durch den Einbau eines hohen Maßes an scientologischen Fachausdrücken in die normale Sprache sowie durch ausgeprägte Feindbilder erreicht wird. Und viertens tut eine teilweise dämonistisch anmutende Weltanschauung das Ihre: Scientologen höheren Grades lernen, dass Menschen von zahlreichen Geistern umgeben und körperlich wie psychisch beeinträchtigt seien, die erst mittels ihrer Methoden vertrieben werden müssten.

L. Ron Hubbards Befreiungsprogramm ist für manche Menschen zur geistigen Falle geworden: Das Streben nach der von Scientology verheißenen "totalen Freiheit" hat bei ihnen zu Konsequenzen totaler Unfreiheit geführt, die paradoxerweise manchmal "Freitod" genannt werden. Eindrücklich werden solche Fälle etwa in Renate Hartwigs Buch "Scientology: Ich klage an!" (1994, 75ff) und in dem von Jörg Herrmann herausgegebenen Taschenbuch "Mission mit allen Mitteln" (1993, 40ff) geschildert. In letzterem beschreibt auch eine Ex-Scientologin ihren Leidensweg mit den Worten: "Selbstmord schien mir der einzig mögliche Ausweg zu sein. Ich dachte, ich sei wahnsinnig geworden" (38). Schon Ex-Scientologe Robert Kaufman berichtet in seinem Buch "Übermenschen unter uns" (dt. 1972), in der Welt von Scientology drohe "der Wahnsinn".

Dabei versteht sich Scientology ja in großen Teilen als "Kirche", nämlich als moderne Religion. Von daher gibt sie ihre psychologischen Praktiken als "Seelsorge" aus, die sie sich - nach Stunden berechnet - teuer bezahlen lässt. Viele Kritiker nennen Scientology aus diesem Grund einen "Psycho-Konzern". Über immer teurere Kurse steigt man angeblich "auf zur Ewigkeit". Ob die vor bald 50 Jahren gegründete Scientology-Organisation sich mit Recht als Religion bezeichnet, ist von Gerichten wie von theologischen Experten international unterschiedlich beurteilt worden.

Bekanntlich kommt in vielen scientologischen Kursen ein Gerät zum Einsatz, das einem Lügendetektor gleicht: der "Elektro-Psychometer", kurz "E-Meter". Fortgeschrittenen Mitgliedern wird der Kauf von gleich zwei E-Metern, außerdem von teuren Büchern zum vollständigen theoretischen und praktischen Verständnis des Geräts nahe gelegt. Am Eingang vieler Scientology-Bücher findet sich der vollmundige Satz: "Das Hubbard-Elektrometer ist ein religiöses Hilfsmittel, das bei der kirchlichen Beichte benutzt wird." Diese "Beichte" erstreckt sich freilich nicht nur über das jetzige Leben, sondern auch über zahlreiche frühere Leben - der Seelenwanderungsgedanke wird esoterisch vorausgesetzt. Mit einem neueren Modell des E-Meters kann man angeblich auf der eigenen "Zeitspur" bis hin zu Geschehnissen psychisch zurückgehen, die 80 Billionen Jahre zurückliegen …

Im Ursprung soll nach scientologischer Überzeugung jeder Geist ein qualitatives Nichts gewesen sein - "jedoch mit der Fähigkeit begabt, Masse oder Energie zu erschaffen oder zu zerstören, eine Position für sich selbst zu bestimmen sowie Raum zu erschaffen und Zeit neu in Bezug zu setzen". Diese mit göttlichen Fähigkeiten ausgestattete Null hat nach Hubbard zusammen mit anderen ihresgleichen Universen als Spielfelder geschaffen. Aus Langeweile sollen sie schließlich beschlossen haben, sich in eine Falle zu bringen. "Man gerät nur dann in eine Falle, wenn man es vorher beschlossen hat", versichert Hubbard. Alle Fallen seien nichts anderes als geistige Betrachtungen der Thetanen. Daher kann Hubbard formulieren: "Ein Thetan ist seine eigene Falle..." Wer diesen Mythus glaubt und für seine Befreiung viel Geld zu bezahlen bereit ist, muss der nicht beinahe zwangsläufig psychisch in bedenkliches Fahrwasser geraten?

Im krassen Unterschied zum Schöpfungs- und Erlösungsverständnis der christlichen Religion, die von Gottes Liebe und Gnade ausgeht, setzt das scientologische Leis tungssystem voll und ganz beim Menschen und seinem - gerade auch finanziellen - Vermögen an. Was mitunter ausbeuterische Züge annimmt, beruht neben der Annahme einer göttlichen Grundnatur im Menschen vor allem auf der Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer Leis tungsfähigkeit, Daseinszustände "ober halb der Ebene, auf der sich der Mensch befindet", zu erlangen. Wenn manche Scientologen an solcher Hybris zerbrechen, so ist das weder psychologisch noch theologisch verwunderlich.

Dass die umstrittene Organisation für psychisch gravierende Folgen ihrer "Geistesmagie" mit Erfolg zur Rechenschaft gezogen werden kann, ist eine erfreuliche Meldung aus den USA. Bleibt zu hoffen, dass fälliger Schadensersatz künftig binnen deutlich kürzerer Fristen zu leisten sein wird als im Fall Wollersheim!

Werner Thiede, Erlangen