Anika Sendes

Partei des neuen Zeitalters

Die Violetten und ihre spirituelle Politik

Farbe der Spiritualität

Das Farbenspektrum, aus dem wir bei der kommenden Bundestagswahl wählen können, wird bunter: Eine junge Partei, die antritt, die Lieblingsfarbe „spiritueller“ Wähler zu vertreten, sind „Die Violetten – für spirituelle Politik“1. 2001 gegründet, treten die Violetten am 25.9.2009 zur Wahl zum 17. Deutschen Bundestag an. Was und wer stehen hinter dieser Partei? Handelt es wirklich um eine „esoterische Spinnerpartei“, wie sie von den Medien gerne genannt wird, oder verfolgt sie ein ernst zu nehmendes Programm, das auch für Christen eine interessante Alternative zu den etablierten Parteien darstellen könnte?

Violett ist laut Parteiprogramm2 „eine Farbe der Spiritualität“, die „in vielen Traditionen die Anbindung an das Höchste/ Göttliche/ Spirituelle“ symbolisiert und für die „Befreiung des Menschen durch Reinigung und Transformation“ steht. Im Parteiprogramm steht als Definition, was für die Partei spirituell bedeutet: „Spirituell heißt für uns, in erster Linie dem Wohl allen Seins verpflichtet zu sein. Es heißt, das Verbindende anstatt des Trennenden zu betonen, in Liebe, Toleranz und Verantwortung zu handeln und das Göttliche in allem was ist zu sehen.“

Geschichte der Partei

Die Violetten wurden am 6.1.2001 in Dortmund unter dem Namen „Alternative spirituelle Politik im neuen Zeitalter“ gegründet. Seit Mai 2001 gilt der Zusatz „Die Violetten“. Die erste Wahl, zu der die Partei – allerdings nur in Nordrhein-Westfalen – antrat, war die Bundestagswahl 2002. Einige Mitglieder verließen die Violetten und gründeten Anfang 2003 die Partei „Spirituelles Bewusstsein“.

Seit November 2003 heißen die Violetten offiziell „Die Violetten – für spirituelle Politik“. Es begann eine Überarbeitung des Parteiprogramms und der Konzepte. 2005 wurden die Landesverbände Bayern und Schleswig-Holstein gegründet, 2006 kam Hessen dazu, 2007 folgten Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen kamen 2008 dazu, Thüringen als jüngster Landesverband im Mai 2009.

Außer zur Bundestagswahl 2002 (Ergebnis: 0,005 Prozent bundesweit) traten die Violetten bisher zu den Landtagswahlen in Bayern und Hessen 2008 an (Ergebnis: je 0,5 Prozent). Bei den Wahlen zum Landesparlament in Niedersachsen konnten die im Vorfeld zur Aufstellung der Partei notwenigen 2000 Unterstützungsstimmen nicht erreicht werden. Bei der Europawahl am 7.6.2009 konnte die Partei ca. 46000 Stimmen erreichen, was 0,2 Prozent entspricht. Zur Bundestagswahl treten die Violetten in Baden-Württemberg, Bayern und Berlin an. Nur dort stehen sie dann auch auf den Stimmzetteln und können gewählt werden. In den anderen Bundesländern konnten die erforderlichen 2000 Unterstützungsstimmen nicht erreicht werden.3

Politische Ziele für die Bundestagswahl 2009

Zentral ist die Forderung eines bedingungslosen Grundeinkommens für jeden mit der Begründung, dass es in Zukunft nicht mehr für alle Menschen Erwerbsarbeit geben wird. Mit einem solchen Grundeinkommen sollen alle Menschen die Möglichkeit zur freien Entfaltung bekommen; erreicht werden soll damit ein Gesellschaftswandel hin zu einer neidfreien Gesellschaft.4 Ein Grundeinkommen soll jeder bekommen, der in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt hat und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder als Ausländer hier arbeitet und Steuern zahlt. Das Grundeinkommen selbst soll steuerfrei sein und muss über der Armutsgrenze liegen. Nur dann könne ein menschenwürdiges Leben gewährleistet sein. Finanziert werden soll das Grundeinkommen über die Einkommenssteuer und über die Abschaffung von Sozialleistungen wie Kindergeld sowie über die Einsparung von Renten, die ja durch das Grundeinkommen überflüssig werden.5

