Andreas Hahn

Integration oder Parallelgesellschaften?

Privatschulen russlanddeutscher Mennoniten

Die Beschäftigung mit aktuellen Flüchtlingsbewegungen verliert oft die große Zahl russlanddeutscher Aussiedler aus dem Blick. Ihre mennonitischen Gemeinden nehmen einen gewissen Sonderstatus in der zunehmenden Diversifizierung des Christentums ein. Auch sie sind ein Produkt größerer Wanderungsbewegungen, sie nehmen sich in ihren Selbstverständnis allerdings nicht als Migranten, sondern als Aussiedler wahr, die rechtlich anders gestellt sind und durch ihre Geschichte Deutschland als Heimat empfinden.1

Unter ihnen sind etwa 100 000 freikirchlich orientierte Spätaussiedler.2 Als sie aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik zogen, fanden sie nur selten Anschluss an bundesdeutsche Mennoniten- oder Baptisten-Gemeinden, die ihnen zu liberal und in ihren Gottesdiensten fremd erschienen. Die gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrer Individualisierung, Erlebnis- und Konsumorientierung und die neuen Herausforderungen durch eine zunehmende religiöse Indifferenz waren an ihnen vorbeigegangen. Demgegenüber stellte ihr Glaube für sie nicht wie sonst in unserer Gesellschaft nur eine private Option dar, sondern bildete den zentralen Bestandteil ihrer Identität. Die endlich erlangte Religionsfreiheit nutzend gründeten sie mit einem Schwerpunkt in Ostwestfalen (besonders Bielefeld und Espelkamp) zahlreiche neue Gemeinden. Dabei wurden ihnen die in der Sowjetunion gelebten Familien- und Nachbarschaftsgemeinden zum Vorbild.3 Infolgedessen kam es in dieser Region zu einer einzigartigen Verdichtung von freikirchlich-taufgesinnten Gemeinschaften, Werken, Verlagen und Bildungsinstitutionen. Nur sehr wenige haben sich der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland (AMG) bzw. der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Brüdergemeinschaften in Deutschland (AMBD) angeschlossen.

Die oft großen Gemeinden gestatten es, das gesamte soziale Leben innerhalb der eigenen Gemeinde stattfinden zu lassen. Jugendliche beispielsweise sind praktisch täglich in das Gemeindeleben einbezogen, sodass es kaum zu Außenkontakten kommen kann.

In der zweiten und dritten Generation zeichnen sich unter den Aussiedlergemeinden sehr unterschiedliche Entwicklungen ab. Einige Gemeinden öffnen sich – nicht zuletzt unter dem Druck der nachwachsenden Generation – für das soziale Umfeld und arbeiten auch ökumenisch dort mit, wo sie feststellen, dass sie ihre eigenen Traditionen bewahren können. Das gilt mancherorts für die Evangelische Allianz. Darüber hinaus kommt es vor, dass besonders jüngere Familien ihre Gemeinde verlassen und neue, unabhängige, charismatischer ausgerichtete Kleinstgemeinden gründen. Ein weiterer Teil russlanddeutscher Mennonitengemeinden schließlich grenzt sich auch weiterhin in Lehre und Praxis ab und orientiert sich zunehmend am modernen Wortfundamentalismus. Von deren Predigern oder Organisationen umworben arbeiten sie beispielsweise mit der Konferenz für Gemeindegründung zusammen. Im Ganzen zeigen sich also ambivalente Entwicklungen: Neben gut integrierten gibt es auch Gemeinden mit stark separatistischen Tendenzen.

Schulgründungen und Konzepte

Bildung war neben Familie und Gemeinde bei den Aussiedlern schon immer ein bedeutsamer Wert.4 Daher verwundert es nicht, dass auch das Schulwesen besonders in den Blick genommen wurde. Von ihrem eigenen Wertekanon aus sahen sie das Schulwesen in Deutschland von einem allgemeinen Werteverlust bedroht und kritisierten die dort stattfindende Sexualaufklärung, die Akzeptanz sexueller Vielfalt, den historisch-kritischen Umgang mit der Bibel und die Beschränkung der Bildung auf säkulare, insbesondere evolutionäre Konzepte in den Unterrichtsinhalten. Die Gründung privater Bekenntnisschulen war aus ihrer Sicht ein folgerichtiger Schritt.

