Yassir Eric

Hass gelernt, Liebe erfahren. Vom Islamisten zum Brückenbauer

Yassir Eric, Hass gelernt, Liebe erfahren. Vom Islamisten zum Brückenbauer, adeo Verlag, Aßlar 2017, 224 Seiten, 16-seitiger Bildteil, 18,00 Euro.

Yassir Eric ist gebürtiger Nordsudanese (geb. 1972) und evangelischer Theologe, Mitgründer und Leiter des in Korntal ansässigen Europäischen Instituts für Migration, Integration und Islamfragen (EIMI). Er arbeitet als Islam- und Integrationsexperte im Bereich der kulturellen und religiösen Verständigung und setzt sich außerdem für die Menschenrechte und Glaubensfreiheit von Minderheiten im Nahen Osten ein.

Im vorliegenden Buch zeichnet Eric chronologisch seine Lebensgeschichte nach. Aufgewachsen in einer konservativen, dem Schriftislam folgenden Familie in Khartum kommt er schon früh in Berührung mit islamischem und islamistischem Gedankengut. Sein Vater ist führender Politiker des Landes, Militäroffizier, Chef des Clans und einer der ersten Muslimbrüder im Sudan. Erics Großvater ist ein islamischer Gelehrter, der u. a. für die Beratung von Politikern herangezogen wird. Zur Familie gehört auch der Großonkel Hasan at-Turabi, der für die Einführung der Scharia und damit für die Entwicklung des Sudans hin zu einem islamistischen Staat verantwortlich war. Durch seine Erziehung und vor allem durch den Aufenthalt in einer Koranschule, wo er als Junge zwei Jahre getrennt von seiner Familie verbringt, wird Eric eine dualistische Sichtweise der Welt und damit einhergehend auch Hass auf Andersgläubige tief eingeprägt. „Ich wurde dazu erzogen, Ungläubige zu hassen und im Namen Allahs zu bekämpfen … Mir wurde eingeimpft, jene zu lieben, die Allah liebt, und jene zu hassen, die Allah hasst“ (67). Über Koranschule, Familie und Moschee wird er zunehmend radikalisiert und schließlich zum militanten Islamisten, der sich dem Kampf für Allah verschrieben hat. Im Jahr 1989 absolviert Eric sein Abitur und beginnt im Anschluss daran das Studium des Islamischen Rechts und der Politikwissenschaft. Während dieser Zeit ist er Teil der Studentenunion, die Eric als Kaderschmiede der Muslimbruderschaft bezeichnet.

Die Konversion eines ihm nahestehenden Onkels ist für Eric der Auslöser für die Beschäftigung mit dem Christentum. Durch den Übertritt des Onkels zum christlichen Glauben werden Erics bisherige Moralvorstellungen und Ideale in ihren Grundfesten erschüttert. Die Heilung seines Cousins sowie das Gespräch mit Christen sind weitere Vorkommnisse, über die Eric schließlich seinen Weg zum christlichen Glauben findet. Seiner Konversion und anschließenden Taufe folgen große Schwierigkeiten und starker Gegenwind. Dies reicht von Gefängnisaufenthalten bis hin zum Verstoßenwerden aus seiner Familie; aus deren Sicht hat er durch seinen Abfall vom Islam die Ehre der Familie beschmutzt. Eric wird von seiner Familie für tot erklärt und sogar symbolisch beerdigt. Als junger Christ setzt er sich trotz aller Widrigkeiten für verschiedene (christliche) Projekte im Sudan ein, z. B. ein Solar-Hilfsprojekt.

1995, vier Jahre nach seiner Konversion, wandert Eric schließlich nach Kenia aus, da er durch seine Aktivitäten nicht nur sich selbst, sondern zunehmend auch andere Menschen gefährdet. In Kenia absolviert er ein Theologiestudium und parallel dazu eine Ausbildung zum Industriemechaniker. Als in den 1990er Jahren der Bürgerkrieg im Sudan ausbricht, steht Eric seinen Landsleuten durch die Mitarbeit in Hilfsorganisationen zur Seite. In dieser Zeit lernt er seine spätere Frau Maren kennen, die er 1999 in Deutschland heiratet. In seinem Status als Migrant macht Eric sowohl in Kenia als auch in Deutschland vielfältige Erfahrungen, die für seine spätere Arbeit im Bereich des Zusammenlebens und der Integration wertvoll sind.

Eric schreibt sehr reflektiert über sein Leben und lässt den Leser auch an inneren Konflikten und persönlichen Schwierigkeiten teilhaben. Indem er seine damaligen und jetzigen Gedankengänge nachzeichnet und gegenüberstellt, kann sich der Leser ein Stück weit in seine Rolle und Situation einfühlen. Eric weist an vielen Stellen auf die engen Verflechtungen hin, die zwischen Politik, Gesellschaft und Religion auszumachen sind; so z. B. in Bezug auf das Geschlechterverhältnis und die patriarchalen Strukturen. Er führt als wesentliche Identitätsmarker Familie, Religion und Geschlecht an. Um die eigene Identität zu bewahren, findet eine Abwertung von Fremden, Andersgläubigen und Frauen statt. Eric betont mehrfach, welch bedeutende Rolle der Sozialisation und Erziehung für seinen Werdegang zukommen. Seine Kindheit beschreibt er als intensive Prägephase, in der er, ohne reflektieren zu dürfen, die ihm vermittelten Inhalte verinnerlichen musste. „Ebenso wie in der Koranschule gab es auch in … [der] Erziehung nur richtig und falsch, erlaubt und verboten, Ehre und Schande. Aber erklärt wurde nichts und jegliches Hinterfragen war verboten“ (62). „Man musste die islamischen Glaubenssätze akzeptieren, ohne sie zu hinterfragen. Sonst fiel man ab vom Glauben. Und das wollte ich auf keinen Fall“ (88).

