Michael Utsch

Scientology auf Expansionskurs?

War es Zufall oder ein perfektes Time-Management? In der nachrichtenarmen Zeit zu Jahresbeginn gelang der umstrittenen amerikanischen Organisation nach langer Funkstille wieder einmal der Sprung ins Zentrum des Medieninteresses. Eigentlich war der Anlass gering – der Umzug einer Organisation vom betulichen Mariendorfer Damm in Berlin-Tempelhof in beste Charlottenburger Lage. Nichts Ungewöhnliches – wenn es sich dabei nicht um die umstrittene Scientology-Organisation gehandelt hätte. Nach der medial geschickt inszenierten Eröffnung am 13. Januar residieren die Scientologen in ihrer Hauptstadt-Niederlassung nun in einem sechsstöckigen Neubau zentral zwischen dem Zoologischen Garten und der Technischen Universität. Nachdem kürzlich drei andere europäische Hauptstädte – Brüssel, Madrid und London – mit neuen scientologischen Repräsentanzen bedacht wurden, war jetzt offensichtlich Deutschland an der Reihe. Noch in diesem Jahr sollen weitere Gebäude in Italien, Belgien und Dänemark eröffnet werden.

Die deutsche Hauptstadt hatte es den Europamissionaren dieser amerikanischen Organisation allerdings auch denkbar leicht gemacht, wurde doch ihre Beobachtung durch den Berliner Verfassungsschutz vor vier Jahren eingestellt. In anderen deutschen Großstädten wäre ein solches Vorhaben sicherlich auf stärkeren politischen Widerstand gestoßen. Die Berliner Innenbehörde musste gar zugeben, von den scientologischen Umtrieben erst aus der Zeitung erfahren zu haben. Allerdings stieß die groß angelegte Werbekampagne der Scientologen in der Hauptstadt auf eine breite Front der öffentlichen Ablehnung. Falls die Organisatoren gehofft hatten, im säkularen Berlin auf mehr Interesse als im stärker volkskirchlich geprägten Süden Deutschlands zu stoßen, wurden sie durchweg enttäuscht. Alle Lokalsender und Zeitungen berichteten intensiv und ausführlich über die geplante Eröffnung, nicht ohne auf die Gefahren einer Mitgliedschaft hinzuweisen, die Anwerbe- und Tarnstrategien dieser Firma ausführlich darzustellen und sich kritisch mit Hubbards Ideologie auseinander zu setzen.

Seit Jahren versucht die Scientology-Organisation ziemlich erfolglos, in Deutschland neue Anhänger zu gewinnen. Eine von Hubbards Grundideen besagt, dass Fähige noch fähiger gemacht werden sollen, bis das gewünschte Ziel erreicht ist. Erfolg ist bei den Scientologen ein Muss. Die Führungs-Riege der deutschen Scientologen dürfte deshalb unter ziemlichem Druck stehen, den amerikanischen Erwartungen endlich einmal gerecht zu werden und auch gute Zahlen aus dem Herzen von „good old Europe“ zu vermelden. Bisher Fehlanzeige – die Anhängerzahl stagniert laut Verfassungsschutzangaben seit Jahren zwischen 5000 und 6000 Mitgliedern.

Ob mit der neuen Berliner Trutzburg nun das Ruder herumgerissen werden kann, ist unwahrscheinlich. Nach eigenen Angaben will die Organisation in Berlin stärker gegen Drogenmissbrauch und Gewalt unter Jugendlichen kämpfen, deshalb benötige sie so große Räumlichkeiten. Aber ist für solch ein ehrenwertes Unterfangen Charlottenburg die richtige Adresse? Mit dieser Begründung nährt die Organisation ebenso Zweifel, wie sie auch schon mit anderen wohlklingenden Aktivitäten Skepsis hervorgerufen hat. Als angebliche Verfechterin von Menschenrechten prangerte sie die Psychiatrie an, als sog. „Ehrenamtliche Geistliche“ boten ihre Mitglieder Dienste im Katastrophenschutz oder im Nachhilfeunterricht für lernschwache Schüler an. Schaut man sich diese Dienstleistungen genauer an, entlarvt sich die Organisation mit ihren Tarnunternehmen selbst. Dort wird nämlich ganz nach dem Prinzip des Persönlichkeitstests verfahren, mit dem Hubbards Anhänger auch auf der Straße neue Mitglieder ködern wollen: Der Ausgangspunkt – sei es nun ein schlechtes Testergebnis, ein Unfall oder ein Lernproblem – ist in jedem Fall miserabel und macht Hilfe und Unterstützung nötig und wünschenswert. Jeder ist gegen Drogenmissbrauch und Gewalt an den Schulen. Doch kann man negative Erfahrungen wirklich so einfach wie Computerspuren löschen, wie es Hubbards Dianetik lehrt?

