Heiko Ehrhardt

„Möge die Macht mit euch sein“

Einige Anmerkungen zur Star Wars-Saga

„Es gibt kein Entkommen … – und warum auch?“

„Diese BILD haben Du musst“ – so prangte es in großen gelben Buchstaben auf der Titelseite der „BILD-Zeitung“ am 12. Dezember 2015. Irgendwie merkwürdig – oder mit den unter Fans oft zitierten Worten Han Solos: „Ich hab da ein ganz mieses Gefühl.“ Denn dass ausgerechnet die BILD-Zeitung einer Space Opera2, die sich in ihrer Herkunft dem links-alternativen Geist der späten 1970er Jahre verdankt,3 einen kompletten Titel widmete, war nicht unbedingt zu erwarten.4

Oder vielleicht doch? Denn das, was 1977 als eher belächeltes Projekt des aufstrebenden Regisseurs George Lucas begann, hat längst einen Siegeszug um den ganzen Planeten angetreten, einen Siegeszug, wie es ihn in der Geschichte des Kinos nur sehr selten gegeben hat. Laut Wikipedia haben die ersten sechs Episoden inflationsbereinigt annähernd zehn Milliarden Euro eingespielt, und die aktuelle 7. Episode ist gerade auf dem Weg, an den Kinokassen der erfolgreichste Film aller Zeiten zu werden. George Lucas jedenfalls hat von diesem Hype enorm profitiert – es gilt als gesichert, dass er seine Firma Lucasfilm im Jahr 2012 für mehr als vier Milliarden Dollar an Disney verkauft hat. Nimmt man die Ergebnisse des weltweiten Merchandisings hinzu,5 dann landet man in Dimensionen, die leicht an den Börsenhype um Firmen wie Facebook erinnert. Nur dass es hier um real verkaufte Produkte und reale Einnahmen geht.

Anders gesagt: Star Wars ist ein weltweites Phänomen, dem man sich kaum entziehen kann. Bilder – etwa die dunkle Maske des Erzschurken Darth Vader oder die weißen Uniformen der imperialen Sturmtruppen – und Zitate („Möge die Macht mit euch sein“) sowie die verdrehte Grammatik des Jedilehrers Yoda („Grammatik bei Yoda gelernt ich habe“) sind so gut wie allen Menschen, die nach 1950 in der westlichen Hemisphäre geboren sind, irgendwie bekannt. So gut bekannt sogar, dass man davon ausgehen kann, dass diese Bilder, Begriffe und Zitate einen festen Platz im kollektiven Unterbewussten der westlichen Welt gefunden haben.6 Dazu kommt die Filmmusik von John Williams – zumindest das Star-Wars-Thema und den Marsch der imperialen Sturmtruppen kennt so gut wie jeder, der sich irgendwie mit Musik beschäftigt.

Wer bislang meinte, sich dem Star-Wars-Universum entziehen zu können, der wurde mit dem Start von Episode 7 eines Besseren belehrt: Keine Supermarktkette, kein Elektromarkt, kein Fastfood-Restaurant, keine Illustrierte und schon gar kein Internetauftritt, der nicht auf die eine oder andere Weise auf den Star-Wars-Hype verwies oder mehr oder weniger sinnlose Merchandiseartikel an den Kunden zu bringen suchte. Selbstverständlich gibt es denn auch Star-Wars-Motive auf Schlafanzügen oder Unterwäsche. Star-Wars-Artikel waren zu Weihnachten 2015 nahezu omnipräsent, entziehen konnte man sich so gut wie gar nicht. Selbst die gute alte PEZ-Box kam noch einmal als überdimensionale Jumbobox mit dem Konterfei Darth Vaders zu Ehren. Gebraucht hat das wirklich niemand.

Wenn man dann allerdings weiß, dass es vor allem ganz junge Kinder – häufig Grundschüler – sind, die besonders begeisterte Fans sind, dann ist abzusehen, dass der Hype noch eine lange Zeit anhalten wird.

Natürlich gibt es auch eine Menge von Parodien – sie reichen von Mel Brooks „Spaceballs“ (in dem Yoda fatalerweise „Yoghurt“ heißt, wie Mel Brooks aussieht und das hohe Lied des Merchandisings singt) über die „Yedi Kittens“ und „Darth Vader Privat“ (beides sind YouTube-Hits) bis hin zu Helene Fischer („Atemlos durch die Macht“) und sogar zu Blake Edwards: Dieser stellt in seinem Film „Skin Deep“ von 1988 die berühmten Lichtschwertduelle tatsächlich in einem dunklen Raum mit Leuchtkondomen nach. Bisweilen ist es einfach auch die Anzahl und die Qualität der Parodien, die über Bekanntheit und Qualität eines Originals entscheiden.