In den letzten Kapiteln schreibt Eric über aktuelle gesellschaftliche, zum Teil heiß debattierte Themen und erläutert seine persönliche Einstellung dazu. Dieser Teil schließt nicht unmittelbar an die Lebensgeschichte Erics an, kann also im Grunde losgelöst vom autobiografischen Teil gelesen werden. Die Ausführungen sind hilfreich für die eigene Meinungsbildung sowie den Umgang mit Muslimen bzw. Konvertiten. Eric plädiert für einen offenen, die Begegnung suchenden Umgang mit Muslimen und anderen Einwanderern, denn „es braucht Begegnung, um Vorurteile abzubauen“ (67). In Fragen der Integration spricht sich Eric für Bemühungen auf beiden Seiten aus. Die bereits in Deutschland Lebenden sollten in Kontakt treten mit Migranten. Ein großer Teil der Integrationsleistung müsse aber vonseiten des sich Integrierenden kommen: „Als Migrant liegt es an mir, ob ich offen für mein Gegenüber bin, ins Gespräch komme und dadurch die Möglichkeit ergreife, Teil dieser Gesellschaft zu werden“ (143). Außerdem sieht Eric die Christen in der Pflicht, ihren Glauben klar und offen zu leben und zu teilen. Er stellt fest, dass es daran oft fehle: „Eine ‚Islamisierung‘ geschieht nicht in erster Linie durch unsere muslimischen Nachbarn, sondern beginnt da, wo wir nicht zu unseren eigenen Werten stehen“ (213). Christen in Deutschland sollen freimütig mit den Mitmenschen und gerade mit den Muslimen in ihrer Umgebung über ihren Glauben sprechen und diesen erklären. „Unsere muslimischen Freunde haben das Recht zu erfahren, was den christlichen Glauben ausmacht“ (175). Eric geht auch auf die Problematik des Islamismus und des davon ausgehenden Terrors ein. Seine Devise ist hier: „Wer den islamistischen Terrorismus bekämpfen will, muss herausfinden, wer oder was die Terroristen prägt. Es greift zu kurz, nur Gefährder und Terroristen im Blick zu haben“ (70). Eric ermuntert gewaltlos lebende Muslime und fordert sie dazu auf, sich klar vom islamistischen Terror zu distanzieren. „Die friedfertigen Muslime sollten aufstehen und die große Masse der konservativen islamischen Theologen in die Pflicht nehmen, eine neue Lesart des Korans zu finden, die das friedliche Zusammenleben fördert“ (186).

Ein Schwerpunkt des Buches – und wahrscheinlich ein Thema, ohne welches das Buch nicht entstanden wäre – ist die Konversion. Erics eigene Konversion führt zu einem tiefgreifenden Wandel in seinem Leben, anfangs verbunden mit großen psychischen wie auch sozialen Konflikten. Die verinnerlichten islamischen Werte und Rituale stehen im Gegensatz zu seinem neuen Glauben. Er führt in der Anfangszeit ein Doppelleben; Angst und Geheimhaltung bestimmen seine religiöse Praxis. Durch seine Absage an das islamische Glaubensbekenntnis muss Eric es in Kauf nehmen, dass er aus seiner Familie verstoßen wird. Doch nicht nur seine Familie, sondern auch seine Freunde und sein muslimisches Umfeld insgesamt stehen Eric ablehnend gegenüber. Die Konversion wird als Verrat an der Gemeinschaft verstanden und damit der Ausschluss des Konvertiten begründet.

Durch die Ankunft vieler Flüchtlinge wird die politische Brisanz von Konversionen aufs Neue vor Augen geführt, wobei in diesem Diskurs auch Begriffe wie Bleiberecht und Manipulation angeführt werden. Eric nimmt Stellung zu aktuellen Fragestellungen und tritt engagiert für das persönliche Grundrecht der Konversion ein.

Er schreibt sehr verständlich und wechselt immer wieder zwischen erzählenden, teils spannungsgeladenen Abschnitten und informativen, erklärenden Passagen. So schiebt er an bestimmten Stellen Exkurse zu Themen wie einem Tagesablauf in der Koranschule oder der Muslimbruderschaft ein. Das Buch stellt eine gute Möglichkeit dar, differenzierte Informationen über den Islam zu erhalten. Diejenigen, die gewillt sind, sich in islamische Denk- und Verhaltensmuster hineinzudenken und diese in ihrem Kontext zu sehen, sind mit dem Buch gut bedient. Eine weitere Zielgruppe des Buchs sind Christen: Die Geschichte Erics ist für im Glauben stehende Menschen sehr ermutigend. Zuletzt richtet sich das Buch an alle, die Berührungspunkte mit Muslimen und der islamischen Religion haben. Ein Verständnis des islamischen Glaubens wird vor der Lektüre nicht vorausgesetzt. Eric erläutert die arabischen, teilweise theologischen Begrifflichkeiten und bringt dem Leser islamische Glaubensvorstellungen und Eigenheiten der arabischen Kultur behutsam nahe.

Die am Ende angehängten Impulse zur Diskussion bieten ein knappes Resümee der wichtigsten Punkte und praktische Hilfestellungen für den Dialog mit Muslimen und den Umgang mit (aktuellen gesellschaftlichen) Islamthemen. Der gelungene Bildteil illustriert die Lebensgeschichte auf lebendige Weise. Außerdem findet sich als Anhang ein Glossar mit den im Buch verwendeten arabischen Begriffen.


Katharina Sigel, Bayreuth