In den Schulgesetzen der Länder ist überall die Gründung von weltanschaulich geprägten Ersatzschulen vorgesehen. Neben den etwas über 900 Schulen in katholischer und den knapp 1200 in evangelisch-landeskirchlicher Trägerschaft gibt es eine wachsende Zahl von christlichen Schulen, die im evangelikalen Umfeld entstanden und meist aus einer Elterninitiative hervorgegangen sind. Die ersten dieser Schulen schlossen sich 1981 lose zur Arbeitsgemeinschaft evangelischer Bekenntnisschulen (AEBS) zusammen, einer Plattform, die nach innen und außen das bei aller Heterogenität gemeinsame Anliegen christlicher Schulen evangelikaler Prägung vertrat. Die AEBS wurde 2006 durch den Verband evangelischer Bekenntnisschulen (VEBS) abgelöst, der sehr viel selbstbewusster den gestiegenen Anforderungen im Blick auf Organisation, Fortbildungen, Rechtsberatung etc. nachkam.

Diese Strukturen nutzten auch die russlanddeutschen Mennonitengemeinden und gründeten besonders im ostwestfälischen Raum Trägervereine mit dem Ziel christlicher Schulgründungen. So entstanden als große evangelikale Bekenntnisschulen in Detmold die August-Hermann-Francke-Schulen durch den christlichen Schulverein Lippe e. V. (ab 1989 mit mittlerweile vier Kitas, drei Grundschulen und vier weiterführenden Schulen) und in Bielefeld die Georg-Müller-Schulen (ab 1990 mit mittlerweile drei Grundschulen, einer Gesamtschule und einem Gymnasium). Hier wurden Lehrpläne und Unterrichtskonzepte entwickelt, die das Proprium einer christlichen Schule evangelikaler Prägung im Schulalltag umzusetzen beanspruchten. Die Detmolder August-Hermann-Francke-Schulen beziehen sich in ihrer Selbstdarstellung auf die Glaubensbasis der Evangelischen Allianz. Ihre Lehrkräfte „verstehen sich als Christen mit einem persönlichen Bekenntnis zu Jesus Christus“ und „bringen ihre persönliche Beziehung zu Jesus Christus mit in den Schulalltag hinein, um ihren Schülern ein Vorbild zu sein“.5 Morgenandachten und Gottesdienste sind in den Schulalltag integriert. Die Georg-Müller-Schulen in Bielefeld gehen in ihrem Konzept noch einen Schritt weiter, wenn alle Mitarbeitenden „in verschiedene bibeltreue Gemeinden oder Gemeinschaften eingebunden“ sein sollen. Das Bibelverständnis tendiert zum Wortfundamentalismus, wenn „die historische (sic!) und inhaltliche Wahrheit und Authentizität der Bibel … als autoritativ“ vorausgesetzt und explizit „von liberaler Theologie und der Betrachtungsweise der historisch-kritischen Methode“ „deutlich“ abgegrenzt wird. Entsprechend fordert die hieraus resultierende Positionierung „eine kritische Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie …, und zwar als Theorie, als naturwissenschaftliches (Denk-)Modell“, dem „unter Rückgriff auf Forschungsergebnisse kreationistischer Naturwissenschaftler die Schöpfungslehre gegenübergestellt werden“ soll, damit „die Schülerinnen und Schüler … zu einer fundierten Auseinandersetzung mit beiden Modellen“ kommen.6

Ambivalenzen

Die Ambivalenz in der Entwicklung russlanddeutscher Mennonitengemeinden zwischen Integration und Parallelstrukturen spiegelt sich auch in der Entstehung evangelikaler Schulen: Nicht selten kommen die Schulgründer aus sich eher abschottenden Gemeinden und versuchen, diese Strukturen auch im Schulwesen aufrechtzuerhalten. Ähnlich wie die Gemeindestrukturen sollen auch die Schulen die jungen Menschen in erster Linie vor schädlichen Einflüssen aus der „Welt“ schützen. Im Selbstverständnis sind es – sogar teilweise explizit – „nicht missionarische, sondern christliche Schulen“7: Insofern ihre Trägervereine oft heterogen zusammengesetzt sind, kann man nur selten von „Gemeindeschulen“ sprechen.8

