Lale Akgün

Kontroversen um die Kölner Zentralmoschee und mögliche Konsequenzen

Das Thema Integration und Akkulturation ist inzwischen, nicht nur in Deutschland, sondern in allen Einwanderungsländern der EU, eng mit der Frage nach dem Islam verbunden. Ja, mehr noch, die gängigen Vorstellungen, die mit diesen Prozessen verbunden sind, beziehen sich nahezu ausschließlich auf Muslime. Die integrationspolitischen Skandalisierungen der letzten Jahre handelten fast nur von Muslimen und ihrer „Integrationsunwilligkeit“ oder gar ihrer „Integrationsverweigerung“. Politiker vom rechten Rand – wie Wilders in den Niederlanden oder Le Pen in Frankreich – haben mit dem Thema Islam die politische Stimmung aufgeheizt und damit auch Wahlen gewonnen. Inzwischen hat Deutschland nachgezogen: Die sogenannte „Alternative für Deutschland“ (AfD) zieht mit großem Erfolg in die Landtage ein, bundesweit steht sie zurzeit bei 12 %. „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – diesen Satz hat die AfD in ihr Pateiprogramm aufgenommen, und landauf landab versucht sie, Moscheebauten zu verhindern.

Kann man in einer solchen politischen Situation über Moscheebau und politischen Islam reden – über Themen, mit denen auch in Deutschland rechte Politik gemacht wird? Ich finde, man darf nicht nur, man muss. Wer, wenn nicht liberale Menschen, sollte über den Islam und über den politischen Islam reden, natürlich auch kritisch. Es wäre eine Schande, dieses Thema den Rechten zu überlassen, die es dann für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Am Beispiel der Kölner Zentralmoschee möchte ich im Folgenden aufzeigen, dass die Rechten, vorneweg die AfD, der Entwicklung um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, hinterherhinken – oder mit dem Thema bewusst nur ihre Anhänger bei Laune halten wollen. Gleichzeitig zeigt die Kontroverse um den Moscheebau in Köln, wie sich die Kluft zwischen den islamischen Verbänden und dem „Rest“ der Gesellschaft, zu der auch die moderaten Muslime zählen, im Laufe der Jahre vergrößert hat – was natürlich auch mit der Entwicklung des politischen Islam in der Welt, und besonders in der Türkei, zu tun hat. Schließlich stammen drei der ca. fünf Millionen Muslime aus der Türkei.

Seit Jahren gab es in Köln die Idee, eine repräsentative Moschee zu bauen. Köln als Standort bot sich an, da fast alle islamischen Verbände ihren Hauptsitz dort hatten und haben. Die Idee stand, als es aber an die Umsetzung ging, stellte sich eine Reihe von Widerständen auf, mit denen man in Köln nicht gerechnet hatte.

DITIB – der Träger der Moschee

Die Frage, wer der Träger der Moschee sein würde, klärte sich nach monatelangem Ringen bei runden Tischen und Arbeitsgruppen, das Rennen machte der Verband mit dem meisten Geld und den meisten Moscheevereinen: DITIB, die „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“, mit über 900 Moscheevereinen in Deutschland und der Europa-Zentrale in Köln. DITIB ist ein Verband, der nach deutschem Vereinsrecht organisiert, aber aufs Engste mit DIYANET, dem Amt für religiöse Angelegenheiten in der Türkei, verbunden ist. DIYANET ist als Behörde direkt dem Ministerpräsidenten unterstellt. Das Budget beträgt 6,5 Milliarden T. L. (ca. 1,96 Milliarden Euro) für das Jahr 2016. In dieser Summe sind weitere Quellen für religiöse Aktivitäten – wie Geldzuwendungen aus dem allgemeinen Staatshaushalt – nicht enthalten. Die politische Ausrichtung der Regierung ist auch immer in der Arbeit des DIYANET spürbar, und da DITIB aufs Engste mit DIYANET verbunden ist, spüren wir auch in Deutschland die jeweilige politische Ausrichtung. Zurzeit ist in der Türkei mit der AKP eine islamisch-konservative Partei an der Macht; da bleibt es nicht aus, dass auch DITIB in den letzten Jahren immer konservativere Positionen vertritt.

