Hanna Fülling

Islamisches Gemeindeleben in Bayern und Berlin

Im Juli 2018 wurden in Berlin und Bayern zwei bemerkenswerte Studien veröffentlicht. Die eine Studie informiert über das islamische Gemeindeleben in Berlin, die andere über den Islam in Bayern. Bayern und Berlin sind zwei Bundesländer mit einer sehr unterschiedlichen Religionsdemografie. Laut dem Statistik-Portal gehörten im Jahr 2011 55 % der Bayern der katholischen Kirche an, 21 % wurden als Protestanten gezählt, 6 % als Mitglieder der islamischen Religion, und 24 % wurden als konfessionslos oder als Anhänger anderer Religionen erfasst.2 In Berlin hingegen gehörten im Jahr 2011 9 % der katholischen und 19 % der evangelischen Kirche an, 8 % wurden als Muslime erfasst und 63 % als Konfessionslose oder Anhänger anderer Religionen. Zwar ist diese Statistik relativ ungenau – insbesondere wegen der unpräzisen Kategorie der Konfessionslosen und Angehörigen anderer Religionen –, sie gibt aber dennoch einen guten Überblick über die unterschiedliche religionsdemografische Situation in Bayern und Berlin.

Der auf den ersten Blick größte gemeinsame Nenner beider Bundesländer besteht in der Anzahl der Muslime: Mit 6 % in Bayern und 8 % in Berlin differieren die Zahlen nur wenig voneinander. Allerdings gibt die sehr allgemeine Statistik keinen Überblick über die verschiedenen muslimischen Denominationen oder über die Geschichte der islamischen Religion in den beiden Bundesländern. Auch die Organisation und die religiöse und soziale Aktivität von Muslimen sowie die Zusammenarbeit zwischen der Landesregierung bzw. der Senatsverwaltung und den Muslimen werden aus der Statistik nicht ersichtlich und bedürfen einer genaueren Betrachtung.

Gerade dieser letzte Untersuchungsaspekt macht neugierig, ob sich die unterschiedliche Religionsdemografie auf den politischen Umgang mit Muslimen auswirkt – etwa ob sich in Bayern eine stärkere Offenheit im Umgang mit der islamischen Religion beobachten lässt, weil öffentliche Religion das Selbstverständnis in Bayern noch in anderem Maße prägt als in Berlin. Diese Vermutung hat der Religionssoziologe José Casanova aufgestellt.3 Er konstatiert eine große Skepsis gegenüber der islamischen Religion in Europa und führt diese auf die starke Sichtbarkeit der muslimischen Religiosität zurück. Sie rufe große Irritationen unter Europäern hervor, weil sie der einzig sichtbaren kollektiven Dynamik europäischer Staaten, die Casanova als kollektive Konversion zur Säkularität beschreibt, gegenüberstehe. Andererseits lässt sich insbesondere aufgrund der jüngeren bayerischen Identitätspolitik, wie sie im bayerischen Kreuzerlass zum Ausdruck kam, vermuten, dass die vergleichsweise starke Identifizierung der bayerischen Bürger mit dem Christentum durch eine christlich geprägte Identitätspolitik gestärkt werden soll und die Anerkennung religiöser und weltanschaulicher Pluralität dieser Politik zum Opfer fällt.

Durch einen Vergleich der beiden Studien „Islam in Bayern“ und „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“ können diese Fragen am Material geprüft werden. Hierfür müssen jedoch zunächst die Ausrichtungen, Zielsetzungen und methodischen Durchführungen der beiden Studien vergleichend betrachtet und Unterschiede sowie deren Auswirkungen auf die Erkenntnismöglichkeiten der vorangestellten Fragen offengelegt werden.