Bei einer Einschätzung ist zu bedenken, dass diese Gemeinden und besonders die heranwachsende Generation ja unter uns leben und integriert werden müssen. An öffentlichen Schulen machen Lehrkräfte die Erfahrung, dass diese Schülerinnen und Schüler oft einfach abtauchen und sich nicht an Diskussionen beteiligen, wenn sie gefühlt „sowieso die falsche Meinung haben“, wie es mir gegenüber ein Abiturient formulierte. Eine evangelikale Privatschule hätte hier zumindest die Möglichkeit, durch einen Vertrauensvorschuss Abschottungen und fundamentalistischen Haltungen vorzubeugen. Dies kann nur gelingen, wenn die eigene – mennonitische – Identität nicht gefährdet ist.

Solange Schulpflicht besteht, können Parallelgesellschaften nicht so einfach entstehen. Denn auch eine Privatschule untersteht der staatlichen Schulaufsicht, muss ihre Konzepte genehmigen und gegebenenfalls den Unterricht durch Besuche oder Akteneinsicht kontrollieren lassen. Evangelikale Bekenntnisschulen stehen immer im Spannungsfeld zwischen schulischen Anforderungen und den eigenen Bekenntnissen. Dies zeigt sich vor allem im Umgang mit der Bibel als Norm und in der Diskussion um den Kreationismus. In geschützten Diskussionsräumen und auf der Basis kompetenter Lehrpläne kann diese Spannung konstruktiv bearbeitet werden.

Hier gilt Ähnliches wie in ökumenischen Begegnungen: Wenn es gelingt, Gemeinschaften in eine größere ökumenische Weite einzubeziehen, arbeitet man gegen einen Fundamentalismus an. Dies gelingt aber nur, wenn die beteiligten Gemeinden an einem Prozess der Integration interessiert sind, was leider nicht bei allen der Fall ist. In solchen Fällen wird man Integration oder gar Pluralismusfähigkeit nur selten erreichen.

Der Weg zum mennonitischen Religionsunterricht

In diesem Zusammenhang bekommt die Einführung eines eigenen mennonitischen Religionsunterrichts eine besondere Brisanz über rein schulpolitische und religionspädagogische Fragen hinaus.

Für viele überraschend, richtete Ende Mai 2016 das Schulministerium einen „Religionsunterrichts nach den Grundsätzen der Mennonitischen Brüdergemeinden in NRW“ ein, zunächst als Schulversuch an ausgewählten Grundschulen des Landes. Bis dahin wurden die Mennoniten schulrechtlich dem evangelischen Glauben zugeordnet und deshalb als bedarfsdeckend versorgt betrachtet. 2012 klagte die Mennoniten-Brüdergemeinde in Euskirchen gegen einen Ablehnungsbescheid der zuständigen Bezirksregierung Köln gegen die Gründung einer mennonitischen Bekenntnisschule. Das Verwaltungsgericht Aachen gab der Klage Recht. Interessant ist hier die Begründung, in der die Mennoniten-Brüdergemeinde als eine eigenständige Konfession gesehen wird, deren „grundlegende Organisationsform“ kongregationalistisch die einzelne Ortsgemeinde sei, die „selbstständig die Verantwortung für Lehre und Leben“ trage. Sie sei „die eigentliche Kirche“.9

Nach diesem Bescheid reichten 26 Mennoniten-Brüdergemeinden einen Antrag auf Einrichtung eines eigenständigen Religionsunterrichts ein, der im Sommer 2016 begonnen wurde. Geradezu bizarr war es, dass zunächst der Lehrplan Evangelische Religionslehre dem neuen Unterrichtsvorhaben zugrunde gelegt wurde – also genau das Unterrichtsmodell, von dem sich die Antragsteller gerade abgrenzen wollten! Ab Sommer 2018 ist ein eigener Lehrplan genehmigt.