Ein wichtiges Anliegen der Violetten ist auch eine Änderung des Gesundheitssystems. Sie wollen die Pflichtversicherung abschaffen und sie durch alternative Versicherungsmodelle ersetzen. Grundsätzlich sollen Bewusstsein und Selbstverantwortung im Umgang mit der Gesundheit gefördert werden, ganzheitliche Sichtweise und heilerische Arbeit sollen die Symptombehandlung ergänzen. Der Patient soll seine Therapieform frei wählen können, auch die Kosten für alternative Heilmittel werden übernommen.6 Ein weiterer Schwerpunkt der Partei liegt auf der Umgestaltung des Bildungssystems. Leitlinien dabei sind lebenslanges Lernen, die Selbstentfaltung durch Freude beim Lernen und erweiterte Bildungskonzepte, die sich zum Beispiel an der Montessori-Pädagogik orientieren. „Vorrangige Bildungsziele sind die Fähigkeit zu Selbsterkenntnis und Selbstreflexion“ sowie „Toleranz und Mitgefühl gegenüber allen fühlenden Wesen“.7

Außerdem wollen sich die Violetten für mehr direkte Demokratie einsetzen. „Wir wollen nicht mehr, dass man einmal seine Stimme abgibt und dann ist sie weg“8, sagt Julia Pötzl, Landesvorsitzende der Violetten Berlin. Langfristig solle es nur noch Repräsentanten des Volkes geben, die die Ideen, die aus dem Volk kommen, zusammenführen. Auf lange Sicht wollen die Violetten alle Entscheidungen über direkte Demokratie erzielen, die Verantwortung für politische Entscheidungen solle nach unten abgegeben werden. Dass dies nicht zu schaffen ist, selbst wenn die Violetten nach der Wahl im September den Bundeskanzler stellen würden, ist den meisten Mitgliedern klar. Es geht ihnen aber auch nicht vorrangig darum, in ein Parlament einzuziehen, vielmehr ist für die Partei wesentlich, dass ihre Ideen in der Gesellschaft Anerkennung finden und in die breite Öffentlichkeit getragen werden. „Primär geht es uns darum, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf bestimmte Themen zu lenken“9, so Gandalf Lipinski, der als violetter Spitzenkandidat für die Europawahl antrat.

Wohl auch deshalb gehen viele Forderungen der Violetten häufig über konkrete politische Ziele hinaus und sind eher darauf angelegt, einen „gesellschaftlichen“ Wandel zu fördern. Zwar räumen die Violetten selbst ein, dass dies keine Veränderung sei, die eine Partei bewirken könne, allerdings wollen sie durchaus – z. B. mit dem bedingungslosen Grundeinkommen – dafür sorgen, dass die Menschen mehr Selbstverantwortung für ihr Leben übernehmen können. Spirituelle Politik bedeutet in diesem Zusammenhang ein „würdevolleres Leben der Menschen und freie Entfaltung“10 sowie mehr Achtsamkeit, Respekt und Toleranz gegenüber Anderen.

Weltanschauliche Ausrichtung

Die Violetten betonen, dass sie keiner Religion, Sekte oder Glaubensgemeinschaft angehören.11 Sie treten für eine vollkommene Trennung von Staat und Kirche ein und damit verbunden auch für die Abschaffung der Kirchensteuer.12

Bei Durchsicht des Parteiprogramms und der Konzepte zu verschiedenen Themen fällt auf, dass konkrete politische Inhalte in eine für die Politik eher ungewöhnlichen Sprache verpackt sind, die eine Nähe zum New-Age-Gedankengut vermuten lässt. Das wird an Slogans deutlich wie „neue Politik für eine neue Zeit!“13 oder „Wir sehen die Ganzheit in allem“14. Auch die Darstellung eines Weltbilds mit dem Satz „Die Schöpfung entspringt einer geistigen Quelle, die unter verschiedenen Namen wie z. B. Gott, Göttin, Vater-Mutter-Gott, Allah, JHWH, Brahma, Schöpfergeist, Universelle Intelligenz, Tao oder Es bekannt ist“15, vermutet man eher nicht im Umfeld einer politischen Partei. Im Parteiprogramm der Violetten finden sich zudem für politische Parteien eher unübliche Formulierungen wie: „geistige Dimension unserer Welt“ oder „Arbeit dient sowohl der individuellen Entfaltung als auch dem Mitwirken des Einzelnen in der Gemeinschaft“. Für das New Age charakteristische Schlagworte wie Ganzheitlichkeit, Bewusstseinserweiterung und natürlich Spiritualität finden sich wörtlich in den Veröffentlichungen der Violetten wieder.16 Dazu kommt die Idee, dass „durch die individuelle spirituelle Entwicklung“17 eine veränderte Gesellschaftsordnung angestrebt werde. Die Erde wird verstanden als „die Stätte der Entwicklung zu höherem Bewusstsein“18.