Untersuchungsaufbau und Forschungsabsicht der beiden Studien

Die Studie „Islamisches Gemeindeleben in Berlin“ ist ansprechend und aufwendig gestaltet und lädt mit übersichtlichen Textteilen und viel Bildmaterial zum Blättern und Entdecken ein. Sie wurde von Klaus Lederer, dem Senator für Kultur und Europa, sowie von den leitenden Wissenschaftlern und Herausgebern Riem Spielhaus sowie dem Leiter des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa, Mathias Rohe, auf einer Pressekonferenz am 16. Juli 2018 in der Berliner Senatskanzlei vorgestellt. Die Studie wurde vom Beauftragten für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften der Berliner Senatsverwaltung in Auftrag gegeben und schließt an die der früheren Berliner Ausländerbeauftragten, veröffentlicht 1999, sowie an die 2006 erschienene Studie des damaligen Integrationsbeauftragten an. Sie wird mit einem Grußwort von Klaus Lederer und einem Vorwort des Beauftragten für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Hartmut Rhein, eröffnet. In der Studie werden Daten zum islamischen Gemeindeleben in Berlin erhoben und ausgewertet.

In seinem Grußwort würdigt Lederer die Publikation als einen komprimierten, informativen Überblick über den Islam in Berlin, durch den zweierlei deutlich werde: „dass es den einen Islam, wie ihn manche beschreiben, nicht gibt. Aber auch, wie sehr der Islam zu Berlin gehört, wie er das gesellschaftliche Leben bestimmt, wie er Menschen in dieser Stadt Halt und Heimat gibt – und wie er unstrittig auch so manchen Konflikt mit sich bringt“ (4). Lederer betrachtet die Studie deshalb auch als Arbeitsauftrag, weil sie zeige, dass die Politik noch einiges zu tun habe, damit islamisches Leben in Berlin weiterhin gedeihen kann“ (4). So könne die Studie beispielsweise als Grundlage „für die Verankerung von islamischen Feiertagen und religiösen Festen im Bewusstsein und in der öffentlichen Wahrnehmung unserer Stadt“ (ebd.) dienen.

Die Studie zum „Islam in Bayern“ ist als Arbeitspapier konzipiert und erscheint in schlichter Aufmachung. Sie muss ohne politische Grußworte und bildliche Darstellungen auskommen. Sie ist als Policy Paper zur politischen Beratung von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Auftrag gegeben und vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht erarbeitet worden. Sie beansprucht in erster Linie, Empfehlungen für die Bayerische Staatsregierung bezüglich rechtlicher und politischer Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Empfehlungen an die muslimische Bevölkerung sind nicht darin enthalten.

Muslime und islamische Organisationen

Die bayerische Studie erhebt keine eigenen Daten zum Islam und zu den Muslimen, sondern wertet stattdessen vorhandene Daten im Sinne der politischen Beratung aus. Hierzu wird die Datenbasis der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ verwendet, die im Jahr 2008 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz (DIK) durchgeführt wurde, da aktuellere Daten für Bayern zum Zeitpunkt des Papiers nicht verfügbar waren (vgl. 10). Von den 6004 Befragten der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ wohnten 818 in Bayern. Von diesen 818 Personen bezeichneten sich 292 Menschen als Muslime (vgl. 8). Aus dem Datensatz dieser 292 Personen gewann die Studie die Angaben über die Muslime in Bayern. Von ihnen gaben 70,6 % an, selbst nach Deutschland immigriert zu sein, 28,9 % bezeichneten sich als Nachkommen von Migranten, und 0,5 % gaben an, keinen Migrationshintergrund zu haben (vgl. ebd.). Die immigrierten Muslime stammen primär aus der Türkei (66,6 %) und aus Südosteuropa (12,7 %). 63,5 % gaben an, Sunniten zu sein, und 7,1 % bezeichneten sich als Schiiten.