Konsequenzen für die Integration

Religionsfreiheit sichert die ungestörte Religionsausübung. Der vorfindliche Religions- und Weltanschauungspluralismus ist eine Folge dieses Rechts und unbedingt gutzuheißen. Anerkannte Religionsgemeinschaften haben darüber hinaus einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf einen eigenen schulischen Religionsunterricht. Es ist aber m. E. fraglich, ob die 26 antragstellenden Mennonitischen Brüdergemeinden in diesem Sinne als Religionsgemeinschaft aufzufassen sind. Schließlich handelt es sich bei ihnen um separate Einzelgemeinden, meist Kleinstgemeinden mit einer Mitgliederzahl zwischen 30 und 150 Personen,10 die keine organisatorische Verbindung untereinander eingegangen sind. Auch wenn sich manche der Evangelischen Allianz oder dem Bund Taufgesinnter Gemeinden (BTG) angeschlossen haben, bilden diese doch keine eigene Religionsgemeinschaft.11 Somit ist der Begriff „Mennonitische Brüdergemeinden“ bei den Antragstellenden zumindest etwas irreführend.

Es stellt sich hier dasselbe Problem wie bei islamischem Religionsunterricht: Wer ist legitimer Ansprechpartner? Im Blick auf den islamischen Religionsunterricht hat das Bundesverwaltungsgericht12 eindeutige Kriterien genannt: ein organisatorisches Band zwischen den einzelnen Gemeinden, ein „Verbund, der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst“, eine irgendwie geartete rechtliche Existenz, um am Rechtsverkehr teilzunehmen“ und eine Art „religiöses Oberhaupt mit Weisungsbefugnis“. Darüber hinaus muss die Religionsgemeinschaft durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Diese Kriterien scheinen bei der Anerkennung der Mennonitischen Brüdergemeinden keine Rolle gespielt zu haben, denn es ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, ob die Brüdergemeinden diese Voraussetzungen insgesamt erfüllen. Ein Einbezug der großen Verbände, allen voran der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) hätte sehr viel nähergelegen – die darin zusammengeschlossenen Gemeinden sind allerdings mit dem bisherigen evangelischen Religionsunterricht zufrieden.

Somit erhärtet sich der Verdacht, dass die antragstellenden Gemeinden zur Abschottung und zu Parallelgesellschaften tendieren. Eine Reihe von Konflikten mit Mennoniten um Klassenfahrten oder Unterrichtsinhalte an ostwestfälischen kommunalen oder auch evangelisch-landeskirchlichen Schulen deuten auch in diese Richtung. Gesprächen mit einzelnen Gemeindevertretern konnte ich entnehmen, dass längst nicht alle Gemeinden sich darüber im Klaren waren, welche Folgen ihre Unterschriften in diesem Prozess haben. Sie sind quasi über Nacht zu einer eigenen Konfession geworden, was u. a. auch bedeutet, dass die Religionslehrerinnen und -lehrer aus ihren Reihen ihre Vokation (kirchliche Beauftragung zur Erteilung von Religionsunterricht) zurückgeben müssen. Die Entstehung religiöser Parallelstrukturen wird durch den eingeführten mennonitischen Religionsunterricht zweifellos verstärkt.

