Liane Wobbe

Religiöse Feste in der Diaspora

Traditionsveränderung und öffentliche Präsenz (Teil 2)

Der erste Teil des Beitrags „Religiöse Feste in der Diaspora“ erschien in MD 4/2012, S. 135-140). Darin standen jüdische, christlich-orthodoxe und muslimische Feste im Mittelpunkt. Es folgt nun der zweite Teil, in dem es vor allem um hinduistische und buddhistische Traditionen geht. Chancen zum Kennenlernen und zur Integration fremdkultureller Feste in Deutschland werden aufgezeigt.

 

Süßigkeiten für Ganesha

Mit dem hinduistischen Fest Ganesha Chaturthi wird im indischen Monat Bhadrapad (August/September) am vierten Tag nach Neumond in ganz Indien der Geburtstag des elefantenköpfigen Gottes Ganesha gefeiert. Das Fest basiert auf der Geburtsgeschichte im Shiva-Purana, nach der die Göttin Parvati Ganesha aus Lehm erschuf und ihm Leben einhauchte.1

Auch in Deutschland begehen viele Hindus dieses Fest in der Familie. Am Morgen und am Abend wird die Statue des Gottes aus dem häuslichen Götterschrein gehoben und mit einer Zeremonie bedacht, die Puja genannt wird. Familienmitglieder übergießen den Hindu-Gott mit Wasser, kleiden ihn neu an und zünden Räucherstäbchen und Lichter an. Nach ritueller Vorschrift erhält Ganesha an diesem Tag 21 Geschenke. Dazu gehören ein Trank aus gemixter Milch, Joghurt, Honig, Zucker und Wasser, außerdem verschiedene Blumen und Grashalme. Auch bietet man ihm 21 Laddoos an, das sind süße Kugeln aus Kichererbsenmehl. Diese Kugeln verteilt man anschließend an so viele Leute wie möglich, und man wünscht sich gegenseitig: „Happy Ganesha Chaturthi!“ (Frohes Ganeshafest!).

Da indische Hindus im Unterschied zu sri-lankischen bis heute in Deutschland keinen eigenen Tempel besitzen, feiern sie ihre Feste in gemieteten Festsälen. In Berlin versammeln sich seit sechs Jahren Hindus aus verschiedenen Regionen Indiens in einer Sporthalle in der Hasenheide zum Ganeshafest, um der Ganesha-Puja eines Priesters beizuwohnen. Als Kultobjekt dient hier eine fest installierte Steinfigur des Gottes, die von einem Hindu-Priester mit einer feierlichen Zeremonie bedacht wird. Während der Priester besondere Mantren für Ganesha rezitiert, übergießt er die Statue des Gottes mit Wasser, Honig, Öl, Milch und Joghurt, opfert ihr Blüten und Grashalme und schwenkt Lichter und Räucherstäbchen vor dem Gesicht der Gottheit. Gekochte Speisen, Obst und Kokosnüsse werden von den Besuchern vor den Schrein gelegt, damit Ganesha diese Gaben weiht. Ein Teller mit der sogenannten Arati-Flamme wird herumgereicht und von den Anwesenden mit den Händen berührt. Mehrere Frauen tragen Lieder in Sanskrit vor. Zum Schluss werden die von Ganesha geweihten Gaben gemeinsam verzehrt.2

Ein Beispiel öffentlicher Präsenz hinduistischer Feiertage bieten Ter Tiruvilas. Diese Feste, bei denen bestimmte Hindu-Götter auf einem bunt geschmückten Wagen durch die Straßen gefahren werden, sind vor allem in Südindien und Sri Lanka beheimatet. Aber auch in Deutschland werden in verschiedenen Städten einmal jährlich solche Götterprozessionen durchgeführt, und zwar von tamilischen Hindus aus Sri Lanka. Als größtes Tempelfest, bei dem die tamilische Göttin Sri Kamakshi Ampal herumgefahren wird, gilt das Tiruvila in Hamm-Uentrop.3 In Berlin findet für den tamilischen Gott Murugan am 24. Tag des südindischen Monats Purratati (August/September) ein großes Ter-Tiruvila-Fest statt. An diesem Tag wird die Statue des Gottes in einem großen Straßenkarree um den Sri Mayurapathy Murugan Tempel gefahren, begleitet von der sri-lankisch-tamilischen Hindu-Gemeinde. Hindus wie Nichthindus werden schon einige Wochen vorher dazu eingeladen. Während dieses Umzugs führen die Priester öffentliche Opferzeremonien durch, Männer in langen weißen Hüfttüchern zerschlagen Kokosnüsse, gepiercte Tänzer bewegen sich zum Takt von Trommeln und indischen Blasinstrumenten, in Saris gehüllte Frauen singen tamilische Hymnen für Murugan. An den Straßenecken stehen kleine Imbissstände, und es wird Essen an die Passanten verteilt.4