Über DITIB lässt sich zusammenfassend Folgendes sagen: Die Organisation, die sich auf ihrer Internetseite als eine Mischung aus Wohlfahrtsverband und Integrationsverein – nicht nur für Muslime – präsentiert, ist eine knallharte politische Organisation, die jegliche Order aus Ankara entgegennimmt, aber nicht nur Anweisungen, sondern auch Geld: Neben den Gehältern für die Imame, die direkt DITIB zugutekommen, fließt inzwischen über die Gründung des sogenannten „Präsidiums für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften“ Geld für die Lobbyarbeit nach Deutschland. Ziel dieser Lobbyarbeit, für die allein in den Jahren 2012 und 2013 über 10 Millionen Euro aus Ankara überwiesen wurden, ist es, Macht und Einfluss der AKP zu erweitern. Und es besteht der begründete Verdacht, dass auch DITIB zu den Empfängern dieser Zuwendungen gehört, wie die Zeitung Yeni Hayat am 31.3.2014 schrieb.

Auch mit der UETD (Union der europäischen Türken in Deutschland), der AKP-Vertretung in Europa, die ihren Hauptsitz ebenfalls in Köln hat, ist DITIB eng verbandelt. So gesehen haben die Gegner nicht ganz Unrecht, wenn sie sagen, dass der Bau der Moschee in Köln eine Demonstration des türkischen Staates ist.

Auseinandersetzungen in der Planungsphase

2005 wurde mit der konkreten Planung der Moschee begonnen. Schon in der Anfangsphase zeigte sich, dass dieser Bau ein Politikum werden würde; die größte Moschee der Republik in der Domstadt Köln polarisierte die Stimmung, Befürworter und Gegner lieferten sich harte Gefechte. Die damalige DITIB-Führung – ich unterstreiche: die damalige – versuchte gleichzeitig, durch eine neue und offenere Informationspolitik die Bürgerinnen und Bürger über Ziel und Absicht der Moschee aufzuklären. Als aus einem von DITIB ausgerufenen Wettbewerb für den Bau der Moschee im März 2006 der bekannte Kölner Kirchenbaumeister Paul Böhm als Sieger hervorging, schienen die unüberwindbaren Differenzen doch überwindbar. Eine „transparente“ Moschee, erbaut von einem Kölner Kirchenbaumeister, schien ein tragbarer Kompromiss zu sein. Der Architekt Paul Böhm – ein Kölner Kirchenbauer! Eine hochsymbolische Entscheidung!

Die rechte Gruppierung „Pro Köln“ witterte indes Morgenluft und schrieb sich das Thema „Moscheebau“ explizit auf die Fahne. Mit dem Slogan „Keine Großmoschee nach Köln“ machte sie recht erfolgreich Wahlkampf, vor allem da, wo die Menschen wenig oder keine Kontakte zur Moschee hatten. Aber auch sonst wurde die Moschee sehr kontrovers diskutiert, wobei klar festgestellt werden muss, dass nicht jeder, der die Moschee kritisierte, ein Rechter war. Es gab genügend Bürgerinnen und Bürger – übrigens auch muslimische – die die Moschee als zu groß und dadurch zu symbolträchtig empfanden. Ab 2007 verstärkte sich die Diskussion: „Pro Köln“ versuchte, ein Bürgerbegehren durchzusetzen, doch es scheiterte Anfang Mai 2007 an zu vielen ungültigen Unterstützerunterschriften. Eine im Auftrag des Kölner Stadtanzeigers im Juni desselben Jahres durchgeführte repräsentative Umfrage ergab, dass 35,6 % der Kölner den Moscheebau uneingeschränkt befürworteten; weitere 27,1 % befürworteten den Bau bei Reduzierung der seinerzeit geplanten Größe, und 31,4 % lehnten den Bau – unabhängig von der Architektur – ab. Insgesamt befürwortete die Mehrheit den Neubau dieser Moschee, wenn auch mit Einschränkungen.

Am 14. August 2007 sprach sich die Kölner CDU auf einem Parteitag mehrheitlich gegen einen Bau der Moschee in der geplanten Größe aus, obwohl sich sowohl der damalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma als auch der damalige nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet für den Bau eingesetzt hatten. Gerade Fritz Schramma hatte seine ganze Macht für diese Moschee in die Waagschale geworfen und dafür viele Prügel eingesteckt. Für ihn war diese Moschee der steingewordene multikulturelle Traum von Köln. Heute sagt er: „Es wird mehr und mehr erkennbar, dass Erdoğan und die AKP über DIYANET Einfluss auf DITIB nehmen. Sicherlich gibt es Eingriffe in die Arbeit hier in Köln“ (Welt, 25.4.2016). Ein treuer Mann, der Herr Schramma! Er sitzt bis heute im Beirat der Moschee, obwohl dieser völlig sinnlos geworden ist.

