Hanna Fülling

Macht Religiosität anfällig für Verschwörungsmythen?

In einer aktuellen Studie untersuchen ForscherInnen des Exzellenzclusters Religion und Politik der Universität Münster in Kooperation mit einer internationalen Forschungsgruppe sowie dem „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ der Universität Leipzig Einstellungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise.1

Im Forschungsinteresse steht neben der Frage, wie sich die Pandemie auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt, die Rolle der Religion für Individuen in der Pandemie. Getragen wird die Fokussierung auf Religion durch ein Religionsverständnis, das die Kontingenzbewältigung als Charakteristikum der Religion beschreibt. Da die Pandemie und der damit einhergehende Kontrollverlust von Individuen und Gesellschaften viele Fragen nach dem Wie, Warum und Wozu evoziert, haben Erfahrungen mit dem Möglichen, aber nicht Notwendigen wieder stärkere Präsenz in unserer Gesellschaft erlangt. Diese veränderte Intensität von Kontingenzerfahrungen, die in der aktuellen Pandemie zumal kollektiv erlebt wird, lässt Fragen nach Religion und Weltanschauungen verstärkt hervortreten. Von Interesse ist daran nicht nur der Aspekt, ob und ggf. wie die Pandemie die persönliche Religiosität von Personen verändert, sondern auch, wie sich individuelle religiöse Einstellungen und die religiöse Praxis auf die Positionen zur Corona-Pandemie und zur Affinität von Verschwörungsnarrationen verhalten.

In einem Beitrag in der FAZ2  erläutern die beteiligten WissenschaftlerInnen Carolin Hillenbrand und Detlef Pollack, dass gläubige Menschen nicht generell anfälliger für Verschwörungsnarrationen sind. Eine höhere Affinität für Verschwörungsmythen wurde jedoch bei Personen nachgewiesen, die ihre Religion als die einzig akzeptable ansehen. Während eine hohe Intensität privater Gebete die Affinität ebenfalls steigert, korreliert die Gottesdienstteilnahme negativ mit Verschwörungsmythen. Die Einbindung in eine religiöse Gemeinschaft schützt augenscheinlich vor Verschwörungsideologien.

Die ForscherInnen stellen auf Grundlage der Abfrage der Corona-Einstellungen vier unterschiedliche Religionsprofile heraus:

  • Den ersten Typus nennen sie den privatistisch-apokalyptischen, der die Pandemie für eine göttliche Strafe hält, die eigene Religion als einzig akzeptable klassifiziert, das private Gebet intensiv pflegt und eine hohe Affinität für Verschwörungsmythen hat.
  • Der zweite Typus ist der ungebunden-spirituelle, er ist nicht komplett vor Verschwörungsideologien gefeit, verfällt ihnen aber auch nicht überdurchschnittlich oft.
  • Eine geringere Affinität zu Verschwörungsideologien weist der dritte Typus, der gemeinschaftlich-engagierte, auf.
  • Beim vierten Typus, dem demütig-frommen, gibt es Übereinstimmungen mit dem privatistisch-apokalyptischen, er hat jedoch ein größeres Vertrauen in weltliche Institutionen.

Hillenbrand und Pollack zufolge kommt der privatistisch-apokalyptische Typus vor allem im freikirchlich-evangelikalen Spektrum vor. Er ist zwar auch unter den Mitgliedern der katholischen oder der evangelischen Kirche und den befragten MuslimInnen vertreten, tritt dort jedoch weniger häufig auf.

Obwohl an der freiwilligen digitalen Umfrage bislang über 2000 Personen teilgenommen haben, können die Ergebnisse nicht als repräsentativ gelten, da bestimmte Gruppen (Jüngere, höher Gebildete und Religionsangehörige) den Fragebogen überdurchschnittlich häufig ausgefüllt haben.


Hanna Fülling, 01.03.2021

 

Anmerkungen

1  Studie zu Religion und gesellschaftlichem Zusammenhalt in Zeiten der Corona-Pandemie, www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/schwerpunkte/epidemien/03_thema_verschwoerung.html (Abruf: 26.2.2021). Dort wird zum Fragebogen weitergeleitet.

2  Detlef Pollack / Carolin Hillenbrand: Die gerechte Strafe Gottes. Corona und die Apokalypse. Glaube schützt nicht vor dem Glauben an Verschwörungstheorien,https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2021-01-07/debe4e24ea1837a9153741d280d26329 (Abruf: 26.2.2021).