In Deutschland feiern Hindus ihre Feste meist an den Tagen, die der eigene astrologische Kalender vorgibt. Sri-lankische Hindus besitzen mit ihren Tempeln feste Kultstätten, an denen die Priester die festlichen Rituale für die Götter zu jeder Tageszeit zelebrieren, auch in der Nacht. So haben auch Schüler und Arbeitende Gelegenheit, die Festveranstaltungen zu besuchen. Indische Hindus mieten in der Regel Räume an und verlegen ihre Feste aufs Wochenende. In beiden ethnischen Gruppen ist somit keine Arbeits- oder Schulbefreiung nötig. Eine solche terminliche Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft führt zu einer Verschiebung der Priorität einer rituell vorgeschriebenen Kultzeit zugunsten der zeitlichen Verfügbarkeit der Religionsmitglieder.

Während in Indien die Götter zu den traditionellen Festen durch die Straßen gefahren und zu Ganesha Chaturthi Götterfiguren aus Lehm sogar rituell im Fluss versenkt werden, lassen indische Hindus in Deutschland die Kultfiguren an ihrem Platz. Zudem treten an die Stelle kultischer Handlungen hier oft kulturelle Darbietungen. Bestand bei der rituellen Benutzung bestimmter Pflanzen, Speisen und Gegenstände im Herkunftsland immer ein mythologischer und saisonaler Bezug, ist dieser in Deutschland oft nicht mehr gegeben. So erhalten die Hindu-Götter hier z. B. Astern und deutsche Grashalme anstelle von Jasminblüten und indischem Darbha-Gras.

Ein Beispiel für den Einfluss weihnachtlicher Bräuche bietet das Fest Pancha Ganapati. Es findet vom 21. bis 25. Dezember statt und wurde analog zum christlichen Weihnachtsfest für Hindus in der Diaspora kreiert. Neben Zeremonien für Ganesha erhalten die Kinder an fünf Tagen Geschenke, die sie vor Ganesha legen und am fünften Tag öffnen.5

Die Feste indischer wie sri-lankischer Hindus finden meist hinter den Wänden von gemieteten Räumen oder Tempelmauern statt. Allein das Ter Tiruvila, das von sri-lankisch-tamilischen Gemeinschaften in vielen deutschen Städten organisiert wird, stellt eine visuell, akustisch und kulinarisch erlebbare Veranstaltung dar, auf der – wie bei keinem anderen religiösen Fest in Deutschland – religiöse Zeremonien mit vielfältigen Kultelementen in der Öffentlichkeit zelebriert werden.

Ein Bad für Buddha

Das Vesak-Fest, in Indien und Sri Lanka am Vollmondtag des indischen Monats Vaisak (April/Mai) gefeiert, gilt in allen buddhistischen Ländern als wichtigstes Fest, da man hier Buddhas Geburt, seiner Erleuchtung und seines Eingehens ins Nirwana gedenkt. Während es in Thailand „Visakha Bucha“ und in Vietnam „Phat Dan“ genannt wird, heißt es in China „Guanfo“. Auch in der deutschen Diaspora wird Vesak von buddhistischen Familien verschiedener Herkunftsländer feierlich begangen. Buddhisten aus Sri Lanka z. B. zünden in ihren Wohnungen Öllampen an. Manche Gläubige fasten von Mittag bis zum nächsten Morgen. Unter sri-lankischen und thailändischen Buddhisten ist es auch üblich, zu diesem Fest Mönche nach Hause einzuladen und von ihnen Geschichten über Buddhas Leben zu hören. Das Spenden von Speisen und Kleidung an Mönche und Nonnen sowie Arme und Bedürftige hat in dieser Zeit große Bedeutung. Viele Buddhisten aus Sri Lanka tragen weiße Kleider und besuchen den Tempel.

