Neue religiöse Bewegungen

Ryuho Okawa erstmals in Berlin (Kofuku no Kagaku)

Am 7. Oktober 2018 trat der Gründer und spirituelle Führer der japanischen neureligiösen Bewegung Kofuku no Kagaku, Ryuho Okawa, erstmals in Deutschland auf. So war es angekündigt, junge Japanerinnen verteilten auf Berliner Straßen und vor Bahnhöfen eifrig Werbebroschüren und gaben für eine „Spende“ von 50 Euro (mit Rabattgutschein 10 Euro) Eintrittskarten aus. Angekündigt war ein Vortrag des Bestsellerautors „über die Liebe jenseits aller Unterschiede“. Okawa erkläre „äußerst logisch, detailliert und universell in klarer Sprache, wie man verschiedene Herausforderungen im täglichen Leben überwindet oder das spirituelle Denken verbessert“.

Über Verlauf und Inhalt der Großveranstaltung im Ritz-Carlton-Hotel am Potsdamer Platz in Berlin hätte hier berichtet werden sollen. Allerdings – ich muss an dieser Stelle persönlich werden – wurde mir der Zutritt zu Berlins guter Stube verwehrt. Eine Anmeldung via E-Mail wurde abschlägig beschieden, man könne dem Wunsch „leider nicht nachkommen“, da „alle Tickets bereits reserviert“ seien. Zwei später (!) bei der intensiven Straßenwerbung erworbene Tickets wurden nicht anerkannt, eine Teilnahme sei für mich nicht möglich – „eine Entscheidung der Zentrale“, wie telefonisch zu erfahren war. Die Gründe für diese merkwürdige Wendung haben sich bisher nicht enthüllt. Wurden schlechte Erfahrungen gemacht? Sind kirchliche Weltanschauungsbeauftragte als Gäste unerwünscht? Es fällt freilich auf, dass direkt nach dem Ereignis praktisch kein Widerhall in Presse und Medien zu finden war.

Was ist das Besondere an Ryuho Okawa und seiner „Wissenschaft vom Glück“? Der „globale Visionär“, „Weltlehrer“ und Bestsellerautor Okawa will Menschen schlicht dabei helfen, „wahre Glückseligkeit zu finden und so eine bessere Welt zu erschaffen“. Dazu leiten die „Vier Prinzipien des Glücks“ an: Liebe, Weisheit, Selbstreflexion und Fortschritt bzw. Entwicklung. Gleich im Vorwort seines Bestsellers „Das Gesetz der Sonne“ spricht er – nach einem Hinweis auf die Tugend der Bescheidenheit, die viele nicht verstünden – davon, dass alle Leser des Buches ihren „‚gesunden Menschenverstand‘ mit dem Inhalt dieses Buches ersetzen“ sollen (alle Zitate, sofern nicht anders ausgewiesen, stammen aus der Werbebroschüre für die Veranstaltung in Berlin, in der Auszüge des Buches abgedruckt sind). Er rät zum Glauben an die Inhalte dieses Buches, „denn eines Tages, in einem späteren Leben, werden Sie es als Buddhistische bzw. Heilige Schrift vorfinden“ (so im Nachwort).

Die Lehren Okawas sind, zumal für „Westler“, nicht leicht verständlich. Weit ausgreifend thematisiert er Denker und Lehren aus den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte, angereichert durch – fiktiv erscheinende – Dimensionen spiritueller Welten und Generationen von spirituellen Führern, die den Geschichtsbüchern bisher fremd geblieben sein dürften. Die – geschichtlich bekannten oder mythologischen sowie die bisher unbekannten – Gestalten werden in verschiedene „Dimensionen“ bzw. „Reiche“ einer komplizierten Kosmologie eingezeichnet. Der in der höchsten Dimension weilende Ewige Buddha (Okawa spricht auch vom „Großen Kosmischen Geistwesen“) schafft große Geistwesen, die ihrerseits niedrigere Wesen und diese wiederum niedrigere Wesen schaffen, bis hin zu den terrestrischen und den menschlichen Geistwesen. In diesem quasi gnostischen System hat das, was wir „Seele“ nennen, wichtige Eigenschaften, vor allem die, frei schöpferisch zu handeln sowie das „Licht Buddhas“ zu sammeln, auszustrahlen und zu verstärken. Durch die Seele sind die Menschen Teil des Ewigen Buddhas. Auf allen Seinsebenen bzw. in allen Welten, in allen Wesen ist die Buddhaschaft angelegt und vorhanden. Das Böse ist kein inhärenter Teil der Seele, sondern die Behinderung der Erfüllung von Buddhas Plan. Es entsteht, „wenn zwei Seelen, die beide nach ihrer eigenen Freiheit streben, miteinander in Konflikt geraten“. Das Böse ist daher „nicht mehr als eine temporäre Verzerrung der Welt des Herzens oder der Welt der äußeren Phänomene“, es hat in diesem Sinne keine eigene Existenz, sondern tritt nur im Zusammenhang mit Handlungen zwischen mehreren Personen auf. Es kann daher auch vermieden oder beseitigt werden, etwa durch Selbstreflexion und die Bemühung, die dunklen Geister aus unseren Gedanken zu verbannen. Okawa vermittelt als Medium die Weisheiten und Botschaften von Religionsstiftern, Universalgelehrten und spirituellen Autoritäten von Mose und Buddha über Jesus Christus, Sokrates, japanische Religionsstifter wie Nichiren, aber auch Nostradamus und Isaac Newton bis zu Emanuel Swedenborg u. v. a. m. Mit ihnen kann der vierfache Pfad der Erleuchtung erfolgreich beschritten werden, ja allein darin liegt die Rettung: „Japaner, Ihr müsst bereuen und Eure Einstellung ändern. Menschen überall auf der Welt, erkennt die Ankunft des Letzten und Höchsten Retters an und nehmt ihn als das Evangelium an“ (aus dem Buch „Gesetz des Glaubens“).