Tendenzen zum Wortfundamentalismus

Dies zeigt auch der Lehrplan für das neue Fach. Die an Bekenntnisschulen entstehende, m. E. produktive Spannung zwischen schulischen Anforderungen und dem je eigenen Profil wird aufgelöst. Schulischer Religionsunterricht soll „wissenschaftlich verortet, pädagogisch verantwortlich, dialogisch und zur Mündigkeit befähigend durchgeführt“ werden.13 Damit werden fundamentalistische Inhalte und auch kreationistische Modelle als Inhalte ausgeschlossen.14 In der Regel findet man in mennonitischen Gemeinden aber einen wortwörtlichen Umgang mit biblischen Texten, oft als eine Mischung aus Traditionen, Liedern und bewährten Regeln. In zahlreichen Mennoniten-Brüdergemeinden findet sich in der Selbstdarstellung aber über diesen eher „naiven“ Biblizismus hinaus ein Bekenntnis zur „Irrtumslosigkeit“ der Bibel als wortwörtlicher Gottesoffenbarung.15 Wird die Bibel als „das geoffenbarte Wort Gottes“16 auch in historischen Fragen als autoritativ behauptet, dann lässt dieser explizite Wortfundamentalismus einen wissenschaftlich (und theologisch) reflektierten Umgang mit den Grundprinzipien des Glaubens nicht mehr zu. Genau dies aber fordert der Religionsunterricht im Kanon der Schulfächer. Die in den Bildungsstandards geforderte Methodenkompetenz und Deutungskompetenz kann mit einer wortfundamentalistischen Hermeneutik kaum erzielt werden. Der vorliegende Lehrplan für den mennonitischen Religionsunterricht nennt oft „erzählen“, „beschreiben“, „wiedergeben“ oder sogar nur „kennen“ als Operatoren. Handlungskompetenz bzw. Dialogkompetenz werden gar nicht erst als Unterrichtsziel gesehen. Die Unterrichtsinhalte werden stark durch die gemeindliche Binnensicht bestimmt.

Zur Religionsfreiheit gehört es natürlich, dass man „die Bibel als von Gott inspiriertes Wort Gottes“ verstehen kann. Ob die Vermittlung dieses Inhalts aber eine angemessene Bildungsaufgabe formuliert, wie es im Lehrplan geschieht, ist fraglich. Wenn noch dazu nicht ausgebildete Lehrende aus den Gemeinden mit der Unterrichtsgestaltung beauftragt werden, dürfte sich dieser Unterricht kaum noch von innergemeindlichen Unterweisungen unterscheiden.

Nach den Erfahrungen meiner Lehrtätigkeit kam es immer dann zu Konflikten mit Eltern oder Gemeinden, wenn ein historisch-kritischer Umgang mit biblischen Texten thematisiert oder eine kreationistische Schöpfungslehre kritisiert wurde. Die stärksten Kritiken kamen dabei u. a. aus solchen Mennoniten-Brüdergemeinden, die aufgrund ihrer theologischen und gesellschaftspolitischen Ansichten die in gesellschaftlichem Konsens vereinbarten Inhalte schulischer Bildung und Erziehung in weiten Teilen ablehnen. Sie wollten stattdessen die Kinder von bestimmten aufgeklärten Einflüssen fernhalten und so eine Auseinandersetzung mit den Werten und Einstellungen einer modernen, aufgeklärten Gesellschaft gar nicht erst ermöglichen. Das behindert die Integration dieser Bevölkerungsgruppe und fördert die Aufrechterhaltung von Parallelgesellschaften.

Perspektiven

Die mennonitischen Aussiedlergemeinden in NRW bieten durch ihre Größe und ihr Angebot die Möglichkeit, eine von der übrigen Gesellschaft fast völlig abgeschottete Existenz zu führen. Während die allgemeine Schulpflicht eine Begegnung unausweichlich macht, können Bekenntnisschulen diesen Trend wieder verstärken. Es zeigt sich allerdings, dass sie hier faktisch oft eine wichtige Brückenfunktion wahrnehmen und einen Schutzraum für die Entwicklung einer pluralismuskompetenten Persönlichkeit bieten, der die eigene mennonitische Identität nicht infrage stellt. Wo das gelingt, werden diese Schulen auch attraktiv für ganz anders sozialisierte und sogar religionsdistanzierte Familien. Dies fördert die Integration und baut einem Fundamentalismus vor. Interessanterweise spielt die Frage nach einem mennonitischen Religionsunterricht trotz entsprechender Schülerschaft in kaum einer Bekenntnisschule eine Rolle.

Im schulischen Umgang mit russlanddeutschen Mennoniten mussten Konflikte hauptsächlich mit Eltern und Gemeindevertretern ausgetragen werden und nur sehr selten mit den Schülerinnen und Schülern selbst. Hier spielte ein gewachsenes Vertrauensverhältnis eine zentrale Rolle wie auch eine grundsätzlich wertschätzende Haltung gegenüber diesen Gemeinden. Wurden die Konflikte produktiv bearbeitet, war der Weg in eine offene Gesellschaft erleichtert, bis dahin, dass ehemalige Schüler ein akademisches Theologiestudium absolvierten.

