Jeannine Kunert

Homöopathie in der Kontroverse

Zur aktuellen Debatte

Ende Mai 2019 fand der Deutsche Ärztekongress für Homöopathie in Stralsund statt. Homöopathika und homöopathische Leistungen sind schon seit langem auf dem alternativmedizinischen Markt präsent. Ihre Verwendung erscheint den meisten längst nicht mehr als skurril – immerhin hatten im Jahr 2014 60 Prozent der Bevölkerung bereits mindestens einmal1 Homöopathika, die den Ruf haben, nebenwirkungsarm zu sein, verwendet. In Deutschland ist Homöopathie eine der meistgenutzten alternativmedizinischen Anwendungen.2 Dennoch schlug die Schirmherrschaft der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns über den Deutschen Ärztekongress für Homöopathie in Stralsund mediale Wellen und führte erneut zu einem Aufschrei unter den Gegnern homöopathischer Behandlungen.

Die Tagung, die vom 29. Mai bis 1. Juni 2019 stattfand, stand unter dem esoterisch klingenden Motto „Homöopathie und das Meer – Vom Ursprung des Lebens“.3 Das aus dem Meer kommende Leben und „gynäkologische Themen rund um Schwangerschaft und Geburt“ wurden als gedanklicher Rahmen und Schwerpunkte gesetzt. Insofern wurde in der Programmgestaltung auch die Klientel der Hebammen mit eigenen Veranstaltungen bedient sowie ein Block „Kinderheilkunde“4 ins Programm genommen.5 Die maritime Assoziation war der Ministerpräsidentin des „Küstenlandes“, Manuela Schwesig, neben der Feststellung, dass sich die Homöopathie zunehmender Akzeptanz erfreue, Grund genug, die Schirmherrschaft zu übernehmen.6

Kampf um Deutungshoheit

Dass Manuela Schwesig sich damit im Kampf um die Deutungshoheit im Bereich Krankheit und Heilung eindeutig positionierte, wurde in den Medien, parteipolitisch und von praktizierenden „schulmedizinischen“ Ärztinnen und Ärzten beanstandet. Diese bemängeln u. a., dass sie trotz der durch zahlreiche wissenschaftliche Studien nicht belegten Wirksamkeit der Mittel die weitere Erforschung ihrer Wirksamkeit befürworte und damit die Faktizität der bereits vorhandenen Studien anzweifle.

In diesem Zusammenhang stehen auch Krankenkassen in der Kritik, die homöopathische Heilmethoden in ihr Leistungsportfolio übernommen haben und dadurch die ansonsten verbindlich angewendeten medizinischen Standards zugunsten ihrer eigenen Wettbewerbsfähigkeit aushebelten.7 Im aktuellen deutschen Arzneimittelgesetz (AMG, §38-39) wird für bestimmte Homöopathika lediglich eine Registrierung verlangt, sofern keine Wirkungen und Anwendungsgebiete in deren Packungsbeilagen und auf der Umverpackung benannt sind. Dies bedeutet, dass ihre Wirksamkeit – anders als bei der Zulassung – nicht zuvor mittels medizinisch standardisierter Studien bewiesen sein muss. Im Rahmen des sogenannten „Binnenkonsenses“ genügen stattdessen zur Bestätigung der Wirksamkeit Erfahrungen der Homöopathinnen und Homöopathen in der Praxis, d. h. die von ihnen beobachteten Behandlungserfolge. In der wissenschaftlichen Beweisführung gilt ein solches Vorgehen als Zirkelschluss und damit als Beweisfehler. Gegenüber anderen Arzneimitteln stellt es eine nicht begründete Privilegierung dar. Auch ist die Meldung von Nebenwirkungen dieser Homöopathika durch Ärztinnen und Ärzte infolge dieser Sonderregelung des Gesetzgebers ausgenommen und damit nicht nachhaltig dokumentiert.

Dass es sich in den öffentlich geführten Auseinandersetzungen schließlich um Fragen der Marktsteuerung und Umsatzgewinne in einem hoch dotierten Feld dreht, ist evident. Unter anderem gegen die Ärztin Natalie Grams, ehemalige Homöopathin und Mitbegründerin des „Informationsnetzwerks Homöopathie“, hat nun ein Hersteller homöopathischer Präparate, die Firma Hevert, Unterlassungsforderung gestellt, weil Grams prominent die These vertritt, dass die Wirkung von Homöopathika nicht über den Placeboeffekt hinausreiche.