Also keine Chance, sich zu entziehen? Star Wars: der eine Hype, der alle vorigen und alle folgenden Hypes in sich relativiert? Vermutlich ja – selbst die Titanic konnte nur eine begrenzte Zahl von Menschen in ihren Bann schlagen. Zumal „Titanic-Cookies“ wohl auch pietätlos wären – wohingegen „Wookiee-Cookies“ einen irgendwie schrillen Charme ausstrahlen.

Star Wars ist also ein Phänomen, das Generationen und Kulturen überschreitet.7 Und vielleicht ist das auch gut so. Denn die Themen, die Star Wars auf der Klaviatur der offenen und verstecken Themen unserer Welt, unseres Lebens anschlägt, sind so elementar, dass sie jeden Menschen dieser Welt ansprechen können. Liebe und Hass, Leben und Tod, die Beziehung zu Vater und Mutter und vor allem: die Hoffnung darauf, dass dies alles – unser Leben, unsere Existenz – einen Sinn, ein Ziel hat – wen würde das nicht interessieren? Wer sucht keine Antwort auf diese Fragen? Es mag sein, dass der unlängst verstorbene David Bowie „nur“ ein Popstar war. Die Fragen freilich, die sich dem Menschen der Gegenwart stellen, hat er in Töne und Worte gefasst: „Live on Mars?“8

Wenn je – was durchaus wahrscheinlich ist – extraterrestrisches Leben entdeckt werden wird: Wie wird es aussehen? Und welche Religion wird es haben? Und welcher Optimismus beseelt uns als Christen, dieser Frage auszuweichen?9 Star Wars gibt keine Antworten. Wie auch? Aber es deutet Antworten an.

„Es ist voller Sterne“10

Lässt man sich auf das Star-Wars-Universum ein, ist man vom ersten Moment an überrascht, wie vielfältig und fantastisch die Kreaturen sind, die dieses Universum bevölkern. Kennen „normale“ Fantasy-Romane häufig nur die üblichen Menschen, Zwerge, Elfen, Orks und Trolle und dann vielleicht als besonderes Bonbon noch den einen oder anderen Hobbit,11 so wird man von der Vielzahl der Wesen, die das Star-Wars-Universum bevölkern, förmlich erdrückt. Nicht umsonst sind Lexika, die die Kreaturen und die verschiedenen Raumschiffe auflisten, ebenso gefragt wie Atlanten der verschiedenen Systeme und Sterne. Der kurze Blick in die Bar im Raumflughafen Mos Eisley auf dem Planeten Tattooine in Episode 4 jedenfalls zeigt, was für eine enorme Fantasie und Erfindungsgabe Regisseur George Lucas hatte.

Manche dieser Wesen sind über die Zeit sogar zu echten Stars geworden: so der Wookiee Chewbacca, der Jedilehrer Yoda, der intergalaktische Gangsterboss Jabba the Hut oder der – ein wenig wie ein wandelnder Mülleimer aussehende - Kopfgeldjäger Boba Fett.

Da all diese Wesen unterschiedliche Heimatplaneten bewohnen und all diese Planeten auf je eigene Weise zur intergalaktischen Allianz gehören, stellt sich natürlich die Frage, wie diese vielfältige Welt zusammengehalten und beherrscht werden kann. Hier bricht dann der eine Hauptkonflikt der gesamten Star-Wars-Saga auf: Es stehen sich zwei grundsätzliche Systeme gegenüber. Zum einen die Republik, die demokratisch verfasst ist und in der alle Mitglieder die gleichen Mitbestimmungsrechte haben. Dass dies in einem derart großen und vielschichtigen Universum durchaus problematisch ist, wird in Episode 1 immer wieder deutlich – die Ratssitzungen wirken fast wie eine Parodie, und unaufhaltsam steuert alles auf den Moment zu, an dem der machtgierige Senator Palpatine (der spätere „Imperator“) quasi diktatorische Vollmachten übertragen bekommt. Der Republik steht das zentral gelenkte Imperium gegenüber. In diesem herrscht das Recht des Stärkeren, durch das bereits kleine Abweichungen drakonisch bestraft werden. Offensichtlich stand George Lucas hier und auch an anderen Stellen – vor allem in den vom Imperium verwendeten Uniformen und Emblemen – Nazideutschland vor Augen.12

Mit diesem Gegensatz von Republik und Imperium ist der eine durchgängige Handlungsstrang benannt. Trotz aller Schwächen, trotz aller Probleme, die eine derart große Republik (ab und zu ist auch die Rede von einer Konföderation) mit sich bringt, ist diese Herrschaftsform der Tyrannei des Imperiums eindeutig überlegen. Denn das Imperium regiert mit Furcht und Schrecken, mit Gewalt und Zerstörung. Mal eben einen kompletten Planeten zu zerstören – das gehört schon fast zum Standardprogramm. Tatsächlich gibt es in den sieben bisherigen Episoden dreimal einen „Todesstern“, der in der Lage ist, einen kompletten Planeten zu zerstören. Und dass die voluminösen Mutterschiffe des Imperiums den Namen „Sternenzerstörer“ tragen, ist als abschreckende Absichtserklärung zu verstehen.

