Jochen Schmidt (Hg.)

Religion und Sexualität

Jochen Schmidt (Hg.), Religion und Sexualität, Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft, 13, Ergon Verlag, Würzburg 2016, 235 Seiten, 45,00 Euro.

Der hier vorliegende Sammelband ist nicht zu verwechseln mit dem von Martin Neuhauser herausgegebenen Band „Religon(en) und Sexualität“ (2011).Während die letztgenannte Publikation in direkter Reaktion auf die Diskussionen um Fälle sexuellen Missbrauchs in kirchlichen Einrichtungen entstand, wird im Vorwort des hier besprochenen Bandes kein konkreter Anlass für das Aufgreifen der Thematik genannt. Die Veröffentlichung geht auf eine Vorlesungsreihe zurück, die 2012/13 an der Universität Bonn gehalten wurde, umfasst aber auch Beiträge, die unabhängig von dieser entstanden.

Der Band enthält sieben Beiträge, wobei der Schwerpunkt klar auf Perspektiven aus der biblischen Tradition liegt. Im ersten Beitrag befasst sich die Pfarrerin Cordula Trauner nach einem historischen Überblick über Forschungen zur Homosexualität mit den Verboten homosexueller Handlungen im Ersten Testament, wobei sie diese kontextualisiert. Sie versteht ihren Beitrag auch als Kommentar zu den Diskussionen um die Zulassung gleichgeschlechtlicher Ehen innerhalb der EKD (10) und zeigt auf, warum mit Bezug auf alttestamentliche Textstellen nicht gegen die Segnung oder Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen argumentiert werden kann.

Irmgard Rüsenberg präsentiert einen Aufsatz mit dem Titel „Verbotene Lust. Grenzziehungen und Selbstermächtigung im zweiten Schöpfungsbericht“, der eine kritische Auseinandersetzung mit Eugen Drewermanns Lesart des sog. Sündenfalls darstellt. Die Autorin sieht in dessen Interpretation einen Zirkelschluss zwischen Theologie und psychoanalytischer Theorie und stellt ihre Interpretation, die ebenfalls auf Überlegungen aus der Psychoanalyse zurückgreift, entgegen.

Der Bonner Neutestamentler Günter Röhser befasst sich mit dem Thema Homosexualität im Neuen Testament. Dabei hat er nicht reißerische Diskussionen um angeblich homosexuelle Beziehungen Jesu im Blick (49), sondern die Briefliteratur mit ihren Lasterkatalogen (1. Kor 6,9f; 1. Tim 1,10; Röm 1,26f). Der Autor schließt seinen Beitrag ab mit einem Verweis auf die Übersetzungsproblematik mit direktem Bezug auf die Übersetzung von 1. Kor 6,9f in der „Bibel in gerechter Sprache“.

Susanne Talabardon, Professorin für Judaistik (Uni Bamberg), befasst sich mit der Frage, wie die einleitende Formulierung des Psalms 22, die wohl ursprünglich eine Gesangsanweisung darstellte, bei den Rabbinen und in der kabbalistischen Literatur gedeutet wurde. Sie zeigt auf, wie die kabbalistische Deutung, die unter Einbezug des Schekhina-Konzeptes hier eine weibliche Dimension Gottes repräsentiert sieht, sich auf Ritus und Ethos des Ehevollzugs auswirkt.

Der Beitrag des Neutestamentlers Martin Leutzsch von der Universität Paderborn fällt mit seinem Umfang von fast hundert Seiten aus dem Rahmen. Er stellt in einer materialgesättigten Darstellung die mittlerweile wohl unüberschaubare Literatur zu angeblichen Liebesaffären und sexuellen Beziehungen Jesu zu Frauen dar und verortet die Publikationen in ihren jeweiligen Entstehungsdiskursen. Dabei zeigt er auf, dass dieser Topos mit wenigen Ausnahmen letztlich im 19. Jahrhundert aufkommt. Auch muslimische Autoren gehen vor dem 19. Jahrhundert von einem unverheirateten Jesus aus (178), der aber in einigen Traditionen nach seiner Wiederkunft eine (arabische) Frau heiraten wird (178).

Der Beitrag Regina Höfers fällt ebenfalls aus dem Rahmen des Buches, in diesem Fall thematisch. Er befasst sich mit zeitgenössischer tibetischer Kunst und ihren Bezügen zum Kunstschaffen aus der trantrischen Tradition des Buddhismus. Der Aufsatz, in dem die Autorin insbesondere den Künstler Kesang Lamdark vorstellt, der sich selbst der „Neo-Tantric Art“ zurechnet (206), verlässt den Bezugsrahmen des Christentums und des Judentums, der die anderen Beiträge untereinander verbindet.

Der abschließende Beitrag stammt vom Herausgeber, dem Paderborner Professor für Systematische Theologie Jochen Schmidt. Er befasst sich mit Möglichkeiten der ethischen Bewertung von Pornographie und sucht Bewertungszugänge, die jenseits der traditionellen kirchlichen Ablehnungsmuster liegen, welche er letztlich in unreflektierter Sexualfeindlichkeit begründet sieht (227ff). Um diese Bewertungsmaßstäbe ausfindig zu machen, begibt er sich auf eine Spurensuche in feministischen und gendertheoretischen Diskursen um Pornographie. Letztlich kann er nach dieser Spurensuche nur auf divergierende Standpunkte verweisen und bietet keine Bewertungskriterien aus theologischer Perspektive. Er zieht ein letztlich ausweichendes Fazit, wenn er formuliert: „Jenseits von Prüderie und Sexualfeindlichkeit scheint es gerade für die theologische Ethik geboten, zum aufmerksamen Umgang mit Pornographie zu mahnen …“ Wie die von ihm eingeforderte Vermittlung von „Kompetenzen im Umgang mit Pornographie“ (235) in der Schule sich gestalten soll, führt er nicht aus.

Der Band bietet keine allgemeine Einführung in das durch die Titelstichwörter gekennzeichnete Themenfeld. So findet sich kein Beitrag, der sich dem Thema „Religion und Sexualität“ in einer systematischen, aus einem religionsvergleichenden Ansatz gespeisten Perspektive annähert. Die Publikation fasst Aufsätze unterschiedlicher Zielsetzung zusammen, einerseits solche, die sich durchaus als Diskussionsbeiträge für innerkirchliche Debatten verstehen (Cordula Trauners Beitrag hinsichtlich der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen innerhalb der EKD, Jochen Schmidts hinsichtlich der Bewertung von Pornographie). Andererseits finden sich Texte, wie derjenige Martin Leutzschs, die z. B. für schulische Alltagssituationen recht praktisch sein können, spätestens wenn man zum x-ten Mal damit konfrontiert wurde, dass ein Schüler Dan Brown oder Ähnliches als Quelle für ein Referat nutzte. Und dann stößt man noch auf durchaus interessant zu lesende Beiträge, die aber doch eher der feinfühligen Pflege der wissenschaftlichen Orchidee entstammen. Im Blick auf diese Disparität verwundert es nicht, dass der Herausgeber auf eine für solche Bände übliche in die Beiträge und ihren Zusammenhang einführende Einleitung verzichtet hat.


Harald Grauer, Sankt Augustin