Felix Wiedemann

Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus

Felix Wiedemann, Rassenmutter und Rebellin. Hexenbilder in Romantik, völkischer Bewegung, Neuheidentum und Feminismus, Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2007, 465 Seiten, 58,00 Euro.

Britta Rensing, Die Wicca-Religion. Theologie, Rituale, Ethik, Religionen aktuell, Bd. 2, Tectum Verlag, Marburg 2007, 374 Seiten, 29,90 Euro.

Kathrin Fischer, Das Wiccatum. Volkskundliche Nachforschungen zu heidnischen Hexen im deutschsprachigen Raum, Grenzüberschreitungen, Bd. 5, Ergon Verlag, Würzburg 2007, 292 Seiten, 37,00 Euro.


Im Jahr 2007 sind gleich drei Dissertationen aus den Fachrichtungen Geschichtswissenschaft, Religionswissenschaft und Ethnologie zu den neuen Hexen und zur Wicca-Bewegung erschienen. Bei der Studie des Historikers Felix Wiedemann handelt es sich um eine von Wolfgang Wippermann und Uwe Puschner betreute Dissertation an der FU Berlin. Wiedemann konzentriert sich darin besonders auf moderne Hexenbilder des 19. und 20. Jahrhunderts und beleuchtet dabei vorrangig Ideen, Entwürfe und Projektionen in Romantik, der völkischen Bewegung, des Neuheidentums und des Feminismus.

Der Autor nennt verschiedene Interpretationsmuster aus dem 19. Jahrhundert, wobei er zwischen einem rationalistischen, einem romantischen (Märchenforschung!) und einem esoterisch dominierten Hexenbild unterscheidet (33-116). Das rationalistische Hexenbild ist zweifelsohne das ältere: Hier spielte die vehemente Kritik des Hexenwahns mit positivem Bezug auf Rationalismus und Aufklärung eine Rolle. Das romantische Hexenbild ist indes ein Produkt der deutschen Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts: „Es entstand im Kontext von Aufklärungskritik, romantischer Naturphilosophie, konservativen Restaurationsideologien sowie der nationalistischen Volkstums- und Germanenideologie“ (115). Teilweise sind solche romantischen Hexenbilder noch immer virulent. Sie wurden aber zunehmend von Theosophie und Okkultismus überlagert bzw. adaptiert und internationalisiert: „Dabei war die Figur der Hexe für die neureligiösen Strömungen nicht nur aufgrund ihrer vermeintlich heidnisch-archaischen Herkunft, sondern gerade ihres numinosen und mysteriösen Charakters wegen attraktiv. Dies führte zu Spekulationen über das Hexenwesen als Relikt heidnischer Mysterienkulte oder angebliche okkulte Fähigkeiten der Hexe ... Wichtig ist zudem, dass sich in der neureligiösen Hexenrezeption romantische Vorstellungen mit einem eigentlich aus der rationalistischen Tradition stammenden Antiklerikalismus, Antichristentum und Antisemitismus verbinden konnten“(116).

Das zweite Kapitel wendet sich dem Thema „Völkische Hexenbilder“ zu (117-184) und nimmt dabei Repräsentanten einer völkischen Esoterik wie Guido List, Hermann Wirth sowie die Nationalsozialisten Alfred Rosenberg und Heinrich Himmler in den Blick.

„Neuheidnische Hexenbilder der Gegenwart“ stehen im Zentrum des dritten Kapitels. Folgende Themen spielen eine Rolle: Tradierung völkischer Ideologie (Sigrid Hunke), neugermanisches Heidentum (u. a. Armanen-Orden, Germanische Glaubensgemeinschaft, Stefan Ulbrich [Arun-Verlag]), New Age und internationaler Paganismus sowie die neuheidnische Hexenbewegung, deren Verbreitung und Internationalisierung. Es fällt auf, dass sich die neuheidnische Szenerie seit den 1970er Jahren stärker internationalisiert und vernetzt hat. Das vierte Kapitel untersucht „Feministische Hexenbilder“ und beschreibt die Rezeption des Hexenbildes in der Frauenbewegung im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts (255-334). Die Hexe wird zur Identifikationsfigur im Protest gegen eine als patriarchalisch empfundene Gesellschaft. Die Hexe bietet beides: sie ist Opfer und Rebellin. Dabei verbinden sich feministische Hexenbilder mit esoterischen und neuheidnischen Vorstellungen (333). Das fünfte Kapitel wendet sich den „Grundlagen des Hexenmythos“ zu (335-382), wobei als entscheidende Faktoren u.a. die romantische Naturauffassung, das polare Geschlechtermodell, der Ursprungsmythos, Erfahrungsreligiosität und Antimonotheismus sowie der antichristliche Antisemitismus genannt werden. Die Attraktivität der Hexe basiert – so die Einschätzung Wiedemanns – „auf der Möglichkeit, sie als Anhängerin einer nicht-naturfeindlichen, nicht-patriarchalen und nicht-monotheistischen religiösen Tradition zu präsentieren. Die Konturen der Hexe sind also im Wesentlichen negativer Natur; ihr ‚Heidentum’ ist immer durch Abgrenzung bestimmt.“ (387) Wiedemann hat eine verdienstvolle Studie vorgelegt. Sie ist überzeugend, fakten- und kenntnisreich geschrieben.

