Charismatische Bewegungen

Reformation in neucharismatischer Perspektive? Die „Holy Spirit Night“ 2017 in Bielefeld

(Letzter Bericht: 11/2016, 426-429) Die „wahre Reformation“ sei das „übernatürliche“ Wirken des Heiligen Geistes und in spektakulären enthusiastischen Erfahrungen erlebbar – so wurden die unter dem Namen „Holy Spirit Night“ (HSN) firmierenden Veranstaltungen für das Jahr des Reformationsjubiläums 2017 angekündigt. Die inhaltliche Ausgestaltung und die Auswahl der Mitwirkenden oblagen den jeweiligen lokalen Veranstaltern. Bei der von mir besuchten Veranstaltung in Bielefeld (18.11.2017) war dies die Jugendmissionsgemeinschaft (jmg) Bielefeld im Verbund mit mehreren Jugendleitern. Im Hintergrund der „Holy Spirit Night“-Bewegung stehen die Bethel Church in Redding (USA) und auf deutscher Seite das Stuttgarter Gospel Forum. Als Redner waren u. a. Ben Fitzgerald, Joseph Prince, Reinhard Bonnke und Markus Wenz zu hören, in Bielefeld sprach Walter Heidenreich von der Freien Christlichen Jugendgemeinschaft (FCJG) Lüdenscheid.

Bei dieser Veranstaltung konnte man das ganze Spektrum neocharismatischer Spiritualität beobachten: das Betonen großer Zahlen und Erweckungen, vollmundige Prophetien, Toronto-Segen, Ruhen im Geist, Geistestaufe und Glossolalie, das Absagen an Vorfahrensschuld, passend dazu der Auftritt von Heidenreich wie ein Rockstar in schwarzer Lederkluft.

Vor der Hauptveranstaltung konnte man noch Tagesseminare zu Themen wie „Die eigene Berufung finden“ besuchen; im Foyer der Stadthalle gab es einen „Markt für himmlische Labels“ mit Merchandising-Produkten und der Präsentation von Kurzbibelschulen und missionarischen Einsatzmöglichkeiten.

Die eigentliche Abendveranstaltung begann mit einer Tanzperformance von „Jesus Revolution“, in die mehrere Bekehrungsgeschichten eingewoben waren. Auch hier wurden die Besucher zu kurzzeitigen Missionseinsätzen eingeladen. Das extrem coole Auftreten der Sängerinnen und Tänzer, auch in der Sprache (Motto: „Impact the Balkans“), hat seine Wirkung sicher nicht verfehlt.

Johannes Baumann, Leiter der jmg Bielefeld, formulierte in der Begrüßung als Ziel der HSN, „zu einer lebendigen Beziehung zu Jesus“ zu führen. Wer dies jetzt als Wunsch fühle, spüre das „Anklopfen des Heiligen Geistes“.

Die Band „Könige und Priester“ aus Köln übernahm dann den musikalischen Teil. Wie auch bei anderen Gelegenheiten – sie war beispielsweise auf dem Berliner Kirchentag zu hören – spiegelten ihre Stücke eine große Bandbreite christlicher Erfahrungen wider und beinhalteten auch Aspekte des Zweifelns. Offensichtlich waren hier einige aus dem Publikum deutlich anderer Meinung: Ein Mann rief entrüstet, es sei „eine Lüge“, im Heiligen Geist gebe es „keine Zweifel“.

Jede weitere Nachdenklichkeit war mit dem Auftritt des Hauptredners aber ohnehin zu Ende. Walter Heidenreich erzählte ausschweifend und ausschließlich von seinem persönlichen Werdegang und dass er darin ganz ungebrochen Gottes Handeln sehe. Heidenreichs „Botschaft“ war er selbst, seine Bücher können für Menschen zur „Bibel“ werden. Seine persönlichen Erfahrungen sind der Maßstab für Gottes Handeln, wenn Gott kein „Gott der langen Prozesse“ sei, sondern einer, der „schnell handelt“, und es gelte, laut zu beten, da Gott „keine leisen Gebete“ höre. Zweifellos zählt sich Heidenreich auch zu den „zwei Prozent wiedergeborener Christen“, die er in Deutschland ausmache. Eine Quelle für diese Zahl oder ein Kriterium nannte er nicht. „Der hat ja nur von sich selbst geredet“, bemerkte eine Teilnehmerin am Ausgang; eine Botschaft habe er ja gar nicht gehabt, befand eine andere.

Selbst für mich als geübten Besucher neucharismatischer Veranstaltungen war es erstaunlich, dass der Redner vollständig ohne christologische Themen oder Kriterien auskam. „Gott“ wurde als der vorgestellt, den man mit „Catch me, if you can!“ herausfordere und der jemanden wie ihn (Heidenreich) dann überwältige. Ohne den Kontext der Gesamtveranstaltung war ein christlicher Gottesbezug nicht zu erkennen. Auf diesbezügliche Rückfragen nach der Veranstaltung wurde mir beschieden, dass der christliche Kontext der Veranstaltung wie auch der Rede deutlich und damit ausreichend sei.

Offensichtlich waren nicht wenige Besucherinnen und Besucher mit der Erwartung gekommen, enthusiastische Erfahrungen zu machen. Als Heidenreich explizit dazu aufforderte, „in Zungen zu beten“, machten viele mit.

Mit Walter Heidenreich war ein Redner eingeladen worden, der sich darauf verstand, eigene Erlebnisse und die Erlebnisse anderer zu deuten und Gefühle zu „triggern“. So war es kaum verwunderlich, dass die Bühne gegen Ende seiner Rede voll war von Menschen, die solche enthusiastischen Erlebnisse suchten, hatte er doch immer wieder darauf hingewiesen, dass genau diese üblicherweise bei seinen Auftritten erfahren werden könnten.

Noch bevor ich den Veranstaltungsaal verließ, traf ich auf die erste reichlich verstörte Besucherin. „Gruselig“ sei das gewesen, als vorne auf der Bühne Menschen zu Boden gegangen seien, unkontrolliert gezuckt oder unheimlich gelacht hätten. Wir kamen ins Gespräch über die psychologischen Mechanismen, die bei solchen Erlebnissen auch eine Rolle spielen.

Die sehr gemischten Reaktionen, die ich während und nach der Veranstaltung wahrgenommen habe, zeigen, dass es tatsächlich vom Referenzrahmen abhängt, ob das Erlebte als vom Heiligen Geist inspiriert oder als durch „Triggern“ hervorgerufen wahrgenommen wird. Dieses Problem erkannten wohl auch die Veranstalter und betonen auf ihrer Homepage die Wichtigkeit der Folgen für den Alltag, die aus dem Erleben resultieren (www.jmg.de/medien/die-manifestationen-des-heiligen-geistes.html). Mit beunruhigenden Reaktionen oder damit, dass die Erfahrungen auch als verstörend empfunden werden können, setzen sich die Veranstalter nicht auseinander.


Andreas Hahn, Dortmund