Matthias Roser

„Schöpfungswissenschaft“ an evangelikalen Bekenntnisschulen. Eine religionspädagogische Analyse

Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2018, 296 Seiten, 30,00 Euro.

Die Arbeit wurde 2017 als Dissertation im Fachbereich Praktische Theologie und Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster angenommen. Der Autor befasst sich mit charakteristischen und umstrittenen Ausdrucksformen des konservativen Protestantismus und geht ausführlich auf folgende Themenfelder ein: Kreationismus / Intelligentes Design, Organisationsformen und Anliegen evangelikaler Bekenntnisschulen, das pädagogische Wirken der Studiengemeinschaft Wort und Wissen (Baiersbronn), Schule und Unterricht im evangelikalen Kontext und in russlanddeutschen Milieus. Das Buch enthält umfangreiche Detailinformationen und ausführliche Darlegungen zum Selbstverständnis evangelikaler Bekenntnisschulen. Eine gewisse Strukturierung der Fülle des Stoffes erfolgt durch die religionspädagogische Perspektive der Ausführungen und durch Zusammenfassungen zentraler Ergebnisse der Analysen am Ende der jeweiligen Kapitel (92f, 147f, 207ff, 254f). Nach einführenden ausführlichen Hinweisen zur Vorgehensmethode, die sich am Instrumentarium qualitativer Sozialforschung und der Anwendung einer revidierten Grounded Theory und der wissenssoziologischen Diskursanalyse (24) orientiert, wird der Gedankengang in vier Schritten dargelegt.

Im Hauptteil I  (25-93) wird das Thema Privatschulen in den Kontext heutiger Bildungstrends gestellt. Dabei wird das Phänomen evangelikaler Privatschulen phänomenologisch, organisationsbezogen, analytisch und bildungstheoretisch entfaltet. Statistische Übersichten (u. a. 27-30, 38-49) belegen eindrucksvoll die wachsende Resonanz von Privatschulen und evangelikalen Bildungsinitiativen. Der Autor zeigt überzeugend auf, inwiefern ein wesentlicher Teil evangelikaler Bekenntnisschulen u. a. in russlanddeutschen Milieus verankert ist, welche Binnendifferenzierungen dieses Milieu mitbestimmen und inwiefern sich – etwa in Nordrhein-Westfalen – Verbindungen zu Migrations- und Integrationsfragen ergeben, denen eine besondere politische Aufmerksamkeit zukommt.

Der Hauptteil II  (93-165) behandelt die Themen „Schöpfungswissenschaft und Schöpfungsforschung“ in ihren evolutionskritischen Anliegen und ihrer Frontstellung zum Darwinismus und zu einer evolutionären Weltauffassung. Der Verfasser skizziert die anti-evolutionistischen Affekte im Kontext des konservativen, bibelfundamentalistischen und traditionalistischen Christentums umfassend, etwa auch im Bereich der römisch-katholisch geprägten Religionsphilosophie. Sein primäres Augenmerk gilt in diesem Kapitel der Studiengemeinschaft Wort und Wissen mit ihrem Verständnis von „Schöpfungswissenschaft und Schöpfungsforschung“, die in ihren Interessen dargestellt und in ihrem Einfluss auf die Bewegung evangelikaler Bekenntnisschulen im Verband Evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) aufgezeigt wird. Die Darlegungen zeigen die detaillierte Kenntnis der Studiengemeinschaft, eine bemerkenswerte Milieukenntnis und die Rezeption bisheriger Forschung zu dieser Thematik. Es wird aufgezeigt, welche Wirkungen die Studiengemeinschaft durch ihre Bildungsangebote und publizistischen Aktivitäten auf freikirchliche Gemeinschaftsbildungen hat, insbesondere auf die Brüderbewegung als „denominationellen Kontext evangelikaler Schulbuchproduktion“ (144).

Der Hauptteil III  (166-209) widmet sich dem von Fred Hartmann und Reinhard Junker herausgegebenen Schulbuch (bzw. Praxisband) „Bibel – Schöpfung – Evolution“, das 2009 publiziert wurde und dem „ca. 140 kopierfertige Materialeinheiten“ beigefügt sind. Das Buch versteht sich als Sammlung grundlegender Unterrichtsentwürfe, anhand derer das Verständnis einer evangelikal geprägten Bibelhermeneutik ebenso deutlich wird wie die evolutionskritischen Grundeinstellungen und die unaufgeklärte bibelhermeneutische Reflexion. Deutlich wird in diesem Kapitel auch, dass anti-evolutionistische Einstellungen Plädoyers für den Kurzzeitkreationismus, aber auch für das Konzept des Intelligent Designs nach sich ziehen. Bemerkenswert sind auch die Ausführungen des Verfassers zur „kybernetisch-lernzielorientierten Didaktik … der 1960er und 1970er Jahre“ (207), die im „schöpfungswissenschaftlichen Didaktizismus“ (ebd.) rezipiert wird und für ein Selbstverständnis des Lehrers anschlussfähig ist, dem die Rolle und Aufgabenstellung eines „Konversions-Agenten“ (229ff) bzw. des „Konversions-Begleiters“ (257) zugeschrieben wird.

Im Hauptteil IV  (210-260) wird das Schul- und Unterrichtsverständnis evangelikaler Bekenntnisschulen der Gegenwart behandelt. Dabei arbeitet der Verfasser konservativere und progressive Tendenzen im Kontext russlanddeutscher evangelikaler Bekenntnisschulen heraus und unterstreicht die Bedeutung, die die Narration vom Intelligenten Design und von der transzendenten Ursache alles Geschaffenen“ (257) in solchen Milieus hat, deren Selbstdefinition nicht allein abgrenzend ist. Es wird darauf hingewiesen, dass Teile der Schulbewegung innerhalb des russlanddeutschen Milieus für Transformationsprozesse stehen, die eher als weltzugewandt und nicht im Sinne eines Bibelfundamentalismus der Weltentsagung betrachtet werden können.

Ein ausführlichesQuellen- und Literaturverzeichnis (261-296), in dem Quellen unterschiedlichen Typs aufgeführt werden, schließt die Untersuchung ab. Der Autor hat das Thema vielperspektivisch bearbeitet. Er hat phänomenologische, hermeneutische, religionsdidaktische, konfessionskundliche Aspekte in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht. Die dargebotene Stofffülle, zahlreiche Einzelbeobachtungen, die Detailvielfalt, lange Zitate – nicht nur in den umfangreichen Anmerkungen, sondern auch im Text – erschweren allerdings die Lektüre.

In der Conclusio  des Buches(256-260) wird mit Recht die Notwendigkeit theologischer Auseinandersetzung mit bibelhermeneutischen Fragen unterstrichen. Ebenso wird mit guten Gründen eine Kritik der Unterbietung „kommunikationstheoretischer Standards im Kontext des Projekts der avisierten evangelikal-fundamentalistischen, religionspädagogischen Theoriebildung“ (259) gefordert. Der weitere wissenschaftliche Diskurs zu Themenbereichen wie Kreationismus, Intelligentes Design, Bildungskonzepte evangelikaler Bekenntnisschulen oder Studiengemeinschaft Wort und Wissen wird an Rosers Deskriptionen und Analysen nicht vorbeikommen.


Reinhard Hempelmann, Berlin, 05.10.2020