Am 27. August 2007 schrieb der Jurist Paul Stelkens unter dem Titel „Schweigen auf rechtlichem Neuland“ im Kölner Stadt-Anzeiger einen bemerkenswerten Aufsatz. Darin geht er auf alle rechtlichen Fragen ein, die mit der Moschee verbunden waren, zum Beispiel darauf, dass der türkische Staat im Gewand eines Vereins nach deutschem Zivilrecht in Deutschland als Religionsbehörde fungiert, und auf die Frage, ob weitere Staaten dem Beispiel der Türkei folgen könnten. Auch auf den inflationär benutzten Begriff „Zentralmoschee“ geht er ein: „Geht es um eine Zentralmoschee für alle Muslime, die in Köln leben, oder um eine Moschee der in Köln lebenden Angehörigen des türkischen DITIB-Vereins oder – vergleichbar mit einer Gemeindekirche – um eine Stadtteilmoschee der in Ehrenfeld lebenden Anhänger dieses Vereins? Kein Ziel scheint fest zu stehen. Die Antwort auf diese Frage bestimmt aber den Diskussionsinhalt über Lage, Größe, Nutzungsbeschreibung, städtebauliche Auswirkungen des Baus und Integrationsfolgen der Nutzung, Gebrauch der türkischen Sprache im Gebetsraum und die Voraussetzung der gewerblichen Nutzung auf dem Moscheegelände. Wenn, worauf der letzte Stand der mitgeteilten Pläne hindeutet, eine Zentralmoschee für alle der DITIB angehörigen Muslime aus Köln und dem Umland gebaut werden soll, ist es mehr als eine Stadtteilmoschee und geht alle Bürger Kölns und des Umlandes an, nicht nur die Ehrenfelder, die allerdings die positiven und negativen Konsequenzen des Baus und seiner Nutzung am ehesten zu bewältigen haben. Wenn es so ist, dann verfängt allerdings das von Befürwortern der Zentralmoschee benutzte Argument nicht, wonach die Zentralmoschee die Hinterhofmoscheen in den einzelnen Stadtteilen überflüssig machen wird. Für türkische oder türkischstämmige Muslime, die der DITIB nicht angehören, erst recht für nicht-türkischstämmige Muslime wie deutsche, iranische, marokkanische, arabische usw. Muslime, bietet die Zentralmoschee mit dieser Nutzung keine religiöse Heimat. Sie werden weiterhin auf eigene Moscheen angewiesen sein.“

So seriös wie Stelkens gingen andere mit der Frage der neuen Moschee nicht um – vor allem als Islamkritiker bekannte Prominente nicht. Sie machten aus dem Moscheebau in Köln einen Grundsatzstreit um die Integration; die Moschee wurde zur Folie für die Frage nach gelungener oder misslungener Integration. Ralph Giordano protestierte z. B. gegen die Moschee-Planungen mit dem Argument, dass „sie angesichts der gescheiterten Integration ein falsches Bild von den wahren Beziehungen zwischen muslimischer Minderheit und Mehrheitsgesellschaft entwerfen“. Dadurch kam die geplante Moschee erst recht bundesweit und international in die Schlagzeilen.

Für Aufsehen sorgte ein Vorschlag im September 2007. Nachdem DITIB in der Diskussion um ihre geplante Großmoschee angekündigt hatte, diese auch für Veranstaltungen zu öffnen, schlug Günter Wallraff vor, dort aus dem Werk „Satanische Verse“ zu lesen. Dies könne die Integration der in Deutschland lebenden Muslime erleichtern, indem ein Zeichen für die demokratisch-aufgeklärte Grundordnung und ein deutliches Zeichen gegen den Islamismus gesetzt werde. DITIB lehnte den Vorschlag ab. Wallraff wurde unterdessen in Internetforen von Islamisten bedroht. Der Verband warf Wallraff Kompromisslosigkeit und mangelndes Verständnis für die religiösen Gefühle und Belange der muslimischen Gemeindemitglieder vor. Die türkische Religionsanstalt hielt es für legitim, dass man in einer Demokratie auch zu dem Schluss kommen könne, dass eine von einem prominenten Schriftsteller angefragte Veranstaltung nicht mit der religiösen Auffassung einer Moscheegemeinde zu vereinbaren sei. Gleichzeitig protestierte DITIB öffentlich gegen die Morddrohungen gegen Günter Wallraff. Den Moscheebau als solchen hielt Wallraff freilich für legitim, womit er recht hat. Nach dem Grundgesetz darf jede Religionsgemeinschaft Gotteshäuser bauen und ihre Religion praktizieren.

