Hans-Martin Barth

Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christentum

Hans-Martin Barth, Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christentum, Gütersloher Verlagshaus 2013, 272 Seiten, 19,99 Euro.

Der Autor, emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Universität Marburg, legt mit diesem Buch den Entwurf einer nichtreligiösen Interpretation des christlichen Glaubens vor. Er knüpft dabei u. a. an Dietrich Bonhoeffer, aber auch an eigene frühere Studien an. Bereits in seiner zum Standardwerk gewordenen Dogmatik „Evangelischer Glaube im Kontext der Weltreligionen“ hatte er das letzte Kapitel (Epilog) dem Thema „Die Religionen und die ‚Areligiösen’“ gewidmet und darauf verwiesen, dass gerade dieses Thema für kirchliches Handeln und theologisches Arbeiten in Gesellschaften, die durch Atheismus, Agnostizismus und Materialismus geprägt sind, von besonderer Bedeutung ist.

Seine Anliegen legt Hans-Martin Barth in zwei Schritten dar. Teil A ist analytisch ausgerichtet und skizziert kenntnisreich die Phänomene „Areligiosität und Religionslosigkeit als Herausforderung von Kirche und Theologie“ (15-116). Teil B entfaltet den religionstranszendenten Glauben als Antwort auf die in europäischen Gesellschaften sich ausbreitende Religions- und Konfessionslosigkeit (117-235). Ausführliche Anmerkungen und ein hilfreiches Namenregister schließen das Buch ab (236-272).

Ein beeindruckender Gang durch soziologische Erhebungen, philosophisch-theologische Forschungen zum „religiösen Apriori“ , empirische Untersuchungen zur Religiosität des Menschen, unter Einbeziehung der Hirnforschung, Evolutionsbiologie und Religionspsychologie, führen Barth zu der sich daraus nahelegenden These, dass Religion und Religiosität nicht konstitutiv zum Menschen gehören und christliche Theologie „schlecht beraten (ist), wenn sie nur die Zeugnisse gelebter transzendenzbezogener Religiosität und nicht auch die Bekenntnisse von areligiösen Menschen und bewussten Atheisten ernst nimmt“ (115). Nach Barth muss man nicht religiös sein, um Christ zu sein. Auch Menschen, denen konfessionelle und religiöse Prägungen fremd sind und fremd bleiben, sind in die universale Heilsgemeinschaft mit einzubeziehen und nicht auszuschließen. Die veränderte Situation, die mit der Chiffre „säkulares Zeitalter“ (Charles Taylor) beschrieben wurde, fordert eine Neuinterpretation des christlichen Anliegens. Neben der Welt „der mehr oder weniger glücklich weiter lebenden Religionen mit ihren traditionellen religiösen Angeboten formiert sich ein Bereich von Areligiosität und Indifferentismus, indem man nicht mehr religiös denkt und empfindet: eine neue Stufe der Religionsgeschichte!“ (223). Pfarrerinnen und Pfarrer sollten sich in einer solchen Situation nicht nur „als Hüter und Betreuer ihrer religiösen Restgemeinde verstehen, sondern als Vorboten und Helfer auf dem Weg zu der wahrhaft universalen Katholizität eines religionstranszendenten Christentums“ (223). Kirche und Theologie sollten nicht versäumen, sich auf diese Situation einzustellen und zu fragen: „Wie könnte Glaube an Jesus Christus ohne die Voraussetzungen und Implikationen von Konfessionalität und Religiosität aussehen?“ (64). Im zweiten Teil seines Buches antwortet Barth ausführlich darauf und skizziert Folgerungen für die sprachliche Gestalt des Evangeliums, für das Bekenntnis der Kirche, für das Sakramentsverständnis und seinen Vollzug, für die Gestaltung von Kirchenmitgliedschaft.

Barths Vorschläge werden pointiert und sachbezogen dargelegt. Für die heutige kirchliche Praxis sind sie durchaus revolutionär, wenn er etwa von der „Entkonditionalisierung des Bekenntnisses“ (185) spricht. Das religions- und konfessionslose Christentum bleibt bezogen auf Jesus von Nazareth, auch wenn zahlreiche seiner Ausdrucksgestalten hinterfragt werden.

Die Publikation ist vor allem in Teil A eine Fundgrube an Überlegungen und Wahrnehmungen zur religiös-weltanschaulichen Gegenwartslage. Barths Ausführungen sind auch für diejenigen interessant und anregend, die seinem Plädoyer für ein religionstranszendentes Christsein nicht ungeteilt zustimmen. Fraglos ist es richtig, dass neue Inkulturationen des Christlichen jeder Generation aufgegeben sind und Kirche und Theologie angesichts kultureller Wandlungsprozesse zur Reform und Reformation aufgerufen sind. Das Eingehen der christlichen Botschaft in verschiedene kulturelle Kontexte trägt jedoch immer auch konfrontative Züge. Die intensive Diskussion über das Buch von Barth zeigt an, dass er ein für die Zukunft des Christentums wichtiges Thema aufgreift. Spannend dürfte u. a. die Frage sein, ob seine Überlegungen aus der Perspektive der Areligiösen als Einladung oder als Vereinnahmung wahrgenommen werden.


Reinhard Hempelmann