Weltanschauungsarbeit

Kooperationstagung von KAMP und EZW: „Glaubenskommunikation mit Konfessionslosen“ - eine kirchliche Zukunftsaufgabe

„Ich bedaure Menschen, die an Gott glauben: Ich lebe viel glücklicher, seit ich nicht mehr an Gott glaube“ (Paul, 47). – „Gott existiert für mich nicht: da ich ihn nicht brauche“ (anonym, männlich, 20). Das sind zwei der Beiträge aus dem Internetprojekt www.ohne-gott.de : Seit rund zehn Jahren können bei diesem Projekt des Erzbistums Köln Menschen, die nicht an Gott glauben, ihre Meinung sagen und insbesondere darlegen, weshalb sie nicht an Gott glauben, sowie – wenn gewünscht – mit kirchlichen Mitarbeitern in einen Austausch per E-Mail treten. Die beiden Zitate zeigen exemplarisch, dass Konfessionslose ganz unterschiedlich zum Glauben an Gott, zu Religion und Kirche stehen können: Manche – wie im ersten Beispiel – haben eine Geschichte mit Gott oder zumindest mit der Kirche und sich irgendwann einmal von Gott abgewandt. Andere – gerade im Osten Deutschlands – haben überhaupt kein Bedürfnis nach Gott, können gar nicht verstehen, wieso es sinnvoll sein sollte, an Gott zu glauben – eine Haltung, die umgekehrt so mancher Christ in Westdeutschland nicht zu fassen vermag.

Der Konfessionslose – das unbekannte Wesen? Er ist auf jeden Fall kein „Wesen“, das es nicht mittlerweile auch in noch volkskirchlich geprägten Gebieten unseres Landes gäbe. Während in Ostdeutschland über 75 Prozent keiner Konfession mehr angehören, sind es im Westen inzwischen auch schon über 15 Prozent, Tendenz steigend. Insofern gehört für die Kirchen der Dialog mit Konfessionslosen zu den großen Herausforderungen.

Impulse zu dieser Zukunftsaufgabe zu geben oder überhaupt erst ein Bewusstsein dafür zu schaffen, war das Anliegen der Tagung „Glaubenskommunikation mit Konfessionslosen – Kirche im Gespräch mit Religionsdistanzierten und Indifferenten“. Dazu hatten die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) und die Katholische Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP) gemeinsam vom 5. bis 7. Dezember 2012 in das Evangelische Johannesstift in Berlin-Spandau eingeladen. In der kirchlichen Weltanschauungsarbeit, aus der etliche Teilnehmer kamen, ist Konfessionslosigkeit schon länger ein wichtiges Thema – häufig mit besonderem Blick auf radikale Atheisten, die bei dieser Veranstaltung freilich nicht Thema waren. Die Auseinandersetzung mit „Otto Normalkonfessionsloser“ führte aber auch viele andere in der Seelsorge Tätige zusammen – aus Landeskirchen und Diözesen, aus der Gemeindeseelsorge wie aus der pastoralen Planung.

Ein erster Schwerpunkt der Tagung war die Analyse: Mit wem haben wir es überhaupt zu tun? Gert Pickel, Professor für Religions- und Kirchensoziologie an der Universität Leipzig, gab einen Überblick über religionssoziologische Theorien und ging insbesondere der Säkularisierungstheorie nach: Wir erleben in Deutschland einen kontinuierlichen Rückgang der Kirchenbindung und der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion und entsprechend eine stetige Zunahme der Konfessionslosigkeit, die dann auch an zukünftige Generationen weitergegeben wird. Gerade im Osten Deutschlands sind viele ohne jede religiöse Prägung aufgewachsen und haben keinerlei Gespür für oder Bedürfnis nach Gott und Transzendenz.