Besonders deutlich wird die Brutalität des Imperiums in Episode 7. Hier wird direkt in der Einleitungssequenz ein komplettes Dorf mit allen Bewohnern vernichtet. Auch wenn diese Gewalt in Bildern nur angedeutet wird, ist deutlich, wozu das Imperium in der Lage ist. Anders die Republik: Hier herrscht zumindest dem Anspruch nach Recht und Ordnung. Eine demokratisch legitimierte Herrschaft wird ebenso angestrebt wie eine stabile Rechtsordnung. Und das alles soll dem Frieden und der Aussöhnung dienen.

Der Hintergrund dieses Denkens stammt aus der Philosophie der Jedi. Sie prägt die Star-Wars-Saga durchgehend, und sie verleiht der gesamten Handlung eine philosophisch-spirituelle Dimension.

„Die dunkle Seite der Macht gewählt er hat“

Dieses resignative Zitat aus dem Mund des Jedimeisters Yoda fasst schlagartig ins Bild, worum es in Star Wars im Tiefsten geht: darum, dass der Mensch – oder zumindest besonders begabte Menschen – vor der Wahl zwischen der dunklen, bösen Seite der Macht und ihrer hellen, guten Seite stehen. Diese einfache Diastase zwischen Gut und Böse prägt die gesamte Star-Wars-Serie. Dabei nennt man die, die auf der „hellen Seite der Macht“ stehen, Jedi, und die, die auf der „dunklen Seite der Macht“ stehen, sind die sogenannten Sith.

Jedis gibt es deutlich mehr als Sith. Auch wenn in den Episoden 4 bis 6 der Eindruck erweckt wird, es gebe außer Obi-Wan Kenobi, Yoda und Luke Skywalker keine weiteren Jediritter, wird dieser Eindruck in den Episoden 1 bis 3 deutlich korrigiert. In diesen drei Teilen gibt es nicht nur eine Vielzahl von Jedirittern, die nach Hautfarbe, Geschlecht und Rasse ein buntes Bild bieten, nein, es gibt sogar einen „Jeditempel“, in dem junge Jedi ausgebildet werden.

Demgegenüber ist die Gruppe der Sith ausgesprochen überschaubar: Es gibt immer nur zwei Sith, einen Lehrer und einen Schüler. Erkennbar sind sie in der Regel an dem Namenszusatz „Darth“. Dieser bedeutet so viel wie „Herrscher“ oder „Kaiser“, wird oft auch als eine Kurzfassung von „Dark Lord oft he Sith“ erklärt.

Auch wenn es eine Reihe von Jedirittern gibt, die offensichtlich nicht humanoid sind – das beste Beispiel ist der Jedimeister Yoda – sind die Sith, soweit sie in den Filmen vorkommen, durchgehend humanoid. Lediglich Darth Maul, der in Episode 1 vorkommt, gehört zur Rasse der humanoiden Zabrak. Aufgrund der „Regel der Zwei“, nach der es immer nur zwei Sith geben darf, ist Darth Maul aber kein vollwertiger Sith und insofern als Ausnahme zu betrachten.

Und mit dieser recht grob gestrickten Unterscheidung zwischen den „Guten“ und den „Bösen“ wird Star Wars zu einem kosmischen Märchen. Denn im Märchen ist die fundamentale Scheidung zwischen Gut und Böse in aller Regel mitgesetzt: Niemand fragt, warum die Hexe böse ist. Sie ist es einfach. Und weil sie es ist, tut sie Böses und kann im Grunde nur durch den Tod überwunden werden.13