Die Organisation der Muslime in Bayern laufe nur zum Teil über die großen Verbände. In Bayern haben vor allem Vereinigungen mit Wurzeln in der Türkei oder auf dem Balkan Bedeutung. Durch die Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre tritt jedoch auch das arabischsprachige Spektrum stärker hervor. Die großen Verbände in Bayern sind: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR) und der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Daneben existiert eine Fülle von Einzelorganisationen. Zudem sind der Studie zufolge auch „eher informelle Netzwerke wie die Hizmet-Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, Sufi-Vereinigungen und auch salafistische Netze“ (18) in Bayern angesiedelt. Gemeinsam sei vielen Organisationen, dass sie kein explizit religiöses Profil aufweisen, sondern sich ihre Geschichte und ihre religiös-kulturellen Prägungen in ihren Angeboten widerspiegeln. Ein weiteres Charakteristikum bestehe darin, dass die formale Mitgliedschaft in den Organisationen eine untergeordnete Rolle spiele. Wenn ein Familienmitglied dort verzeichnet sei, gelte die ganze Familie in der Regel als Mitglied (vgl. 19).

In der Berliner Studie wird die Zugehörigkeit zu den Verbänden aufgrund der eigenen Datenerhebung exakter benannt. Anhand eines detaillierten Gesprächsleitfadens wurden mehrere „umfassende mehrstündige Interviews mit Vertreter*innen von 33 islamischen Gemeinden und damit mit einem Drittel der Betreiber*innen der bekannten Gebetsräume Berlins geführt“ (6). Durch diese eigene Datenerhebung bietet die Berliner Studie einen differenzierten Überblick über die Anzahl und Verteilung der Moscheen sowie die Organisationsstruktur islamischer Gemeinden in Berlin.

Den Umfragen der Berliner Studie zufolge halten derzeit 98 Moscheen und Gebetsräume das Freitagsgebet in Berlin ab. Zehn weitere Räumlichkeiten werden von Sufigemeinden, schiitischen oder alevitischen Vereinen betrieben und für „andere Aspekte islamischer Praxis“ (15) genutzt. Die meisten islamischen Gebetsräume befinden sich in Wedding (23 Räume), Neukölln (20 Räume) und Kreuzberg (16 Räume). Mit jeweils einem Raum gibt es in den Bezirken Wilmersdorf, Rudow, Pankow und Buckow die wenigsten islamischen Gebetsräume.

35 % der befragten Berliner Gemeinden sind ohne Verbandszugehörigkeit. Zu den drei größten Verbänden in Berlin zählen der IR, dem 17 % der Berliner Gemeinden angehören, die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS), der 15 % der Gemeinden angehören, und DITIB, die 14 % der Berliner Gemeinden umfasst. Eine Mehrheit der sunnitischen und schiitischen Vertreter in Berlin spricht sich für eine stärkere Zusammenarbeit Berliner Gemeinden aus. Zum Tragen kommt diese Bereitschaft beispielsweise in der Arbeitsgemeinschaft Muslimische Gefängnisseelsorge (vgl. 25).

Auch die sozialen und kulturellen Dienstleistungen der islamischen Gemeinden werden in der Berliner Studie detailliert untersucht. 89 % der Gemeinden haben Angebote für Kinder, 82 % für Jugendliche, 79 % für Frauen, 75 % für Familien und 64 % haben Angebote für Männer eingerichtet. Zudem bieten 64 % der Gemeinden Sprachkurse sowie Informations- oder Diskussionsveranstaltungen an. 61 % haben kulturelle und juristische bzw. behördliche Beratungsangebote eingerichtet. 50 % bieten zudem Angebote für Senioren an. Hieran wird deutlich, dass islamische Gebetsräume und Gemeinden nicht nur die religiöse Praxis fokussieren, sondern auch soziale und kulturelle Angebote machen. Allerdings ist auch die religiöse Bildung ein wichtiger Teil der Angebote. So bezeichnen 30 von 33 befragten Gemeinden die religiöse Unterweisung als wichtigen Teil ihrer Arbeit. Das Ziel eines solchen religiösen Unterrichts sehen die Autoren der Studie in der „Einführung in die Glaubenslehre und -praxis, für die die Einführung in das Lesen und vor allem das Rezitieren des Korans in arabischer Sprache als Grundvoraussetzung gilt“ (47). Anders als im schulischen Islamunterricht, der von Muslimen verschiedener ethnischer, kultureller und religiöser Ausprägungen besucht wird, ist in den Gemeinden häufig eher ein homogenes Milieu anzutreffen.

