Freigeistige Bewegung

Jugendfeier - Renaissance eines weltanschaulichen Dienstleistungsangebots?

(Letzter Bericht: 4/2014, 141-146) Unter dem Titel „Jugendfeier – ein Familienfest für unsere Zeit“ stellte Manfred Isemeyer, ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg, am 18.2.2015 im Rahmen einer Abendveranstaltung in der Zukunftswerkstatt Berlin-Heinersdorf das von ihm herausgegebene Buch „Jugendweihe & Jugendfeier in Deutschland“ vor. Das 2014 erschienene Sachbuch vereint Beiträge zur Entwicklung und derzeitigen Situation dieses Passageritus mit allgemeineren Notizen zu humanistischer Wertevermittlung. Auch Anmerkungen aus kirchlicher Sicht haben Eingang gefunden (s. u.).

In einer Mischung aus Informations- und Werbeveranstaltung trat der neben Jugendweihe Deutschland e. V. und Jugendweihe Berlin-Brandenburg relevante Anbieter auf: der Humanistische Verband Deutschlands (HVD). Im ersten Block der Veranstaltung, zu der lediglich zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer gekommen waren, wurde in einem geschichtlichen Durchgang die Entwicklung der Jugendweihe beleuchtet. Im Anschluss standen Informationen zum Ablauf der Feier mit dem HVD im Vordergrund.

Laut Isemeyers Darstellungen nahm die deutsche Tradition der Schulentlassungsfeier, die zumeist unter dem Begriff Jugendweihe auftrat, ihren Anfang im Umfeld der Revolutionsbewegungen im Deutschland der Jahre 1848/49. Dort etablierte sie sich zunächst als „Mündigkeitsfeier bei erlangter Verstandesreife in der Familie“ in den entstehenden Gemeinden der Freireligiösen, die sich mit den religiösen Protesten der Zeit gebildet hatten. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts richtete sie sich auch vermehrt an die Angehörigen der Arbeiterbewegung. Als zentrale Gestalt findet in diesem Kontext meist der Jugendlehrer der freireligiösen Gemeinde in Berlin Erwähnung: Bruno Wille. Er gab ein Lehrbuch für die Vorbereitungszeit der Jugendweihe sowie eine Kinderzeitschrift heraus. Neben Verbänden und Gemeinden nutzten nun auch parteiliche Organisationen dieses Format, um Nachwuchs zu akquirieren.

Zur Zeit der Weimarer Republik war der Freidenker-Verband der wichtigste Anbieter. Nach dem Aufschwung der Jugendweihe-Bewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahmen bis in die 1930er Jahre in den Hochburgen der Arbeiter teils über 20 Prozent aller Schulentlassenen an Jugendweihen teil. Noch vor der Machtübernahme Hitlers wurden Feiern beispielsweise der KPD als „staatsgefährlich“ gesprengt; im März 1933 folgte dann das generelle Verbot von Jugendweihen. Der Versuch, das Format umzufunktionieren und als nationalsozialistische Verpflichtungsfeier zu etablieren, scheiterte. Eine Reorganistion der Jugendweihe fand nach 1945 mit der Neukonstitution der Freidenker-Verbände in Deutschland statt, konnte aber nicht an vorherige Massenwirksamkeit anknüpfen.

Ab Anfang der 1950er Jahre erarbeitete die SED in der DDR eine eigene Jugendweihe als Teil ihres sozialistischen Bildungssystems. Mit dem Status einer „freiwilligen Pflicht“ war diese ideologisch gefärbte Gelöbnisfeier auch ein aggressives Signal an die Kirchen. Dieser Ballast trat mit der Zeit in den Hintergrund – die Jugendweihe blieb als kleinbürgerliches Familienfest ein diffuses Massenphänomen.

Mit der Wende brach die Zahl der Teilnehmenden stark ein – im westdeutschen Raum war die Jugendweihe sowieso eine Angelegenheit von Minderheiten. Es überlagerten sich nun die Traditionen der Polit-Feier mit kommunistischen Altlasten und die überwiegend freidenkerisch bzw. freireligiös geprägte Jugendweihe der BRD. Eine Neudefinition war nötig, es wurde nach Zielgruppen gesucht ebenso wie nach einem geeigneten Format. Eine Abgrenzung geschah zum Beispiel mit der Etablierung des Begriffs „Jugendfeier“ im Bereich des HVD.

Durch Isemeyers Erläuterungen entwickelte sich ein Bild, das die schwere Vergangenheit des Ritus betonte, geprägt von einzelnen Schicksalen – es gab sogar Haftstrafen –, von Verboten und sozialistischem Missbrauch der freidenkerischen Tradition. Die feindliche Position gegenüber den Kirchen, die unter dem SED-Regime ebenso unter Repressalien zu leiden hatten, und der Zwang zu einem atheistischen Bekenntnis kamen nicht zur Sprache.

Stattdessen spielte die Etablierung des Nach-Wende-Formats eine große Rolle. Seit 1991 nahmen ca. 1,6 Millionen Schülerinnen und Schüler an den Jugendweihen bzw. -feiern teil, und nach eingebrochenen Zahlen ab dem Jahr 2000 sind heute wieder leicht steigende Werte zu verzeichnen.