Star Wars ist an dieser Stelle zwar etwas differenzierter – so schildern die Episoden 1 bis 3 ausführlich den Weg Anakin Skywalkers zur dunklen Seite der Macht, und sein Tod am Ende von Episode 6 ist eine späte Sühne, keine Bestrafung – gleichwohl bleibt das Element des Märchenhaften durch die holzschnittartige Zeichnung von „gut“ und „böse“ erhalten. Anders als beim großen Epigonen „Star Trek“ geht es im Kern eben nicht darum, die Grenzen des Vorstellbaren zu erreichen und zu erweitern14, sondern eine Geschichte von Gut und Böse, von Leben und Tod, von Mut und Verrat, von Liebe und Hass – kurz eine Geschichte vom Leben an sich zu erzählen. Deshalb passt auch der etwas abfällig klingende Titel „Space Opera“ besser als jede andere Genrebezeichnung – es geht um das Leben an sich – und das in eine kosmische Dimension versetzt und in epischer Breite erzählt.15

Und dieses Leben wird so unmittelbar von der „Macht“ umschlossen, dass letztlich das Verhältnis zur Macht ausschlaggebend ist für die Beurteilung eines Charakters und dass die Ausgewogenheit der Macht entscheidend dafür ist, dass das Leben und Kosmos im Einklang sind.

Dabei ist verblüffend, dass das, was die „Macht“ eigentlich ist, im Nebulösen verbleibt.16 So nebulös ist die Macht, dass in den Filmen mehrfach Figuren auftauchen, die schlichtweg bestreiten, dass es die Macht und/oder das Jeditum gibt. Man kann sogar immun gegen die Wirkungen der Macht sein.17 Die, die zweifeln, werden allerdings immer wieder eines Besseren belehrt. Denn auch dann, wenn man die Macht weder definieren noch greifen kann, lassen sich ihre Folgen sehen oder auch schmerzhaft – bisweilen sogar tödlich – spüren. Da, wo die Macht wirkt, verleiht sie übermenschliche Kräfte: Telekinese18, Telepathie, die Fähigkeit, weniger starke Charaktere mental zu beeinflussen19 oder sogar einen Menschen mittels Sauerstoffentzugs zu töten.

Allerdings gibt es eine wesentliche Einschränkung: Diese gewaltigen Fähigkeiten stehen nur sehr wenigen Lebewesen offen. Zwar können die allermeisten die Macht spüren – über sie verfügen können aber nur einige wenige. Trotzdem ist grundsätzlich festzuhalten, dass es ein in sich geschlossenes System gibt, das den ganzen Kosmos durchwaltet. Die Frage also, ob unterschiedliche Galaxien unterschiedliche Religionen – oder auch gar keine Religion – ausbilden, wird in Star Wars monistisch beantwortet. Es ist ein und dieselbe Macht, ein und dieselbe metaphysische Entität, die den ganzen Kosmos durchwirkt. Dies allerdings mit der erwähnten Einschränkung: Längst nicht alle Lebewesen sind in der Lage, sich der Macht zu bedienen. Die allermeisten können sie nur spüren, mehr nicht.

Ob man zu den wenigen Auserwählten gehört, die sich tatsächlich der Macht bedienen können, kann man bereits in der Kindheit durch einen einfachen Test feststellen. Denn die, die das Zeug zu einem Jediritter haben, müssen über eine entsprechend hohe Konzentration von „Midi-Chlorianern“ im Blut verfügen. „Midi-Chlorianer“ sind winzig kleine Lebewesen, die in Symbiose mit ihrem Wirt in allen Lebewesen20 vorkommen. Ihre Konzentration im Blut gibt darüber Auskunft, ob ein Lebewesen „machtsensitiv“ ist oder nicht.21 Das heißt dann aber im Klartext, dass die verschiedenen Lebewesen hinsichtlich ihrer Begabung ungleich sind – es gibt eine Gruppe von „Machtwesen“, die alle anderen beherrschen können.

Mit dieser Vorstellung weicht Star Wars deutlich von moderner Gebrauchsesoterik ab. Denn diese geht ja im Prinzip davon aus, dass es nur eine Frage der richtigen Kurse (und des Geldbeutels) ist, die über Fortschritte entscheidet.

Da demgegenüber die verschiedenen Individuen in Star Wars zwar grundsätzlich gleichwertig, nicht aber gleich begabt sind, kommt man zu der Frage, wer denn dann Herrschaft ausüben darf und wie diese ausgeübt werden soll. Und hier gibt – wie oben gezeigt – Star Wars eine eindeutige Antwort: Herrschaft muss demokratisch legitimiert sein und sich demokratischen Regeln beugen. Auch wenn dies im Einzelfall ein langwieriges und mühseliges Geschäft ist – die Alternative wäre Tyrannei und Despotentum. Und wenn die Macht aus dem Gleichgewicht gerät, tritt genau dies ein. Dann ist es möglich, dass ein „Imperator“, unterstützt von einem absolut loyalen Diener, nach der Alleinherrschaft greifen kann – selbst um den Preis, dass er auf diesem Weg ganze Welten zerstört.