Satirisch kommentiert wurde die Debatte jüngst durch Jan Böhmermann in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 13. Juni 2019. In seinem Angriff auf die Homöopathie ging Böhmermann allerdings über den Vorwurf der Unwirksamkeit von Homöopathika hinaus und kritisierte erstens die Krankenkassen, die mit der Kostenübernahme v. a. eine finanzstarke Klientel halten wollen, zweitens die Homöopathen, die für eine Anamnese höhere Sätze als andere Ärzte verlangen können, und drittens die Anbieter homöopathischer Produkte, die durch Rhetorik in der Werbung eine vermeintliche Nähe der Homöopathie zur Naturmedizin herzustellen versuchen, was für die Kunden irreführend sei.8 Denn gemeinhin wird Homöopathie als eine Methode der Alternativmedizin und nicht als Naturmedizin klassifiziert. Das Angebot von Homöopathie und die Übernahme der Leistungen durch die Krankenkassen suggerieren dem Laien überdies eine allgemeingültige und wissenschaftliche Anerkennung, weil nicht zwingend transparent wird, dass sich hier zwei Weltdeutungs- und Wahrheitsansprüche gegenüberstehen. Inwieweit sich Böhmermanns Bekanntheit sowie die etwaig anstehende juristische Auseinandersetzung auf den Fortgang der Debatte auswirken, bleibt abzuwarten.

Damit setzen sich jedenfalls die Fragen um Deutungshoheit und wissenschaftliche Faktizität auch auf der juristischen und medialen Ebene fort. Dabei haben derlei Debatten eine lange Tradition, stritt sich doch schon der Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann (1755 – 1843) mit Apothekern über die Zulassung zur Herstellung von Medikamenten. Er entwickelte die Homöopathie in einem sozio-historischen Umfeld, in dem Aderlass und Quecksilbertherapie noch zum guten Geschäft der Mediziner gehörten und die Therapien ihre Patienten oftmals mehr schwächten als heilten. Hahnemann kritisierte diese Methoden und entwarf ein alternativmedizinisches Konzept, das nicht die einzelnen Symptome heilen, sondern den Ursprung von Krankheit angehen wollte.9 Seine „schonenden“ Ansätze, die ganzheitliche Hinwendung zum Patienten und die individuelle Therapie galten damals als fortschrittlich und waren zugleich in den zeitgenössischen medizinischen Kreisen hochgradig umstritten.

Wirkprinzip der Homöopathie

Eine historische Komponente gewann auch die Tagung mit der 125-Jahr-Feier der Gesellschaft homöopathischer Ärzte Schleswig-Holstein/Hamburg10 im Rahmenprogramm. Dieser Landesverband gehört dem Ausrichter des eingangs genannten Kongresses an, dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte, der bereits im Jahr 1829 in Köthen/Anhalt gegründet wurde und auf die Arbeiten Hahnemanns zurückgeht. Heute tritt der Berufsverband als Interessenvertretung u. a. gegenüber der Politik und den Medien auf und möchte durch aktive Lobbyarbeit die Rahmenbedingungen für homöopathisch arbeitende Ärzte im Gesundheitssystem verbessern.11 Cornelia Bajic, Fachärztin für Allgemeinmedizin, ist derzeit die erste Vorsitzende des Zentralvereins und kämpft für eine „Medizinwende“ hin zu einer „Integrativen Medizin“.12 Der Verein bietet zudem eigene, von den Ärztekammern anerkannte Fort- und Weiterbildungen an und setzt sich gemäß Satzung für die wissenschaftliche Erforschung der Wirksamkeit von Homöopathie ein.

In der Satzung des Vereins wird Homöopathie sodann definiert als „ärztliche Therapieform mit Einzelarzneien, welche am Menschen geprüft sind und – in der Regel in potenzierter Form – nach dem Ähnlichkeitsprinzip verordnet werden“13 . Potenzieren meint, diesem Verständnis zufolge, die hochgradige Verdünnung der Ausgangssubstanzen,14 bis – aus Sicht der Kritiker betrachtet – eine Wirkung ab einer Potenz höher als D6 nicht mehr möglich sein kann, da schlichtweg keine relevanten Moleküle der arzneilich wirksamen Bestandteile mehr enthalten sind.15 Hahnemann bearbeitete die Substanzen durch rhythmisches Klopfen und meinte damit ihre „dynamischen Kräfte“ „herausschütteln“, ihren energetischen Zustand verändern und ihre geistige „Arznei-Kraft“ entfalten zu können (Dynamisierung). Das Zutun von Energie durch den Klopfvorgang unterscheide die so erzeugten Potenzen von reinen Verdünnungen. Je höher nun die Potenz sei, desto höher sei auch die Wirkkraft.