In jedem Falle geht es den Violetten um Transformation. Sie fordern eine zunächst individuelle, dann gesellschaftliche Veränderung. So heißt es in „Unsere spirituelle Weltsicht“: „Jede Veränderung, die wir bewirken möchten, beginnt bei uns, in unserer inneren Einstellung. Durch Visualisieren ... des Ergebnisses verstärken wir die Energie, die manifestiert.“ Wenn es in der Präambel des Parteiprogramms heißt, dass „zu Beginn des 3. Jahrtausends Geistesfreunde aus mehreren Bundesländern“ die Partei gegründet hätten, um Spiritualität in Öffentlichkeit und Politik zu tragen und sich die Violetten „als Vertreter und Sprachrohr einer wachsenden Zahl von spirituellen Menschen“ ansehen, kann daraus durchaus abgeleitet werden, dass die Violetten die Gegenwart als Wendezeit verstehen, wie es für das New Age typisch ist.

Einige der Mitglieder der Violetten kommen aus dem anthroposophischen Umfeld und/oder haben beruflich mit alternativen Heilungsmethoden zu tun; die meisten Mitglieder oder interessierten Anhänger kommen aber aus anderen weltanschaulichen und beruflichen Umfeldern. Der häufig gehörte Vorwurf, dass sich bei den Violetten ausschließlich „ein paar Esoteriker“ treffen, ist jedenfalls eine nicht zutreffende Pauschalisierung. Auffallend ist, dass viele der aktiven Mitglieder berichten, dass sie mit Politik nichts zu tun gehabt hätten und spirituell auf der Suche gewesen seien, als sie durch Zufall auf das Programm der Violetten stießen und sich davon angesprochen fühlten. So z. B. die baden-württembergische Landesvorsitzende Christina Diggance in einem Interview, das auf YouTube zu sehen ist: „Ich war bis vor drei Jahren ein unpolitischer Mensch ... Zum Schluss bin ich nicht mehr zur Wahl gegangen. Das war aber irgendwo auch nicht stimmig ... Ich bin im Internet dann auf die Suche gegangen, mehr nach Spiritualität, und hab die Violetten entdeckt ... Politik ohne Spiritualität geht nicht und wahre Spiritualität, wie ich sie mittlerweile empfinde, geht nicht ohne sich politisch zu engagieren.“19

Wahlvorspiel statt Wahlkampf

Der spirituelle Wahlkampf unterscheidet sich schon dadurch von dem anderer Parteien, dass er nicht „Wahlkampf“ heißt, sondern „Wahlvorspiel“ oder „Wahlvorbereitung“. Der Begriff des Kampfes passt nicht zu dem ansonsten so friedlichen Wahlprogramm der Violetten. Das Wahlvorspiel ist bei den Violetten zunächst geprägt von einer Art „Vor-Vorspiel“, denn die Violetten müssen, wie alle Parteien, die nicht bereits über eine eigene Liste im Bundestag oder mit mindestens fünf Abgeordneten in einem Landesparlament vertreten sind, mindestens 2000 Unterstützungsunterschriften sammeln, um überhaupt an der Bundestagswahl teilnehmen zu können. In den Wochen vor dem Stichtag im Juli ging es also primär darum, diese Unterschriften von Wahlberechtigten zu bekommen. Die Unterschriftenjagd fand hauptsächlich an ausgewählten, wählergruppenorientierten Orten statt, z. B. beim Yoga-Festival oder bei Aktionstagen für das bedingungslose Grundeinkommen.

Ist diese Hürde geschafft, folgt ein Wahlkampf, der sich von den großen Parteien nicht mehr allzu sehr unterscheidet: Mit Plakaten, Flyern und Ständen in Fußgängerzonen gehen die Violetten auf Stimmenfang. Dabei haben sie aber weniger Budget für ihr „Wahlvorspiel“ zur Verfügung als die etablierten Parteien für ihren Wahlkampf. Die Violetten finanzieren sich ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen und Spendengeldern20, da sie auf staatliche Förderung keinen Anspruch haben. Mitglieder arbeiten beim „Wahlvorspiel“ ehrenamtlich, und wer kreativ ist, malt auch schon mal ein Transparent selbst.

Auch einen kleinen Skandal können die Violetten im Vorfeld der Bundestagswahl vorweisen: Weil sie in der Partei nicht mehr den nötigen Rückhalt spürte, trat die langjährige Bundesvorsitzende Gudula Blau nach internen Querelen am 19.6.2009 von allen Parteiämtern zurück und verkündete einen Tag später ihren Austritt aus der Partei.21 Die Violetten werden jetzt von Bruno Walter als Bundesvorstandsvorsitzendem in die Wahl geführt, der vorher mit Blau eine Doppelspitze gebildet hatte.