Außer durch Rituale im familiären Rahmen wird das Vesak-Fest in Deutschland auch in nahezu allen buddhistischen Tempeln festlich begangen. So treffen sich Sri Lanker und Thailänder, Vietnamesen und Chinesen in ihren Zentren und gestalten das Fest mit ihren Landsleuten nach der jeweiligen Tradition. Im taiwanesischen Tempel in Berlin kommen zu diesem Fest zahlreiche chinesischstämmige Buddhisten zusammen und bringen Blumen und Geldspenden für den Tempel sowie Opfergaben für ihre verstorbenen Angehörigen. Die hier amtierenden buddhistischen Nonnen rezitieren Verse. Den Höhepunkt bildet das Übergießen der Buddha-Statue mit Wasser. Dazu stellen sich alle Besucher in einer langen Reihe auf und lassen mit einer Kelle parfümiertes Wasser über eine am Altar aufgestellte Buddha-Figur laufen. Anschließend wird gemeinsam ein großes vegetarisches Essen eingenommen, das vor allem aus Nudelsuppen, Reis und Tofugerichten besteht. Den Abschluss bildet ein Kulturprogramm mit chinesischen Liedern und Tänzen.

Eine bedeutende rituelle Veränderung besteht beim Vesak-Fest darin, dass sich die Verehrung des Buddha in der Diaspora nur in den Tempelgebäuden abspielt, während in Sri Lanka und Thailand große Prozessionen der Buddha-Statuen auf der Straße durchgeführt werden. Das Vesak-Fest wird auch von einer größeren Anzahl deutscher Bürger besucht. In Berlin z. B. laden die taiwanesische und die sri-lankische Gemeinde die Bewohner des jeweiligen Stadtteils zu diesem Fest ein. Auch ist das Interesse der Deutschen am Buddhismus so groß, dass es zahlreiche von Deutschen geleitete, meist tibetisch orientierte buddhistische Zentren gibt, die eigene Vesak-Feste durchführen.

Ein weiteres wichtiges Fest für thailändische und sri-lankische Buddhisten ist Kathina. Es findet am Ende der Regenzeit, nach singhalesischem Kalender im Monat Il (Oktober/November) statt. Während der Regenzeit dürfen die Mönche das Kloster nicht verlassen, und zum Kathina-Fest erhalten sie von den Laien neue Roben. Anlass für diese Tradition ist eine Geschichte im Kathina-Kapitel des buddhistischen Werkes Mahavagga, in der Buddha seinen Mönchen gebietet, während der Regenzeit eine Robe zu nähen, die dann geteilt werden soll.6

Im Buddhistischen Haus in Berlin-Frohnau treffen sich jedes Jahr die sri-lankische und die thailändische Gemeinde, um gemeinsam Kathina zu begehen. Mönche in orange-gelben Roben sitzen an einer langen Tafel und erklären den Gästen thailändischer, sri-lankischer und kambodschanischer Herkunft die Bedeutung des Festes. Nach dem gemeinsamen Gebet „Namo tassa bha­gavato“ (Verehrung Ihm, dem Erhabenen) werden zahlreiche gekochte Speisen auf den Tisch gestellt. Es gilt als besonders verdienstvoll, wenn Besucher den Mönchen etwas von dem Essen auf den Teller geben. Anschließend können sich die Gäste selbst am Buffet bedienen. Während das sri-lankische Essen rein vegetarisch ist, enthalten die thailändischen Speisen reichlich Fleisch und Fisch. Den Höhepunkt des Festes bildet die feierliche Übergabe der Roben an die Mönche, wobei ein Mönch für den Erhalt einer besonderen Robe ausgewählt wird. Neben den Roben spenden die Tempelmitglieder auch Geld, Nahrungsmittel und alle Utensilien, die die Mönche im Tempel benötigen.

