Vereinigungskirche

Religionsfrieden durch Herzensglauben – Das Stuttgarter „Haus der Religion“

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte … in diesem Fall sind es nicht mehr als ein paar blumenförmig aneinandergereihte längliche Ovale, die sich in der Mitte überlappen und somit eine kreisrunde Schnittmenge bilden. Die in Windeseile auf ein hervorgezaubertes Blatt Papier gekritzelte Zeichnung ist die Antwort einer jungen Muslima auf eine der zentralen Fragen, die einer Gruppe von Weltanschauungsbeauftragten bei ihrem Besuch im „Haus der Religion“ in Stuttgart auf den Nägeln brennt: Warum der Begriff der Religion hier, anders als bei den bekannteren „Häusern der Religionen“ in Hannover, Bern oder München, im Singular erscheint und nicht, wie es zu erwarten gewesen wäre, im Plural.

Immerhin gehören die „Hausbewohner“1, die sich auf der Klingelleiste des Stuttgarter „Hauses der Religion“ verzeichnet finden, durchaus unterschiedlichen religiösen Traditionen an: Da ist zunächst die 1994 aus der einstmals als „Mun-Sekte“ bezeichneten Vereinigungskirche hervorgegangene Gründungsgemeinschaft der Familienföderation für Weltfrieden und Vereinigung e. V. selbst. Anfang des neuen Millenniums mietete sie das geräumige Stockwerk am Stuttgarter Stadtrand an und rief 2011 das „Haus der Religion“ (HdR) ins Leben. Seither kommen hier regelmäßig, als „Mitbewohner“ des HdR, Angehörige des Alevitentums, der Gemeinschaft der Mandäer, der sufisch-islamischen Mihr-Stiftung, des Bruno-Gröning-Freundeskreises, der christlichen Wissenschaft, der Scientology-Organisation und eben auch der christlichen Kirchen zusammen, um dem Weltfrieden und dem Dialog der Religionen gewidmete Veranstaltungen auf die Beine zu stellen und nebenbei persönliche Kontakte zu pflegen.

Das sich nicht selbsterklärende Bild von den sich blumenförmig überlappenden Ovalen gibt der jungen Muslima, einem Mitglied der Mihr-Stiftung3, die Gelegenheit dazu, die Philosophie des HdR und mit ihr den Singular kurz zu erläutern. Die blumenförmig angeordneten Ovale, so führt sie aus, stehen exemplarisch für die Religionen und Weltanschauungen dieser Welt, die bei aller Differenz in einer gemeinsamen, einen Kreis bildenden Schnittmenge konvergieren: konkret in der Menge all jener Menschen, die jenseits dogmatischer Abgrenzungen und historisch-kultureller Unterschiede „mit ihrem Herzen glauben“. Sie nehmen damit, von grenzüberschreitender Spiritualität durchdrungen, schon jetzt jene weltumspannende harmonische Einheit des Menschseins vorweg, wie sie die Religionen als ihr erst zukünftiges Ziel imaginieren.

Eine ähnliche religiöse Sehnsucht, wenngleich noch stärker auf das Christentum beschränkt, hatte den Koreaner Sun Myung Moon (dt. auch San Myung Mun; 1920 – 2012) 1954 dazu bewogen, seine „Heilig-Geist-Gesellschaft zur Vereinigung des Weltchristentums“, die spätere Vereinigungskirche (VK), zu gründen. Als Gegenideologie zu der das koreanische Volk spaltenden Ideologie des Kommunismus empfahl er den sogenannten „Gottismus“, einen religiös verbrämten extremen Antikommunismus. Als seine Bewegung nach dem Zusammenbruch des Ostblocks einen Teil ihres Feindbildes verlor, suchte Moon dem drohenden Mitgliederschwund mit der Ausweitung seiner ökumenischen Ziele entgegenzuwirken: Er entdeckte den interreligiösen Dialog als Plattform, um die zentralen Themen seiner Vereinigungskirche (Frieden, Frauen und Familie) auf globalerer Grundlage zu bewerben. Und er brachte mit der 1994 erfolgten Gründung der Familienföderation für Weltfrieden und Vereinigung zugleich deren Neuformierung auf den Weg. An die Stelle des ursprünglichen Zieles einer spirituellen Erneuerung und Wiederbelebung des Christentums trat das nochmals weit ambitioniertere Engagement, im Rahmen einer die kirchlichen Grenzen überschreitenden Vereinigungsbewegung alle politischen und religiösen Mächte auf die Förderung des Weltfriedens zu verpflichten und die Religionen zu einer großen Weltökumene zu vereinigen. Organisationen wie die Universal Peace Federation (UPF, gegr. 2005) oder die Global Peace Foundation (GPF, gegr. 2007) operationalisieren dieses Engagement auf Weltebene und verfügen, nur lose mit der für die Theologie und die Mitgliederwerbung zuständigen Vereinigungskirche verbunden, in ihren Aktivitäten über sehr viel größere Spielräume als die VK selbst.