Der Weg auf die „dunkle Seite der Macht“ hängt dabei immer von einer persönlichen Entscheidung ab. Auch wenn es nicht explizit gesagt wird, so ist es doch so, dass die, die als Repräsentanten der „dunklen Seite“ auftreten, nicht böse geboren sind. Sie haben sich dafür entschieden. Dabei ist die Entscheidung Ergebnis eines längeren Weges. Anders als z. B. bei Herakles oder Jesus, bei denen die grundlegenden Entscheidungen für das Gute und gegen die dämonischen Versuchungen am Anfang des Weges fallen – bei Herakles eindrucksvoll in das Bild vom Scheideweg gefasst, bei Jesus nicht minder eindrucksvoll als Versuchungsgeschichte erzählt – ist die Entscheidung für das Böse bei Anakin Skywalker/Darth Vader Ergebnis von immerhin drei langen Spielfilmen. Auch wenn Yoda schon in Episode 1 Bedenken hat, dauert es immerhin zwei weitere Filme, bis klar wird, dass sich Anakin wirklich der „dunklen Seite der Macht“ zuwendet.

Die Gründe aber, die ihn dazu führen, werden deutlich aufgezeigt: Eigenwilligkeit22, Zorn und Rache23 und vor allem Angst24 bahnen den Weg. Einen ähnlichen Weg nimmt der Imperator. Denn dieser taucht zu Beginn noch als durchaus seriöser Senator auf, um dann in den folgenden Episoden auf fragwürdige Weise immer mehr Macht auf sich zu vereinen, um sich dann schließlich als oberster Bösewicht zu entpuppen. Nimmt man hinzu, dass der von Christopher Lee gespielte Count Dooku/Darth Tyranus zunächst auch Jediritter und als solcher sogar Mentor von Obi-Wan Kenobi war, bevor er sich der „dunklen Seite der Macht“ zuwandte, dann liegt es nahe, davon auszugehen, dass es immer einer bewussten Entscheidung bedarf, um sich der „dunklen Seite der Macht“ zuzuwenden.

Die Macht an sich ist daher ethisch neutral. Sie kann gebraucht werden oder eben missbraucht. In diesem „Ruf zur Entscheidung“ liegt denn auch ein zutiefst religiöses Element: Dem Menschen ist mitgegeben, sich entscheiden zu können, und er muss zugleich mit den Konsequenzen dieser Entscheidung leben. Dass es dann die durch und durch menschlichen Emotionen von Angst, Hass und Zorn sind, die den Menschen auf die böse Seite treiben können, wird vor allem in den Episoden 1 bis 3 dargestellt.25

Dass der Mensch nicht „fertig“ ist – selbst dann nicht, wenn er wie Anakin Skywalker außergewöhnlich hoch begabt ist –, zeigt sich daran, dass eine lange und durchaus auch frustrierende Ausbildung vor denen liegt, die Jediritter werden wollen.26 Die Irrungen und Wirrungen, die auf dem Weg von Anakin und auch Luke Skywalker liegen, erinnern mehr an die Figur des mittelalterlichen Parzifal als an einen intergalaktischen Helden. Man vergleiche einmal Anakin oder Luke mit einem beliebigen Superhelden der Marvel-Comics. Dazwischen klaffen Welten.

Am Ende seines Weges freilich erntet der Mensch, was er gesät hat. Entweder er wird bestraft und getötet – so ergeht es dem Imperator – oder er sühnt seine Taten, was wiederum nur durch den Tod möglich ist, wie sich am Beispiel von Darth Vader zeigt. Anders gesagt: Zwar kann man von der „hellen Seite der Macht“ auf die dunkle Seite wechseln. Aber der Weg zurück ist nur um den Preis des Todes möglich.

Diese bittere Konsequenz ist eindeutig nicht christlich. Das, was den Kern des christlichen Glaubens ausmacht, die grundlose Gnade Gottes, die dem Sünder gilt und die ihm zu jedem Zeitpunkt seines Lebens offensteht, verfehlt diese an Schuld und Sühne orientierte Auffassung deutlich. Und darüber hinaus muss angemerkt werden, dass zwar sehr viel von negativen Emotionen wie Angst, Hass und Rache die Rede ist, aber auf der anderen Seite der Gegenbegriff „Liebe“ merkwürdig blass bleibt. Da, wo man „Liebe“ als Antwort erwarten würde, wird breit vom „Gleichgewicht der Macht“ geredet. Was das aber bedeutet, wie eine Welt aussehen könnte, die sich im Gleichgewicht befindet, wird allenfalls als Ahnung deutlich. Es ist jedenfalls ein auffälliges Zeichen, dass Leia, die als Schwester von Luke und als Tochter von Anakin Skywalker in hohem Maße über die Macht verfügt (dies wird in den Episoden 5 und 6 mehrfach deutlich gesagt), nie in den Rang eines Jediritters aufrückt. Wohl deshalb nicht, weil sie durch ihre offene Liebe zu Han Solo – den sie dann später heiratet und mit dem sie zumindest ein Kind hat – das Zölibat, das den Jedirittern auferlegt ist, nicht einhält. „Liebe“ als Antwort und als Lebensmöglichkeit wird somit weitgehend ausgeblendet bzw. in einen Bereich verschoben, im dem sie für die eigentliche Handlung kaum eine Rolle spielt.