Die buddhistischen Festtage werden in Deutschland nur in der Familie an den Tagen begangen, die der religiöse oder astrologische Kalender vorgibt. Religiöse Festrituale in den Kultgebäuden dagegen finden, ähnlich wie bei indischen Hindus, meist erst am darauffolgenden Wochenende statt.

Traditionsüberlagerung

Jedes Fest hat seinen mythologischen und historischen Ursprung und ist eng mit einem bestimmten Kulturkreis verbunden. Kommen Feste in andere geografische, klimatische und soziale Gefilde, hat das eine gewisse Überfremdung zur Folge. So passen Geschichten von einem Auszug aus Ägypten, einer Opferung in Mekka, einer Reisernte in Indien oder einer Regenzeit in Sri Lanka nicht unbedingt in das gegenwärtige klimatische und kulturelle Umfeld der Gläubigen. Sie trotzdem jedes Jahr und fern der Heimat aufs Neue zu lesen, zu erzählen oder zu spielen, hat verschiedene Funktionen: geschichtliche und kulturelle Situationen des Ursprungslandes zu vergegenwärtigen, die Geschichte und die Mission der eigenen religiösen Gruppe zu demonstrieren sowie individuelle und kollektive Glaubensaussagen daraus abzuleiten.

Religiöse Feste werden im Laufe der Zeit mit Elementen versehen, die aus verschiedenen Kulturen stammen. So sind auch in unser Oster- und Weihnachtsfest zahlreiche germanische und slawische Bräuche eingeflossen, wie das Aufstellen eines Weihnachtsbaumes oder das Bemalen von Ostereiern. Und geradezu orientalisch aufgeladen wird die Vorweihnachtszeit mit asiatischen Gewürzen wie Koriander, Kardamom und Ingwer im Weihnachtsgebäck sowie Düften von Weihrauch und Sandelholz in den Wohnräumen.

In muslimische, jüdische und hinduistische Festzeiten wiederum hat sich in Deutschland der westliche Brauch der Bescherung eingeschlichen. Das Weihnachtsfest selbst wird mittlerweile von vielen Einwandererfamilien partiell adaptiert. So erhalten viele Kinder in Deutschland, deren Eltern aus muslimischen, hinduistischen oder buddhistischen Ländern stammen, Geschenke zu Heiligabend. Einige Eltern kaufen sogar auf Wunsch der Kinder einen Weihnachtsbaum. Und Weihnachtsdekorationen finden sich nicht nur in deutschen, sondern mittlerweile auch in arabischen, türkischen und indischen Restaurants.

Integration fremdkultureller Feste

Die meisten Festrituale, die sich im Herkunftsland im Freien außerhalb von Familie und Kultstätte abspielen, finden in der Diaspora keine oder nur teilweise Umsetzung. So werden in Deutschland keine Schofar-Hörner außerhalb von Synagogen geblasen, keine Picknicks für Tote auf russisch-orthodoxen Friedhöfen veranstaltet, Hindu-Götter nicht in Flüssen versenkt und Buddha-Statuen nicht durch die Straßen gefahren.

Woher erfahren Deutsche von den Festen ihrer arabischen, indischen, türkischen oder vietnamesischen Mitbürger, wenn in den deutschen Kalenderausgaben fremdreligiöse Feiertage nicht erwähnt werden? Wie kommen sie mit fremdkulturellen Festtraditionen in Berührung, wenn diese in Deutschland eher hinter Mauern durchgeführt werden? Wie viele deutsche Bürger wissen, was sie ihren arabischen oder türkischen Nachbarn zum Ende des Ramadans wünschen sollen?

Obwohl große Bevölkerungsteile in unserem Land Feste ihrer Religion und Kultur feiern, bekommt man, wenn man nicht gerade arabische, türkische oder indische Freunde oder Nachbarn hat, von den Feierlichkeiten nicht sehr viel mit. Nur Deutsche, die Beziehungen zu Angehörigen anderer Religionen pflegen oder zufällig kurz vor dem Fest ein religiöses Gebäude besichtigen, erhalten eine Einladung. Manche Botschaften oder Kulturvereine richten Feiern aus, zu denen dann auch deutsche Besucher eingeladen werden. Erscheint man auf diesen Festen, egal ob eingeladen oder nicht, ist man als Gast immer herzlich willkommen und wird reichlich mit Essen bewirtet.