Schon Jahrzehnte zuvor hatte Moon in seiner Schrift „Das Göttliche Prinzip“ (1966 engl., dt. 1973) den christlichen Kirchen vorgeworfen, in der ihnen zentral überantworteten Aufgabe der Friedensförderung schmählich versagt zu haben. Die Begründung für dieses Versagen lieferte Moon gleich mit: mit dem Hinweis auf den ausgrenzenden Exklusivismus ihrer allein an Tod und Auferstehung Jesu Christi gebundenen Erlösungslehre. Ihr setzte Moon die universale Möglichkeit einer natürlichen Erfüllung des biblischen Schöpfungsideals entgegen. Die am kirchlichen Christentum monierte Exklusivität trat hier gleichwohl nur in veränderter Gestalt auf: Nun waren es eben die in Moon und seiner Gattin repräsentierten, die wahre heilbringende Abstammungslinie begründenden Stammeltern, denen es zur Wiederherstellung der schöpfungsgemäßen Verhältnisse nachzufolgen galt.

Das Lamento über das Versagen der Kirchen und deren als ausgrenzend gelesene Dogmen war es auch, das die beim Treffen im Stuttgarter HdR Anwesenden über die Grenzen ihrer unterschiedlichen kulturellen, religiösen und konfessionellen Herkünfte hinweg miteinander verband. In einer ausgedehnten Vorstellungsrunde begründeten sie in zum Teil sehr persönlichen und eindrücklichen Narrativen ihre Zugehörigkeit zum HdR. Dabei gaben sie zugleich ein eindrückliches Zeugnis dafür, in welchem Maße eine religionsübergreifende Sehnsucht nach weniger Abgrenzung und mehr Harmonie und Frieden zwischen den Religionen die Angehörigen des reformierten, lutherischen oder römisch-katholischen Christentums mit den Anhängern anderer Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften zusammenzuführen vermag.

In dieser ins Universale ausgreifenden Perspektive dürfte auch einer der Gründe dafür liegen, dass die zahlreichen, neuerdings im Stuttgarter „Rat der Religionen“4  vertretenen Glaubensgemeinschaften der sog. Big Five (Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und Hinduismus) sowie deren oft als „heterodox“ gelesene Ableger (z. B. Ahmadiyya, Bahá’i, Yeziden, diverse christliche Freikirchen wie die Siebenten-Tags-Adventisten u. v. m.) nicht zu den Mitbewohnern des HdR gehören. Erstere verbinden ihr interreligiöses Engagement mit dem sehr viel pragmatischeren und konkreteren Ziel der Förderung integrativer zivilgesellschaftlicher Arbeit im Südwesten der Republik und dürften die Hausordnung5  des HdR wohl als eine allzu steile Eintrittsbedingung in das interreligiöse Miteinander empfinden. Diese spricht von einem „ständigen Wachstumsprozess … hin zu einer universelleren Homogenität und einer endgültigen globalen Einheit“ (II.1)6, konkreter noch von einem „Weltforum der Weltglaubensgemeinschaften“, das sich unter dem Namen der „Organisation der Vereinten Religionen“ den „Vereinten Nationen“ als religiöser Kooperationspartner anzubieten habe.7  Die Pluralität religiöser und weltanschaulicher Wahrheitsansprüche wird hier nicht als ein den eigenen Wahrheitsanspruch herausforderndes Lern- und Bewährungsfeld verstanden, sondern als etwas, was es – als Störfaktor eines gedeihlichen gesellschaftlichen Miteinanders – auf lange Sicht hin zu überwinden gilt: eben auf dem Wege der Konzentration auf die den unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen gemeinsame, in der Zeichnung der jungen Muslima als runder Kreis markierte Schnittmenge. 

Aus der Perspektive der dem sufischen Islam nahestehenden Zeichnerin und aller weiteren Mitbewohner des HdR gelesen, wäre dieses den Singular Religion in seinem Namen tragende Stuttgarter „Haus“ anderen interreligiösen Begegnungsforen im deutschsprachigen Raum einfach nur einen Schritt voraus: Den zuweilen anstrengenden Niederungen des interreligiösen Dialogs enthoben, (er)lebt es – wenngleich auch in einem bislang noch sehr überschaubaren Kreis – schon jetzt, was andere erst für die Zukunft verheißen: eine universale Spiritualität, hinter der alle kulturellen und weltanschaulichen Differenzen zurücktreten (müssen).

Rüdiger Braun, 07.11.2022


Anmerkungen

1  www.haus-der-religion-stuttgart.de/hausbewohner-klingel.html (Abruf der Internetseiten: 4.11.2022)
 www.haus-der-religion-stuttgart.de/index.html
 www.mihr-germany.com
 https://ratderreligionenstuttgart.wordpress.com.
5  http://www.haus-der-religion-stuttgart.de/interreligioese-richtlinien.html.
6  http://www.haus-der-religion-stuttgart.de/erklaerung-der-richtlinien.html
7  Richtlinien VIII.8 (Originaltext 1994; bearbeitet im Februar 2003 von Lucien F. Cosijns, Mortsel / Belgien).