Säkularer Humanismus

Humanistischer Verband will eine Hochschule gründen und Seelsorge anbieten

(Letzter Bericht: 3/2021, 167–173)  Analog zu Hochschulen in christlicher Trägerschaft hat der Humanistische Verband (HVD) in Berlin die Gründung einer eigenen Hochschule beantragt. Darüber hinaus soll ein Fachausschuss die Angebote säkularer Seelsorge professionalisieren und mit Angeboten religiöser Seelsorge vernetzen.1

In den letzten Jahren ist die Gruppe der Konfessionslosen stark angewachsen. Genaue Zahlen der „Konfessionsfreien“ lassen sich bei dieser heterogenen Bewegung, die sich primär über die Abgrenzung „-los“ definiert, jedoch schwer ermitteln. Angaben des Verbands zufolge zählen sich heute in Deutschland bis zu 40 % zu dieser „Glaubensrichtung“.

Im Juni hat der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg seinen Antrag zur Gründung einer Humanistischen Hochschule in Berlin an den zuständigen Staatssekretär übergeben. Zunächst sollen dort drei Studiengänge angeboten werden: ein praxisorientierter Bachelor „Soziale Arbeit“ mit dem besonderen Schwerpunkt „Spiritual Care“ und je ein Weiterbildungs-Master in Lebenskunde und in Angewandter Ethik. Der Bedarf einer Hochschule mit humanistischem Menschenbild wird mit dem enormen Fachkräftemangel in der sozialen Arbeit begründet. Die Nachfrage nach Studienplätzen im Sozialwesen ist in Berlin in der Tat hoch und seit 2010 um 61 % angestiegen; deshalb will die Humanistische Hochschule weitere Kapazitäten anbieten. Auch die Nachfrage nach dem Wahlfach Humanistische Lebenskunde in den Schulen sei groß. Nach eigenen Angaben führt der HVD Berlin-Brandenburg Lebenskunde-Unterricht für mittlerweile rund 70 000 Kinder an öffentlichen Grundschulen durch. Weil Lehrerinnen und Lehrer für Humanistische Lebenskunde nicht an den Berliner Hochschulen ausgebildet werden, soll hier eine Lücke geschlossen werden.

Ebenfalls im Juni wurde beim Delegiertenrat des HVD-Bundesverbandes der Fachausschuss „Humanistische Seelsorge und Lebensberatung“ gegründet. Ziel dieses Ausschusses ist es, bestehende Angebote säkularer Seelsorge zu professionalisieren sowie sich mit Seelsorge-Angeboten anderer Weltanschauungen zu vernetzen. Auf Basis des Humanismus und der Erfahrung eines geteilten Menschseins möchte man von Krisen Betroffenen begleitend zur Seite stehen, ohne sie in eine weltanschauliche Richtung drängen zu wollen.

Nächstenliebe kann auch anders als christlich begründet und motiviert sein. Die Kirchen haben längst kein Copyright mehr auf „Seelsorge“. Zahlreiche Varianten esoterischer, muslimischer oder buddhistischer Lebenshilfe belegen, dass alternative Lebensdeutungen und Sinngebungshilfen immer häufiger in Anspruch genommen werden. Wie verhalten sich die christlichen Angebote gegenüber der säkularen Konkurrenz? Der verständliche Reflex, traditionell eigene Hoheitsgebiete trotzig zu verteidigen, wird der Tatsache nicht gerecht, dass viele Menschen ihr Gespür für eine persönliche Gottesbeziehung verloren haben und eher in der Natur, bei Körpererfahrungen oder in der philosophischen Reflexion Halt und Orientierung suchen. Deshalb ist es klug, das Gespräch auf Augenhöhe zu suchen und die eigenen Erfahrungsschätze konstruktiv einzubringen. Die starken Potenziale christlicher Tugenden wie Dankbarkeit, Hoffnung, Vergebung oder die Kraft des Trostes brauchen sich im Dialog mit säkularen Angeboten nicht zu verstecken.


Michael Utsch, 01.11.2021

 

Anmerkung

1  Zur Gründung einer Humanistischen Hochschule: https://hpd.de/artikel/humanistische-hochschule-etappenziel-erreicht-19416; zur Gründung eines Fachausschusses „Humanistische Seelsorge“: https://hpd.de/artikel/hvd-gruendet-fachausschuss-humanistische-seelsorge-19387.