Kofuku no Kagaku (Happy Science, früher „The Institute for Research in Human Happiness“, auf Deutsch „Wissenschaft vom Glück“) gehört zu den jüngsten Erscheinungen auf dem religiösen Markt Japans. 1986 gegründet, seit 1991 in Japan registriert, soll sie heute nach eigenen – sicher weit überzogenen – Angaben über 12 Millionen Anhänger haben (an anderer Stelle will sie „so viele Menschen erreicht haben“). Realistisch scheint eine Zahl unter 300 000 aktiven Mitgliedern.

Ihr Gründer Ryuho Okawa wurde unter dem Namen Takashi Nakagawa 1956 geboren. Er brach eine verheißungsvolle Karriere in der Wirtschaft ab (nach dem Studium Arbeit in einer Handelsfirma ab 1981), um mit dreißig Jahren die Religionsgemeinschaft zu gründen und religiöser Führer zu werden. Mit Großveranstaltungen und einer Vielzahl von Publikationen erreicht Okawa, der Hunderte Bücher geschrieben haben will, spirituell Suchende (Internetseite: über 2400 Werke, über 100 Millionen Mal verkauft, in 30 Sprachen). Er begann zunächst mit Botschaften aus der Geistwelt (automatisches Schreiben) und trat als spirituelles Channelmedium zur Vermittlung von Botschaften bedeutender religiöser Führer und großer Philosophen sowohl des Westens als auch des Ostens auf. Noch heute wird er „das größte Medium der Welt“ genannt. Später verschob sich der Selbstanspruch dahingehend, dass Okawa sich als niemand Geringeren als den wiedergeborenen Buddha selbst sah. Dies erfuhr 1991 noch einmal eine massive Erweiterung durch die „El Cantare Deklaration“, in der Okawa sich als die irdische Manifestation eines Wesens namens El Cantare verkündigt.1 Dies soll der eine und einzige höchste Gott sein, der eins Alpha genannt wurde, sich zu einem Teil in Shakyamuni Buddha manifestierte, ebenso in „Elohim“ des Alten Testaments und schließlich eben auch in Ryuho Okawa. Vermengt mit New-Age-Inhalten wie UFOs, mythischen Vorzivilisationen (Atlantis), der Bedeutung von Aliens u. a. wird der ganz große Bogen geschlagen, der dem Publikum übrigens mit Vorliebe durch eine Menge von religiösen Manga-Darstellungen nahegebracht werden soll.

Kofuku no Kagaku ist wie ein japanisches Wirtschaftsunternehmen organisiert, mit Vorstand und hierarchisch angeordneten Abteilungen und Unterabteilungen. Die Organisationsform hat die Verbreitung in mehr als 100 Ländern auf mehreren Kontinenten begünstigt. Die Zentrale befindet sich in Tokio, Zentren im deutschsprachigen Raum gibt es u. a. in Berlin, Wien und Luzern. Im Mai 2009 gründete die Religionsgemeinschaft eine eigene politische Partei unter dem Namen „Glücksrealisierungspartei“. Ihr Hauptziel ist es, „den Himmel auf Erden in dieser Welt zu schaffen“.

Eine direkt konkurrierende neureligiöse Bewegung war Omu Shinrikyo (Aum Shinrikyo, seit 2000 „Aleph“), die ebenfalls 1986 entstand und unter ihrem Führer Shoko Asahara (1955 – 2018) 1995 die verheerenden Giftgasanschläge in der Tokioter U-Bahn verübte. Dies sowie die in früheren Jahren aggressiven Expansionsmethoden etwa von Soka Gakkai – man denke auch an die in Japan starke Vereinigungskirche –, aber auch aggressive Aktionen der immer wieder als „rechtsnational“ bezeichneten Kofuku no Kagaku selbst trugen zu einem negativen Bild der japanischen Neureligionen bei. Auch hier gilt es jedoch, wie so oft, pauschale Verurteilungen zu vermeiden und die konkreten Problemkonstellationen genau zu analysieren, um der außerordentlichen Vielfalt des gesamten Spektrums vor dem Hintergrund der spezifischen japanischen religiösen Situation gerecht zu werden.


Friedmann Eißler
 

Anmerkungen

  1. Vgl. Franz Winter, Buddhas Wiedergeburt in Japan. Okawa Ryuho und die „Wissenschaft vom Glück“ (Kofuku no kagaku), in: MD 10/2007, 372-379, sowie ders., Hermes und Buddha. Die neureligiöse Bewegung Kōfuku no kagaku in Japan, Religiöse Gegenwart Asiens/Studies in Modern Asian Religions Bd. 6, Münster 2012.