Die Karawane der Moscheediskutanten zog indessen immer weitere diskussionsfreudige Promis an. Die Soziologin Necla Kelek, der Journalist Christian Geyer, die Publizistin Lea Rosh und der Sozialwissenschaftler Hartmut Kraus waren einige von denen, die sich auf die Seite von Ralph Giordano schlugen und gegen die Moschee Stimmung machten – allerdings auf eine sehr merkwürdige Art und Weise, denn letztendlich ging es gar nicht mehr um die Moschee, sondern um die Frage, ob der Islam mit dem Grundgesetz übereinstimme. Hartmut Kraus ging so weit zu behaupten, der Islam könne nicht den vollen Schutz des Grundgesetzes in Anspruch nehmen, da er mit diesem massiv kollidiere. Dagegen stellten sich der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, die Journalisten Jörg Lau, Eberhard Seidel und Patrick Bahners, der 2011 das Buch „Die Panikmacher“ schrieb, in dem er die Angst der Deutschen vor dem Islam kritisierte.

Bei so viel Aufregung konnte der Landesvorstand NRW des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und der Atheisten (IBKA) nicht stillbleiben. Er verurteilte die Stimmungsmache gegen den Moscheebau. Auch wenn Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel systematische Falschdenkschulen seien, gelte dennoch: „Wer eine Moschee bauen will, sich dabei an die allgemein geltenden Vorschriften hält und auch sonst rechtskonform ist, hat nach dem Grundgesetz und nach den allgemeinen Menschenrechten einen Anspruch darauf. Es ist und bleibt ein Grundrecht der Gläubigen, auch derlei archaische Religionen zu praktizieren und sich entsprechende Einrichtungen aus eigenen Mitteln zu schaffen.“

Wer dachte, dass damit alles gesagt war, irrte sich. Die Auseinandersetzung ging munter weiter. Die Kölner Stadtgesellschaft stand den Moscheebefürwortern solidarisch zur Seite, als rechtes Gesindel in die Stadt einfiel und auf Kosten der Muslime Hetze betreiben wollte. Bei jeder Demo, die die Rechten in Köln ankündigten und durchführten, gab es eine viel größere Gegendemo der Stadtgesellschaft.

Von der Grundsteinlegung zur Bauruine

Als der Rat der Stadt Köln im August 2008 endlich den Moscheebau in Köln genehmigte, hatte die Stadtgesellschaft über den Bau dieser Moschee diskutiert, gestritten und sich zu guter Letzt auf den Bau eingelassen. Im November 2009 war die Grundsteinlegung. Sie wurde zu einer Großveranstaltung mit 2000 Gästen und viel Politprominenz aus der Türkei. Am 2. Februar 2011 gab es ein Richtfest, nachdem die Rohbauten der 37 Meter hohen Kuppel und der beiden 55 Meter hohen Minarette fertiggestellt worden waren. Der Bau sollte zum Jahreswechsel 2011/2012 eingeweiht und schließlich im Mai 2012 eröffnet werden.

Im Oktober 2011 wurde allerdings bekannt, dass DITIB die Zusammenarbeit mit dem Planungsbüro des Architekten Paul Böhm aufgekündigt hatte. Sie warf dem Architekturbüro Mängel bei der Planung und dem Bau der Moschee vor. Aufgelistet wurden rund 2500 nach Auffassung der DITIB bestehende Baumängel. Dieser Schritt von DITIB war ein Schlag ins Gesicht der Kölner Stadtgesellschaft. Der Bau der größten Moschee in Deutschland war ein Politikum, das auf Kompromissen aufbaute, bei denen alle ein Wörtchen mitzureden hatten. Teil dieses Kompromisses war der Architekt Paul Böhm. DITIB hatte nicht erkannt, dass sie zwar Bauherrin der Moschee war, diese aber nicht ihr allein gehörte, sondern der ganzen Stadt.