Die beiden weiteren Titel wenden sich insbesondere der Wicca-Bewegung als religiösem Gegenwartsphänomen zu. So trägt die im Jahr 2006 an der Universität Jena im Fach Religionswissenschaft eingereichte Dissertation von Britta Rensing (Betreuer: Udo Tworuschka) ursprünglich den Titel „Der Glaube an die Göttin und den Gott: Theologische, rituelle und ethische Merkmale der Wicca-Religion, unter besonderer Berücksichtigung der Lyrik amerikanischer Wicca-Anhänger“. Die Verfasserin legt ihrer religionswissenschaftlichen Arbeit zahlreiche Selbstdarstellungen von Wicca-Anhängern, wissenschaftliche Veröffentlichungen, meist aus dem englischsprachigen Raum, sowie Interviews mit Vertretern des britischen Wicca zugrunde. Erstmals werden auch Gedichte – ausschließlich englischsprachige lyrische Texte – von Wicca-Anhängern herangezogen, da sie – so die Verfasserin – „eine detaillierte Sicht auf z. B. Spiritualität und rituelle Abläufe vermitteln“ (10). Insgesamt stellt die Autorin den bislang vorliegenden theologischen Beiträgen zur Hexen-Bewegung ein schlechtes Zeugnis aus; sie unterstellt ihnen mangelnde wissenschaftliche Qualität. Unter „Wicca“ versteht Britta Rensing „alle Traditionen der Anfangszeit und alle Traditionen, die sich seitdem gebildet haben und in deren Vorstellung sowohl die Göttin als auch der Gott eine Rolle spielen. Dazu gehören eklektisch arbeitende Gruppen, die unterschiedliche Vorstellungen integrieren und die sowohl für Frauen als auch für Männer zugänglich sind“ (12). Sie rechnet organisierte Gruppen und auch allein praktizierende sog. Solitaire-Hexen mit hinzu, aber auch „Neuheiden“, die das „zweigeschlechtliche Götterkonzept vertreten, die acht Jahreskreisfeste feiern und die Natur als göttlich verehren“ (12). Die Arbeit setzt mit dem Forschungsstand zu Wicca und zum Neuheidentum ein, daran schließt sich die Analyse von Wicca-Gedichten an.

Ein zweiter Teil beleuchtet die Historie und das derzeitige Erscheinungsbild des Wicca. Im dritten Teil soll der Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine Naturreligion handelt. Die Verfasserin entwickelt den Begriff Kongruenzreligion, um die Grundstruktur des wiccanisch-neuheidnischen Weltbildes nachzuweisen. Im Mittelpunkt des vierten Kapitels steht die religiöse Praxis der Wicca-Bewegung: das religiös-spirituelle Erleben, die Götter, die Jahreskreisfeste sowie die Magie. Die Autorin begreift Wicca als Naturreligion und als moderne Mysterienreligion. Sie unterstellt, dass Wiccaner nicht missionieren würden (171ff), ignoriert jedoch, dass es in Gestalt von Büchern initiierter Wicca-Priesterinnen sehr wohl Einführungs- und Anleitungsbücher für Junghexen gibt! Die Verfasserin möchte generell den Nachweis führen, dass es sich bei Wicca um eine Religion – wenngleich im Wandel – handeln würde: „Wicca und Neuheidentum sind Naturreligionen, aber auch Universalreligionen, nicht indem sie dem Menschen Heil in irgendeiner Form anbieten würden, sondern weil sie das Heil als in der Welt gegeben ansehen“ (309).

Das Buch hat manche Stärken, mitunter jedoch auch deutliche Schwächen – in methodologischer wie formaler Hinsicht. So werden Artikel aus größeren Lexika ohne Seitenangabe zitiert. Der Begriff „Neuheidentum“ wird aus religionswissenschaftlicher Sicht nicht problematisiert bzw. nicht näher definiert. Zwischen den Zeilen ist zu spüren, dass die Verfasserin von einem rein religionswissenschaftlich-apologetischen Interesse geleitet wird, das den Nachweis zu erbringen versucht, Wicca als Religion darzustellen. Als Leser vermisst man jedoch eine Einordnung dieses Phänomens in den Kontext gegenwärtiger Religionskultur. Nach der Lektüre verdichtet sich beim Rezensenten als Eindruck: Die Autorin ist an manchen Stellen der Faszination ihres Untersuchungsgegenstandes erlegen.