Auch wenn sich George Lucas selbst als „gläubigen Menschen mit buddhistisch-methodistischer Überzeugung“ bezeichnet,27 muss man festhalten, dass Star Wars sehr viel mehr Buddhismus als Christentum enthält.

Ob sich dies in den neuen Episoden ändert? Angelegt ist es zumindest in der Figur des Kylo Ren. Denn dieser bringt als Sohn von Han Solo und Leia Organa und somit als Enkel von Anakin Skywalker/Darth Vader eigentlich alle Eigenschaften mit, sich auf der „hellen Seite der Macht“ zu etablieren. Sogar sein eigentlicher Vorname „Ben“ verweist auf die gute Seite – ist es doch der Kurzname von Obi-Wan Kenobi. Und dass er nicht wie die meisten anderen Sith den Titel „Darth“ trägt, mag einen Fingerzeig darauf geben, dass es sich hier um eine ambivalente Figur handelt.

In Episode 7 allerdings wird er nach dramatischem Zögern zum Mörder an seinem Vater Han Solo, womit die Vater-Sohn-Thematik aus den Episoden 4 bis 6 umgedreht wird. Es wird interessant sein, zu beobachten, wie dieser Handlungsstrang in den kommenden Episoden fortgesetzt wird.

Damit schließt sich der Kreis der epischen Saga. Noch sind nicht alle Geschichten erzählt. Noch sind nicht alle Fragen beantwortet. Es bleibt spannend.