Vielleicht hätte die alte Führung von DITIB mit dieser Erkenntnis leben können, jene Führung, die noch im November 2004 die erste Großdemonstration „Gemeinsam für Frieden und gegen den Terror“ veranstaltet und die nach dem schlechten Start des Moscheebaus das Gespräch mit der Bevölkerung gesucht hatte. Sie hatte verstanden, dass ohne die Akzeptanz der Stadtbevölkerung der Bau der Moschee unter keinem guten Stern stehen würde. Aber inzwischen hatte sich der Wind in der Türkei zugunsten eines konservativen politischen Islam gedreht und die alte DITIB-Führung mit dem Vorstand hinweggefegt. Die neue Führungsriege hatte keine Empathie für dieses Land – und damit auch keine Empathie für die Konflikte, die die Kölner Bevölkerung bei der Errichtung der Moschee durchlebt hatte. Dem Architekten Böhm zu kündigen hieß, den Konsens zu brechen, der über Jahre mühsam gefunden worden war.

Bereits Ende 2010 kündigten sich Differenzen zwischen DITIB und dem Architekten Böhm an. Am 3. Februar 2011 schrieb die Internetzeitung „Dünya Bülteni (Das Welt-Bulletin). „Es gibt Differenzen bezüglich der Innendekoration. Während der deutsche Architekt Paul Böhm die Innengestaltung der Moschee nach seinem Geschmack vornehmen will, will DITIB traditionelle Ornamente.“ DITIB sprach von Baumängeln und trennte sich angeblich deswegen von Böhm. Ich weiß nicht, ob die Gründe, die zur Entlassung Böhms wegen Baumängeln führten, berechtigt sind oder nicht. Ich weiß aber, dass DITIB mit ihrer kurzsichtigen Politik den gefundenen Konsens verlassen hat. Das allerdings nicht ohne Grund: Inzwischen war die AKP in der Türkei immer mächtiger und gleichzeitig islamistischer geworden. Die alte Führungsriege, die die Moschee geplant hatte, war längst ausgetauscht, und auch die Kommunikationspolitik von DITIB war völlig undurchschaubar geworden. Damit gingen auch die alten Debatten wieder los, angefangen mit der Frage, ob wir diese Moschee in Köln brauchen, und weiter über die Frage, ob der Islam mit der Demokratie vereinbar ist, bis zu der Frage der Daseinsberechtigung der Muslime in diesem Land.

Auf Paul Böhm folgte der Architekt Orhan Gökkus, ein Deutschtürke, der die Moschee endlich fertigstellen und sich damit ehrlichen Ruhm verdienen wollte. Aber auch er musste bereits im Juni 2013 gehen: zu modern, vielleicht auch zu selbständig. Solche Leute braucht DITIB nicht.

Am 7. März 2013 erschien in der oben erwähnten Internetzeitung „Dünya Bülteni“ anlässlich des Besuchs des damaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten der Türkei, Bülent Arinç, bei der DITIB-Moschee ein langer und hochinteressanter Artikel. Darin wurden Fakten erwähnt, die – gelinde ausgedrückt – ungewöhnlich sind. Danach sei von Anfang an beschlossen gewesen, dass die Moschee im osmanischen Stil erbaut werden sollte und die Minarette 65 Meter hoch sein sollten. Die Baugenehmigung sei aber nicht erteilt worden, weil der traditionelle islamische Baustil mit der deutschen Kultur nicht kompatibel gewesen sei. Erst einem modernen, westlichen Entwurf hätten die Behörden die Baugenehmigung erteilt. In dieser Phase sei sogar in den Innenausbau eingegriffen und die Kalligrafien seien verändert worden. In der folgenden Phase habe dann DITIB auf eine osmanische Bauweise verzichtet und eine moderne Moschee gebaut. Großen Einfluss habe der Kirchenbauer Paul Böhm ausgeübt.

Man reibt sich die Augen und kann das Gelesene kaum glauben. Ich selbst saß 2006 in der Jury des Architektenwettbewerbs, zusammen mit aus der Türkei angereisten Moschee-Architekten, für die sogar das Siegermodell von Paul Böhm zu klassisch war. Sie hatten die ganze Sitzung über für progressivere Modelle plädiert – angesichts der von DIYANET finanzierten, immer gleich aussehenden Nullachtfünfzehn-Moscheen in der Türkei –, für Bauten, von denen sie sich Impulse für die Türkei und die arabische Welt versprachen. Köln sollte eine Moschee haben, die mit ihrer Architektur ein Vorbild für die muslimische Welt hätte sein können. „Bauen Sie doch keine Moschee für die Väter, die als Bauern hierhergekommen sind“, sagte ein Architekt, „bauen Sie eine Moschee für die Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind!“ Aber – das Modell von Paul Böhm hatte den ersten Platz gemacht und den Wettbewerb ehrlich gewonnen. Warum also jetzt die Verdrehung der Tatsachen, und warum haben wir seit fünf Jahren eine Bauruine in Köln-Ehrenfeld?

