Alternative Medizin

Neues Rechtsgutachten zum Heilpraktiker-Beruf

Der Beruf des Heilpraktikers ist ein deutscher Sonderweg. Nachdem in den letzten Jahren mehrere Patienten nach der Behandlung durch Heilpraktiker verstorben waren, ist die Diskussion um die gänzliche Abschaffung dieses Berufs oder zumindest eine Überarbeitung des veralteten Berufsrechts, das aus dem Jahr 1939 stammt, neu entflammt (vgl. MdEZW 12/2016, 466f). Verschiedenartige Gesundheits- und Krankheitsauffassungen sowie die Tatsache, dass es über ein Dutzend Berufsverbände mit unterschiedlichen Standards und Qualitätskriterien gibt, erschweren die Übersicht. Vor kurzem hat nun das Bundesgesundheitsministerium ein Auftragsgutachten zur rechtlichen Situation der Heilpraktiker in Deutschland veröffentlicht.

Das über 300 Seiten umfassende Gutachten hat der renommierte Fachanwalt für Medizinrecht Christof Stock erstellt. Der Text ist systematisch gegliedert und durch ein ausführliches Inhaltsverzeichnis und ein differenziertes Stichwortverzeichnis benutzerfreundlich gestaltet. Als Gegensatz zur wissenschaftlich fundierten Schulmedizin, die Ärzte betreiben, bezeichnet der Gutachter die Tätigkeit von Heilpraktikern als „Alternativheilkunde“. Den Begriff Alternativmedizin vermeidet er, weil sie ja nicht wie die Medizin wissenschaftlich, sondern mit einem ganzheitlichen Blick auf die bio-psycho-soziale Person betrieben werde.

In seinem Gutachten spricht sich Stock für ein neues Heilpraktikerberufsgesetz aus. Nach der jetzigen Gesetzeslage werde die Bevölkerung nicht ausreichend vor Gesundheitsgefahren geschützt. Um diesen Schutz besser zu gewährleisten, schlägt er einen neuen Heilpraktikerberuf mit staatlicher Ausbildung und Prüfung vor. Für eine gänzliche Abschaffung des Heilpraktikers in Deutschland, die manche Kritiker fordern, sieht der Gutachter derzeit keine ausreichende Rechtsgrundlage. Denn dies würde einen massiven Eingriff in die Berufswahlfreiheit bedeuten, der nach seiner Ansicht nur in Betracht käme, wenn er zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlich auftretender Gefahren für die Gesundheit notwendig sei. Eine Feststellung solcher Gefahren sei derzeit nicht möglich. Das kriminelle Verhalten Einzelner könne nicht die Abschaffung eines gesamten Berufsstandes rechtfertigen.

Das Bundesgesundheitsministerium möchte mit dem Gutachten, das bisher in den Medien kaum beachtet wurde, eine öffentliche und ergebnisoffene Diskussion zum Heilpraktikerrecht anstoßen. In einem transparenten Meinungsbildungsprozess sollen alle betroffenen Kreise einbezogen werden. Zeitnah will das Bundesgesundheitsministerium in einen fachlichen Austausch mit den Bundesländern treten, die für den Vollzug des Heilpraktikergesetzes zuständig sind. Hoffentlich gelingt es, sowohl den notwendigen Patientenschutz als auch die kontrollierte Einbeziehung ganzheitlicher Methoden ausgewogen im Blick zu behalten und im Berufsrecht zu verankern.

Rechtsgutachten zum Heilpraktikerrecht: www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Gesundheit/Berichte/Rechtsgutachten_Heilpraktikerrecht_April_2021.pdf

(Abruf: 28.6.2021).

Michael Utsch, 10.07.2021