Anmerkungen

  1. Die Zählung der Filme ist etwas gewöhnungsbedürftig: Der klassische Star-Wars-Film von 1977, der inzwischen unter dem Titel „Eine neue Hoffnung“ läuft, ist innerhalb der auf neun Teile angelegten Star-Wars-Saga eigentlich Episode 4. Die weiteren Episoden sind in der Reihenfolge ihrer Entstehung: „Das Imperium schlägt zurück“ (Episode 5, 1980), „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ (Episode 6, 1983), „Die dunkle Bedrohung“ (Episode 1, 1999), „Angriff der Klonkrieger“ (Episode 2, 2002) und „Die Rache der Sith“ (Episode 3, 2005) sowie „Das Erwachen der Macht“ aus dem Jahr 2015 – formal Episode 7 und Auftakt der dritten Trilogie, die die Saga dann bis zum Jahr 2017 (oder 2019 – hier gehen die Voraussagen auseinander) abschließen soll. Neben diese Kinofilme treten dann noch die animierte Serie „Clone Wars“ sowie diverse Computerspiele, die die verschiedenen Lücken zwischen den einzelnen Episoden abdecken. Ferner gibt es eine Reihe von Büchern und Comics, die die Story auf ihre je eigene Weise fortspinnen. Das Star-Wars-Universum ist daher durch die Vielzahl von verschiedenen Medien vielschichtig und deutlich größer, als die Filme ahnen lassen.
  2. Zu diesem ein wenig despektierlichen Begriff s. u.
  3. Auch wenn die Hightech-Umsetzung und der martialische Titel „Krieg der Sterne“ bisweilen darüber hinwegtäuschen: Im Kern geht es in allen Episoden um das friedliche Zusammenleben einer Vielzahl von interstellaren Rassen und Zivilisationen. Dieses wird durch die demokratisch organisierte Republik und die irenischen Jediritter deutlich besser gewährleistet als durch den zentralistischen Führerkult der Sith bzw. ihres Imperators. Diese friedliche, multikulturelle und völkerverbindende Zielrichtung verbindet Star Wars mit der wissenschaftlich deutlich fundierteren Star-Trek-Saga. Vgl. zu Star Trek die luzide Analyse von Michael Landgraf in: Heiko Ehrhardt/Michael Landgraf, Beam me up, Scotty! Religiöse Aspekte in populärer Science-Fiction, EZW-Texte 157, Berlin 2001, 25-58.
  4. Regisseur George Lucas hatte zwar mit „American Graffiti“ einen veritablen Hit gelandet. Trotzdem überwog anfänglich die Skepsis, ob das Star-Wars-Projekt irgendeinen Erfolg haben würde. Dass Star Wars am Anfang eher sperrig erschien, zeigt auch das Zitat von Harrison Ford: „Das ist ja furchtbar! George, so einen Mist kann man vielleicht in eine Maschine tippen, aber sprechen kann man es auf gar keinen Fall“ (zit. nach de.wikipedia.org/wiki/George_Lucas).
  5. Laut Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/George_Lucas) betrugen diese Einnahmen bereits im Jahr 2005 fast 20 Milliarden US-Dollar. Gegenwärtig kann man davon ausgehen, dass sich diese Summe mehr als verdoppelt hat.
  6. Fast aberwitzig mutet der Versuch von Chris Taylor (Wie Star Wars das Universum eroberte, München 2015, 9-32) an, auch nur einen Menschen zu finden, der die Welt von Star Wars überhaupt nicht kennt. Selbst der von ihm gefundene 88 Jahre alte Navajoindianer kannte zumindest ein Versatzstück aus einer Werbung.
  7. Während ich dies schreibe, besucht mich ein Flüchtling aus Afghanistan. Vorher war ich mit meinem Sohn im Kino, um Episode 7 zu sehen. Beide Menschen verbindet so gut wie nichts. Aber Star Wars kennen sie beide, vielleicht besser als ich.
  8. Frank Schätzing legt David Bowie in seinem Roman „Limit“ (Köln, 2009, 217) die passenden Worte in den Mund: „Aber all dieses Weltraumzeugs war immer nur eine Metapher für mich. Es ging immer nur um die spirituelle Suche.“
  9. Man überlege mal einen Moment: Wenn eine intelligente Spezies entdeckt wird – „irgendwo da draußen“ –, die überhaupt keine Gottesvorstellung hat: Würde sich dann unsere Theologie verändern? Oder wäre damit der Glaube an Gott faktisch erledigt?
  10. So die Quintessenz aus Stanley Kubricks Meisterwerk „2001“.
  11. Man lese bezüglich der Einfallslosigkeit vieler Fantasywelten einmal die Einleitung, die Stephen King zu seinem Mammutepos „Der dunkle Turm“ geschrieben hat. King selbst verlegt sein Fantasyepos daher in eine Welt, die große Ähnlichkeiten mit den „Spaghettiwestern“ der 1960er und 1970er Jahre hat. Vgl. Stephen King, Schwarz, München, 2003, IX-XX.
  12. Besonders deutlich wird dies noch einmal in der Rede, die General Hux in Episode 7 hält, bevor dann der neue Todesstern das vermeintliche Herz der Republik auslöscht. Diese Rede erinnert in Gestus, Tonfall und Inhalt sehr stark an die Rede, die Amon Göth in Spielbergs „Schindlers Liste“ vor der Räumung des Ghettos Krakau hält. Dieser Bezug ist gewiss beabsichtigt.
  13. Es ist einigermaßen erschreckend, wenn man als Erwachsener noch einmal die Märchen der Kindheit liest: Gestorben wird am Ende eigentlich immer und das auf durchaus brutale Weise. So verbrennt die Hexe bei Hänsel und Gretel in ihrem eigenen Ofen, die böse Königin in Schneewittchen muss in glühenden Eisenpantoffeln bis zum Tod tanzen und die beiden bösen Schwestern in Aschenputtel bekommen die Augen ausgehackt.