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Anmerkungen

1 Vgl. de Sombre: Homöopathische Arzneimittel 2014.
2 Vgl. Federspiel / Herbst: Die Andere Medizin, 160.
3 Vgl. https://2019.homoeopathie-kongress.de (Die in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten wurden im Juni 2019 abgerufen).
4 Der Ratgeber „Homöopathie für Kinder“ empfiehlt bspw. Heilverfahren explizit für diese Zielgruppe: „Die Homöopathie ist für die Behandlung von Säuglingen, Klein- und Schulkindern bestens geeignet. Denn sie heilt auf sanfte Weise, ohne Nebenwirkungen, und das Gesundwerden geschieht ‚von innen heraus‘: Die Selbstheilungskräfte werden durch individuell passende Heilmittel gezielt aktiviert … Und die Heilung ist immer ganzheitlich, geht über die Linderung von Symptomen weit hinaus“ (Stumpf: Homöopathie für Kinder, 5).
5 In diesem Rahmen sprach auch Ortrud Lindemann, die 2014 mit einem Team von Ärzten Ebola-Patienten in Liberia mit Homöopathie behandeln wollte. Nach Angaben der Zeitschrift Spiegel wurde die Reise v. a. von dem Leipziger Verein „Freunde Liberias“ und von führenden deutschen Homöopathen unterstützt. Das Unterfangen wurde jedoch von den liberianischen Behörden letztlich verhindert. Vgl. Grill: Liberia verhindert Tests an Ebola-Patienten.
6 Vgl. https://2019.homoeopathie-kongress.de/programm/schirmherrschaft-grussworte.
7 In Frankreich wurde Ende Juni 2019 von der obersten Gesundheitsbehörde ein Gutachten nach neunmonatiger Prüfung von 1200 homöopathischen Mitteln und der Auswertung von mehr als 1000 wissenschaftlichen Beiträgen vorgestellt, das homöopathischen Mitteln eine ausreichend hohe Wirkung abspricht. Es wird erwartet, dass dies Auswirkungen auf die Erstattungsfähigkeit durch französische Krankenkassen haben wird.
8 Eine solche unsachliche Vermischung verschiedener heilmethodischer Ansätze findet man auch im Magazin der Krankenkasse Securvita (Securvital 2/2019, 15) in dem Artikel „Vielfalt der Heilmethoden. Integrative Medizin. Ärzte und Wissenschaftler verteidigen die Homöopathie gegen unsachliche Kritik“, in dem es hauptsächlich um die Verteidigung der Homöopathie geht, wenn es heißt: „Und über 120.000 Ärzte in Deutschland nutzen ergänzende medizinische Verfahren wie Naturheilkunde, Homöopathie, anthroposophische Medizin oder Akupunktur in ihrer ärztlichen Praxis.“ Diese Verfahren unterscheiden sich allerdings in ihren Ursache- und Wirkungsannahmen teils erheblich voneinander. Dennoch wird durch die schiere Aufzählung eine inhaltliche Nähe zueinander hergestellt. Der gesamte Artikel suggeriert Berührungspunkte und Vergleichbarkeit von Naturheilverfahren und Homöopathie. Böhmermann und sein Team legten übrigens in der Debatte mit einem YouTube-Beitrag über die Anleitung zur eigenen Herstellung von Globuli nach, der bereits mehrere hundertausendmal angeklickt wurde (vgl. www.youtube.com/watch?time_continue=24&v=9xWQxdPLpLU).
9 Vgl. Dahlke: Das große Buch der ganzheitlichen Therapien, 247.
10 Vgl. https://lv-shh.dzvhae.de/lvshh-historisches/historisches.html.
11 Vgl. www.dzvhae.de/ueber-den-dzvhae.
12 Sucker-Sket: Homöopathie; vgl. www.dzvhae.de/homoeopathika2018.
13 Vereinssatzung, Stand 15./16. Mai 2010, 1.
14 „Ein Arzneimittel zu potenzieren bedeutet, durch Verdünnen und Verschütteln seine heilende Wirkung zu verstärken, so dass es im Körper den für die Anregung der Selbstheilungskräfte nötigen Reiz ausüben kann“ (Jänicke / Grünwald: Alternativ heilen, 104).
15 Ab einer Potenz von D23 ist die Verdünnung so hoch, dass naturwissenschaftlich betrachtet (nach der sogenannten Avogadro-Konstante, d. h. der Messung der Teilchenzahl pro Stoffmenge) keine wirksamen Moleküle mehr enthalten sind.