Mormonen

Namenskorrektur bei den Mormonen

(Letzter Bericht: 3/2018, 105f) Seit fast 200 Jahren werden die Angehörigen der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ bzw. „Church of Jesus Christ of Latter-day Saints“ – so ihr offizieller Name – „Mormonen“ genannt. Der Begriff kommt von dem „Buch Mormon“, einer Sammlung neuer Gottesoffenbarungen, die ihr Gründungsprophet Joseph Smith 1830 erstmals veröffentlichte. Schon in der Frühzeit benutzten die Mormonen einschließlich Joseph Smith den anfänglich von ihren Gegnern lancierten Spottnamen auch als Selbstbezeichnung.

Am 16. August 2018 verkündete der neue leitende Prophet, Präsident Russell M. Nelson, künftig solle der Begriff „Mormonen“ nicht mehr verwendet werden. Gott habe ihm bewusst gemacht, wie wichtig der offizielle Name der Kirche sei. Bekanntgegeben wurde dies ausgerechnet auf der kircheneigenen Seite www.mormonnewsroom.org  – ein Hinweis darauf, dass das Unterfangen nicht ganz einfach sein wird.1 Denn der griffige Name ist auch innerhalb der mormonischen Gemeinschaft fest verankert und wird an vielen Stellen auch offiziell verwendet.

Bisher wollte die Kirche laut „Style Guide“ für die Presse zwar mit ihrem vollen Namen vorgestellt werden, hatte aber gegen die Bezeichnung „Mormonen“ nichts einzuwenden. Nun soll außer „Mormonen“ auch die griffige Abkürzung „LDS“ für „Latter-day Saints“ verschwinden, die bislang auch intern umgangssprachlich ganz selbstverständlich verwendet wurde. Stattdessen wird auch für Journalisten angeregt, immer den vollen Namen zu nennen oder aber „Die Kirche“ beziehungsweise „Die Kirche Jesu Christi“ zu sagen und ausschließlich von „Latter-day Saints“ zu sprechen.

Das Ansinnen ist allerdings für die ökumenisch verbundenen christlichen Kirchen schwierig. Denn „die Kirche Jesu Christi“ ist eine feste theologische Bezeichnung für die universale unsichtbare Kirche Christi, von der nach ökumenischem Verständnis alle sichtbaren Kirchen nur ein Teil sind. So heißt es in den „Grundlagen der ökumenischen Zusammenarbeit“ der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK): „Durch ihre Mitgliedschaft in der ACK bringen [die Mitgliedskirchen] zum Ausdruck, dass sie miteinander in der Gemeinschaft der einen Kirche Jesu Christi an der Gotteskindschaft teilhaben.“2 Abgesehen von der unvermeidlich entstehenden sprachlichen Verwirrung kann also aus theologischen Gründen keine einzelne Gemeinschaft diesen Begriff exklusiv für sich beanspruchen.

Schon die Bezeichnung der Mormonen als „die Kirche“ führt zu Unklarheiten, weil „Kirche“ sprachgeschichtlich ein genuin christlicher Begriff ist und kein Synonym für „Religionsgemeinschaft“. Ausnahmslos alle ökumenisch verbundenen Kirchen aber sehen Mormonen nicht als christliche Kirche, sondern als eigenständige Neuoffenbarungsreligion.

Man kann (und sollte) zwar dort, wo es möglich ist, im Sinne einer Selbstbezeichnung von der „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ sprechen, ebenso wie von der „Church of Scientology“ oder der „Church of Satan“. Aber als Standardbezeichnung ist das schlicht zu sperrig. Und manches lässt sich bei Befolgung des neuen „Style Guide“ gar nicht mehr ausdrücken. Für „Mormonismus“ bzw. „Mormonentum“ zur Bezeichnung der mormonischen Bewegung mit ihren vielen Untergruppen gibt es keinen Ersatz. Auch ein Adjektiv anstelle von „mormonisch“ ist nicht in Sicht.

