Psychologie / Psychotherapie

Meditation kann nutzen und schaden

Stressbedingte Erkrankungen stellen heute eine große Gefahr für die Gesundheit dar. Meditative Verfahren schneiden im Vergleich häufig besser ab als andere Entspannungsmethoden. Die Nachfrage ist deshalb in den letzten Jahren gewachsen, und besonders in den Ballungszentren bieten neue Meditationszentren unterschiedlichste Kurse an.

Die Zeiten, in denen Meditation mit einem geheim zu haltenden Mantra (TM) verknüpft war, mit schmerzhaften Körperhaltungen im Yoga oder mit esoterischen Accessoires, scheinen zu verblassen. Zeitgemäße meditative Verfahren geben sich als säkulare Wahrnehmungs- und Entspannungsprogramme weltanschaulich neutral. Aber funktionieren sie wirklich ohne weltanschauliche Begründungen und ihre religiösen Wurzeln?

Diese grundsätzliche Frage wird derzeit auch in der Psychotherapie diskutiert. Durch die Einbeziehung buddhistischer Praktiken in die kognitive Verhaltenstherapie sind empirisch geprüfte Psychotherapieverfahren entstanden. Achtsamkeitsbasierte Konzepte zielen einerseits auf die Steigerung der Akzeptanz unangenehmer Lebensumstände und Gefühle, andererseits auf die Verbesserung einer emotionsfreien Beobachtung interseelischer Prozesse. In der Psychotherapie liegen derzeit fünf ausgearbeitete achtsamkeitsbasierte Konzepte vor, jedoch mit unterschiedlichem Wirksamkeitsnachweis. Ein aktueller Forschungsüberblick über achtsamkeitsbasierte Psychotherapie betont allerdings, dass die Wirkung auf einem rein kognitiven Modell ohne spirituelle Aspekte beruhe (Martin Bohus in: Der Nervenarzt 11, 2012, 1479ff). Deshalb müsse sich die Psychotherapie der spirituellen Basis der Achtsamkeit entledigen. Hier wird die Abgrenzung eines wissenschaftlichen Verfahrens von einem weltanschaulich begründeten Vorgehen betont, um sich methodisch allem Spekulativen und Imaginativen zu enthalten.

Ohne Zweifel sind die Vorstellungskraft und die Aufmerksamkeitsschulung zentrale Bausteine jeder Meditationsform. Das Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften startet im April eine große Studie zur Wirkung von meditativer Geistesschulung (vgl. www.resource-project.org). Elf Monate lang werden die Teilnehmer in einer zweistündigen Sitzung pro Woche darin geschult, ihren Körper und ihr Selbst besser wahrzunehmen, Gefühle zu regulieren und Empathie und Mitgefühl einzuüben. Zusätzlich werden drei dreitägige Retreats durchgeführt, die gewährleisten sollen, dass die Übungen durch regelmäßige Praxis in den Alltag integriert werden. Als Ziel wird formuliert, neue Wege im Umgang mit dem Leben und dem eigenen Geist zu lernen. Ausdrücklich wird betont, dass es sich um ein säkulares Programm handle. Allerdings sind viele der Lehrenden konvertierte Buddhisten, mehrheitlich ausgebildet in der sehr strikten Methode der Vipassana-Meditation (vgl. MD 2/2013, 53ff). Eine Herausforderung des Projekts dürfte darin bestehen, bei dieser intensiven Form der Schulung und Begleitung zwischen säkularer Methode und der eigenen Überzeugung zu unterscheiden.

Bei allen positiven Wirkungen von Meditation, die gut erforscht und schon oft beschrieben worden sind, dürfen die Risiken und Nebenwirkungen nicht aus dem Blick geraten. Denn es gibt auch negative Erfahrungen, auf die zunehmend hingewiesen wird: Wahrnehmungsänderungen, die Ähnlichkeiten mit den Symptomen einer Psychose haben, starke innere Unruhe oder unrealistische Ängste. Woran es liegt, dass Meditation vielen hilft, sich für manche aber negativ auswirkt, ist bisher noch nicht geklärt. Ulrich Ott, einer der führenden Meditationsforscher Deutschlands (Universität Gießen), sieht hier einen erheblichen Forschungsbedarf. Bisher seien lediglich Einzelfälle beschrieben worden, systematische Studien fehlten völlig. In den USA hat man dagegen bereits mit Untersuchungen begonnen: Das „Dark Night Project“ unter Leitung der Neuropsychologin Willoughby Britton hat Meditationslehrer verschiedener Richtungen nach ihren Erfahrungen befragt (vgl. www.brittonlab.com). Die ersten Ergebnisse dieser Untersuchungen geben zu denken: Schlaflosigkeit, Angst, Gefühlsschwankungen und sogar das Wiederauftauchen traumatischer Erlebnisse wurden genannt. Offensichtlich kann Meditation Geister wecken, die man nicht so leicht wieder loswird.

In ähnlicher Weise will Ulrich Ott in einem deutschen Forschungsprojekt die Risiken und Nebenwirkungen intensiver Meditation untersuchen. Dabei steht nicht übergriffiges Verhalten in der Lehrer-Schüler-Beziehung im Mittelpunkt, sondern es geht vor allem um unsachgemäße Anwendungen von Übungen oder eine unzureichende Begleitung. Ein wichtiges Ziel dieses Projektes ist es, Kriterien für eine Differentialdiagnose zu beschreiben. Längst ist bekannt, dass nicht jede Meditationsform für alle Menschen gleichermaßen geeignet ist. Hierfür sollen Entscheidungshilfen erarbeitet werden. Bei psychischen Vorerkrankungen kann die Meditation sogar große Gefahren mit sich bringen. Wenn die Kontraindikationen bekannt sind und beachtet werden, kann vermieden werden, dass ungeeignete Personen durch Meditation geschädigt werden. Weiterhin sind Notfallprotokolle für Retreat-Zentren geplant, um bei Bedarf schnell Hilfe leisten zu können.


Michael Utsch