Stefanie Pfister

Messianische Juden

Zur gegenwärtigen messianisch-jüdischen Bewegung in Deutschland

(Letzter Bericht: 12/2008, 469f) Nach jahrelangem Rechtsstreit wurde die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen im Juli 2006 im Land Berlin als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt (vgl. MD 10/2006, 389-391). Im Mai 2009 hatte nun die Presseabteilung der Zeugen im Taunus viel zu tun, folgten doch nach und nach weitere Bundesländer der juristischen Einschätzung Berlins und verliehen der Religionsgemeinschaft ebenfalls den Körperschaftsstatus, darunter Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen, das Saarland, Brandenburg und Thüringen. Ein juristischer Erfolg in Österreich kam hinzu: Als 14. Religionsgemeinschaft wurden Jehovas Zeugen Anfang Mai vom zuständigen Bundesministerium staatlich anerkannt und haben damit nun einen öffentlich-rechtlichen Status.

Der Körperschaftsstatus in den deutschen Bundesländern wurde von Jehovas Zeugen nach eigenen Angaben nicht aus finanziellen Gründen angestrebt – Steuerbefreiungen hätten sie schon als gemeinnützige Vereine gehabt. Durch die Körperschaft könnten jedoch die Leitungsstrukturen und die rechtliche Vertretung vereinfacht werden. Die Anerkennung gewährt darüber hinaus die Rechte, Kirchensteuern zu erheben, Beamte anzustellen und in Rundfunkräten mitzuwirken. Das alles scheinen Jehovas Zeugen jedoch nicht zu beabsichtigen. Weil der Staat dem Herrschaftsbereich Satans zugerechnet wird, ist eine strikt apolitische Grundhaltung Programm. Die öffentlich-rechtlichen Medien werden verteufelt, und Wahlen werden aus religiösen Gründen abgelehnt. Auch Kirchensteuern will die Gemeinschaft nicht erheben, weil der Empfang von Dienstleistungen in den Königreichssälen nicht von finanziellen Gegenleistungen abhängig gemacht werde. Ebenso ist schulischer Religionsunterricht für Jehovas Zeugen kein Thema, weil die religiöse Erziehung einzig Aufgabe der Eltern sei. Allerdings würde die Wachtturm-Gesellschaft die Vermittlung christlicher Werte durch kostenfreie Publikationen und die gottesdienstlichen Zusammenkünfte in den Königreichssälen fördern.

Die von Brooklyn aus zentralistisch agierende Wachtturm-Gesellschaft, die besonders durch ihre gigantische Publizistik auffällt, funktioniert offensichtlich auch ohne Beamte reibungslos. Vor genau 130 Jahren, am 1. Juli 1879, veröffentlichte Charles Taze Russell (1952-1916) die erste Ausgabe seiner Zeitschrift „Zion’s Watch Tower and Herald of Christ’s Presence“, die eine unvorstellbare Erfolgsgeschichte aufweist. Russell, der ausdrücklich ein Christentum ablehnte, das Menschen an eine Organisation bindet, gründete deshalb eben keine Religionsgemeinschaft, sondern einen Verlag, die „Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft“. Eine überaus lukrative Firmenidee: Heute weist die Wachtturm-Gesellschaft stolz darauf hin, die weltweit meistverbreitete religiöse Zeitschrift herauszugeben. Die Zahlen sprechen für sich, denn die Monatsschrift wird derzeit in 174 Sprachen übersetzt und erscheint mit einer durchschnittlichen Auflage von 37 Millionen Exemplaren.

Die gesunde wirtschaftliche Substanz sollte jedoch nicht vom Inhalt ablenken! Der unbeirrbare Kampf der Zeugen für die staatliche Anerkennung steht in deutlichem Widerspruch zu ihrer strikten Distanzierung vom Staat. Weil Jehovas Zeugen diesen Widerspruch nicht plausibel auflösen können, liegt die Vermutung auf der Hand, dass es um Image-Gewinn geht. Die in Frage stehende Verfassungstreue und die Ablehnung von Bluttransfusionen lassen einzelne Bundesländer wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen derzeit noch zögern, den beantragten Körperschaftsstatus zu verleihen – man möchte diese religiöse Sondergemeinschaft nicht aufwerten. Im Jahr 2001 starb ein 16-jähriger Junge in Baden-Württemberg, weil seine Eltern – beide Jehovas Zeugen – eine lebenswichtige Bluttransfusion ablehnten. Vor einem Jahr musste eine 29-jährige Zeugin Jehovas in Hessen sterben, weil sie bei Komplikationen im Zusammenhang mit der Geburt ihres zweiten Kindes ebenfalls eine Bluttransfusion durch ihre Patientenverfügung verweigert hatte.

Ohne Zweifel besteht eine nicht zu unterschätzende Konfliktträchtigkeit bei Mitgliedern von Jehovas Zeugen, weil sie beispielsweise alle anderen Religionen verteufeln und Andersgläubigen ewige Vernichtung androhen. Sie verweigern ihren Mitgliedern den Zugang zu kritischer Literatur und stellen lebensrettende Bluttransfusionen nicht in das Ermessen des Einzelnen, sondern lehnen sie aus biblisch-theologisch nicht haltbaren Gründen ab. Jehovas Zeugen ist der Nachweis gelungen, die formaljuristischen Bedingungen für den Körperschaftsstatus zu erfüllen. Weil die freiheitlichen Grundrechte der Mitglieder jedoch nach wie vor eingeschränkt werden, sind bleibende öffentliche Aufmerksamkeit für diese Sondergemeinschaft und Kritik an ihr nötig.


Michael Utsch