Die jetzige Korrektur folgt auf jahrzehntelange erfolglose Vorstöße mormonischer Führer.3 Nelson begründete seinen Schritt mit Gottes Willen. Für die Latter-day Saints bedeutet das nun viel Arbeit. Seit Jahren gab es internationale Werbekampagnen mit Filmen („I’m a Mormon“, „Meet the Mormons“), offizielle Webseiten (mormon.org), den karitativen Flügel „LDS-Charities“ usw. All das wird nun wohl verschwinden müssen, wobei auch mormonische Fachleute die Verlautbarung des leitenden Propheten für werbetechnisch kontraproduktiv halten – ein PR-Coup ist das Ganze sicher nicht.

Die Neuregelung passt zu einer Tendenz, die seit langem in der mormonischen Außendarstellung zu beobachten ist: Hier werden die vielen nichtchristlichen Besonderheiten im mormonischen Lehrgebäude beiseitegelassen und eher jene Elemente betont, die man mit dem Christentum gemeinsam hat. Seit 1982 zum Beispiel veröffentlicht man das Buch Mormon mit dem neuen Untertitel „Ein weiterer Zeuge für Jesus Christus“. Ein im August 2018 (im Mormon Channel auf YouTube) veröffentlichtes Jesus-Video des leitenden Propheten Nelson stellt die Erlösungslehre so auf Jesus zentriert und allgemein christlich dar, dass abgesehen von einer kurzen Erwähnung Joseph Smiths nichts auf mormonische Besonderheiten hinweist.4 In einer neueren deutschen Broschüre mit Kurzvorstellung der Gemeinschaft werden zwar die weltweit größten genealogischen Archive erwähnt – aber mit keinem Wort erfährt man, dass es dabei um die Praxis der Totentaufe geht.

Da mormonische Mission vor allem unter Christen stattfindet, fördert diese Praxis das Missverständnis, Mormonen seien einfach eine weitere christliche Konfession, nicht eine neue Religion. Das dürfte die Schwelle für christliche Konvertiten senken. Manche Forscher sind allerdings der Ansicht, dass es hierbei nicht nur um effektive Außendarstellung und Mission geht, sondern dass diese Beobachtungen auf eine tatsächliche Entwicklung hinweisen, in der die Mormonen sich ganz langsam in Richtung einer traditionell-christlichen Dogmatik entwickeln.

Vorläufig richtet sich die neue Regelung von Präsident Nelson vor allem an die eigenen Gläubigen, denn erst wenn man intern sprachlich konsequent sei, könne sich das auch außerhalb durchsetzen. Die Mitglieder wiederum diskutieren auf internen Webseiten lebhaft und kontrovers, ob man einen so fest etablierten Sprachgebrauch einfach abschaffen könne. Während einige auf die praktischen Probleme hinweisen, andere den Schritt begrüßen, die Dritten das Ganze für überflüssige Nebensächlichkeiten halten („Legt Jesus so viel Wert auf Public Relations?“), nutzen viele die Gelegenheit für öffentliche Ergebenheitsadressen an die Obrigkeit. Das klingt dann so: „AMEN to all those who sustain and support The Lord’s Prophet: President Russell M. Nelson. As for me and my house, which includes my children and grandchildren, we will do our best to follow our Savior and His Prophet.“5


Kai Funkschmidt


Anmerkungen

  1. Vgl. www.presse-mormonen.de/artikel/der-name-der-kirche  (Abruf der Internetseiten: 30.8.2018).
  2. Orientierungshilfe über die Grundlagen der ökumenischen Zusammenarbeit in den Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene, hg. von der ACK, o. O., o. J. [Frankfurt a. M. 2006].
  3. Vgl. www.deseretnews.com/article/900028401/the-church-of-jesus-christ-of-latter-day-saints-issues-new-name-guidelines-dropping-term-mormon-in-most-uses.html.
  4. Vgl. https://youtu.be/YRwQzKe-51o .
  5. www.deseretnews.com/article/900028690/were-correcting-a-name-church-president-russell-m-nelson-tells-latter-day-saints-in-canada.html . Interessant ist übrigens der gesittete Tonfall der kontroversen Diskussionen, auch ehemaliger Mormonen, auf der Webseite der Zeitung Deseret News (Salt Lake City).