Wenn man zwischen den Zeilen der kolportierten Unwahrheiten liest, kommt man zu folgendem Schluss: Für die DITIB-Führung aus der „neuen Türkei“ des Tayyip Erdoğan war die Moschee von Paul Böhm nicht nur „zu modern und zu westlich“, es wird ihr auch ein Dorn im Auge gewesen sein, dass ausgerechnet ein Kirchenbauer der Architekt „ihrer“ Moschee war. Deswegen musste der türkischen Community erzählt werden, man sei von den Behörden „gezwungen“ worden, eine „westliche“ Moschee zu bauen, die die DITIB-Führung gar nicht haben wollte.

Inzwischen haben wir 2016, und die Kölner Moschee ist immer noch nicht eröffnet, sie ist inzwischen eine traurige Bauruine. Tim Röhn schreibt in der „Welt“: „In Sachen Moschee wird in Köln, so scheint es, nicht mehr Stadt-, sondern Weltpolitik gemacht, und Köln hat keine aktive Rolle mehr zu spielen. Köln guckt nur noch zu, was DITIB macht, und das war so nicht ausgemacht.“ Ich würde einen Schritt weitergehen: Ich glaube, dass die Moschee überhaupt nicht zu Ende gebaut werden wird, weil sie nicht zu Ende gebaut werden soll. DIYANET wird diese Moschee verfallen und irgendwann abreißen lassen. Diese Moschee passt nicht zur Ideologie und zur Politik der neuen türkischen Regierung: zu modern, zu europäisch und von einem christlichen Architekten erbaut. Aber eines muss gesagt werden: Wenn der Islam zu Deutschland gehören soll und in Deutschland ankommen will, dann müssen sich auch die Moscheen in die deutschen Landschaften und Bauweisen einpassen.

Was geschieht in den Moscheen?

Doch inzwischen geht es gar nicht mehr darum, ob diese oder eine andere Moschee gebaut wird, es geht vielmehr um die Frage, was in dieser Moschee oder in anderen Moscheen passiert beziehungsweise nicht passiert. Anders gesagt: Es geht um die gesellschaftliche und politische Wahrnehmung und Platzierung des Islam in Deutschland. Die Frage ist also nicht, ob Moscheen gebaut werden dürfen, sondern was in diesen Moscheen geschieht. Darüber muss diskutiert werden. Wer Vorurteile bekämpfen will, kann mit politisch korrekter Tabuisierung nichts erreichen, zumal er damit jene bedient, die sich anmaßen, die Definitionsmacht über den „richtigen“ Islam zu haben. Bei diesem „richtigen“ Islam handelt es sich allerdings zumeist um ein ultrakonservatives, fundamentalistisches und einseitiges Islamverständnis.

Zu welchen – oftmals verheerenden – Konsequenzen für das praktische und politische Leben dieses Verständnis führt, sehen wir tagtäglich. Ein solcher konservativer bis fundamentalistischer Islam wird von den großen islamischen Verbänden vertreten. Das sind – außer DITIB – der Islamrat (IR), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Sie befinden sich seit dem 11. April 2007 in einem lockeren Zusammenschluss, der sich Koordinationsrat der Muslime (KRM) nennt. Dass sie Dachverbände gebildet haben, verschafft ihnen zwei Vorteile: Sie versammeln die Moscheevereine unter ihrem Dach, und sie bezeichnen sich – ob berechtigt oder nicht – als Religionsgemeinschaften. Diese Islamverbände haben allerdings zusammen gerade mal 15 bis- 20 % aller Muslime als Mitglieder in ihren Moscheevereinen. Seit langer Zeit unterstützt die deutsche Politik die Verbände und sieht in ihnen den wichtigsten Partner für die Integration der Muslime. Seltsam: Die gleichen Politiker, die durch Vorschläge für Gesetzesänderungen die Muslime als die „Nicht-Integrierbaren“ stigmatisieren und ihren Bewegungsraum einengen, hofieren eben diese islamischen Verbände, obwohl gerade sie durch ihre Ideologie und Politik für eben dieses „Image“ sorgen. Salopp gesprochen: Die Politik unterstützt die islamischen Verbände, die ihrerseits Nicht-Integrierte hervorbringen.