Zur Ermittlung der in Berlin lebenden Muslime beziehen sich die Forscher allerdings auch auf externe Daten. Die Berliner Forscher nutzen Datensätze des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg, die besagen, dass in Berlin 1 172 191 Menschen mit einem Migrationshintergrund gemeldet sind (31,8 % der Berliner Gesamtbevölkerung). 397 122 dieser Menschen stammen aus Ländern, die Mitglieder in der Organisation für islamische Zusammenarbeit sind – die meisten von ihnen aus der Türkei (vgl. 20f).

Kooperation, Koordination und Anerkennung

Auf der Basis dieser Datenlage thematisieren beide Studien Kooperationen zwischen islamischen Gemeinden und der jeweiligen Landesregierung. Diese Betrachtung wurde im bayerischen Arbeitspapier stärker fokussiert, da sie einen Schwerpunkt des Policy Papers bildet. Die Berliner Studie nimmt islamische Gemeinden hingegen stärker als zivilgesellschaftliche Akteure in den Blick und berichtet über Moscheebesuche und -führungen, das muslimische Seelsorgetelefon (MuTeS) und islamische Akteure in der Flüchtlingshilfe.

Die rechtliche Anerkennung wird in der Berliner Studie zwar thematisiert, aber nicht wirklich problematisiert. Die Studie hebt hervor, dass Berlin in den vergangenen 20 Jahren durch „gesetzliche Neuregelungen und themenspezifische Verordnungen“ (31) Lösungen für Themen gefunden habe, über die in anderen Bundesländern noch immer intensiv debattiert werde. Hier wird auf den islamischen Religionsunterricht verwiesen.4 Anerkennend blicken die Wissenschaftler jedoch auf die Verträge mit Muslimen in Hamburg und Bremen, durch die eine stärkere Verbindlichkeit geschaffen wurde – beispielsweise in Bezug auf islamische Feiertage. Die Studie hat Muslime nach ihrer Zufriedenheit über die Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft in Deutschland und der Wertschätzung der Arbeit in den islamischen Gemeinden befragt. 14 % haben das Gefühl, dass der Islam in Deutschland anerkannt ist, 50 % denken hingegen, dass er „eher nicht“ und 10 %, dass er überhaupt nicht anerkannt ist (vgl. 37). Allerdings haben 44 % den Eindruck, dass die Arbeit der Gemeinden anerkannt ist, und 23 % stimmen diesem Eindruck mit „eher ja“ zu (vgl. ebd.). Hier wird demnach eine Unterscheidung zwischen der konkreten Arbeit und der abstrakten Diskussion über die Anerkennung des Islam vorgenommen.

Als ein wichtiges Forum des Austauschs zwischen dem Berliner Senat und den islamischen Gemeinden wird das Islamforum Berlin betrachtet. Es wurde 2005 mit dem Anspruch gegründet, einen offenen Austausch auf Augenhöhe in einem geschützten Raum zu ermöglichen, die muslimische Perspektive zu integrieren, den innermuslimischen Dialog zu fördern und neue Netzwerke zu etablieren (vgl. 116). Das Islamforum wird auch in der aktuellen Legislaturperiode als vertrauensbildendes Instrument befürwortet. In der Studie wird allerdings nicht über politische Herausforderungen und Arbeitsfelder des Islamforums berichtet. Stattdessen wird seine Geschichte nachgezeichnet und Einschätzungen von Teilnehmenden dokumentiert. In der aktuellen Legislaturperiode ist das Islamforum bislang noch nicht zusammengekommen.

