In eigener Sache

Reisewege des EZW-Curriculums

(Letzter Bericht: 4/2010, 151ff) Zur Weltanschauungsarbeit wie zum apologetischen Lernen gehört die Begegnung mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Gruppierungen. Deshalb machten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Curriculums Religions- und Weltanschauungsfragen“, der 2009 begonnenen zweijährigen berufsbegleitenden Fortbildung für Pfarrerinnen und Pfarrer (vgl. MD 5/2009, 190f), Anfang Juli 2010 für drei Tage auf den Weg, um in Freiburg und Basel einen Eindruck von der dortigen religiösen Landschaft zu gewinnen. Die Wahl war auf diese Region gefallen, da sich hier in besonderer geografischer Dichte eine Reihe von für die Weltanschauungsarbeit interessanten Anbietern häufen. Aufgrund der inhaltlichen Vielfalt der Begegnungen beschränke ich mich unter dem Stichwort „Reisewege“ auf exemplarische Besonderheiten.

Der erste Weg führte die Gruppe am Donnerstag zum erzbischöflichen Seelsorgeamt. Albert Lampe, der katholische Beauftragte für Weltanschauungsarbeit im Bistum Freiburg, erläuterte die inhaltlichen Veränderungen seiner Arbeit in den letzten Jahren. Aufgrund des verstärkten Auftretens esoterischer Angebote im klassisch-kirchengemeindlichen Umfeld habe sich die Aufgabe des Weltanschauungsbeauftragten weg vom Publizisten und Informationsgeber hin zum Berater gewandelt: „Die Menschen wissen, wo sie sich über bestimmte Gruppen und Angebote informieren können. Es geht mittlerweile mehr um fallbezogene Beratungen, auch innerkirchlich.“

Den Staffelstab übernahm der Leiter der parapsychologischen Beratungsstelle „Wissenschaftliche Gesellschaft zur Förderung der Parapsychologie“ (WGFP), Walter von Lucadou (www.parapsychologische-beratungsstelle.de). Er gab Einblicke in seine Beratungsarbeit, die seit einiger Zeit durch seine Tochter, die psychologische Psychotherapeutin Renate von Lucadou, unterstützt wird, und berichtete von seinem Umgang mit Menschen, die sogenannte Spukphänomene erlebt haben. Es war ihm wichtig, die Mitglieder der EZW-Gruppe dafür zu sensibilisieren, die Erfahrungen von Ratsuchenden aus diesem Kontext zunächst wahrzunehmen und ihnen zuzuhören, ohne vorschnell einfache Antworten zu finden. Er sprach auch die grundlegende Schwierigkeit wissenschaftlicher Arbeit im Bereich der Parapsychologie an: „Psi-Phänomene kann man erleben, aufgrund ihres spontanen Auftretens aber schwerlich für die Forschung nutzen.“

Nach diesem Einblick machte sich die Gruppe zu den Räumlichkeiten des ebenfalls in Freiburg ansässigen „Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e.V.“ (IGPP) auf. Dessen Leiter Eberhard Bauer informierte über die Arbeit des Instituts (www.igpp.de). Auch das Labor für klinische Studien und Tests wurde besichtigt sowie die umfangreiche Bibliothek, die über einen europaweit einzigartigen Bestand an Literatur über paranormale Phänomene verfügt und als Sondersammelgebiet von der Universität Freiburg gefördert wird.

Am Freitag fuhr die Gruppe nach Dornach, um dort das Herz der Anthroposophie, das Goetheanum, zu besichtigen (www.goetheanum.de). Wolfgang Held, der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, und Johannes Kühl von der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften erläuterten historische, bauliche und architektonische Besonderheiten. Als besonderes Ziel der Anthroposophie für das 21. Jahrhundert formulierte Held die „Steigerung der anthroposophischen Identität im Dialog“. Auffällig war, dass beide großen Wert darauf legten, dass das Goetheanum nicht für kultische oder mystische Zwecke genutzt werde. Sogar im „großen Saal“ fänden – trotz seiner offensichtlich baulich gewollten sakralen Ausstrahlung – nur kulturelle und gesellschaftliche Veranstaltungen statt. Auch die Christengemeinschaft nutze die Räume des Goetheanums lediglich für Konferenzen; kultische Handlungen würden an anderen Orten ausgeführt. Diese Aussage irritierte allerdings angesichts der aktuell auf der „Goetheanum-Bühne“ aufgeführten „Mysterienspiele“ Rudolf Steiners. Von Kühl zwar als „reine Theaterstücke“ bezeichnet, lassen sie sich m. E. durch Untertitel wie „Die Prüfung der Seele“, „Der Hüter der Schwelle“ oder „Der Seelen Erwachen“ zumindest als spirituelles Angebot verstehen, eine Auffassung, die sich so auch im Programm wiederfindet: „Die Mysteriendramen sollen das Leben ... spirituell verständlicher machen.“

Die Reisegruppe machte sich anschließend auf den Weg nach Basel, um dort eine christliche Freikirche kennenzulernen. Gesprächspartner war Manuel Schmid, Leiter der „International Christian Fellowship“ (ICF), in der sich Angebote für eine spaß- und eventorientierte Jugendkultur finden, gepaart mit konservativen Moralvorstellungen (www.icf-freiburg.de). Schmid studiert zurzeit Theologie im Masterstudiengang und plant, in Systematischer Theologie zu promovieren. Er ist damit wohl ein eher seltener Vertreter innerhalb der ICF. Reflektiert schilderte er die Ziele und den „Traum von Kirche“ der ICF und sprach offen über die Perspektiven: „Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir Gemeinde bauen und Kirche sein wollen oder ob wir weiterhin eine ‚Event-Gruppierung‘ bleiben wollen“, betonte er auch mit Blick auf die zunehmend in die „mittleren Jahre“ kommende Zielgruppe der ICF und den damit einhergehenden Generationenwechsel.

