Interreligiöser Dialog

Im Dialog mit Abraham

Was trägt „Abraham“ für den christlich-muslimischen Dialog aus? Welche Rolle spielt die eigene Identität in aktuellen religiösen Begründungen des Dialogs, und was bedeutet das für die Praxis? Wie viel Theologie braucht die christlich-islamische Verständigung? Es waren spannende Themen und ein intensives Arbeitsprogramm, denen sich eine Reihe qualifizierter Referenten und ein beachtliches Auditorium auf der Tagung „Im Dialog mit Abraham“ in Berlin widmeten (15.–17. Januar 2010, Evangelische Akademie zu Berlin in Zusammenarbeit mit der EZW und der Muslimischen Akademie in Deutschland).

Bewusst weniger auf die praktische Dialogarbeit als auf tiefer liegende Weichenstellungen zielend ging es darum, am Beispiel Abrahams die theologische Dimensionalität der Verständigung zu erkunden. Dabei musste die Frage nach der Tragfähigkeit des Konzepts einer „Abrahamischen Ökumene“ eine prominente Stellung einnehmen (s. dazu auch das „Stichwort“ in MD 2/2010, 72-76). Wenngleich Martin Bauschke von der Stiftung Weltethos sich nicht als offensiven Vertreter dieser Idee verstehen wollte, machte sein Vortrag eine ihrer Grundoptionen doch besonders deutlich: Abraham ist das, was wir aus ihm machen. So zutreffend dies mit Blick auf den konstruktiven Anteil jeder Interpretation ist, so problematisch erscheint die Konsequenz, wenn sie gleichsam exegetisch verabsolutiert wird. Dies geschieht da, wo nicht nur die biblischen und die christlichen, sondern auch die jüdischen und die islamischen Abrahambilder als Abrahamrezeptionen, als relectures in einem Kontinuum der drei monotheistischen Religionen betrachtet und so Fragen der Kanonisierung und des Schriftverständnisses unterlaufen werden.

Das heißt aber im Grunde nichts anderes, als den hermeneutischen Prozess auf den Kopf zu stellen. Denn es wird nicht erhoben, was jeweils als „Abraham“ gelten kann, vielmehr erscheint als per se legitime Abrahaminterpretation, was nach meist extern gewonnenen Kriterien für dialogpragmatisch angemessen gehalten wird. Man mag unwillkürlich an den sittlichen Menschen Ritschls oder das Küng’sche Humanum denken als Vorbegriff dessen, was die Texte und Traditionen im Sinne des guten Zweckes sagen sollen – und dürfen. Dialog „auf Augenhöhe“ bedeutet dann: Jedes neu entworfene Bild ist gleich gültig (sofern es sich im nicht weiter aufgedeckten kriteriologischen Rahmen eines „Dialogs der Annäherung“ bewegt). Transparente Exegese erübrigt sich unter diesen Umständen, insofern Exegese durch die Faktizität der mannigfaltigen Abrahambilder und ihre konkrete Wirkungsgeschichte ersetzt wird. Der differenzierende Bezug auf eine kanonische Rückbindung der unterschiedlichen „Bilder“ gerät hingegen schnell in den allgegenwärtigen Essentialismusverdacht.

In gewisser Weise konträr dazu stand die Herangehensweise des deutsch-libanesischen Pfarrers und Islamexperten Hanna N. Josua, der den Begriff einer Abrahamischen Ökumene ausgehend von einer chronologischen Koranlektüre hinterfragte. In exegetischer Detailarbeit analysierte er die ursprünglichen Kommunikationssituationen der koranischen Verkündigung und zeigte so die engen Querverbindungen zwischen islamischem Abrahambild und der Prophetenbiographie Muhammads auf. Die „Islamisierung“ Abrahams / Ibrahims respektive die „Ibrahimisierung“ des Islam stünden einer Beanspruchung für Gemeinsamkeiten entgegen; Dialog knüpfe sinnvoller am Konzept der imago Dei, der Gottebenbildlichkeit des Menschen, an, so Josua.