In einer multikulturellen Gesellschaft wäre es begrüßenswert, wenn Feste anderer Religionen und Kulturen eine stärkere öffentliche Präsenz hätten. Einige Bemühungen der deutschen Gesellschaft hinsichtlich der Integration fremdkultureller Feste in den deutschen Alltag sind ja auch schon zu verzeichnen. So kann die Umbenennung des Begriffs „kirchliche“ in „religiöse“ Feiertage im Gesetz über die Sonn- und Feiertage in Berlin als Zeichen religiöser Öffnung und Toleranz gewertet werden. Nach diesem Gesetz stehen Schülern und in einer Ausbildung oder einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Angehörigen einer Religionsgesellschaft am ersten Tag ihrer Festzeiten Freistellungsansprüche zu. Beamte nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften haben das Recht, Sonder- oder Erholungsurlaub zu beantragen. Bei gleitender Arbeitszeit besteht darüber hinaus die Möglichkeit, stundenweise, z. B. zum Besuch des Gottesdienstes, der Arbeit fernzubleiben.7

Positive Beiträge in Bezug auf die Integration fremdkultureller Feiertage in den deutschen Alltag finden sich auch in einigen Bildungseinrichtungen. So werden beispielsweise in Schulen und Kindergärten mit hohem arabischem oder türkischem Migrantenanteil das Fastenbrechen und das Opferfest feierlich begangen. Kinder bringen Speisen mit und präsentieren den Hintergrund ihrer Feiertage. Ein positives Beispiel ist auch, dass das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung in Hamburg regelmäßig Broschüren und Anleitungen für Lehrer zum Umgang mit Schülern mit Migrationshintergrund herausgibt, die auch ausführlich auf Fasten- und Festzeiten eingehen.8 Manche Kirchen stellen ihre Räume für hinduistische Feste zur Verfügung. Einzelne christliche, interreligiös orientierte Gemeinden organisieren sogar gemeinsame Feste mit muslimischen und jüdischen Gruppen.

Unser Grundgesetz und auch unsere Feiertagskultur beruhten bisher auf einem christlich geprägten Kultur- und Werteverständnis. Jedoch hat zum einen die Säkularisierung in unserer Gesellschaft dazu geführt, dass unsere Werteordnung nicht mehr als religiöse, sondern in erster Linie als kulturelle Kategorie anzusehen ist.9 Zum anderen unterlagen die Traditionsinhalte christlicher Feste zu allen Zeiten einem starken nichtchristlichen Einfluss, wie auch muslimische, jüdische, hinduistische und buddhistische Feste von andersreligiösen Faktoren beeinflusst worden sind. Mit jedem Religionstransfer werden Traditionen transportiert und assimiliert, reduziert und selektiert, neu kreiert und synkretisiert. Und da sich unsere Gesellschaft im Zuge multikultureller Durchmischung einem verstärkten Wettbewerb der Religionen stellen muss, wäre es an der Zeit, religiöse Feiertage nichtchristlicher Religionen mehr anzuerkennen und stärker herauszuheben, zumal die religiöse Struktur der Bevölkerung vor allem in deutschen Großstädten entsprechend entwickelt ist.

Für eine stärkere Präsentation nichtchristlicher Feiertage durch die deutsche Gesellschaft wäre es deshalb wünschenswert, bedeutende Feiertage der Weltreligionen in alle deutschen Kalenderausgaben aufzunehmen. Auch ist die Überlegung angebracht, ob man nicht auch für die Anhänger der sogenannten Weltreligionen jeweils einen Tag als Feiertag einrichten sollte. Bisher wird weder durch das Bundes- noch durch das Landesrecht auch nur ein einziger hinduistischer, buddhistischer, jüdischer oder muslimischer Feiertag ausdrücklich benannt. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte bereits 2004 einen muslimischen Feiertag für Deutschland als Zeichen der Öffnung gegenüber einer anderen kulturspezifischen Religion.10 2009 plädierte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, dafür, allen Schülern an einem muslimischen Feiertag schulfrei zu geben. Vom Zentralrat der Juden erhielt er darin Unterstützung. Dieser sprach sich aber auch für einen eigenen jüdischen Feiertag im Land aus.11 Auch die Junge Islamkonferenz hat im März 2011 ihren Wunsch nach einem islamischen Feiertag in aller Öffentlichkeit geäußert.12 Vonseiten christlich-orthodoxer, hinduistischer oder buddhistischer Gemeinschaften sind solche Forderungen oder Wünsche bisher nicht bekannt geworden. Die Frage wäre dann natürlich auch, ob man bei der Anerkennung eines nichtchristlichen religiösen Feiertages regionale Schwerpunkte berücksichtigt, da es sich beim Islam, Hinduismus, Buddhismus, Judentum und beim orthodoxen Christentum in Deutschland um Religionen handelt, die sich eher in Großstädten als in ländlichen Gebieten konzentrieren.13

