Interreligiöser Dialog

„Meister, Gurus und Heilige. Über Autorität und Anleitung im Glauben“ - eine Podiumsdiskussion

Die Evangelische Akademie zu Berlin und das Berliner Forum der Religionen hatten sich für den Abend des 3. Juli 2018 einiges vorgenommen. Die Einladung der beiden Veranstalter kündigte an, die Facetten einer Meister-Schüler-Beziehung zu beleuchten und zudem mögliche Machtausübungen oder gar Unterdrückungen in einer Meister-Schüler-Beziehung mit einem interreligiös besetzten Podium zu diskutieren. (Programm: www.eaberlin.de/seminars/data/2018/rel/meister-gurus-und-heilige)

In der Durchführung zeigte sich, dass sich damit ein hoher Anspruch verband, der nur teilweise eingelöst werden konnte. So nahm die, in einem solchen Rahmen natürlich grundsätzlich notwendige, Vorstellung und Verständigung über das jeweilige Verständnis der Meister-Schüler-Beziehung so viel Raum ein, dass mögliche Konflikte, die aus einer hierarchisch strukturierten Bindung des Schülers an einen Meister resultieren können, in der Diskussion leider eher zu kurz kamen.

Die Veranstaltung, zu der sich rund 80 Personen in der Französischen Friedrichstadtkirche am Berliner Gendarmenmarkt versammelt hatten, wurde durch einen Impulsvortrag der Religionswissenschaftlerin Almut-Barbara Renger eröffnet. Sie entwickelte Überlegungen zur Begriffs- und Ideengeschichte der Meister-Schüler-Beziehung. Dabei erläuterte sie, dass sich das deutsche Wort „Meister“ vom Lateinischen „magister“ ableite und über das Adverb „magis“ (mehr, stärker) auf das Adjektiv „magnus“ (groß, weit) zurückgehe. Ein Meister werde von der Begriffsgeschichte her somit als jemand verstanden, der mehr und größer ist. Unter Rückgriff auf den Soziologen Max Weber deutete Renger dieses „Mehr“ als eine außeralltägliche Befähigung, die Weber als Charisma beschreibt.

Auf Grundlage dieser Definition diskutierten Feride Funda G.-Gençaslan (Vorsitzende bei Der Wahre Mensch e. V., Das Sufi-Zentrum Rabbaniyya), Schwester Hannelore Huesmann (Franziskanerin und Leiterin des Hospizdienstes TAUWerk) sowie Gerald Seifert (von der japanisch-buddhistischen Organisation Soka Gakkai International-Deutschland) das Meister-Schüler-Verhältnis mit den Moderatoren Eva Harasta und Michael Bäumer sowie mit Renger und dem Publikum. Als eine Gemeinsamkeit der drei Religionsrepräsentanten kristallisierte sich zu Beginn der Diskussion ihr Selbstverständnis als „Schüler“ heraus. Wesentliche Unterschiede wurden jedoch beim Verständnis des Meisters deutlich.

Huesmann erläuterte, dass sie Jesus Christus als den einzigen Meister betrachte und versuche, diesen Glauben in ihrem Alltag lebendig zu machen. Gehorsam versteht sie als das genaue Hinhören, um zu erkennen, wo ihr Einsatz gefragt ist. „Charisma“ möchte sie nicht als exklusives Merkmal ihres Meisters verstanden wissen, sondern als eine Eigenschaft in jedem Menschen, die zur Geltung gebracht werden müsse.

Gençaslan hob hingegen hervor, wie wichtig die physische Präsenz des Meisters für ihre Spiritualität sei, da sie durch Spiegelung zu Selbsterkenntnissen gelangen könne. Theologisch grenzte sie den Meister von Gott und dem Prophetentum ab und erläuterte, dass mit dem Ende des Prophetentums durch Mohammed die Zeit der Meister begonnen habe.

Für Seifert erweist sich die Nähe zum Meister als bedeutend, weil der Meister nicht zweifle bzw. weil er verstehe, seinen Zweifel produktiv zu nutzen. Der Meister bewege sich vornehmlich in Wahrheit und Mitgefühl und ermutige seine Schüler, ihm auf diesem Weg zu folgen. Seifert betrachtet das Meister-Schüler-Verhältnis nicht als ein hierarchisches, da sich Meister und Schüler auf Augenhöhe begegnen würden.

