Manfred Hutter

Handbuch Baha´i. Geschichte - Theologie - Gesellschaftsbezug

Manfred Hutter, Handbuch Baha’i. Geschichte – Theologie – Gesellschaftsbezug, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2009, 230 Seiten, 22,00 Euro.


Die erste umfangreiche Gesamtdarstellung des Baha’itums aus religionswissenschaftlicher Sicht in deutscher Sprache ist ein ausgezeichnetes Studien- und Nachschlagewerk, ein Fachbuch auf dem aktuellsten Stand, das zudem durchweg gut lesbar ist und der Forschung wie auch dem interreligiösen Dialog eine neue Grundlage gibt.

Der Bonner Religionswissenschaftler beschreibt die Baha’i-Religion nicht nur als Abkömmling des schiitischen Islam, sondern berücksichtigt das größere Spektrum des pluralen Religionsmilieus, das die iranische Religionsgeschichte zur Entstehungszeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt hat. Methodisch ist weiterhin auffällig und ausdrücklich beabsichtigt, dass die religionswissenschaftliche Darstellung der „Innenperspektive“ so Rechnung zu tragen versucht, dass die Gläubigen ihre eigene Religion in der Beschreibung wiedererkennen können. Das gelingt Hutter, ohne die Distanz zum Gegenstand aufzugeben.

Die Gliederung in Geschichte, Theologie und Gesellschaftsbezug stellt die Lehre in ihrem historischen Zusammenhang und mit ihren gesellschaftlichen Konsequenzen und Ausdrucksformen dar. Der geschichtliche Teil behandelt die Anfänge im schiitischen Iran über die Babi-Religion und die Entwicklung der Baha’i-Religion (Baha’u’llah, Abdu’l-Baha und Shoghi Effendi) bis zur Führung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit ab 1963. Ein wertvolles Kapitel zur lokalen Religionsgeschichte im deutschsprachigen Raum bietet ebenso interessante Details zum Verständnis der heutigen Situation wie ein Abschnitt zur herausragenden Bedeutung Israels und Irans als Typen eines „Heiligen Landes“ für die Topographie der Baha’i-Religion.

Im Theologieteil führt Hutter gründlich in die Schriften des Bab und Baha’u’llahs ein und stellt die Baha’i-Hermeneutik in Auslegungsfragen dar. Dabei hält er sich eng an die „Innenperspektive“. In theologischen Einzelfragen werden die Nähe zum strikten Monotheismus des Islam und die kernhafte, substanzielle Einheit aller Religionen (Ewiger Bund) deutlich. Die Bundestheologie, die eng verbunden ist mit dem Konzept der fortschreitenden Offenbarung, liegt den Baha’i-Bemühungen zugrunde, die Einheit der Menschen schon im Diesseits zu verwirklichen. Auch das angesichts der Mitgliederzahlen – die deutsche Baha’i-Gemeinde hat etwas über 5000 Mitglieder – überproportional große Engagement der Baha’i im interreligiösen Dialog hat hier seinen theologischen Grund und wird durch die Offenbarungsschriften der Religion gefördert. Das religiöse Recht, die hierarchische Struktur auf den verschiedenen Ebenen der Gemeinschaft und die religiöse Praxis sind weitere Themen.

Der Gesellschaftsbezug wird anhand von Verbreitung und Wachstum, von Organisationsstrukturen sowie Grundzügen einer Baha’i-Ethik und kulturellen Prägungen durch das Baha’itum dargelegt. Dabei wird der Aspekt einer Verbindung des Ideals einer Baha’i-Kultur der Einheit mit einer einigenden Weltsprache am Beispiel der zeitweilig bedeutsamen Affinität zur Plansprache Esperanto gestreift. Die Frage, ob die Baha’i-Religion eine Weltreligion ist, hält Hutter dagegen für streng genommen kaum sinnvoll. Einen universalen Anspruch und die weltweite Verbreitung teilen die Baha’i mit vielen anderen Religionen, die – und dies ist entscheidend – Teil einer pluralistischen Religionswelt sind, die sich noch erweitern und ausdifferenzieren wird. Vor diesem Hintergrund wird die Verhältnisbestimmung zu den Religionen der Welt auch für die Zukunft ein wichtiges Thema bleiben. Mit ihm schließt der mit Literaturverzeichnis und Registern versehene Band sicher nicht zufällig ab. Offenheit und Inklusivismus sind hierbei die charakteristischen Stichworte für die Konsequenzen, die die „vierte abrahamitische Religion“ aus ihrem offenbarungstheologischen Ansatz gezogen hat und bis heute zieht.


Friedmann Eißler