Dazu müssen allerdings die Ansprüche eher separatistischer Gemeinschaften zurückgewiesen werden, was nicht immer gelingt. Es verhält sich hier ähnlich wie im ökumenischen Gespräch mit kleinen unabhängigen Gemeinschaften: Wo ein Einbezug in eine größere Weite geschieht, haben es Separatismus und Fundamentalismus schwer. Wo Kleinstgruppen bestimmen, kommt es zu Zersplitterung und kleinen Parallelstrukturen. Religiöse Freiheit hat sich dann in wenig hilfreicher Weise verselbständigt.

Hierin liegt das gesellschaftliche (und religiöse) Problem des mennonitischen Religionsunterrichts. Er wird dominiert durch tendenziell fundamentalistische Vertreter und findet auch in der Reflexion über Religion keinen Widerpart. Für die gesamte Frage nach der Relevanz von konfessionellem Religionsunterricht wie auch für die Entwicklung Mennonitischer Brüdergemeinden im Blick auf ihre Integration halte ich diese Entwicklung für problematisch.


Andreas Hahn


Anmerkungen

  1. Folgerichtig sind sie „Deutsche“ bzw. „Heimkehrer“. Diese Selbsteinschätzung leitet die Darstellung Otto Hertels, des früheren Physiklehrers und Initiators des „Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte“, das auf dem Gelände der evangelikalen August-Herrmann-Francke-Schule in Detmold mithilfe des dortigen Schulträgers eingerichtet wurde, vgl. www.russlanddeutsche.ludewig.de/8deu.html  (Abruf der angegebenen Internetseiten: 28.3.2019).
  2. Vgl. Frederik Elwert: Religion als Ressource und Restriktion im Integrationsprozess. Eine Fallstudie zu Biographien freikirchlicher Russlanddeutscher, Wiesbaden 2015, 23.
  3. Vgl. dazu Susanne Worbs u. a.: (Spät-)Aussiedler in Deutschland. Eine Analyse aktueller Daten und Forschungsergebnisse, Forschungsbericht 2013 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2013, 192f.
  4. Otto Hertel spricht vom Ordnungssystem „Kirche – Schule – Familie“ (s. Fußnote 1).
  5. https://gesamtschule.ahfs-detmold.de
  6. Wörtliche Übernahmen aus „Geistliches und Pädagogisches Konzept“, www.gms-net.de/traeger/home/service/download
  7. So wurde es mir gegenüber explizit in mehreren Gesprächen geäußert.
  8. So setzt sich z. B. der Trägerverein der Bielefelder Georg-Müller-Schulen aus Mitgliedern der Brüderbewegung und unterschiedlicher russlanddeutscher Mennonitengemeinden zusammen.
  9. www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_aachen/j2016/9_K_1365_12_Urteil_20160429.html .
  10. Eine Ausnahme stellt die Mennoniten-Brüdergemeinde Espelkamp mit 2300 Mitgliedern dar.
  11. Der BTG betont die Selbständigkeit der Einzelgemeinden und dient nur der Bewältigung gemeinsamer Aufgaben.
  12. Urteil vom 23.2.2005, 6C2.04.
  13. So formulierten 2016 die sieben einen konfessionellen Religionsunterricht vertretenden Religionsgemeinschaften mit der damaligen Schulministerin Sylvia Löhrmann, www.land.nrw/de/media/image/gemeinsame-erklaerung-zum-religionsunterricht-nordrhein-westfalen .
  14. Ähnlich auch schon der EKD-Text 94: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, 2008, 20: „Ein evangelischer Religionsunterricht ... kann deshalb den Kreationismus zwar thematisieren, ihn jedoch nicht vertreten.
  15. Dies bezieht sich – teilweise auch explizit – auf die „Chicagoer Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel“ (1978), das zentrale Dokument für den christlichen Wortfundamentalismus.
  16. Teilweise auch in expliziter Ablehnung von Karl Barths Lehre von der dreifachen Gestalt des Wortes Gottes.