Schlussbemerkungen

Sicherlich haben sich die Violetten weiterentwickelt. Das Parteiprogramm lässt durchaus ernst gemeinte Anliegen erkennen, die die Mitglieder auf kreative und für die politische Welt vielleicht etwas unorthodoxe Art und Weise zu vermitteln versuchen. Das Wahlprogramm mag nicht mehr nur „esoterische Spinner“ ansprechen, wie es der Partei in der Vergangenheit oft vorgeworfen wurde, sondern vielleicht auch den einen (spirituellen) Christen oder die andere Christin.

Inwieweit sich die Forderungen, die sich sicherlich für viele Ohren erstrebenswert anhören, in der politischen Realität in die Tat umsetzen lassen, ist allerdings fraglich. Woher soll das Geld für ein Grundeinkommen für jeden kommen, wenn viele Steuern entfallen und die Schulden konsequent abgebaut werden sollen? Und kann eine Partei Menschen wirklich zu mündigeren Bürgern erziehen, wenn sie nur mehr direkte Demokratie schafft? Geht die Rechnung auf, dass die Kosten im Gesundheitswesen gesenkt werden, wenn mehr auf alternative Medizin gesetzt wird? Man mag dem Wahlprogramm der Violetten, das viele Ideen, aber nur wenige konkrete Umsetzungsmöglichkeiten aufzeigt, vorwerfen können, es sei utopisch. Aber sollte einer Partei, die von sich selbst sagt: „Ob wir in ein Parlament gewählt werden, das ist momentan nicht wesentlich“22, nicht auch ein wenig Utopie erlaubt sein?


Anika Sendes, Berlin


Anmerkungen

1 Vgl. Andreas Fincke, Die Violetten – Deutschlands erste Esoterikpartei, in: MD 9/2002, 265-267.

2 Das Parteiprogramm der Violetten ist in Internet abrufbar unter http://die-violetten.de/de/programm.

3 Vgl. http://die-violetten.de/de/wahlen.

4 Vgl. z.B. Interview mit Julia Pötzl vom Juli 2009, timewavezero-productions.com

5 Vgl. Die Violetten, Konzept Wirtschaft – Finanzen – Soziales, Stand März 2006, 3f.

6 Vgl. Die Violetten, Gesundheitskonzept, Stand Juni 2008, 2f.

7 Die Violetten, Konzept Erziehung – Bildung – Familie, Stand November 2007, 3.

8 Interview mit Julia Pötzl am 1.5.2009 im Berliner Tiergarten, YouTube, eingestellt: 2.5.2009.

9 Aus einem Bericht im Bonner Generalanzeiger vom 20.5.2009.

10 Interview mit Julia Pötzl am 1.5.2009, a.a.O.

11 Vgl. Die Violetten, Unsere spirituelle Weltsicht (Flyer); www.bw-violette.de/weltsicht.htm.

12 Vgl. Die Violetten, Konzept Wirtschaft – Finanzen – Soziales, Stand März 2006, 3, sowie Parteiprogramm, 1.

13 Dieser Slogan findet sich zum Beispiel als Eyecatcher auf dem Flyer der Violetten „Unsere spirituelle Weltsicht“.

14 Im Einleitungstext des Flyers „Unsere spirituelle Weltsicht“.

15 Ebd.

16 Vgl. zu den Charakteristika von New Age: Christof Schorsch: Die New Age-Bewegung. Utopie und Mythos einer Neuen Zeit – Eine kritische Auseinandersetzung, Gütersloh 1988. Der Begriff „Ganzheitlichkeit“ wird von den Violetten sowohl in „Unsere spirituelle Weltsicht“ als auch im Parteiprogramm verwendet, das Schlagwort „Bewusstseinserweiterung“ wird gebraucht, wenn es um das lebenslange Lernen als Ziel der Bildungspolitik geht, und „Spiritualität“ findet sich schon im Namen der Partei.

17 Präambel des Parteiprogramms.

18 Ebd.

19 Interview mit Christina Diggance, YouTube, eingestellt am 20.4.2009.

20 Vgl. z. B. Interview mit Julia Pötzl vom Juli 2009, a.a.O.

21 Vgl. Newsletter der Violetten vom 25.6.2009.

22 Zum Selbstverständnis der Partei „Die Violetten“, Pressemitteilung von 25.6.2007.