Psychologie / Psychotherapie

Österreichische Richtlinie verbietet esoterische Methoden in der Psychotherapie

Viele Jahrzehnte lang wurden religiöse und spirituelle Themen in der Psychotherapie vermieden und ausgeblendet. Die mangelnde professionelle Bearbeitung der existenziellen Dimension in der Psychotherapie hat zu dem ausufernden psycho-spirituellen Lebenshilfemarkt mit zum Teil fragwürdigen und gefährlichen Angeboten beigetragen. Es boomen asiatische Bewusstseinsübungen, buddhistische Meditationstechniken sowie esoterische Praktiken. Journalisten berichten befremdet über die große Faszination des Übersinnlichen.1 Mittels schamanischer Trancetechniken sollen z. B. in therapeutischen Sitzungen oder Seminaren Informationen aus der unsichtbaren Welt der Ahnen und Geister zugänglich sein und die Heilung erleichtern. Zum Glück enden nur wenige Behandlungsfälle so dramatisch wie die psycholytische Therapie eines Berliner Arztes, der 2009 in einer Gruppentherapie bewusstseinserweiternde Medikamente einsetzte. Aufgrund seiner Fehldosierung starben zwei Klienten nach dem Selbsterfahrungs-Seminar.

Um zu vermeiden, dass unsachgemäß angewandte spirituelle Methoden Schaden anrichten, ist nun in Österreich eine Richtlinie erlassen worden, die derzeit kontrovers diskutiert wird. Im Juni 2014 hat Österreichs Gesundheitsministerium esoterische, spirituelle und religiöse Methoden in der Psychotherapie als Verstoß gegen die Berufsethik bewertet und sie deshalb explizit aus Behandlungen ausgeschlossen. Aufgaben und Grenzen der Psychotherapie als eines eigenständigen, wissenschaftlich überprüfbaren Heilverfahrens wurden in Österreich im Jahr 1991 durch ein Gesetz geregelt. Nach jahrzehntelangem Ringen wurden auch in Deutschland (1999) und der Schweiz (2011) Psychotherapie-Gesetze verabschiedet, die entsprechende Qualitätskriterien im Rahmen einer heilkundlichen Tätigkeit festlegten. Auffällig sind die strengeren Zugangsvoraussetzungen und die deutlich geringere Methodenvielfalt in Deutschland im Vergleich zu den beiden Nachbarländern.

Durch die gesetzlichen Regelungen in den deutschsprachigen Ländern wurde der ausufernde esoterische Psychomarkt zunächst eingedämmt, allerdings zu einem großen Teil in die Heilpraktiker-Szene verschoben. In den letzten Jahren ist jedoch ein neues Interesse an spirituellen Themen in der Psychotherapie festzustellen, was am deutlichsten an der Verbreitung von achtsamkeitsbasierten Behandlungsmethoden sichtbar wird. Obwohl ihre Wirksamkeit zum Teil auch wissenschaftlich belegt ist, wird ihre weltanschauliche Neutralität nach wie vor unterschiedlich eingeschätzt.2

Die Beschwerdestelle des Wiener Landesverbandes für Psychotherapie hat in den letzten Jahren häufiger darauf hingewiesen, dass sich wissenschaftlich fundierte Psychotherapiemethoden zunehmend mit esoterischen, religiösen und spirituellen Methoden mischen würden. Patientenbeschwerden hätten deutlich zugenommen, die einen subtilen Druck durch Psychotherapeuten beklagten. Sie sollten im Rahmen einer Psychotherapie bestimmten Glaubensinhalten folgen und an entsprechenden Ritualen teilnehmen, auch wenn sie diese innerlich nicht gutheißen würden. Das berufsethische Gremium verwies darauf, dass eine solche Vermischung ein klarer ethischer Verstoß gegen den Berufskodex des Psychotherapeuten darstelle.

Die neue österreichische Richtlinie ist hilfreich, weil sie Heilsversprechen und das aktive Einbringen esoterischer und spiritueller Rituale in eine Psychotherapie unterbinden will. Sie verweist auf den psychotherapeutischen Berufskodex, der unmissverständlich deutlich macht, dass die persönliche Weltanschauung des Behandelnden nicht aktiv und steuernd in den Behandlungsprozess einfließen darf. Wenn jedoch spirituelle oder religiöse Fragen von Patienten thematisiert werden, sei es Aufgabe der Psychotherapie, die Bedeutung dieser Fragen gemeinsam mit dem Patienten zu verstehen.