Als derzeitige Herausforderungen für die Gemeinden sowie für Kooperationen mit islamischen Gemeinden wird neben der Finanzierung und Verfügbarkeit von passenden Räumlichkeiten auch der Aufbau von dauerhaften und professionellen Strukturen betrachtet. Werner Schiffauer berichtet am Beispiel des Projekts „Brücken im Kiez“ über die Herausforderungen, welche die ehrenamtliche Selbstorganisation muslimischer Gemeinden bedeutet. Der Aufbau von Strukturen wird vor allem dadurch erschwert, dass die Gemeinden meist durch ehrenamtlich tätige Personen organisiert und getragen werden. Auf dieser Grundlage sei es schwierig, Projekte auf Dauer auszurichten und professionelle Strukturen aufzubauen.

Diese Gegebenheiten werden auch in Bayern als Problem erkannt. Deswegen wird in der Studie dargelegt, dass staatliche Unterstützung, etwa durch Fortbildungsangebote für Imame und anderes religiöses Personal oder durch die Finanzierung von Dolmetschern, rechtlich möglich und geboten sei. Anders als in der Berliner Studie wird (Staats-)Verträgen zwischen islamischen Gemeinden und Regierung nicht nur wohlwollend begegnet. Zwar werden der Symbolcharakter und die Bindung solcher Verträge gewürdigt, allerdings wird auch das Problem benannt, dass es für solche Verträge Organisationen bedarf, welche die rechtlichen und inhaltlichen Anforderungen erfüllen. Daraus könne der Nachteil erwachsen, „dass eine Fixierung von Repräsentationsverhältnissen bewirkt wird, die nicht hinreichend flexibel auf die deutlichen Entwicklungen in der muslimischen Szene reagieren kann“ (23). Die Autoren schlagen deshalb vor, keine umfassenden vertraglichen Regelungen ins Auge zu fassen, sondern Einzelfragen auf diese Weise zu bearbeiten und sie mit Öffnungs- und Änderungsklauseln zu versehen (vgl. ebd.).

Des Weiteren wird die staatliche Anerkennung von islamischen Feiertagen in der bayerischen Studie kritischer diskutiert. In der Studie wird deutlich herausgestellt, dass „besondere Feiertage für neu entstandene Religionsgruppen ohne lange historische Verankerung“ anachronistisch wären und dem Sinn allgemeiner gesetzlicher Feiertage nicht gerecht würden (68).

Grundsätzlich fordern die Autoren der Studie, dass in Bayern eine Anerkennungskultur verankert wird. Diese müsse etwa darin zum Ausdruck kommen, dass das Muslimsein als Normalität anerkannt werde, sowie durch symbolische Zeichen der Anerkennung, zum Beispiel in Form von Einladungen von Muslimen zu öffentlichen Anlässen. Zudem müsse eine größtmögliche Transparenz in der Kommunikation gewährleistet werden. Eine solche Politik sollte sich auch in konkreten Anliegen erweisen. So empfehlen die Autoren etwa, die sarglose Bestattung in Bayern als Regelfall zu ermöglichen (vgl. 62). Dies ist in Berlin bereits seit 2011 der Fall. Zudem legt die Studie der Landesregierung dringend nahe, den gegenwärtigen Modellversuch zum islamischen Religionsunterricht fortzusetzen, da er auf große Zustimmung stoße und vielfach belegte positive Wirkungen entfalte (vgl. 44).

Dass eine Anerkennungskultur jedoch nicht einfach eine bedingungslose Anpassung an erwartete Bedürfnisse bedeutet, machen die Autoren deutlich, indem sie vor kontraproduktiven Zugeständnissen aus Unsicherheit warnen. So stelle sich in der Praxis häufiger die Frage, ob staatliche Stellen weibliche Mitarbeiter durch männliche ersetzen sollen, um die Akzeptanz von Kontaktpersonen aus einem vermuteten patriarchalen Umfeld zu erhöhen. Hiervon raten die Autoren explizit ab.