Vielmehr wirken Prägungen aus der DDR-Zeit nach, wie Tobias Kläden, Referent an der KAMP für Pastoral und Gesellschaft, im Anschluss an Forschungsergebnisse von Monika Wohlrab-Sahr referierte: Man fühlt sich gläubigen Menschen geradezu überlegen, weil man keinem „Irrationalismus“ anhängt. Insofern war die Religionspolitik der SED, „ein riesiges Experiment unter Realbedingungen“, durchaus dauerhaft erfolgreich. Anders als manche zur Zeit der friedlichen Revolution erwarteten, ist mit einer Fortsetzung der Konfessionslosigkeit als Normalfall in Ostdeutschland zu rechnen.Wie Pickel in einer kleinen Typologie der „Konfessionslosen“ deutlich machte, umfasst dieser Begriff aber ein weites Spektrum: vom „religiösen Individualisten“ bis zum „volldistanzierten Atheisten“. Doch gibt es überhaupt diese vollkommene Gottesferne? Oder ist der Mensch „unheilbar religiös“, nur gegebenenfalls „religiös unmusikalisch“? Eberhard Tiefensee, Professor für Philosophie an der Universität Erfurt, stellte sich in seinem Vortrag dieser Frage, die ja von grundlegender Bedeutung für einen Glaubensdialog mit Konfessionslosen ist. Tiefensees differenzierte Antwort: Eine prinzipielle religiöse Anlage des Menschen bedeutet noch nicht, dass ein Mensch die für religiöse Deutung geeigneten Erfahrungen auch tatsächlich religiös deutet – zumal, wenn ihm religiöse Deutungskategorien fehlen.

Es war ein Anliegen der Veranstalter der Tagung, nicht beim abstrakten Theoretisieren über „die Konfessionslosen“ zu verbleiben. Deshalb war es zum einen erfreulich, dass einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch ihre eigenen Erfahrungen in entkirchlichten Räumen einbrachten. Zum anderen berichteten an einem Abend die Mitarbeiter der „Arbeitsstelle Kirche im Dialog“ (gemeint ist der Dialog mit Konfessionslosen) der neugegründeten evangelischen Nordkirche sowie die „Macher“ des eingangs erwähnten Internetprojekts www.ohne-gott.de des Erzbistums Köln von ihren Erfahrungen und Einsichten. Schließlich waren einen ganzen Nachmittag lang Gesprächspartner aus verschiedenen Lebensbereichen eingeladen, die sich in Kleingruppen als Konfessionslose zum Dialog zur Verfügung stellten. Dabei ging es u. a. um Gebiete wie sakrale Musik und Kultur, Lebenskunde-Unterricht, Jugendweihe und Naturwissenschaften.

Diese Gespräche konnten nur ein kurzes Schnuppern in Lebenswelten, Erfahrungen, Denkwelten und möglichen Dialogen mit Konfessionslosen sein. Die Frage, wie man mit Konfessionslosen speziell vom christlichen Glauben sprechen kann, konnten sie natürlich nicht beantworten – erst recht konnten sie keine Antworten auf die ganz konkreten pastoral-praktischen Fragen einiger Teilnehmer bieten, etwa die eines Militärgeistlichen, dem ein Weihnachtsgottesdienst mit zu 60 Prozent ungetauften Soldaten bevorstand. Einige Vorträge gaben dazu aber Impulse.

So plädierte etwa Hans-Martin Barth, emeritierter Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Universität Marburg, für den Mut zur Provokation – im positiven Sinn: Christen sollen durch ihr Verhalten und durch ihr Wort Nichtglaubende mit dem Glauben konfrontieren. Dazu sei einerseits eine Sprache in Glaubensdingen nötig, die für Außenstehende verständlich ist, andererseits sollte aber auch ein Gespür für die Besonderheit religiöser Sprache vermittelt werden. Weiterhin sind bestehende „Barrieren“ infrage zu stellen: Könnte es nicht verschiedene Stufen der Zugehörigkeit zur Kirche geben? Auf jeden Fall müsse die Kirche deutlich machen, dass es ihr nicht um sich selbst geht (Mitgliedergewinnung), sondern um die Missio Dei, die Liebesmission Gottes. So kann Kirche provozieren, wenn sie sich als anders erweist, als es die gängigen Klischees erwarten lassen.

