Esoterik

Reluctant Messenger - eine gelungene Internetpräsentation im Zwielicht

Eine der weltweit meistbesuchten esoterischen Websites ist die über 500 Seiten starke http://www.reluctant-messenger.com. Ihr Titel "Reluctant Messenger of Science and Religion" lässt sich nur etwas holprig mit "Der widerwillige Botschafter von Wissenschaft und Religion" ins Deutsche übersetzen. Offenbar wird hier auf die Propheten der hebräischen Bibel angespielt, die ihr Amt oft nur widerwillig aufnahmen und manchmal erst posthum zu Ehren kamen.

Der Reluctant Messenger will eine Brücke zwischen wissenschaftlichem Weltbild und religiösem Empfinden schlagen. Aber auch innerhalb der Vielfalt und Widersprüchlichkeit religiöser Systeme sieht er sich als Vermittlungsinstanz. Das Projekt ist gewagt. Doch seit dem Start der Seite im Jahr 1997 erfreut sie sich anhaltender Beliebtheit. Woran mag das liegen? Ich denke, es sind drei gekonnt aufeinander abgestimmte Komponenten, die den Besuch dieser Website so attraktiv und spannend machen:

Die Message des Boten ist eingebettet in eine Novelle, die von einem Streitgespräch zwischen Vertretern von Wissenschaft und Religion handelt. Im Fortgang der Novelle werden die großen Menschheitsfragen "Wo komme ich her, wo gehe ich hin, was soll ich tun?" behandelt. Die Behandlung dieser Fragen erfolgt scheinbar völlig undogmatisch und tastet sich nur vorsichtig durch das Gestrüpp der Lehrmeinungen. Der Leser hat das Gefühl, selbst an der Untersuchung teilzunehmen. Dieser Effekt wird dadurch erzielt, dass der Text durchsetzt ist mit Querverweisen, im Internetjargon "link" genannt, die auf Nebenwege führen, jedoch letztlich wieder in den Hauptstrom einmünden. Dabei ist die technische Verarbeitung der Seite ausgezeichnet, eine Tatsache, die leider immer noch erwähnenswert ist. Der dritte Anziehungspunkt des Reluctant Messenger besteht in der Fülle des angebotenen esoterischen Materials. Angefangen von den kanonischen und außerkanonischen christlichen Dokumenten bis hin zu den Quellen der Weltreligionen und Religionssurrogate findet sich benutzerfreundlich und beinahe vollständig, was wie ein Rundgang durch die geistige Welt des 21. Jahrhunderts erscheinen mag.

Fast schon bescheiden treten die beiden Herausgeber der Website in Erscheinung, Dr. Stephen Boston und seine Frau Dr. Evelyn McKnight Boston. Stephen Boston ist Religionswissenschaftler mit Lehrauftrag an einer staatlichen amerikanischen Universität, seine Frau Evelyn ist promovierte Philosophin und arbeitet im Management einer internationalen Organisation.

Stutzig wurde ich, als ich einen der vielen links der Seite verfolgte. Doch schon auf der Startseite hätte mir auffallen können, dass eine Ausgabe der ausgewählten Schriften des Herbert W. Armstrong von demselben Stephen Boston besorgt wird, der auch das Reluctant Messenger-Projekt betreibt. Herbert Armstrong ist der 1986 verstorbene Gründer der Worldwide Church of God. Schon zu Lebzeiten galt er als sehr umstritten. Er war hartnäckigen Plagiatsvorwürfen ausgesetzt und Teile seiner Sonderlehren, wie z.B. die Herkunft der Amerikaner aus dem verlorenen hebräischen Stamm Dan, waren schlichtweg lächerlich. Absolut nicht amüsant sind die Vorwürfe des Inzests und der Pädophilie, die ihm von ehemaligen Anhängern öffentlich und unwidersprochen gemacht werden (http://www.home.datawest.et/esn-covery/artcls/incest.htm).

Welches Motiv den Religionswissenschaftler Stephen Boston treibt, die Ideen eines verschrobenen und moralisch anrüchigen Herbert Armstrong zu propagieren, bleibt sein Geheimnis. Der Reluctant Messenger scheint leider eine doppelte Botschaft zu haben.

Robert Berghausen, Köln