Johannes Lähnemann

Lernen in der Begegnung. Ein Leben auf dem Weg zur Interreligiosität

Johannes Lähnemann: Lernen in der Begegnung. Ein Leben auf dem Weg zur Interreligiosität, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2017, 304 Seiten, 25,00 Euro.

Es kommt nicht gerade häufig vor, dass ein Hochschullehrer von einem renommierten Verlag gebeten wird, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben, damit sie in einem schönen Hardcover-Band veröffentlicht werden. Bei dem evangelischen Theologen und Religionspädagogen Johannes Lähnemann ist genau dies der Fall. Dass die Anfrage des Göttinger Verlags Vandenhoeck & Ruprecht sich gelohnt hat, zeigt der Ende des Jahres 2017 erschienene Band eindrucksvoll.

Johannes Lähnemann (geb. 1941) gehört zu den Pionieren interreligiösen Lernens und kann auf eine jahzehntelange Beschäftigung mit theologischen und religionspädagogischen Fragen der Begegnung zwischen Menschen unterschiedlichen religiösen Hintergrundes und des interreligiösen Lernens zurückblicken. Er ist einer der Ersten, der grundlegend zu Weltreligionen im Unterricht gearbeitet hat, und er hat das interreligiöse Lernen ins Zentrum seines akademischen Schaffens auf der religionspädagogischen Professur an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg gerückt. Mit Johannes Lähnemann verbindet sich das international bekannte und anerkannte Tagungsformat der „Nürnberger Foren zur Kulturbegegnung“, das Engagement für die internationale Bewegung „Religions for Peace“ und den „Runden Tisch der Religionen in Deutschland“ sowie der kontinuierliche Einsatz im christlich-islamischen Dialog. Auch das sogenannte Erlanger Modell der islamischen Religionslehrerausbildung geht auf seine tatkräftige Initiative zurück. National und international ist Lähnemann seit Jahrzehnten als lokal und global agierender Friedensarbeiter und Brückenbauer zwischen Menschen unterschiedlicher Regionen und Religionen bekannt.

Ein solcher Mensch kann viel erzählen über Anfänge, Anlässe, Entwicklungen und Hintergründe von Initiativen der Religionenbegegnung und Ansätzen des interreligiösen Lernens. Inzwischen ist Interreligiosität ja fast zu einem religionspädagogischen Megatrend geworden und hat sich zu einer weitverzweigten Szene mit vielen unterschiedlichen Akteuren entwickelt. Johannes Lähnemann war ein Mann der ersten Stunde und wandte sich dem Thema zu, als es in den Curricula und den Religionsbüchern noch eine Randglosse darstellte. Von daher ist es besonders interessant zu erfahren, wie lebensgeschichtliche Einflüsse und besondere Umstände im akademischen Feld von Religionspädagogik und Theologie zusammenspielen und sich zu einem Motivbündel formieren, das ein Lebenswerk wie das von Johannes Lähnemann hervorbringen kann.

In der Fachliteratur bekannt sind vor allem Darstellungen, die die Geschichte der Ideen und Ansätze im Bereich von interreligiöser Bildung und Religionenbegegnung beschreiben. Diese Überblicke zeigen auf, wie die Entwicklung von einer anfänglich noch abständigen Beschäftigung mit den großen fremden Religionen zu Zusammenarbeit im lokalen wie auch überregionalen und internationalem Bereich verläuft, die ein großes Spektrum von Themen und Aktivitäten umfasst. Eine Darstellung dieses Werdegangs aus einer bewusst subjektiven und biografischen Perspektive aber, die aufzeigt, wie sich in den einzelnen Stationen des Wirkens rund um das interreligiöse Lernen zugleich auch die Geschichte dieses Lernansatzes reflektiert, ist in Deutschland – soweit ich sehe – bislang einzigartig.

Für alle, die an einer biografisch reflektierten Akteursgeschichte interreligiöser Bildung interessiert sind, bietet dieses Buch reichlich Stoff. Es ist in 18 Kapitel gegliedert, die jeweils wichtige biografische und konzeptionelle Wegmarken benennen. Die Beschreibung folgt in ihrem chronologischen Aufbau dem privaten und beruflichen Werdegang des Autors. Er führt aus einem behüteten und zugleich geschlossenen konfessionellen Milieu des evangelischen Pfarrhauses in die globale und offene Vielfalt interreligiöser Beziehungen – eine „Entdeckungsreise, auf der sich zunehmend meine Horizonte erweitert haben“ (9). Begegnungen mit Menschen betrachtet der Autor als das entscheidende Movens, sodass auch die Erzählung immer wieder die Menschen nennt, die den Weg kreuzen, ihn begleiten, entscheidend beeinflussen und mitgestalten. Die Beschreibungen verdeutlichen: Das Lebensgewebe von Johannes Lähnemann entsteht aus den vielen Fäden seiner Begegnungen mit Menschen. Genauso prägnant zeigen sich auch die roten Fäden und die gleichbleibenden oder wiederkehrenden Motive seines Lebens: die Liebe und Könnerschaft der geistlichen Musik (Johannes Lähnemann ist ein virtuoser Hornbläser), die zentrale Bedeutung der vier Generationen umfassenden Familie und die Reiselust, die ihn regelmäßig in viele Länder und Teile der Welt führt.