Angesichts der Meinung etlicher, ein nichttheistisches, apersonales Gottesbild sei für Kirchenferne eher anschlussfähig, plädierte Wolf Krötke, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin, dafür, das narrativ und personal entwickelte Gottesbild der Bibel nicht aufzugeben. Gerade aus der Bibel lasse sich lernen, dass Gott sich in der Konkretion einer menschlichen Geschichte offenbart: in Jesus Christus, der Mensch geworden ist. Von Gott zu reden heißt also, von Grundmenschlichem zu reden. Unsere menschlichen Geschichten – unsere Biografie – können in die Geschichten der Bibel einfließen. Dabei können auch Leitbegriffe wie Liebe, Wahrheit, Ewigkeit oder die Macht Gottes anschlussfähig sein, denn das sind auf einen begrifflichen Nenner gebrachte Kurzfassungen der Geschichte Jesu Christi.

Mehr pastoral-praktisch argumentierte Hubertus Schönemann, der Leiter der KAMP, in seinem Referat: Wir erleben derzeit den Wandel von einer „Betreuungskirche“, bei der die Hauptamtlichen alles (oder vieles) übernehmen, hin zu einer Kirche, in der alle Verantwortung für das Reden von Gott haben. Für den Dialog von Christen mit Konfessionslosen sei es deshalb zuerst einmal nötig, den eigenen Glauben wiederzuentdecken. Nur so kann der einzelne Christ im konkreten Gespräch nicht einfach vorgefertigte Glaubensformeln wiedergeben, sondern von seiner persönlichen Hoffnung sprechen. Der christliche Glaube drückt sich aber in verschiedenen Dimensionen aus: im „Bekennen“, wo eine stärkere Elementarisierung nötig ist (ist es vielleicht möglich, auch etwas so Komplexes wie die Theodizeefrage im engen Rahmen einer Twitternachricht zu behandeln?); im gottesdienstlichen Feiern, wo sich die Schönheit des Glaubens ausdrücken sollte; im Gebet, wo man sich Gott „hinhält“ und öffnet; und in der Dimension einer größeren Freiheit im Leben – an den Lebensübergängen wie im Alltag.

Glaubensdialog mit Konfessionslosen – eine Zukunftsherausforderung für alle in der Kirche! Das unterstrich auch die Anwesenheit zweier Bischöfe: Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), und Joachim Wanke, (seit Kurzem Alt-)Bischof von Erfurt, kamen zu einem Kamingespräch mit den Tagungsteilnehmern. Beide brachten ihre Erfahrungen als kirchliche Leitungspersonen in einem von Konfessionslosigkeit geprägten Umfeld ein. Dröge etwa meinte, dass jede öffentliche Äußerung von ihm zu Glaubensfragen der Beginn eines Dialogs sei, weil er sofort per E-Mail etc. massiv angefragt werde. Wanke betonte, dass Kirche nicht nur für sich da sein darf, sondern zu den Menschen gehen muss: Die Kirche solle „Resonanzraum für die Melodie des Evangeliums“ sein. In ähnlicher Weise und zugleich darüber hinausgehend Dröge: „Wo Vertrauen und Versöhnung geschieht, da ist für mich das Reich Gottes – egal, ob es außerhalb oder innerhalb der Kirche geschieht.“

Das Kamingespräch unterstrich zugleich die ökumenische Dimension dieser Tagung. Dieses gemeinsame, konfessionsübergreifende Nachdenken entspricht der gemeinsamen Herausforderung: Konfessionslosigkeit und Konfessionslose fragen alle Christen an. Gemeinsam gilt es zu erkunden, wie der Glaube auch heute in einer zunehmend säkularen Welt zur Sprache gebracht werden kann. In dieser Hinsicht kann die Tagung nur ein erster Schritt gewesen sein.


Martin Hochholzer, Erfurt