Fundamentalismus

National Geographic vermisst Evolutionskritik

(Letzter Bericht: 5/2006, 181ff) Die Verbreitung christlich-fundamentalistischer Kritik an naturwissenschaftlichen Evolutionstheorien wird durch eine aktuelle Meta-Studie der National Geographic Society1 von 2006 untersucht. Die Studie fasst zahlreiche Ergebnisse in Europa und Japan seit 1985 mit denen in den USA zu-sammen. Danach betrachten heute jeweils knapp 40 Prozent der US-Bürger die Evolutionstheorie als „wahr“ oder als „falsch“, 21 Prozent sind sich unschlüssig. Unter allen erfassten Staaten liegt diese Rate nur in der Türkei mit gut 50 Prozent Ablehnung und vielen Unschlüssigen höher. In den meisten europäischen Ländern und in Japan akzeptieren 60 Prozent bis über 80 Prozent der Menschen die Evolutionstheorie, wobei dieser Wert eher vom technischen Entwicklungsstand als von der religiösen Prägung abzuhängen scheint. Entschiedene Ablehnung, bei der man religiöse Gründe vermuten kann, äußerten in Europa nur 7 Prozent (Großbritannien) bis maximal 15 Prozent (Niederlande). In den USA lag dieser Wert bei erstaunlichen 32 Prozent. Die Studie geht davon aus, dass der Einfluss religiöser Ideen auf die Haltung zur Evolutionstheorie in den USA doppelt so stark anzusetzen ist wie in Europa. In Europa sei, so die Studie, der politische Konservativismus nicht mit Evolutionskritik verbunden, wohl aber in den USA: „In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts übernahm der konservative Flügel der Republikaner den Kreationismus als Teil eines Programms, das darauf zielte, ihre Unterstützung in den Südstaaten und denen des Mittleren Westens zu festigen.“

Die Debatte um „Creation Science“ und „Intelligent Design“ ist folglich in den USA stark politisiert und hat einen Stellenwert, der sich in Europa nur schwer nachvollziehen lässt. Wortführer ist dabei das Institute for Creation Research, inzwischen mit dem Direktor John Morris, dem Sohn des kürzlich verstorbenen Gründers. Zu erwähnen ist weiterhin die Creation Science Feollwship in Pittsburg, Pennsylvania, die alle vier Jahre eine internationale Konferenz veranstaltet. Die sechste wird 2008 in San Diego zum Thema „Entwicklung und Systematisierung von Schöpfungsmodellen“ stattfinden. Viel aggressiver tritt die Organisation „Answers in Genesis“ (AiG) des Australiers Ken Ham auf (Hauptsitz in Kentucky). Eine unduldsame Polemik gegen Andersdenkende nimmt bei AiG viel Raum ein. Sie beschäftigt 2006 über 160 hauptamtliche Mitarbeiter und plant die Eröffnung eines kreationistischen Naturkundemuseums für mehrere Millionen Dollar. Ähnlich agiert „The Creation Science Association for Mid-America“ (CSA) in Kansas, die ebenso wie „Answers in Genesis“ an dem Streit um den naturwissenschaftlichen Unterricht in Kansas beteiligt war, der 1999 mit der Entscheidung einsetzte, an den staatlichen Schulen die Evolutions-theorie auszusparen. Alle Übel der Welt, Kriminalität, Unmoral und sogar die „hundert Millionen Toten des zweiten Weltkriegs“ werden der sog. „Evolutionslüge“ angelastet. In der Selbstdarstellung von CSA im Internet heißt es: „Die verbreitete Akzeptanz dieser falschen Ursprungsidee hat körperlichen Schaden für Millionen Menschen allein in diesem Jahrhundert und Gesetzlosigkeit in unserer Gesellschaft verursacht und unzähligen Menschen eine gute Beziehung zu ihrem Schöpfer genommen.“2

Der Glaube verbindet sich bei AiG und CSA (und vielen anderen ähnlichen Organisationen in den USA) mit politischem Fanatismus. Von daher entsprechen diese, in Europa nahezu unbekannten, Gruppen eher als das ICR (und viel eher als die deutsche Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“) dem Feindbild Fundamentalismus, wie es kirchlich-liberale und säkulare Kreise pflegen, und wie es durch die Politik der Neo-Konservativen um Präsident G. W. Bush in der europäischen Wahrnehmung fixiert wurde.


Hansjörg Hemminger, Stuttgart


1 Siehe http://news.nationalgeographic.com/news/2006/08/060810-evolution.html, Stand 25.8.2006.

2 Aus www.csama.org/CSA-INFO.HTM, Stand 20.8.2006.