Spiritualität

Qualitätskontrollen für spirituelle Lehrer

Das Schüler-Lehrer-Verhältnis ist ein klassischer Fallstrick religiöser und spiritueller Gruppen. Dieses heikle Thema beschäftigt nicht nur die katholische Kirche, die in Deutschland jüngst eine externe Expertenkommission zur Ursachenerforschung der Missbrauchsvorfälle eingesetzt hat. Auch der spirituelle Lebenshilfe-Markt ist davon betroffen. Kürzlich wurde bekannt, dass der Zen-Meister Genpo Roshi, der auch in Deutschland mit seinem Selbsterforschungsprogramm des „Big-Mind“-Prozesses bekannt wurde, Ende 2010 (mit 77 Jahren) wegen sexueller Verfehlungen sämtliche Ämter – auch das des Abtes eines buddhistischen Klosters – niedergelegt hat.

Qualitätskontrollen für spirituelle Lehrer sind also wichtig. Dazu hat ein spirituelles Netzwerk eine Initiative gestartet. Das „Integrale Forum“ will Menschen verbinden, die gemeinsam an der Anwendung und Weiterentwicklung des von Ken Wilber entwickelten Ansatzes einer evolutionären Spiritualität (vgl. MD 4/2009, 123ff) arbeiten. Im letzten Jahr hat der Vorstand dieses Vereins ein Positionspapier veröffentlicht, in dem Qualitätskriterien in Bezug auf Kompetenz, Integrität, Verantwortung und Transparenz von spirituellen Lehrerinnen und Lehrern beschrieben werden. Der Verein empfiehlt potenziellen Schülern, sowohl eine Selbstauskunft des Lehrers (biografische Transparenz, psychologisch-wissenschaftliche Kompetenzen, eigene Praxis) als auch Fremdeinschätzungen (organisatorische Transparenz, öffentliche Meinung, Dialogfähigkeit) heranzuziehen. Die Ausführungen betonen die Notwendigkeit einer „freiwilligen Selbstverpflichtung“. „Lehrer und Schüler sollten über die Ziele und Schritte ... eine Vereinbarung treffen, auf die sie bei Konflikten immer wieder zurückgreifen können.“ Selbstkritisch wird manchen spirituellen Lehrern eine „komplette Rationalitätsfeindlichkeit“ attestiert – leider ohne Namen zu nennen. Erst durch Transparenz, Dialogbereitschaft, Offenheit und Wissenschaftlichkeit, so der Vorstand des „Integralen Forums“, könne auf dem Markt spiritueller Weiterbildung und Lebenshilfe mehr Klarheit und Vertrauen geschaffen werden.

Erfreulicherweise hat das Papier eine Diskussion in Gang gebracht. In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „integral informiert“ (28/2011) haben jetzt acht spirituelle Lehrer darauf reagiert, unter anderem die Satsang-Lehrer Andrew Cohen und Thomas Hübl, ein anthroposophischer Lehrer, eine Sufi-Meisterin und ein Schüler von Willigis Jäger. Die Stellungnahmen fallen sehr unterschiedlich aus, unterstützen aber im Grundsatz die Notwendigkeit der Qualitätskontrolle. Allerdings wird auch deutlich, dass manche ihre spirituelle Kompetenz nicht hinterfragt wissen wollen, sondern in erster Linie selbstverantwortliche Schüler erwarten, wie Thomas Hübl betont.

Der Vorstand des „Integralen Forums“ erhofft sich, durch eine „Schule integraler evolutionärer Spiritualität“ einen Qualitätsstandard zu schaffen, um die Gefahren des Machtmissbrauches abzuwehren. Wahrscheinlich wäre es hilfreich, auch diesbezügliche Erfahrungen aus dem Bereich traditioneller Spiritualität sowie externe Experten mit einzubeziehen.


Michael Utsch