Dass Textbezogenheit und historisch kontextualisierende Exegese keineswegs essentialistischen Vorurteilen Vorschub leisten (müssen), sondern im Gegenteil die Aufmerksamkeit gerade auf das dialogische Potenzial lenken, bestätigte auch der Vortrag von Angelika Neuwirth. Die Koranexpertin und Leiterin des renommierten „Corpus Coranicum“-Projektes skizzierte den Weg Abrahams / Ibrahims von einem Vater der Völker (Mekka) zum Vorbild für alle Menschen (Medina) und legte dabei ebenfalls die jeweiligen koranischen Verkündigungssituationen chronologisch zugrunde. Die Interpretation zielt durch die Trennung der innerkoranischen Diskursstränge von der späteren Auslegung darauf, den Blick auf die dynamische Flexibilität der historischen Textgenese freizulegen und von daher eine neue und offene Diskussion über den Koran auch für Muslime in erreichbare Nähe zu rücken. Die von Neuwirth vorgeschlagene „europäische Lektüre“ des Korans geht allerdings so weit, ihn und die biblischen Überlieferungen als gleichsam neben- und ineinander verflochtene, gleichermaßen aufeinander verwiesene Traditionsströme zu betrachten. Ein Spitzensatz: Wäre der Koran auf Griechisch geschrieben, würden wir ihn als patristischen Text lesen. Damit wird der Koran einerseits als exegetischer Gegenstand aufgewertet, andererseits das jeweilige Selbstverständnis aus der Außenperspektive relativiert. Die Frage, ob hier die auf exegetischem Wege betonte Eigenständigkeit und Widerständigkeit religiöser Aussagen ausreichend ernst genommen wird, wurde nicht zuletzt auch von muslimischer Seite gestellt, blieb aber vorläufig unbeantwortet.

Wie die religiöse Eigenständigkeit im Kontext einer religiös-weltanschaulich pluralistischen – im konkreten Fall einer kommunistischen – Gesellschaft expliziert und gelebt werden kann, war das Thema von Ibrahim Dzafi´c. Der bosnische Islamwissenschaftler und Imam ging auf die Koranauslegung des modernen „Klassikers“ des bosnischen Islam, Husein Djozo (1912–1982), ein. Sie ist in hohem Maße dialogrelevant, weil sie eine autochthone europäische Reformulierung der Tradition unter den Bedingungen der Moderne bietet. Metaphorische Auslegung und zeitgenössische Adaptionen von Überlieferungsgut stehen unter dem Einfluss des Modernismus (Muhammad Abduh), Djozo vertrat ein klares Bekenntnis zum Idschtihad (unabhängige rationale Rechtsfindung). Zugleich wurde deutlich, dass sich die „Suche nach dem Besten“, wie idschtihad auch übertragen wurde, komplett im traditionellen sunnitischen Rahmen der Bezugnahme auf Koran und Sunna, in Abstufung dann auf die Gelehrtengenerationen und die Ratio, bewegt.

Von christlicher Seite wurde die Fragestellung durch den evangelischen Systematiker Wolf Krötke aufgenommen. Zum Dialog und zur Suche des friedlichen Zusammenlebens würden Christen vom Zentrum der Schrift aus motiviert („alles, was den gnädigen Gott zur Geltung bringt“). Dazu könne „Abraham“ ausgelotet werden. Allerdings hätten wir nicht die Möglichkeit des historischen Rückgangs auf Abraham, vielmehr sei das biblische Zeugnis seinem eigenen Geist gemäß im Blick auf den Islam zu aktualisieren. Anstelle des hohen Anspruchs einer Abrahamischen Ökumene sympathisierte Krötke mit der komparativen Theologie von Klaus von Stosch, die keine übergeordnete Ebene postuliert, sondern anhand von konkreten Einzelfällen die Tragfähigkeit gemeinsamer Perspektiven erproben möchte.

Für und Wider war schließlich auch dem Referat der muslimischen Theologin Hamideh Mohagheghi zu entnehmen. Abraham sei eine rebellische Figur, die Kritik an bestehenden Verhältnissen äußerte und eine bessere Zukunft im Blick hatte. Mohagheghi erzählte die Abrahamgeschichte am Leitfaden der Tradition nach und stellte eine Reihe von abrahamischen Initiativen vor. Die Kinder Abrahams seien aufgerufen, im Guten miteinander zu wetteifern. Es blieb allerdings bewusst offen, ob der Bezug zu Abraham explizit hergestellt werden müsse oder nicht.

Insofern könnte man am Ende als ein – zugegebenermaßen salopp formuliertes – Fazit festhalten: Es geht mit Abraham, es geht aber auch ohne. Die theologische Auseinandersetzung im Dialog setzt tiefer an. So gesehen ist es vielleicht folgerichtig, dass inzwischen am Horizont des Dialogs eine neue Ikone auftaucht: Noah. Ob er mehr Eintracht symbolisieren kann, bleibt vorerst abzuwarten.

Die Beiträge der Tagung über Abraham werden als EZW-Text veröffentlicht.


Friedmann Eißler