Eine weitere Form, Festtagsbräuche anderer Kulturen stärker in den „deutschen“ Alltag zu integrieren, wäre, in Kindergärten und Schulen – unhabhängig von der Anzahl der Migrantenkinder – anderskulturelle Feste nicht nur vorzustellen, sondern auch zu feiern. Ein weiterer Vorschlag ist, schon den Kindern in den Schulen die Grußformeln, die zu religiösen Festen üblich sind, in der jeweiligen Landessprache zu vermitteln, wobei ein Erlernen fremdsprachiger Festtagsglückwünsche der interkulturellen Kompetenz erwachsener deutscher Bürger ebenfalls guttun würde. Unter Türken, Arabern und Indern ist es eine Höflichkeitsgeste, ihren deutschen Nachbarn oder Touristen in ihren Heimatländern „Frohe Weihnachten“ zu wünschen. Warum sollten deutsche Bürger nicht in der Lage sein, ihren arabischen, türkischen oder indischen Mitbürgern gegenüber das Gleiche zu tun? Mit einem „Eid Mubarak“ zum Zucker- oder Opferfest oder einem „Happy Ganesha Chaturthi“ zum indischen Ganesha-Fest ernten sie mit Sicherheit ein Strahlen auf dem Gesicht des Angesprochenen, vielleicht sogar eine Einladung ins Haus.


Liane Wobbe, Berlin


Anmerkungen

1 Die Entstehungszeit des Shiva-Purana wird auf das 4. bis 10. Jahrhundert datiert. Das Werk enthält u. a. zahlreiche Mythen, die sich um die Götterfamilie des Gottes Shiva ranken. Siehe Moritz Winternitz, Geschichte der indischen Literatur, Bde. I-III, Leipzig 1905-1922.

2 Siehe Liane Wobbe, Hindus in der deutschen Dia­spora, Dissertation, Berlin 2008, 150-152, 189-192.

3 Siehe Martin Baumann/Brigitte Luchesi/Annette Wilke (Hg.), Tempel und Tamilen in zweiter Heimat, Würzburg 2003.

4 Siehe Liane Wobbe, Hindus in der deutschen Dia­spora, a.a.O., 86-88.

5 Siehe ebd., 126f.

6 Der „Mahavagga“ bildet einen Abschnitt des „Vinaya-Pitaka“, des ersten der drei großen Teile des buddhistischen Werkes „Tripitaka“, in dem zahlreiche Regeln für buddhistische Nonnen und Mönche zusammengefasst sind.

7 GVBl Berlin, Gesetz über die Sonn- und Feiertage, § 2, Abs. 1 und 2.

8 Siehe hier z. B. „Religiöse Feiertage und Fastenzeiten“ in der Broschüre „Interkulturelle Vielfalt in der Schule“, Hamburg 2005, 7-9.

9 Siehe Jan Heinemann, Grundgesetzliche Vorgaben bei der staatlichen Anerkennung von Feiertagen, Frankfurt a. M. u. a. 2004, 205.

10www.faz.net  (19.12.2011).

11www.migazin.de/2009/10/14/kenan-kolat-fordert-is­lamischen-feiertag  (19.12.2011).

12http://on3.de  (19.12.2011).

13 Siehe Jan Heinemann, Grundgesetzliche Vorgaben, a.a.O., 212f.