Schon die Schilderung seiner ersten dreißig Lebensjahre, bis Johannes Lähnemann als akademischer Rat in Lüneburg sein Lebensthema Weltreligionen findet, ist hochinteressant. Sie gibt tiefe Einblicke in eine evangelische Sozialisation im Pfarrhaus – ein „reiches geistliches wie weltliches musisches Leben“ (25), geprägt von Gemeinschaft, Gottesdienst und geistlicher Blasmusik –, wie es sie in ihrer erzählten Bruchlosigkeit heutzutage nur noch selten geben dürfte. Anschaulich erzählt wird auch ein geradezu klassisch vorbildlicher Verlauf des Theologiestudiums in Bethel, Heidelberg, Wien und Münster bis zum zweiten kirchlichen Examen und der Promotion im Neuen Testament, der die protestantische Bildungswelt, aus der Johannes Lähnemann kommt, sehr gut deutlich macht.

Dass aber diese idyllisch geschilderte Welt harmonischen christlichen Familienlebens eine grausame Realität im Lebensumfeld der Familie Lähnemann ausblendet, wird in der Schilderung Johannes Lähnemanns nur angedeutet. Ab 1954 lebte die Familie in Freistatt, wo der Vater Karl-Heinz Lähnemann 25 Jahre die Betheler Zweiganstalt Freistatt leitete, ein Heim – mit einem Erziehungslager vergleichbar – , in dem sogenannte Fürsorgezöglinge durch schwerste Arbeit im Moor, harte Zucht sowie systematische körperliche und seelische Gewalt unter dem Anspruch christlicher Nächstenliebe „gebessert“ werden sollten. Dass und wie hier schlimmster Missbrauch an Jugendlichen geübt wurde, ist in jüngerer Zeit unter anderem auch durch die Bodelschwinghschen Anstalten selbst aufgearbeitet worden. In der biografschen Schilderung Johannes Lähnemanns nimmt dieses Kapitel schwarzer Pädagogik, das ja gleichsam hinter dem Gartenzaun des familiären Pfarrhauses stattfand, gerade einmal eine dreiviertel Seite ein, die die Frage nach der Beteiligung des Vaters unbeantwortet lässt.

Aber auch dies zeigt letztlich, aus welcher Welt der Autor sich durch neue Erfahrungen herausbewegt. Die Begegnung mit Susanne Dörner, seiner späteren Frau, ermöglicht durch eine Reise in die Osttürkei (mit Verlobungsfest) erste Eindrücke des Orients und Berührungen mit dem Islam. Hier liegt sicher eine biografsche Wurzel des akademischen Interesses an den Weltreligionen, dem sich Johannes Lähnemann dann in Lüneburg verschreibt – zu einem Zeitpunkt, als der problemorientierte Ansatz und ein schülerorientierter Religionsunterricht seine Blütezeit erlebt. Lähnemann widmet sich dem Thema „Nichtchristliche Religionen im Unterricht. Beiträge zu einer theologischen Didaktik der Weltreligionen“ (so der Titel seiner Habilitationsschrift) wohlgemerkt als klassisch geschulter Theologe, den zunächst das Interesse an den damit verbundenen theologischen und hermeneutischen Fragen leitet. Das ist aufschlussreich, weil hier ein Grund dafür zu sehen ist, warum das Thema „Weltreligionen im Unterricht“ und der schülerorientierte Ansatz der Problemorientierung zu dieser Zeit ohne konzeptionelle Verzahnung nebeneinander existierten. Die Habilitation ist nicht nur der Türöffner zur Professur, die Johannes Lähnemann in Nürnberg antritt; sie bildet die Grundlage für einen Schwerpunkt in Forschung und Lehre, der durch die Nürnberger Foren ein Netzwerk erhält und sich durch Teilnahme an Konferenzen innerhalb und außerhalb Europas internationalisiert sowie durch das spätere Engagement bei „Religions for Peace“ und die Mitarbeit am „Projekt Weltethos“ von Hans Küng einen friedenspädagogischen Schwerpunkt erhält.

Dies alles wird ausführlich beschrieben und in den Grundansätzen immer auch sachdienlich erläutert. Denn trotz seiner chronologischen Anordnung nimmt der Band immer auch inhaltliche Bündelungen und thematische Verdichtungen zu den Schwerpunkten von Johannes Lähnemanns interreligiöser Arbeit vor. Es werden viele Hintergrundinformationen zu nationalen und internationalen Kontexten der interreligiösen Zusammenarbeit gegeben, die zwar überwiegend von der aktiven Mitwirkung des Autors handeln, aber in ihren Schilderungen von Anlässen, Themen und Ergebnissen über die biografische Perspektive hinausreichen. So ist der Band auch eine lesenswerte Einführung in Ansätze interreligiöser Arbeit. Darin eingebettet sind immer wieder Schilderungen privater und persönlicher Ereignisse und Erlebnisse, die trotz der Veränderungen, die sie mit sich führen, doch auch ein außergewöhnliches Kontinuum des Lebens von Johannes Lähnemann sichtbar machen. Johannes Lähnemann, einer der Pioniere interreligiösen Lernens, ist – das können wir seiner Biografie entnehmen – ein Mensch, der durch eine an Begegnungen reiche geistlich-spirituelle Kultur getragen und gehalten wird, die Kraft und Hoffnung für den Dialog und die Verständigung mit Menschen anderer Religionen und Kulturen gibt. Vor diesem biografischen Hintergrund lässt sich tiefer verstehen, warum für Johannes Lähnemanns theologischen und religionspädagogischen Ansatz religiöse Heimat und Identität Komplementärbegriffe zum interreligiösen Dialog sind. Auch wegen dieser Erkenntnis lohnt sich die Lektüre der Beschreibung seines Lebens „auf dem Weg zur Interreligiosität“.


Thorsten Knauth, Marxen