Die islamischen Verbände konnten sich bis vor Kurzem Hoffnung machen, die Körperschaftsrechte zu erhalten. Doch Mitte November 2015 veröffentlichten die Grünen-Politiker Cem Özdemir und Volker Beck ein Papier mit der Überschrift: „Den Islam und andere Religionen der Einwanderer ins deutsche Religionsverfassungsrecht integrieren – Gleiche Rechte für Muslime, Aleviten und Jeziden!“ Als Resümee dieses Papiers kann der folgende Abschnitt im Text gelten: „Die vier großen muslimischen Interessensverbände (DITIB, Islamrat, ZMD, VIKZ) sind – anders als die Alevitische Gemeinde Deutschland (AMG) e. V. – in ihrer Zusammensetzung national, politisch oder sprachlich, nicht aber bekenntnisförmig geprägt. Sie sind daher religiöse Vereine und keine Religionsgemeinschaften – weder im Sinne des Artikel 7 (3) GG (Recht auf Erteilung von bekenntnisförmigen Religionsunterricht) noch im Sinne des Artikel 140 GG (i.V.m. Art 137 WRV) 18. Sie sollten daher auch nicht politisch als solche anerkannt werden.“ Wenn DITIB bzw. der KRM die Körperschaftsrechte erhalten würden, hätten die konservativen Verbände die Definitionsmacht über den Islam in Deutschland. Doch der Islam, den diese Verbände vertreten, verbreitet eine rückwärtsgewandte Theologie; eine echte Reform des Islam wird abgelehnt. Es ist eine traditionelle Theologie, die den Koran zum Teil noch wortwörtlich auslegt. Ihr fundamentalistischer Islam wird der nächsten Generation in ihren Koranschulen eingebläut.

Ihre Separatismus erzeugende Politik implementieren sie durch die Betonung einer „islamischen Identität“. Diese „islamische“ Lebensweise zeichnet sich aus durch eine strikte Trennung von Männern und Frauen, durch die angebliche Orientierung am Verhalten des Propheten im 7. Jahrhundert und durch Ablehnung der Menschen, die anders leben und denken. Gleichzeitig erheben gerade diese Verbände immer höhere Forderungen an den Staat und die Mehrheitsgesellschaft, wenn es um ihre Interessen geht, die sie als die Interessen der Muslime darstellen. Auch propagieren besonders türkische Verbände wieder verstärkt die Hinwendung zum Herkunftsland.

Wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird. Das gilt auch für die inhaltliche Ausrichtung der islamischen Verbände: Sie werden bekanntlich zu einem großen Teil aus dem Ausland finanziert und vertreten die theologische Ausrichtung der Geberländer. So setzen sie sich, auch mit Hilfe aus dem Ausland, für das Kopftuch von Lehrerinnen, für Befreiung vom Schwimmunterricht, für Kantinen mit Halal-Gerichten (islamgemäßen Gerichten), Gebetsräume an Universitäten und prächtige Moscheebauten ein und sind dabei relativ erfolgreich. So macht man Symbolpolitik: Es geht dabei um die Sichtbarkeit des konservativen Islam.

Wer ein solches Islamverständnis für allgemeingültig oder gar für das einzig richtige hält, der übersieht, dass die große Gruppe der Muslime sehr viel bunter gemischt ist. Da gibt es Fromm-Gläubige genauso wie Liberale und sogar Atheisten. Es gibt Kulturmuslime, die den Traditionen anhängen, mit dem Glauben aber nicht viel anfangen können, es gibt aber auch – gerade hier in Mitteleuropa – junge Menschen, die kaum etwas über islamische Traditionen und erst recht nichts über den Koran wissen, sich aber dennoch als fanatische Glaubensanhänger sehen. Es gibt Menschen, die einen Volksglauben aus ihrer Heimat mitgebracht haben, und andere, die patriarchale oder Gewalt befürwortende Haltungen als islamisch betrachten.

Diese Vielfalt des Islam wird in Deutschland oft übersehen, und die Definitionsmacht über das, was der Islam ist, hat – derzeit jedenfalls – der ultrakonservative Koordinationsrat. Das ist ein Affront gegenüber allen anderen, die den Islam anders auslegen, und es ist eine Steilvorlage für die Anhänger rechter Gesinnungen, die ihre Anhängerschaft mit Anti-Islam-Parolen bei Laune halten.

