Ökumene

Ökumene im Widerstand - Zur Erinnerung an Pastor Karl Friedrich Stellbrink (1894-1943)

 Am 25. Juni 2011 werden in Lübeck drei katholische Kapläne, die 1943 hingerichtet worden sind, in einem Gottesdienst selig gesprochen – und „dazu“ ein evangelischer Geistlicher, der ebenso wie sie den Widerstand gegen das NS-Regime auf dem Schafott büßen musste. Klar, kirchenrechtlich und theologisch ist das nicht möglich, und doch heißt es in der Ostseestadt seit den Tagen ihres gewaltsamen Todes: „Sag niemals drei – sag immer vier Lübecker Märtyrer“. Entsprechend wird in dem Pontifikalamt zur Seligsprechung „zugleich ehrendes Gedenken des evangelisch-lutherischen Pastors Karl Friedrich Stellbrink“ gehalten. Auch die anderen Veranstaltungen, die seit Wochen (und seit Jahren) darauf einstimmen, nehmen keine Trennung vor, auch nicht der evangelische Gedenkgottesdienst in der Lutherkirche am Vortage der Seligsprechung, dem Ort, an dem Stellbrink seit 1934 wirkte und wo auch seine sterblichen Überreste ruhen.Alle Feierlichkeiten werden ökumenisch begangen, weil ihnen ökumenischer Widerstand, Leidensweg und ökumenisches Gedenken vorausgegangen sind. Ist das allein schon bemerkenswert, so lohnt erst recht ein Blick auf die ungewöhnliche Gestalt Stellbrinks, die gleichwohl zeittypische Elemente der evangelischen Kirchengeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in sich schließt.In der Nacht zum Palmsonntag 1942 fliegt die Royal Air Force ihren ersten verheerenden Bombenangriff auf deutsche Großstädte, Lübeck geht in Flammen auf. Am Sonntag predigt Pastor Stellbrink vor den Besuchern seines Konfirmationsgottesdienstes von einem „Gottesgericht“. Das ist der äußere Anlass für die Gestapo, ihn festzunehmen. Wenig später werden auch die drei Geistlichen Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller von der katholischen Herz-Jesu-Gemeinde verhaftet. Schon länger standen sie auf der Liste der belasteten und verdächtigen Personen. Nach anderthalb Jahren Untersuchungshaft und einem Scheinprozess vor dem II. Senat des Volksgerichtshofs werden die vier wegen „Wehrkraftzersetzung, Heimtücke, Feindbegünstigung und Abhören von Feindsendern“ zum Tode verurteilt und am 10. November 1943 im Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel enthauptet.Wer war Karl Friedrich Stellbrink? Er kam am 28. Oktober 1894 in Münster zur Welt. Nach dem Abitur trat er in das (Preußisch-)Landeskirchliche Diasporaseminar in Soest/Westfalen ein, mit der Absicht künftigen Dienstes in Übersee. Zwischendurch leistete er Kriegsdienst an der Westfront, aus dem er wegen einer Verletzung nach zwei Jahren entlassen wurde. 1921 ging er, schon verheiratet, nach Brasilien und betreute dort deutsche Siedler. 1929 kehrte „Vikar Stellbrink“ nach Deutschland zurück und übernahm – nach einer zusätzlichen Eignungsprüfung – die Pfarrstelle in einer Dorfgemeinde in Thüringen. 1934 wurde er an die Lutherkirche in Lübeck berufen.Dieser Lebenslauf deutet bereits seinen selbstständigen und eigenwilligen Charakter an. Er war ein bildungshungriger Autodidakt, künstlerisch begabt, Vater von fünf Kindern und drei Adoptivkindern. Als deutschnationaler Idealist fand er nach der Rückkehr nach Deutschland bald den Weg in den „Bund für deutsche Kirche“, eine evangelische Bruderschaft mit starkem nationalem Charakter, und in die NSDAP. Seine anfängliche Überzeugung, in ihnen der deutschen Sache am besten dienen zu können – das Motiv seiner Rückkehr aus Brasilien –, geriet unter dem Eindruck der Alltagsrealitäten aber schnell ins Wanken, was Stellbrink auch öffentlich kundtat. Zunächst verließ er die Bruderschaft, Ende 1937 wurde er aus der Partei ausgeschlossen (wegen Kontakten mit Juden). Mit Kriegsbeginn mehrten sich die Verwarnungen der Gestapo aufgrund seiner kritischen Predigten. 1941 ergab sich während einer Beerdigung der Kontakt zu Kaplan Johannes Prassek, der die Münsteraner Predigten des Bischofs van Galen zur Euthanasie vervielfältigte und verteilte. In der Folge berieten sich die beiden Männer kontinuierlich – ein für die Zeit und die Umstände völlig ungewöhnlicher Dialog.In der Haft zeigte sich Stellbrink unbeugsam und beharrte auf dem Standpunkt, das Evangelium sei die letztgültige Orientierung für jedwedes weltliche Handeln. Er bewahrte selbst im Angesicht des Todes eine – allseits bezeugte – Zuversicht.In all diesen Begebenheiten und Kämpfen stand Stellbrink auch in seiner (von den Deutschen Christen dominierten) Kirche allein, befand sich politisch und theologisch zwischen allen Stühlen. Das Gnadengesuch der Lübecker Pastoren vom Juli 1943 hebt bezeichnenderweise auf seine „unglückliche Charakterbegabung“, d. h. auf vorgebliche Unzurechnungsfähigkeit ab. Diese Isolierung war nach Kriegsende keineswegs abgeschlossen. Ein offizieller Brief von 1948 spricht von seiner „psychopathischen Unvorsichtigkeit, ja Torheit“. Die volle Rehabilitierung erfolgte erst im Juni 1993 durch die Kirchenleitung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Im November desselben Jahres hob das Landgericht Berlin das Todesurteil uneingeschränkt auf.Ein Mann wie Stellbrink kann nicht unumstritten sein. Die Literatur und die Veranstaltungen im Vorfeld der Seligsprechung thematisieren Aspekte und Bezüge dieser Vorgänge gründlich. Ich möchte mich dem Lübecker Altbischof Karl Ludwig Kohlwage anschließen, der auch Mitglied im Vorbereitungsteam zur Seligsprechung ist: „Ich bewundere die katholische Kirche, dass sie ein Verfahren hat, um bestimmte Menschen zu verbindlichen Vorbildern zu machen. Wir haben das Glück, dass Stellbrink in die Erinnerung einbezogen wurde, sonst wäre er längst vergessen.“ (Neue Kirchenzeitung vom 17. April 2011)


Rainer Waßner, Hamburg