Strategien im Umgang mit islamischem Extremismus und Islamfeindlichkeit

Ein letzter Punkt, der beide Studien beschäftigt, ist der Umgang mit religiösem Extremismus und Islamfeindlichkeit. Die Berliner Studie legt dar, welche enormen Herausforderungen beide Phänomene für islamische Gemeinden bedeuten. So berichten die Forscher der Berliner Studie, dass viele ihrer Gesprächspartner, die gegen Extremismus vorgehen oder die schlicht ihre Interpretation des Islam bewahren wollen, das Gefühl artikulierten, dass extremistische Deutungen ihnen zunehmend zentrale Worte und theologische Konzepte entreißen (vgl. 163). Dieser Eindruck deckt sich damit, dass islamischer Extremismus in Berlin gehäuft auftritt – auch wenn er insgesamt nur einen sehr kleinen Teil der Berliner Muslime betrifft. Einer Zahl von ca. 250 000 Muslimen in Berlin stehen ca. 2000 vom Verfassungsschutz beobachtete Personen gegenüber.

Aufgrund dieser 2000 Verdächtigen investieren viele Moscheegemeinden in Präventionsarbeit. Hierfür seien vor allem persönliche Beziehungen und vertrauensvolle Gespräche über theologische Fragen ausschlaggebend. Dies wird als eine herausfordernde Tätigkeit beschrieben, weil die gesellschaftliche „Realität … einen fruchtbaren Nährboden für gesellschaftliche Desintegrationsprozesse, die vor allem extrem nationalistische und islamistische Kreise für sich zu nutzen versuchen“, bietet (171). Diese setzten an antimuslimischen und stigmatisierenden Erfahrungen der Jugendlichen an und instrumentalisierten sie für islamistische Propaganda, indem sie den Jugendlichen Deutungsmuster für ihre Erfahrungen anbieten. Solche Deutungsmuster kulminieren in der Aussage, dass es einen Krieg gegen Muslime gebe und Muslime weltweit Opfer seien und vom „Westen“, von „Amerika“, von „Juden“ bekämpft und getötet würden (171). Die muslimische Präventionsarbeit versucht, Radikalisierungsprozesse nicht nur durch theologische Diskussionen zu unterbinden, sondern auch durch persönliche Begegnungen, um solche Deutungen als Ideologien zu entlarven. Hierzu wurde etwa die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KIgA) eingerichtet.

Eine besondere Herausforderung für die Gemeinden bei dieser Arbeit stelle jedoch eine mangelnde Expertise sowie das Ehrenamt dar. Dieser Herausforderung versucht das Land Berlin durch ein breites Netz an Unterstützungsmöglichkeiten zum Umgang mit islamischem Extremismus zu begegnen: „Schulungen zur Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung; Publikationen über Islamismus, Salafismus usw., zudem Stellen für die Prüfung von Publikationen und Internetquellen und Beratung zum Umgang mit Radikalisierten“ (159). Diese Perspektive auf die islamische Religion dürfe allerdings nicht derart dominieren, dass die Normalität des muslimischen Alltaglebens und das muslimische Selbstverständnis aus dem Blick geraten.

Auch im Bundesland Bayern stellt der islamische Extremismus ein großes Problem dar. Die Forscher konstatieren, dass sich etwa auch in Bayern eine wachsende salafistische Szene etabliert hat, die mehr als die 730 vom Landesverfassungsschutz angegebenen Personen umfasse (vgl. 76). Als wichtigste Plattform der Salafisten machen die Forscher Moscheen und Gebetsräume aus, in denen die salafistische Ideologie verbreitet wird. Allerdings würden auch häufig Privatzirkel gebildet (vgl. 77). Angesprochen vom Salafismus fühlen sich nach Meinung der Forscher vor allem jüngere Männer aus prekären Lebensverhältnissen oder in persönlichen Krisensituationen (vgl. 78).