Ein besonders heikles Thema ist die eindeutige Positionierung der Türkei-orientierten Islamverbände (DITIB, VIKZ und Islamrat) und von großen Teilen des Zentralrats der Muslime (vor allem ATIB) in Richtung der AKP-Regierung in der Türkei. Immer wieder hört man von Moscheebesuchern, dass in den Räumlichkeiten der Gemeinden inzwischen Zeitungen und Fernsehsendungen, die die türkische Regierung kritisieren, nicht mehr zugelassen werden; auch dass etliche Gemeinden einseitige Wahlempfehlungen geben oder die Fahrten zu den Wahlurnen organisieren, wenn Wahlen in der Türkei stattfinden.

Es geht also sehr viel weiter als das, was Özdemir und Beck beschreiben. Sie definieren die vier großen Verbände als „religiöse Vereine“. Diese Verbände sind aber inzwischen weit mehr politische Vereine, im Sinne einer national-islamistischen Gesinnung. Sie mischen sich sogar in die Debatte um den Völkermord an den Armeniern ein und äußern sich dazu im Sinne der türkischen Regierung, wie der Ausschnitt aus einer Presseerklärung des DITIB-Bundesverbandes zeigt: „Wir bewahren unsere Hoffnung darin, dass die im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg geführten Diskussionen zu den erlebten Ereignissen des Leides und insbesondere zur Umsiedlung der armenischen Bevölkerung in Anatolien aus objektiver, wissenschaftlicher und menschlicher Perspektive stattfinden und dass dabei die Würde des Menschen in den Vordergrund gerückt wird und die Erörterung in einer besonnenen Reife die Empathie und Freundschaft aus den erlebten Tragödien entstehen lässt anstatt Hass und Feindschaft.“

Zu den Grundsätzen einer aufgeklärten Gesellschaft gehört die Trennung von Religion und Staat. Ein aufgeklärter Islam müsste den Rechtsstaat als konstituierenden Rahmen für alle und den Glauben vor allem als Privatsache des Einzelnen akzeptieren. Damit wäre die persönliche Entscheidungsfreiheit des Individuums – auch ein möglicher Religionswechsel oder der völlige Abfall vom Glauben – gewährleistet.

Fazit

1. „Der“ Islam gehört zu Deutschland, und die Muslime dürfen für sich selbstverständlich Gotteshäuser bauen. Die Frage ist, welcher Islam zu Deutschland gehört. Ein Islam, der in Deutschland angekommen ist, wird sich allerdings auch der architektonischen Landschaft und dem Städtebau anpassen müssen.

2. Die islamischen KRM-Verbände, die sich derzeit in Deutschland zu Vertretern aller Muslime hochstilisieren, vertreten vor allem einen politischen Islam. Die persönliche Entscheidungsfindung bezüglich des Glaubens der Einzelnen tritt bei den Vorstellungen ihrer Lebensweise in den Hintergrund. Deutsche Politiker, die solche Funktionäre oft blauäugig unterstützen, erkennen nicht, dass sie mit dem Feuer spielen.

3. Integration und Islam sind nicht kausal miteinander verbunden. Es trifft zu, dass hierzulande durch die misslungene Zuwanderungspolitik der 1950er Jahre eine besonders große Gruppe von Muslimen lebt, die Integrationsdefizite hat. Aber diese Menschen sind nicht unintegriert, weil sie Muslime sind. Im Umkehrschluss integrieren sie sich auch nicht besser, wenn man einen Knicks vor den islamischen Verbänden macht.

4. Es sind vor allem die muslimischen Verbände, die Orthodoxen und die Ultras, die mit der Behauptung hausieren gehen, wenn man sie nur machen ließe, würde die Integration gelingen. Und die deutsche Öffentlichkeit, auch Teile der Medien und der Politik, nehmen das Angebot der Verbände gern an, weil sie sich davon eine schnelle Lösung erhoffen und auch eine Reduktion der Probleme.

5. Sollte die Politik die Integration der neuankommenden Flüchtlinge den islamischen Verbänden überlassen, nur weil viele Flüchtlinge Muslime sind, würde sie einen schwerwiegenden Fehler begehen, einen Fehler, dessen Konsequenzen nicht abzusehen sind. Wer behauptet oder glaubt, die Muslime könnten integriert werden, wenn man nur ihre „muslimische Identität“ stärken würde, sitzt einem Trugschluss auf.

6. Der Prozess des Moscheebaus in Köln zeigt sehr deutlich und beispielhaft, wo die Bruchlinien dieser Gesellschaft verlaufen und welche gesellschaftlichen Konflikte in den nächsten Jahren auf uns zukommen werden. Diese müssen offen angesprochen und in gemeinsamer Anstrengung aller Demokraten angegangen werden.