Das Fach Ethnologie legt besonderen Wert auf die Feldforschung. In ihrem Werk über das Wiccatum stellt Kathrin Fischer „volkskundliche Nachforschungen zu heidnischen Hexen“ an. Bereits 2005 ist die ethnologische Magisterarbeit „Wer Hexe ist, bestimme ich. Zur Konstruktion von Wirklichkeit im Wicca-Kult“ von Oliver Ohanecian erschienen, der die Religionshaltigkeit des Wicca-Kults nachhaltig in Zweifel gezogen hatte. Beim vorliegenden Buch handelt es sich um eine in Freiburg/Br. 2007 eingereichte ethnologische Inaugural-Dissertation (Betreuer: Werner Metzger und Michael Schetsche). Ihr ursprünglicher Titel lautet: Die Hexen der Postmoderne. Volkskundliche Nachforschungen zum Wiccatum im deutschsprachigen Raum. Das Buch ist erschienen in der im Auftrag vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) von Eberhard Bauer und Michael Schetsche herausgegebenen Reihe „Grenzüberschreitungen. Beiträge zur wissenschaftlichen Erforschung außergewöhnlicher Erfahrungen und Phänomene“. Ziel der Arbeit ist es, „das gelebte Wiccatum im deutschsprachigen Raum der Gegenwart“ zu untersuchen (16). Die Lebenswelt der Wicca-Anhänger soll „anhand kultureller Selbstdarstellung der interviewten Wiccaner ergänzt und vertieft“ werden (16). Die Autorin verfolgt einen empirischen Ansatz. Dazu dient die Auswertung von 14 Interviews mit Anhängern aller Altersgruppen.

Die Studie umfasst einen Methoden- und einen Empirieteil. Zunächst schildert die Autorin den Forschungsstand und führt wissenschaftsgeschichtlich in die Thematik ein. Daran schließt sich eine Selbstdarstellung des Wiccatums an: Entwicklung, Verbreitung, Glaubenswelt, Brauchtum und Rituale. Der empirische Teil wendet sich den methodischen Grundlagen und dem sog. Feldzugang zu. Die Autorin differenziert hier zwischen einem individuellen, einem religiösen und einem sozialen Aspekt. Ein weiteres Kapitel entfaltet eine Typologie der Wiccaner. Schließlich folgt eine Betrachtung von Religion, die in der Frage gipfelt: Ist Wicca eine Religion? Und welche Folgen ergeben sich daraus?

Ein Glossar und ein Anhang mit Definitionen, Kurzbiographien der Interviewpartner und Interviewsituationen runden das Werk ab. Die Interviews können jedoch, wie die Verfasserin einräumen muss, kein kongruentes Bild der Wicca-Bewegung bieten. Bei den Befragten dominiert „eine Sehnsucht nach gleichberechtigten Gottheiten beider Geschlechter ..., die dem Menschen entsprechen“ (235). Wiccaner streben demzufolge Harmonie bzw. den Einklang von Intuition und Religion an. Fischer kommt zu der im Vergleich zur Einschätzung der Religionswissenschaftlerin Rensing eher nüchternen Auffassung: „Wiccaner bilden heute eine sehr kleine religiöse Minorität – ohnehin sind Brauch- und Ritualwelt des Wiccatums nicht für große Menschenmengen gedacht. Das Wiccatum wird sich ... vermutlich nie zu einer Massenbewegung entwickeln. Allein die Authentizitätsstreitigkeiten innerhalb des Wiccatums stehen dem entgegen. Der fehlende festgelegte Glaubenskodex – lediglich ein geltendes gemeinsames Lebensgefühl der Wiccaner existiert – produziert differente Glaubenssysteme unter dem Überbau ‚Wiccatum’, wie man aus den Antworten und dem Umgang des gelebten Wiccatums der Interviewten eindeutig ablesen konnte. Das Wiccatum steht für einen Weg der Selbstfindung, dem sich manche Menschen verschreiben wollen, um mit der Natur im Einklang zu leben und so den Einklang mit sich selbst zu finden ... Wiccaner suchen nach einer Verzauberung der Welt, die sie letztlich aber primär im privaten Bereich finden und produzieren.“ (237) Die Ethnologin betrachtet Wicca als „eine neureligiöse Bewegung, die sich innerhalb ihrer Paradoxie zu einem religiösen System entwickeln könnte“ (253). Vor allem durch die Situation von Wicca in Großbritannien und in den USA beobachtet Kathrin Fischer bei Wicca einen Entwicklungsprozess von einer kleinen Bewegung zur Religion. Die Untersuchung bietet mithilfe empirischen Materials aufschlussreiche Einblicke in das Glaubenssystem einzelner Wicca-Anhänger. Damit werden bereits vorliegende Ergebnisse von Einzelstudien bestätigt. Für weitere Studien liefert das Buch interessantes empirisches Material.

Fazit: Es ist auffällig, dass das Thema der neuen Hexen in der wissenschaftlichen Forschung derzeit eine besondere Aufmerksamkeit erfährt. Die hier angezeigten Studien kommen zu unterschiedlichen Beobachtungen und Einschätzungen. Dies liegt nicht zuletzt an der jeweiligen Herangehensweise und am Blickwinkel. Das Thema bleibt weiterhin aktuell. Ein österreichischer Verlag hat bereits die Publikation einer weiteren Dissertation zu den modernen Hexen angekündigt.


Matthias Pöhlmann