Hinduismus

„Next Exit Nirvana“ - ein Dokumentarfilm über das Pilgerfest Kumbh Mela

Das Sanskrit-Wort Mela bedeutet Versammlung, Kumbh heißt Krug, Gefäß, Gral. Gemäß dem Festmythos zur Kumbh Mela fielen beim Kampf der Götter gegen die Dämonen um ein Gefäß voll Amrita (Unsterblichkeitstrank) vier Tropfen herab. Wo sie auf die Erde getroffen sein sollen, existieren spätestens seit dem 7. Jahrhundert n. Chr. Pilgerorte. In einem Zwölf-Jahres-Zyklus besuchen die Frommen Allahabad, wo sich Ganges, Yamuna und Saraswati vereinen (zuletzt 2001, wieder 2013), Ujjain an der Ksipra (2004, 2016), Nasik am Fluss Godavari (2007, 2019) und Haridwar, wo der Ganges aus dem Himalaya in die Ebene eintritt (2010, 2022). Die Rotation beruht auf astrologischen Daten, etwa Jupiter-Konstellationen. Ziel der Pilger ist es, durch ein Bad in den heiligen Wassern ihr Karma zu reinigen und die Last der Wiedergeburt zu mindern, am besten Moksha zu erlangen, Befreiung, den Ausgang ins Nirvana (vgl. www.kultur-in-asien.de/Feste/kumbhmela.htm ). Eine besondere Kumbh-Mela-Attraktion ist die Präsenz zahlreicher Heiliger: Gurus, Swamis, Sadhus, Philosophen und Asketen sind durch die Wasserkrüge charakterisiert, die sie mit sich tragen. Man könnte sie selbst als Krüge voll Amrita, Gefäße der Weisheit definieren, wäre heute nicht auch viel Kommerz im Spiel. Zur Maha Kumbh Mela 2001 in Allahabad, die nur dort alle 144 Jahre (12x12 Tierkreise) stattfindet, sollen 75 Millionen Menschen gepilgert sein. Zur Purna Kumbh Mela im nordindischen Haridwar trafen 2010 auf die 200 000 Einwohner an die 5000 Gurus, 200 000 Sadhus und zwei Millionen Durchschnittshindus.

Hier drehte der 1957 in Graz geborene Regisseur Walter Größbauer den Dokumentarfilm „Next Exit Nirvana“ (90 Minuten, www.fortuna-media.com). Bevor man einen Guru aufsuche, mahnt Swami Bhagat Prakash im Film, müsse man fünf bis zehn Jahre lang Bücher wie die Veden oder die Bhagavadgita studieren. Vermisst er bei seinem Interviewpartner, dem Dokumentarfilmer, ein tieferes Hintergrundwissen zum Hinduismus im Allgemeinen und zur Kumbh Mela im Besonderen? Aber ist es die Aufgabe eines Dokumentarfilms, sämtliche Grundlagen zum Thema zu vermitteln oder soll er nicht vielmehr den Zuschauer anregen, sich intensiver mit dem Sujet zu befassen? „Next Exit Nirvana“ hat einiges zu bieten: eine opulente Darstellung des Lebens im Pilgerort Haridwar. Zu den Bildern von farbenprächtig gekleideten Männern und Frauen, badenden Elefanten und Opferblumen fressenden Kühen werden die Originaltöne geliefert, melodiöser Tempelgesang und alle Begleitmusik, die Kapellen bei Prozessionen mit Instrumenten der Bhagavadgita produzieren. Der Filmemacher kommentiert leider recht sparsam, manchmal etwas irreführend und übergeht die großen Massenszenen des Pilgerbads.Gelungen erscheint die Auswahl der Interviewten, die unterschiedliche Denkrichtungen vertreten. Inder beurteilen ihre Landsleute. Gurus tragen ihre jeweilige Heilslehre vor. Swami Bhagat Prakash gehört zu Indiens bekannteren Meistern (www.thesindhuworld.com/bhagatprakash.html), ebenso Mahayogi Pilot Baba, ein ehemaliger Kampfflieger, der etliche Bücher zum Himalaya Siddha Yoga publiziert hat (www.pilotbaba.org). Ein Tempelgründer erklärt seine moderat asketischen Regeln für das Erlangen von Moksha (kein Fleisch, kein Alkohol, gute Taten vollbringen). Anders „Guru Krishna“, ein Diener der „großen Göttin“, der im Gehrock mit Dreispitz und Perlenketten für den Genuss mit allen fünf Sinnen wirbt.

Leider bleibt der Film uns Vita und weltanschauliche Einordnung der Meister schuldig.Konfrontiert werden die Lehrer mit Szenen, in denen Asketen ihre Fakirkünste demonstrieren. Auch hier erlebt man Prominenz wie den Nackten, der mit dem Penis 30 Kilo Steine hebt. Man fragt sich: Wo fängt der Zirkus an, wo der Masochismus? Die „Inquisition gegen das Ich“ (Peter Sloterdijk) treibt in Indien nach wie vor bizarre Blüten.Im Hinduismus herrscht Meinungspluralismus. Das rationale Indien kommt im Film in Gestalt des Callcenter-Angestellten Bhupinder Chahan immer wieder mit Einwänden gegen Guruismus und Extrem-Askese zu Wort: „Diese Menschen wollen nicht arbeiten, sie sind eine Schande für die Gesellschaft.“ Viele der Heiligen seien so wenig erleuchtet wie ihr Publikum. Rational bedeutet jedoch nicht areligiös. So sagt Chahan als Pilger vom Ganges: „Ich sehe den Fluss als meine Mutter, in ihm fließt das Leben.“Das filmische Kunstwerk lief Ende Januar 2011 in Programmkinos im deutschsprachigen Raum an und wird wohl demnächst als DVD erscheinen.


Angelika Koller, München