  14. „Space – the final frontier“: Dies ist das Leitmotiv eigentlich aller Star-Trek-Folgen.
  15. Chris Taylor, Wie Star Wars das Universum eroberte (s. Fußnote 6, 34f), beschreibt anhand der Spaltung zwischen Jules Verne und H. G. Wells, dass diese Teilung zwischen eher wissenschaftlich orientierten und rein fantastischen Werken in der Science-Fiction-Literatur von Anfang an mitgesetzt war.
  16. Das Internetlexikon „Jedipedia“ zitiert den Jedimeister Obi-Wan Kenobi aus der Romanvorlage für Episode 3: „Nicht einmal die Jedi wissen alles, was es über die Macht zu wissen gibt. Kein Sterblicher verfügt über ein solches Wissen. Wir sprechen vom „Willen der Macht“ wie jemand, der nichts von Gravitation weiß und meint, es sei der Wille des Flusses, ins Meer zu fließen: Es ist eine Metapher, die unsere Ignoranz beschreibt. Die einfache Wahrheit lautet: Wir wissen nicht, was der Wille der Macht sein könnte. Wir können es nie wissen. Er erstreckt sich so weit jenseits unseres begrenzten Verstehens, dass wir nur vor seinem Mysterium kapitulieren können“ (http://jedipedia.wikia.com/wiki/Macht). Auch wenn dieses Zitat so in keinem Film vorkommt, drückt es doch deutlich aus, wie wenig konkret das ist, was sich über die „Macht“ sagen lässt. Im selben Artikel wird darauf verwiesen, dass George Lucas die Idee der „Macht“ von Carlos Castaneda übernommen hat. An anderen Stellen wird darauf verwiesen, dass er sich beim Film „21-87“ des Regisseurs Arthur Lipsett bedient hat. Offensichtlich ist allerdings, dass das Konzept der „Macht“ in der Esoterik wurzelt und von George Lucas für seine Zwecke weiterentwickelt wurde.
  17. So etwa der zwielichtige Händler Watto in Episode 1. Am Rande sei angemerkt, dass er in der ursprünglichen Kinofassung noch einen jiddischen Akzent hatte. Dies wurde dann politisch korrekt für die DVD-Version geändert.
  18. Eindrucksvoll ist besonders die Szene in Episode 5, in der Yoda das in einen Sumpf gestürzte Raumschiff Luke Skywalkers mithilfe der Macht an Land befördert.
  19. Unter Star-Wars-Fans ist der Satz berühmt: „Das sind nicht die Droiden, die ihr sucht.“ Mit diesem Satz beeinflusst Obi-Wan Kenobi die imperialen Sturmtruppen derart, dass sie ihn passieren lassen, obwohl Obi-Wan Kenobi die beiden gesuchten Droiden R2D2 und C3PO natürlich bei sich hat, um sie durch die Kontrolle zu schmuggeln.
  20. Da es auch nicht humanoide Yediritter gibt, ist die Existenz von Midi-Chlorianern bei allen Lebewesen anzunehmen.
  21. Ein nicht machtbegabter Mensch hat demnach etwa 2500 Midi-Chlorianer in jeder Körperzelle, ein machtsensibler dagegen das doppelte. Die höchste je gemessene Konzentration von Midi-Chlorianern hat Anakin Skywalker – bei ihm wird in Episode 1 ein Wert von 20 000 gemessen. Dies führt zum einen zu der Frage, ob er überhaupt auf natürlichem Weg gezeugt wurde – die Idee einer Jungfrauengeburt wird hier angedeutet – und zum anderen zu der Frage, ob er der verheißene Erlöser ist, der das Ungleichgewicht der Macht wieder ins Gleichgewicht bringt. Der Fortgang der Geschichte zeigt, dass dem nicht so ist: Aus Anakin Skywalker wird die Gestalt des Bösen schlechthin: Darth Vader.
  22. Anakin bricht heimlich mit dem zölibatären Lebensstil, der Jedirittern eigentlich vorgegeben ist. Außerdem missachtet er immer wieder die Befehle seines Lehrers Obi-Wan Kenobi.
  23. Anakin rächt den Tod seiner geliebten Mutter blutig – eine Tat, die deutlich verurteilt wird.
  24. Die Angst vor dem Tod der geliebten Padme ist ein ganz starker Grund dafür, dass sich Anakin dem Imperator, der ihm Überwindung des Todes verspricht, zuwendet. Es ist interessant, dass diese Angst vor dem Tod auch bei Harry Potter vorkommt: Voldemort spaltet seine Seele in sieben Horkruxe, um so dem Tod zu entgehen. Dies wird von Dumbledore als abscheuliches Verbrechen verurteilt. Auch in der Fantasy bleibt demnach der Mensch an die eine Grenze der Sterblichkeit gebunden. Verletzt er sie, dann immer nur zum Schaden aller.
  25. Die hoch interessante Ausstellung „Star Wars Identities“, die im Sommer 2015 auch in Köln zu sehen war, zeichnete diesen Weg anhand eines Rollenspiels für die Zuschauer nach. Dabei wurde deutlich, dass sich George Lucas nicht nur von religiösen, sondern auch von psychologischen Erwägungen leiten ließ.
  26. Die aktuell erschienene Episode 7 scheint davon allerdings nichts mehr zu wissen. Schon ein Laserschwert in der Hand zu halten, reicht aus, um auch damit umgehen zu können. Was Luke in jahrelanger und für ihn auch immer wieder ärgerlicher Weise bei Yoda lernen muss, scheinen die Epigonen in Episode 7 einfach so zu können. Inhaltlich ist das ganz schwach.
  27. Vgl. de.wikipedia.org/wiki/George_Lucas. Die Vorstellung, dass der Mensch sich entscheiden kann, entscheiden muss, entstammt sicher seiner methodistischen Erziehung.