Für den Umgang mit islamischem Extremismus und insbesondere mit Salafismus empfehlen die Forscher, leicht verständliches Material über islamisch-theologische Gegenpositionen herauszugeben und an Internetstrategien zu arbeiten, die verhindern, dass eine Stichwortsuche zum „Islam“ primär extremistische Angebote anzeige. Zudem sollten Präventionsmaßnahmen ausgebaut werden. Hierzu zähle beispielsweise der islamische Religionsunterricht. Er fördere das religiöse Empowerment von Muslimen und trage auf diese Weise auch zur Extremismusprävention bei. Die Studie fordert zudem Lösungen für das Problem, dass viele Moscheegemeinden und Imame davor zurückschrecken, mit Extremisten und Extremismusgefährdeten zu sprechen, aus Angst, dadurch selbst unter Verdacht zu geraten. Zusätzlich empfehlen die Forscher, weiterhin eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber Islamisten/Salafisten und ihren Unterstützern zu vertreten (vgl. 79).

Ebenso wie auch die Berliner Studie behandelt die bayerische Studie das Thema des islamischen Extremismus/Salafismus in Verbindung mit dem Thema „Islamfeindlichkeit“ und grenzt Letztere von legitimer konkreter Kritik ab: „Meist kulturell begründete, aber auch von manchen religiös legitimierte Konfliktpotentiale sind … unübersehbar: Patriarchalische Verhaltensweisen mit Benachteiligung von Mädchen und Frauen bis hin zur Gewaltanwendung, die Abwertung anderer Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen sowie religiös begründete Radikalisierung sind Realitäten, denen sich Muslime und die Gesamtgesellschaft stellen müssen. Konkrete Kritik an derartigen Phänomenen und ihren Vertretern ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Das sehen auch viele Muslime so. Ebenso wichtig ist aber eine deutliche Grenzziehung zwischen konkreten Problemen und ihren Verursachern einerseits und der Religion des Islam und den Muslimen insgesamt andererseits. Genau hier zeigt sich die Grenze zwischen Kritik an bestimmten Erscheinungsformen des Islams und der Islamfeindlichkeit“ (81).

Die Forscher der Studie regen an, eine Ursachenforschung zu fördern und darüber hinaus Deradikalisierungs- und Präventionsmaßnahmen im Zusammenhang mit politischer und gewalttätiger Islamfeindlichkeit zu entwickeln (vgl. 84). Zur Prävention gehöre eine bewusste Sprachwahl, die konkrete Probleme benennt, ohne aber zu pauschalisieren. Zudem sollte die Kategorie „verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit“ nicht nur im Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz, sondern landesweit etabliert werden.

Fazit

Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass beide Studien wichtige Perspektiven auf das islamische Gemeindeleben in Deutschland entwickeln. Die Berliner Studie ist vor allem darum bemüht, das Alltagsleben und das Selbstverständnis von Muslimen in Berlin dar- und vorzustellen und einen auch statistischen Überblick über den Berliner Islam zu erstellen. Die bayerische Studie fokussiert hingegen politische Handlungsfelder in kritischer Perspektive und entwickelt umfassende Handlungsempfehlungen für die Politik.

Beide Studien greifen damit zwei interessante Aspekte aktueller Islam-in-Deutschland-Debatten auf. Die Berliner Studie trägt zum einen dem Vorwurf Rechnung, dass häufig über, aber nicht mit Muslimen gesprochen werde – indem sie die Selbstdarstellung von Muslimen berücksichtigt und darstellt. Zudem ermittelt sie Daten über das islamische Gemeindeleben in Berlin, die sowohl für die Arbeit politischer Akteure als auch für mediale Berichterstattungen und am Thema Interessierte relevant sind. Die bayerische Studie wirkt hingegen der politischen Konfusion im Umgang mit der islamischen Religion entgegen, indem sie die zentralen Handlungsfelder der Partizipation und Kooperation zwischen Staat, Politik und islamischen Akteuren beleuchtet und Handlungsempfehlungen formuliert. Während die bayerische Studie eigene Daten über die islamische Religionspraxis in Bayern vermissen lässt, mangelt es der Berliner Studie an praktischen Handlungsempfehlungen und kritischen Anfragen an die Religionspolitik im Land Berlin.

