Islam

Islamischer Religionsunterricht in NRW

Zum Schuljahr 2012/13 startete in Nordrhein-Westfalen als erstem Bundesland islamischer Religionsunterricht als reguläres Schulfach. Zwar wird in allen alten Bundesländern seit Jahren regional Islamunterricht angeboten, teils bekenntnisorientiert, teils „islamkundlich“ im Sinne einer „neutralen“ Einführung in die islamische Religion. In Hamburg gibt es den bislang von der evangelischen Kirche getragenen „Religionsunterricht für alle“, der nun durch den Mitte August 2012 vorgestellten Staatsvertrag in eine neue Phase tritt; Berlin ist deshalb ein Sonderfall, weil Religion hier nicht in staatlicher Hand und nicht Pflichtfach ist, sondern auf Freiwilligkeit beruht und im Fall islamischer Religionsunterricht von der Islamischen Föderation in Berlin e.V. (IFB) verantwortet wird, die mit der extremistischen Milli Görüs verbandelt ist. Doch es handelt sich – bis auf die Berliner Sondersituation – überall um Modellversuche bzw. Provisorien, die nur einen kleinen Teil der muslimischen Schülerinnen und Schüler erreichen. Dies soll nun nach dem Willen der rot-grünen Regierungskoalition in Düsseldorf anders werden. Sie beschloss im Dezember 2011 mit den Stimmen der CDU-Opposition eine entsprechende Schulgesetzänderung.

Der Unterricht kann zwar zunächst nur für etwa 2500 Kinder in 44 Grundschulen angeboten werden. Die 40 Lehrerinnen und Lehrer sind zudem die früheren Islamkundelehrer, ihrer Ausbildung nach Orientwissenschaftler oder Türkischlehrer, die gerade mal ein oder zwei Wochenenden Fortbildung erhielten. Absolventen der ordentlichen Studiengänge sind erst in einigen Jahren zu erwarten. Einen Lehrplan gibt es auch noch nicht, er soll 2013 fertig sein. Deshalb wird auf Pläne der bisherigen religiös neutralen Islamkunde zurückgegriffen, die es seit 1999 an gut 130 Schulen gab.

Es ist also erst ein Anfang, und dennoch ein bedeutsamer Schritt. Denn die Neuerung hat es in sich, nicht zuletzt verfassungsrechtlich. Kernproblem: Ordentlicher Religionsunterricht wird in Deutschland nach dem Grundgesetz (Art. 7 Abs. 3) in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Dahinter steht die Trennung von Kirche und Staat. Nun gibt es in Deutschland noch keine islamischen Religionsgemeinschaften im Sinne des sogenannten Staatskirchenrechts (Religionsverfassungsrecht). Es fehle eine einheitliche Organisation, ein Ansprechpartner, der alle oder die Mehrheit der Muslime repräsentiert, so die Begründung. Um islamischen Religionsunterricht dennoch zu ermöglichen, verständigte man sich in NRW auf ein Verfahren, das von den einen als „Brücke“ gepriesen, von anderen als „Krücke“ kritisiert wird. Anstelle der grundgesetzlich erforderlichen Religionsgemeinschaft(en) übernimmt übergangsweise ein (staatlich eingesetzter) Beirat die Funktion des Gegenübers zum Staat. Der Beirat, bestehend aus muslimischen Fachleuten, von denen vier vom Koordinationsrat der Muslime (KRM) und vier von der Landesregierung im Einvernehmen mit dem KRM benannt worden sind, legt die Lehrinhalte gegenüber dem Land fest und befindet über die Lehrerlaubnis für die Lehrkräfte (Idschaza).

Diese bis 2019 befristete Regelung stößt auf teilweise scharfe Kritik, da sie geltendes Recht tendenziell unterhöhlt. So betonte der hessische Integrationsminister Jörg-Uwe Hahn (FDP), ein staatlich organisierter Beirat könne keinesfalls die Stelle der vom Grundgesetz geforderten Religionsgemeinschaft einnehmen. „Der Staat beruft die Personen, die dann den Ersatz für etwas darstellen müssen, das nach dem Grundgesetz vom Staat unabhängig zu sein hat. Der Staat simuliert eine Religionsgemeinschaft und entlässt die muslimischen Verbände aus ihrer Verantwortung, Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes zu werden. Die Arbeitsteilung [zwischen Staat und Religion] wird aufgehoben. Dies gilt auch für die Neutralitätspflicht des Staates ... Der Staat wird zum Lenker, der Islam zur gelenkten Religion“ (Tagesspiegel, 12.4.2012).

Was gut gemeint ist, kann auch in anderer Hinsicht Schwierigkeiten mit sich bringen: Liberale Muslime kommen in dieser Konstruktion nicht vor. So jedenfalls sieht es Lamya Kaddor, selbst Religionslehrerin und Gründerin des Liberal-islamischen Bundes (LIB). Die Geheimniskrämerei um die Lehrerlaubnis (FAZ, 24.07.2012) trägt nach der Debatte um die niedersächsische Idschaza nicht dazu bei, diesbezügliche Vorbehalte abzubauen. In deren erster Fassung waren umstrittene Äußerungen zur islamischen Lebensführung und Vorbildfunktion der Religionslehrer enthalten, die erst nach heftigen Kontroversen entschärft wurden (www.beirat-iru-n.de/idschaza). So hieß es etwa, die Idschaza sei „auch Beleg über die Verinnerlichung rechter islamischer Lehre, die guten Sitten, die Einbindung in eine muslimische Gemeinschaft und die beobachtete Orthopraxie der Lehrkraft“. Der geforderte Nachweis über eine „fortwährende Lebensweise nach der rechten islamischen Lehre und den guten Sitten“ war außerdem nach männlichen und weiblichen Bewerbern unterschieden. Einer der niedersächsischen Unterzeichner ist Mehmet Soyhun, Beauftragter der türkisch-sunnitischen DITIB, der auch Vorsitzender des jetzt etablierten Beirats für den islamischen Religionsunterricht in NRW ist.

In Nordrhein-Westfalen gehen rund 320000 muslimische Kinder und Jugendliche zur Schule, in ganz Deutschland etwa 700000. Um für sie einen eigenen Religionsunterricht bereitzustellen, werden zwischen 2000 und 5000 Lehrer benötigt. Einige der Herausforderungen sind erkannt worden, es werden Wege gesucht, ein dem evangelischen oder katholischen Religionsunterricht vergleichbares islamisches Angebot in der Fläche zu machen. Die Politik scheint indessen mehr zu wollen, als die Muslime strukturell und organisatorisch bislang zu repräsentieren vermögen. Ziel muss es im Sinne der Kinder bleiben, dass die „Brücke“ auf beiden Seiten auf festem Grund aufruht und die Grundprinzipien der Verfassung, insbesondere des klug austarierten Religionsverfassungsrechts, gewahrt und gestärkt werden.


Friedmann Eißler