Die Klärung und Transparenz der therapeutischen Rolle und Haltung sind ohne Zweifel ein Dreh- und Angelpunkt bei der Bewertung spiritueller Therapien. Die sorgfältig ausgearbeitete Berufsethik des Psychotherapeuten will insbesondere die spezifische therapeutische Beziehung schützen – ein Psychotherapeut kann kein Guru sein! Nimmt man jedoch die aktuellen klinischen Studien aus den USA zur Einbeziehung spiritueller Methoden in die Psychotherapie zur Kenntnis, lässt sich die allzu einfache Unterteilung in spirituelle und wissenschaftliche Methoden nicht aufrechterhalten. In den USA beziehen nämlich je nach Untersuchung zwischen 30 und 90 Prozent der befragten Therapeuten spirituelle Interventionen mit ein. Obwohl seit zwei Jahrzehnten zahlreiche Studien dazu durchgeführt wurden, sind die methodischen Mängel zu groß, um differenziert Wirkungsfaktoren belegen zu können. So bemängeln die Autoren eines aktuellen Cochrane-Reviews über spirituelle Interventionen bei Patienten in der Terminalphase, dass selbst in den qualitativ hochwertigsten Studien nicht immer dokumentiert wurde, ob und in welcher Form die Klinikseelsorge in die Behandlung einbezogen wurde.

Spirituelle Interventionen können aber bei bestimmten Störungen durchaus nachweisbare Effekte erzielen. Eine methodisch strenge Auswertung von elf Studien kommt zu dem Schluss, dass Psychotherapie unter Einbeziehung von Religiosität bei der Behandlung von Depressionen und Angststörungen mindestens so wirksam ist wie säkulare Formen der gleichen Psychotherapie. Allerdings stehe der Nachweis noch aus, dass sie auch langfristig effektiver ist. Darüber hinaus müssten die Wirkungsbedingungen noch genauer und auf der Grundlage von größeren Stichproben erforscht werden.

In einer Meta-Analyse haben amerikanische Forscher 46 durchgeführte Studien zu den Wirkungen religiös adaptierter Behandlungen und spiritueller Therapien verglichen und ausgewertet. Als klinische Fallbeispiele werden dafür eine christliche kognitive Therapie bei einer depressiven Störung, eine buddhistische Selbst-Schema-Therapie bei einer Suchterkrankung, eine christliche Vergebungstherapie und eine muslimische kognitive Therapie bei einer Angststörung dargestellt. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass religiös-spirituelle Psychotherapien nachweislich sowohl psychologische als auch spirituelle Wirkungen zeigen. Allerdings weisen sie darauf hin, dass sich durch ein einfaches Hinzufügen religiöser und spiritueller Elemente zu einer etablierten säkularen Psychotherapie keine nachweisbaren Verbesserungen zeigen. Die höchste Wirksamkeit spiritueller Interventionen lässt sich bei hoch religiösen/spirituellen Patienten nachweisen.3

Seit dem letzten Jahr gibt der amerikanische Psychologenverband (APA) die Fachzeitschrift „Spirituality in Clinical Practice“ heraus, die spirituell geprägte klinische Interventionen wissenschaftlich untersucht und prüft. Diese Befunde werden in der Richtlinie aus Österreich nicht berücksichtigt. Eine kultur- und religionssensible Psychotherapie erfordert aber die Weiterentwicklung der Berufsethik, wenn neue Fakten vorliegen.

In einigen psychotherapeutischen Richtungen wird dem Bedürfnis nach einer stärkeren Beachtung spiritueller Faktoren Rechnung getragen – etwa durch die Einbeziehung von achtsamkeitsbasierten Verfahren. Donald Meichenbaum, ein Begründer der kognitiv-behavioralen Psychotherapie, plädiert seit einigen Jahren nachdrücklich für die Einbeziehung der Spiritualität in die Psychotherapie. Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung würden ihr Erleben häufig auch spirituell verarbeiten. Deshalb müssten die Zusammenhänge zwischen Traumatisierung, Stress und Spiritualität klarer herausgearbeitet werden. Grundlegend dafür sei die genaue Erfassung der Rolle spiritueller Überzeugungen und Verhaltensweisen im Leben des Patienten.

An der Schnittstelle von Psychotherapie und Spiritualität sind noch viele Fragen ungeklärt.4 Es ist zu wünschen, dass bei der Weiterentwicklung der Psychotherapie die Gratwanderung zwischen dem Patientenschutz und den Möglichkeiten einer Nutzung empirisch geprüfter Ressourcen der Spiritualität – sofern beim Patienten vorhanden – in die Behandlung gelingt. Dazu sind mehr religionspsychologische Forschung und entsprechende psychotherapeutische Weiterbildungen nötig.


Michael Utsch


Anmerkungen

1 Vgl. Bernd Kramer, Erleuchtung gefällig? Ein esoterischer Selbstversuch, Berlin 2013; Johannes Fischler, New Cage: Esoterik 2.0. Wie sie die Köpfe leert und die Kassen füllt, Wien 2013; Tobias Kurfer, Unter Gurus. Ein Trip in die Welt der Esoterik, Frankfurt a. M. 2014.
2 Vgl. Martin Bohus, Achtsamkeitsbasierte Psychotherapie, in: Der Nervenarzt 83 (2012), 1579ff.
3 Vgl. Michael Utsch/Raphael Bonelli/Samuel Pfeifer, Psychotherapie und Spiritualität, Berlin 2014, 111ff.
4 Vgl. Michael Utsch (Hg.), Spirituelle Lebenshilfe, EZW-Texte 229, Berlin 2014.