Ina Schmied-Knittel

Satanismus und ritueller Missbrauch. Eine wissenschaftssoziologische Diskursanalyse

Ina Schmied-Knittel, Satanismus und ritueller Missbrauch. Eine wissenssoziologische Diskursanalyse, Ergon-Verlag, Würzburg 2008, 179 Seiten, 28 Euro.


Über wenige Phänomene wird selbst unter Weltanschauungsbeauftragten so heftig und kontrovers diskutiert wie über die Faktizität des rituellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in satanistischen Zirkeln und Sekten. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Untersuchung von Ina Schmied-Knittel wird kaum zur Beruhigung der Gemüter beitragen. Denn während sich die Skeptiker bestätigt sehen dürften, ist auf der anderen Seite Entrüstung und heftige Kritik an der Verharmlosung vermeintlich schwerster Verbrechen zu erwarten. Denn die Autorin, Soziologin am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg im Breisgau, macht aus ihrer Überzeugung keinen Hehl. Der „öffentliche Diskurs zu Satanismus und rituellem Missbrauch“ habe die „spezifische Form eines virtuellen Problemdiskurses ... Gemeint ist eine charakteristische Form dessen, wie in der Postmoderne Realität diskursiv hergestellt wird“ (156). Mit anderen Worten: Es findet zwar ein realer Diskurs über rituellen satanistischen Missbrauch statt, der aber wiederum ist ein fiktionales Konstrukt und ließ sich durch Ermittlungen der Polizei und Justiz nicht verifizieren.

Wenn dem so ist, muss sich rekonstruieren lassen, wo, wann und wie der Diskurs begann. Tatsächlich gelingt es Ina Schmied-Knittel auf sehr glaubwürdige und überzeugende Weise zu zeigen, dass der Diskurs über rituellen Missbrauch quasi aus den USA importiert wurde, wo er Anfang der 80er Jahre einsetzte. Allerdings gab es auch hierzulande Ereignisse, die den Diskurs belebten, so z. B. die Ausstrahlung des ARD-„Tatorts“ mit dem Titel „Abschaum“ im April 2004. Einen ähnlichen Effekt hatten die ARD-Dokumentation „Höllenleben: Eine multiple Persönlichkeit auf Spurensuche“ aus dem Jahr 2001 sowie einige Bücher mit Erlebnissen von angeblichen Opfern rituellen Missbrauchs, die meistens kein noch so scheußliches Detail auslassen.

Ina Schmied-Knittel nimmt sich in ihrer Studie auch die einzelnen Gruppen der Diskursakteure vor, und unsereins liest natürlich mit besonderem Interesse ihre Ausführungen über das „apologetische Aufklärungsmilieu“, sprich die staatlichen, vor allem aber kirchlichen „Sektenexperten“. Und an diesem Punkt schießt die Autorin nun doch sehr über das Ziel hinaus, indem sie nämlich wahrzunehmen glaubt, dass diese Gruppe wesentlich zur Kontinuität des Diskurses beigetragen habe. Erstaunt nimmt man zur Kenntnis, dass die „Sektenexperten“ angeblich durch eine „rege Öffentlichkeitsarbeit und Medienpräsenz“ auffallen und – dieser Vorwurf ist dann doch ziemlich schwerwiegend – ein „Experten- und Zitationskartell“ bilden (94). Interessanterweise fehlt es auf den rund vier Seiten über das „apologetische Aufklärungsmilieu“ an Belegen für diese doch sehr verwegenen Thesen. Dass man sich innerhalb dieses angeblichen Milieus, wie bereits gesagt, alles andere als einig ist, dass zum Teil auch überzeugte Vertreter(innen) der Missbrauchsthese inzwischen ihre Meinung geändert haben, ist der Autorin im Eifer des Gefechts leider entgangen.

Doch dieser – wenn auch nicht unerhebliche – Schönheitsfehler des Buchs mindert seinen grundsätzlichen Wert nicht. Und so ist ihm zu wünschen, dass es endlich zu einer Versachlichung der Debatte über das vermeintliche Phänomen des satanistischen rituellen Missbrauchs beitragen wird.


Christian Ruch, Chur/Schweiz