Der dritte und letzte Exkursionstag begann mit einem Blick auf die spirituell ausgerichtete psychotherapeutische Szene. Mit Ingo Jahrsetz praktiziert in Freiburg ein Vertreter der Transpersonalen Psychologie. Er nutzt bewusstseinserweiternde Methoden wie das „Holotrope Atmen“ mit dem Ziel, Spiritualität und Psychotherapie zu verbinden (www.holotropes-atmen.com). Er selbst verortet sich spirituell „mit einer Affinität zum Buddhismus und dem Wissen, Angst in Liebe verwandeln zu können“, betonte aber: „Allerdings bin ich Therapeut und kein buddhistischer Lehrer.“ Vielleicht auch dem engen Zeitplan geschuldet, blieb bei den Teilnehmenden des Curriculums ein zwiespältiger Eindruck zurück: Zum einen war man hier einem Therapeuten begegnet, der sich über seine Verantwortung gegenüber seinen Klienten im Grenzgebiet von Bewusstseinserweiterung klar zu sein scheint. Zum anderen fragte man sich, ob die Kombination von Spiritualität und Therapie, gepaart mit Jahrsetz‘ eigener buddhistischer Affinität, nicht für eine nur sehr eingeschränkte Zielgruppe förderlich ist.

Die aus meiner Sicht bisher wertschätzenden, eigene Positionen und Grenzen benennenden und durchaus konstruktiven Begegnungen wurden durch den letzten Programmpunkt deutlich kontrastiert. In das Freiburger Tagungshotel waren Vertreter des Sufismus eingeladen: Erschienen waren Scheich Burhanuddin Herrmann mit zwei Gefolgsleuten und Jörg Imran Schröter. Letzterer betreibt einen „Verlag für islamische Bildung und Erziehung“ (www.vibe-online.de) und ist als Vertreter des Islam und Mitglied des Sufiordens in Deutschland als Pädagoge damit befasst, Lernmaterial für den Islamunterricht an Schulen zu verlegen. Er machte einen aufgeschlossenen, liberalen und dialogfähigen Eindruck, den er sicherlich an entsprechenden Stellen im pädagogischen Bereich gut vermitteln kann.

Ganz anders trat „sein“ Scheich Burhanuddin Herrmann auf. Geboren 1962 in Stuttgart, lebt er mit seiner Familie in Freiburg und ist Scheich des Naqshbandi-Sufiordens. In seinem Monolog, für den er sich aufgrund seiner „Autorität als Scheich“ Zwischenfragen verbat, zeigte er sich antidemokratisch und, bezogen auf gesellschaftliche Minderheiten (u. a. Homosexuelle), intolerant. Inhaltlich formte er eine beängstigende apokalyptische Sicht von Welt und Gesellschaft und rief dazu auf, „dass man sich in der Wahrheit treffen“ müsse, die vermutlich nur „seine“ Wahrheit ist und damit deutlich die Grenzen eines Dialoges aufzeigt.

Jörg Imran Schröder war hingegen sichtlich bemüht, den Eindruck zu glätten, den sein religiöser Führer vermittelte. So betonte er, dass seine Religionsgemeinschaft in Deutschland die demokratischen Errungenschaften der Religionsfreiheit genießen würde, und bezeichnete die Aussagen des Scheichs lediglich als „Führungsideal“. Dies bedeute für ihn als Sufi und Pädagoge, dass er zwar „in dieser Welt stehe, aber nicht von dieser Welt“ sei. Damit wurde eine der wichtigsten Spannungen dieses Gesprächs deutlich: Ist es möglich, die Diskrepanz zwischen fundamentalistischer, demokratiefeindlicher und Scharia-orientierter Einstellung im Sufismus und Bestrebungen nach interreligiösem Dialog, der Etablierung von Islamunterricht an Schulen und einer in die demokratische Gesellschaft im Sinne von gegenseitiger Toleranz integrierten Minderheit gelungen aufzulösen, oder bleibt sie bestehen? Und wenn sie bestehen bleibt oder sich die Front einseitig noch weiter verhärtet, was wäre dann die Konsequenz für einen interreligiösen Dialog mit Vertretern des Sufiordens?

Damit gingen spannende und eindrucksvolle Reisewege der apologetischen Lerngruppe der EZW zu Ende. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten sich auf den Weg zurück in ihre unterschiedlichen Landeskirchen und Gemeinden. Der inhaltliche Bogen war gespannt zwischen gelungener und fruchtbarer Diskussion bis hin zur Grenze von Dialog. Somit waren die Exkursion und die praktischen Begegnungen gute Ergänzungen zu den vier Kurswochen des EZW-Curriculums, deren letzte im September 2010 in Berlin stattfinden wird.


Oliver Koch, Kirchhain-Großseelheim