2014 nahmen laut Angaben des HVD 2600 Jugendliche die Jugendfeiern des HVD Berlin-Brandenburg in Anspruch, was 10,2 Prozent des Schülerjahrgangs entsprach (2010: 1650 Jugendliche). Durch Umzugsbewegungen innerhalb Deutschlands ist die Jugendfeier nun nicht mehr ein rein ostdeutsches Phänomen. Nach und nach findet eine Ablösung von den Ressentiments gegenüber der ideologiebehafteten DDR-Jugendweihe statt. Auch unter den verschiedenen Jugendweihe-Anbietern ist eine Verschiebung der Teilnehmerzahlen zu beobachten. Die steigende Präsenz des Schulfaches „Humanistische Lebenskunde“ wirkt sich dabei positiv auf den Bekanntheitsgrad des HVD aus.

Manfred Isemeyer bezeichnet diese Belebung der Jugendfeier in seinem Buch sogar als „Renaissance“. „Heute hat sich dieses Fest als jugendtypischer Passageritus von der Kindheit zum Erwachsenwerden in der Bundesrepublik etabliert“ (15). Isemeyer konstatiert, dass im Rahmen der fortschreitenden Säkularisierung Jugendliche und deren Eltern dennoch nach individueller Begleitung an wichtigen Lebenspunkten suchen.

Betont wird die Gestalt als Familienfest, das auch für ganze Klassenverbände arrangiert werden könne. Der HVD überzeuge mit seiner logistischen Stärke und dem professionellen Betreuungsteam auch in den Vorbereitungskursen. Diese werden über ein knappes halbes Jahr hinweg angeboten (16 Stunden). Die bei der Abendveranstaltung gezeigten Werbefilme vermittelten den Eindruck eines exzellenten Freizeitanbieters: Von Segelfliegen, Mangakursen, Trommeln über Streetdance bis hin zu Zaubertricks wird ein breites, für Jugendliche attraktives Programm geboten. Dass es dabei auch um die Richtungssuche im Leben der Jugendlichen oder die Bewältigung von „Turbulenzen“ geht, wurde nur kurz erwähnt. Unter Schlagworten wie Demokratie, Toleranz, Umweltschutz etc. sollen Impulse zum Nachdenken gegeben werden – damit Jugendliche ihre eigene Sicht auf die Welt entwickeln können. Eine dem HVD eigene atheistische Lebensdeutung wird jedoch nicht thematisiert. Das Fest stehe ohne Glaubensbekenntnis und Gelöbnis für die Fähigkeit und Freiheit zu freiem Denken: die Grundlage der humanistischen Lebensauffassung Selbstbestimmung, Verantwortung und Toleranz. Die betonte Distanzierung von religiösen Übergangsriten und konfessorischen Aspekten gerät dabei in einen Widerspruch dazu, dass dennoch humanistische Ideale und Ideen als eine Art „Bekenntnisinhalt“ erscheinen.

Das Event im Friedrichstadtpalast als Höhepunkt: „feierlich – faszinierend – einzigartig“. Es wird getanzt, gesungen, es sprechen beispielsweise Schauspielerinnen von „offenen Herzen“, „einer geilen Zeit“. Doch was wird neben sehr allgemein und blass formulierten Werten und Idealen eigentlich vermittelt? Diese Unklarheit begleitete die gesamte Abendveranstaltung. Horst Groschopp, bis 2014 noch Direktor der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg und Redakteur der Zeitschrift „humanismus aktuell“, macht dazu in Isemeyers Buch selbstkritische Anmerkungen: „In den jeweiligen Feierangeboten lassen sich weitere, zum Teil sogar divergente Schwerpunktsetzungen feststellen. Sie signalisieren keine einheitliche Botschaft. Was eine humanistische Jugendweihe ist – dafür fehlen von außen nachvollziehbare, verifizierbare Kriterien. Jedenfalls bewegt sich das Produkt zwischen einer reformierten Jugendweihe ohne jede Form von Segnung und einer um weltanschauliche Inhalte bemühten Show. Überwiegend eint die Konzepte der Versuch, durch Ästhetik erzeugte säkulare Erhabenheit an die Stelle religiöser Spiritualität zu setzen.“ Im Hinterkopf scheint Groschopp aber eine prägnantere Profilbildung zu haben: „So bleibt die Frage virulent, wie es denn aussieht mit einem Mehr an betont humanistischer Sinngebung. Sie wird allerdings nicht gesellschaftlich diskutiert, sondern lediglich verbandskleinteilig. Antworten können jedoch nur in einem Diskurs aller Anbieter und durch ehrliche Analysen gewonnen werden. Erst dann kann man die Hauptfrage aufwerfen, wie lange es denn noch dauern wird, bis die offene Gesellschaft wie der demokratische Staat ein Interesse daran entwickeln, bei denjenigen nachhaltig Humanismus zu befördern, die religiös ‚unmusikalisch‘ sind und dies auch bleiben wollen“ (102).

Dennoch sind unter den Begriffen „Weihe“ und „Passageritus“ ersatzreligiöse Anklänge auszumachen. Wer wen eigentlich wozu „weiht“, fragt in Isemeyers Buch Andreas Fincke, Theologe und ehemaliger Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. Was ist neben „billigem Zukunftsoptimismus“, Sprachlosigkeit und inhaltlicher Leere bei Jugendweihe-Anbietern eigentlich Programm? Fincke stellt fest: „Offensichtlich bedient die heutige Jugendweihe das Bedürfnis nach schön gestalteter Unverbindlichkeit. Die Jugendweihe zeigt, dass der Bedarf an Erhebung und feierlichen Zeremonien mit zunehmender Säkularisierung neue Ausdrucksformen sucht und findet“ (117). Der HVD in Berlin-Brandenburg nimmt diesen Bedarf in jedem Falle ernst und profitiert von einer steigenden Nachfrage seines Jugendfeierangebots.


Teresa Knoch, Berlin