Deutschland erweist sich für die Scientologen als eine schwierige, vielleicht sogar eine unmögliche Mission. Zum einen weiß die Öffentlichkeit recht gut über die Hintergründe und Struktur der Organisation Bescheid. Zum anderen ist hierzulande die Skepsis gegenüber ideologischen Heilsversprechen aufgrund der leidvollen deutschen Geschichte verständlicherweise groß. Deshalb konnte Scientology das erhebliche Medieninteresse wohl kaum für ihre Botschaft instrumentalisieren. Im Gegenteil: Parteiübergreifend und bundesweit wurde nach der Eröffnung eine stärkere Überwachung der Organisation gefordert. Das örtliche Bezirksamt sagte Scientology ausdrücklich den Kampf an und will die Bevölkerung – insbesondere die örtlichen Schulen – durch Informationsveranstaltungen auf den richtigen Umgang mit scientologischen Anwerbegespräche vorbereiten. Anwohner beschwerten sich nämlich über die penetranten Missionierungsversuche, die die Theaterchefin einer nahe gelegenen Bühne sogar dazu bewogen hatten, ein Schild „Hausverbot für Scientologen“ auszuhängen. Diese Überreaktion weckt schreckliche Erinnerungen und wird die Scientologen in ihrer Opferrolle und in der Überzeugung stärken, die Religionsfreiheit werde in Deutschland mit Füßen getreten.

Der Neuanfang in Berlin muss als Signal gedeutet werden, dass die Scientologen auch in Deutschland mehr gesellschaftlichen Einfluss nehmen wollen. Mit ihrem unangemessen großen Gebäude will die Organisation Aufmerksamkeit erregen und sich als seriöse Religionsgemeinschaft in repräsentativer Lage darstellen.

Eine Bewertung der scientologischen Lehre und Praxis erfordert ein richtiges Augenmaß. Mit gesundem Menschenverstand ist unverkennbar, dass Hubbards Dianetik-Buch, das ein Leitfaden für den menschlichen Verstand sein möchte, zu einer religiösen Alltagsbewältigung wenig beiträgt. Eher sieht man, dass hier ein phantasievoller Sciencefiction-Autor am Werk war. Mehr noch, das scientologische Kurssystem kann wirklich gefährlich werden. Denn die Mitarbeiter sind bestens geschult, Menschen mit vollmundigen Erfolgsversprechen zu locken und in das kostspielige Kurssystem einzuschleusen. Durch spezielle Techniken sollen die angeblich grenzenlosen Potentiale des menschlichen Geistes verfügbar gemacht werden. Wer möchte nicht gerne Ruhm und Erfolg ernten, an Einfluss und Macht gewinnen und sogar Macht über andere erhalten? „The American dream“ – zum Greifen nah in der deutschen Metropole mit knapp 20 Prozent Arbeitslosen.

Dass Krisen, Grenzen, Verlusterfahrungen und Scheitern zum Menschsein dazugehören und zu würdigen sind, wird im scientologischen Machbarkeitsdenken ignoriert. Gefährlich ist Scientology insbesondere wegen dieses Menschenbildes, das in jeder Seele nur eine zu optimierende Maschine sieht. Maschinen haben weder Rechte noch eine eigene Würde.


Michael Utsch