Renger bilanzierte, dass sich im religiösen Feld weniger eine Säkularisierung, sondern vielmehr eine Individualisierung von Religion und Spiritualität ereigne. Diese komme auch dadurch zum Ausdruck, dass Meister immer häufiger als Coach, Berater und Dienstleister betrachtet würden. Diese religionssoziologische Deutung evozierte unter den Diskutanten die Frage nach dem „Guruhopping“, also dem Wechsel der Meister. Mit diesem Begriff kann sich jedoch keiner der Diskutanten identifizieren. Gençaslan erzählte, dass sie bereits mit 14 Jahren ihren Meister gefunden und seither nie an ihrer Zugehörigkeit zu ihm gezweifelt habe. Seifert schilderte, dass er zunächst große Vorbehalte gehabt habe, sich einem Meister anzuschließen, weil er fürchtete, dies könne ihn einschränken. Er habe aber für sich erkannt, dass sein Meister darum bemüht sei, seine Schüler fordernd zu schützen und sich in ihren Dienst zu stellen.

Die starke Verbindung zum Meister wurde in der Veranstaltung durch die Frage herausgefordert, wie Schüler mit Fehlern und Verfehlungen ihrer Meister umgehen. Huesmann bezog sich in ihrer Antwort nicht auf Jesus, sondern auf Franziskus, der selbst um seine Zweifel und seine Gebrochenheit gewusst und keine Perfektion für sich beansprucht habe. Er habe in seiner Gebrochenheit versucht, sein Leben in die Liebe Gottes zu stellen. Diesem Vorbild folge auch sie in dem Bewusstsein, dass jeder Mensch Anteile von einem Heiligen, aber auch von einem Sünder in sich trage.

Diese Auffassung findet sich auch bei Gençaslan. Sie erläuterte, dass auch ein Meister kein perfekter Mensch sei. Heil und Unheil seien jedoch beides Aspekte der einen göttlichen Einheit. Vor diesem Hintergrund können Fehler innerhalb des göttlichen Plans als Wegweiser zu mehr Weisheit interpretiert werden.

Seifert wies hingegen darauf hin, dass zwar auch ein Meister alle Lebenszustände erfahre, die ein Mensch haben kann, dass er sich aber primär in Mitgefühl und Wahrheit bewege. Bei schweren Fehlern oder gar Missbrauch durch einen Meister verliere dieser die Meisterschaft. Ein Meister müsse an seinen Handlungen gemessen werden. Allerdings müssten solche Fehler oder Missbräuche eindeutig bewiesen werden.

In der Diskussion über geistliche Autorität und Anleitung in verschiedenen religiösen Traditionen wurde somit versucht, die Komplexität und die Ambivalenzen von Meister-Schüler-Beziehungen interreligiös zu beleuchten und auch die Anfälligkeit für „Machtausübung oder gar Unterdrückung“ zu thematisieren – wie es in der Einladung hieß. Dass dies jedoch nur teilweise gelang und vor allem der letzte Punkt in der Diskussion recht kurz und oberflächlich abgehandelt wurde, kann auf das Veranstaltungsformat selbst zurückgeführt werden. Denn es scheint die Möglichkeiten einer anderthalbstündigen Abendveranstaltung zu überschreiten, ein solch komplexes Phänomen wie die Meister-Schüler-Beziehung sowohl interreligiös vergleichend auszuleuchten als auch kritisch zu erörtern.

Werden solche Veranstaltungen aber als Möglichkeit des interreligiösen Austauschs und der Verständigung zwischen Vertretern verschiedener religiöser und spiritueller Traditionen betrachtet, erfüllen sie eine wichtige Funktion für das gesellschaftliche Zusammenleben und zeigen zugleich, dass der interreligiöse Dialog auch in einer Stadt wie Berlin eine wichtige Stimme in der Zivilgesellschaft ist. Eine nächste Gelegenheit, diese Stimme zu vernehmen und an dem interreligiösen Austausch zu partizipieren, bietet das zweite Interreligiöse Abendforum, das am 18. September 2018 stattfindet und sich Friedensbegriffen aus verschiedenen religiösen Traditionen (Baptismus, Hinduismus, Baha’i) widmet.


Hanna Fülling