Günter Törner

Neuapostolische Kirche in der DDR. Dem Evangelium leben in einem sozialistischen Staat

Günter Törner: Neuapostolische Kirche in der DDR. Dem Evangelium leben in einem sozialistischen Staat, Duisburg 2017, 313 Seiten, 19,80 Euro.

Eine Rezension der vorliegenden Arbeit ist nicht einfach, weil der Bezugsrahmen unklar bleibt. Einerseits verdient das Thema einen wissenschaftlichen Zugang, denn die Geschichte der Neuapostolischen Kirche (NAK) in der DDR ist nicht nur ein konfessionskundlicher Sonderfall, sondern hier kann deutlich werden, wie die größte unter den kleinen Religionsgemeinschaften ihren Überlebensweg gesucht und gefunden hat. Andererseits erhebt das vorliegende Buch selbst keinen wissenschaftlichen Anspruch. So heißt es: „Dieses Projekt versteht sich nicht als historische Aufarbeitung im streng-wissenschaftlichen Sinne …“ (2). Zugleich ist der Verfasser Mathematikprofessor, was man der Publikation und ihrem Aufbau (besonders der differenzierten Gliederung!) sehr wohl anmerkt. Ohnehin lohnt zum besseren Verständnis der Publikation ein Blick auf den Autor: Er hatte zeit seines Lebens zahlreiche Ämter in der NAK inne und arbeitete in verschiedenen NAK-Projektgruppen mit (313). Er ist also ein Insider und bekam Zugang zu innerkirchlichen Archiven. Zugleich ist er, was bei diesem Thema durchaus eine Rolle spielt, ein Westdeutscher. Er schreibt distanziert über die DDR, stellenweise gar wie über ein fernes Land (vgl. z. B. das Kapitel über Jugendweihe und Konfirmation, 249).

Man wird dem Fleiß und dem Engagement des Autors am besten gerecht, wenn man feststellt, dass es sich bei dem vorliegenden Buch eher um eine Sammlung von Informationen handelt als um eine Analyse. Törner hat eine erstaunliche Fülle von Informationen zusammengetragen: Details, die wohl kaum jemand kannte, und Erinnerungen, die verblassen. Man muss ihm danken, dass er sie dokumentiert und dem Vergessen entreißt. Das gilt für die vielen Faksimiles, Fotos und Abbildungen, Artikel aus DDR-Zeitungen, Dokumente und Ausweise sowie für private Erinnerungen. So findet man beispielsweise das Cover der einzigen Schallplatte, die mit NAK-Bezug in der DDR erschienen ist (259). Törner berichtet, dass Erich Mielke, der langjährige Minister für Staatssicherheit, einen Bruder hatte, der der NAK angehörte (200), und er dokumentiert eine Karikatur aus dem SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ vom Mai 1958 über einen SED-Parteigenossen, der der NAK angehört und den bezeichnenden Namen „Genosse Fromme“ trägt (242).

Törner hat sogar DDR-Briefmarken in das Buch aufgenommen. Ich gestehe, dass mich das zuerst befremdet hat. Ich fragte mich, welchen Erkenntniswert propagandistisch aufgeheizte Briefmarken haben – doch: Sie haben einen! Denn diese Abbildungen ermöglichen gerade jüngeren Lesern einen besseren Zugang zum Leben in der DDR und zum grandiosen Heilsanspruch der SED-Ideologie. Die Ikonografie dieser Briefmarken illustriert den Widerspruch zwischen der christlichen Heilshoffnung und der Heilsverheißung einer „Partei, die immer recht hat“, besser als manch langatmiger Text.

Kritisch bleibt anzumerken, dass leider viele Zitate nicht oder völlig unzureichend nachgewiesen sind (z. B. 252 u. ö.). Das ist bedauerlich und schmälert den Wert der Publikation. Auffällig ist zudem, wie zurückhaltend sich der Autor über die Rolle seiner Kirche in sog. „heiklen Fragen“ äußert. Als z. B. Anfang 1989 die Krise der DDR unübersehbar war und sich in den (evangelischen und katholischen) Kirchen die Opposition sammelte, schrieb Stammapostel Richard Fehr Ergebenheitserklärungen an die DDR-Regierung. Törner deutet lediglich an, dass „der Vatikan“ seinerzeit diplomatischer vorgegangen sei (99). Das ist zutreffend, zugleich jedoch muss man sehen, dass man die NAK nicht mit dem Vatikan vergleichen kann. Die NAK war viel zu sehr nach innen gekehrt, viel zu klein, viel zu verletzlich, als dass man politischen Widerstandsgeist hätte erwarten können. Es wäre an der Zeit, diese Frage mit Augenmaß zu erörtern. Und es wäre an der Zeit, den Begriff des Widerstands zu differenzieren. Die Christengemeinschaft beispielsweise war in der DDR wesentlich kleiner als die NAK und ermöglichte geistlichen Widerstand. Das ist in einer Diktatur viel wert. Aber wen der Nachgeborenen interessiert das heute noch?


Andreas Fincke, Erfurt