Die Eingangsfrage, ob und wenn ja, inwiefern sich die unterschiedliche Religionsdemografie von Bayern und Berlin auf deren jeweilige Religionspolitik auswirkt, lässt sich auf Basis der beiden Studien nur schwer beantworten, weil die bayerische Studie sehr viel stärker auf diesen Themenbereich eingeht. Die Berliner Studie beschreibt die Religionspolitik in Berlin als vorangeschritten und integrationswillig. Dass es allerdings auch in Berlin in Sachen Kooperation, Koordination und Anerkennung starken Diskussionsbedarf gibt, bezeugen v. a. die Debatten über das Berliner Neutralitätsgesetz und die Etablierung des Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität. Die bayerische Studie sieht mehr Anlass zur Kritik am integrationspolitischen Willen der bayerischen Regierung. Während sich in Bayern gegenwärtig der Eindruck aufdrängt, dass die politische Integration des Islam v. a. aufgrund einer starken Identitätspolitik, die sich auf christliche Traditionen stützt, erschwert wird – wie etwa am Beispiel der sarglosen Bestattung oder an der Debatte über die Fortführung des Modellversuchs zum islamischen Religionsunterricht deutlich wird –, scheint in Berlin die stärker laizistisch ausgerichtete Politik, wie sie etwa im Berliner Neutralitätsgesetz zum Ausdruck kommt, ausschlaggebend zu sein.

Insofern wird deutlich, dass die eingangs erwähnte These des Religionssoziologen José Casanova durch das Material nicht bestätigt wird. Sie erfährt zwar durch die Diskussion über das Neutralitätsgesetz in Berlin partielle Bestätigung, jedoch nicht durch die bayerische Politik. Denn dort führt die höhere Identifikation mit Religion nicht zu einer höheren Akzeptanz der islamischen Religion.


Hanna Fülling


Anmerkungen

  1. Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich – je nach Thematik – auf eine der folgenden beiden Studien: Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) / Riem Spielhaus / Nina Mühe (Hg.): Islamisches Gemeindeleben in Berlin, Berlin 2018; oder auf: Mathias Rohe / Mahmoud Jaraba u. a.: Islam in Bayern. Policy Paper für die Bayerische Staatsregierung im Auftrag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Erlangen 2018.
  2. Vgl. Statista: Religionszugehörigkeiten der Deutschen nach Bundesländern im Jahr 2011, de.statista.com/statistik/daten/studie/201622/umfrage/religionszugehoerigkeit-der-deutschen-nach-bundeslaendern (Abruf: 3.10.2018).
  3. Vgl. José Casanova: Europas Angst vor der Religion, Berlin 2009, 107.
  4. Der Religionsunterricht ist in Berlin durch die Bremer Klausel (Art. 141 GG) bestimmt. Er ist insofern nicht als ordentliches Unterrichtsfach institutionalisiert. In Berlin sind die Religionsgemeinschaften für die Inhalte des Unterrichts selbst verantwortlich. Das Land stellt ausschließlich die Räume zur Verfügung, subventioniert die Lehrergehälter und überwacht die Rahmenlehrpläne des Unterrichts. Aktuell wird in Berlin islamischer Unterricht von der Islamischen Föderation angeboten. Im Schuljahr 2017/18 haben 5401 Schüler daran teilgenommen. Zudem bietet das Kulturzentrum Anatolischer Aleviten Religionsunterricht in Berlin an. Diesen haben im Schuljahr 2017/18 181 Schüler besucht. Vgl. Senatsverwaltung für Kultur und Europa: www.berlin.de/sen/kulteu/religion-und-weltanschauung/statistik-open-data (Abruf: 13.10.2018).